Genom-editierte Nutzpflanzen

Weizen-Sprösslinge

Text: Philipp Graf

Mit der Genschere CRISPR-Cas lässt sich das Erbgut von Nutzpflanzen gezielt bearbeiten. In Europa werden genom-editierte Pflanzen als gentechnisch veränderte Organismen eingestuft. Doch aus Wissenschaft und Wirtschaft regt sich zunehmend Kritik. Dieser Trendbericht gibt einen Überblick über die Debatte.

CRISPR-Cas als vielseitiges Präzisionswerkzeug

Mittels Genom-Editierung lässt sich das Erbgut von Nutzpflanzen so gezielt bearbeiten wie nie zuvor. Ein Präzisionswerkzeug von besonderer Bedeutung für die Pflanzenforschung und die Züchtung ist die „Genschere“ CRISPR-Cas. Die Entdeckung dieses Systems wurde 2020 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Gemäß einem EuGH-Urteil aus dem Jahr 2018 werden genom-editierte Pflanzen in Europa als gentechnisch veränderte Organismen eingestuft. Doch aus Wissenschaft und Wirtschaft regt sich zunehmend Kritik. Dieser Trendbericht gibt einen Überblick über die Debatte.

Der Begriff Genom-Editierung (Genome Editing) bezeichnet Verfahren, mit denen sich Erbinformation in lebenden Pflanzenzellen gezielt verändern lässt. Als molekulargenetische Werkzeuge kommen hierbei spezielle Enzyme zum Einsatz – die sogenannten Designer-Nukleasen. Dabei handelt es sich um „zielgerichtete Genscheren“. Besonders das Genom-Editierungssystem CRISPR-Cas hat die Molekularbiologie im aktuellen Jahrzehnt revolutioniert.

Dieses System, das die inzwischen nobelpreisgekrönten Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna als Teil einer Art Immunsystem in Mikroben für die biotechnologische Anwendung nutzbar gemacht haben, besteht aus zwei Komponenten: einer DNA-Code-Aufspür-Einheit und einer Scherenfunktion. Der Clou: Die Schere kann mithilfe einer Erkennungssequenz darauf programmiert werden, ein bestimmtes Ziel im Genom von Organismen anzusteuern und dort einen Schnitt zu setzen. Detaillierte Informationen, wie das CRISPR-Cas-System aufgebaut ist und auf molekularer Ebene funktioniert, finden sich unter anderem bei den folgenden Informationsangeboten im Web (siehe Infokasten am Ende dieses Kapitels).

Video: CRISPR-Cas9 - wie die Genschere funktioniert

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In einem anderen Themendossier auf bioökonomie.de haben wir bereits die Werkzeug-Palette der Pflanzenzüchter vorgestellt. Hier soll nun stärker beleuchtet werden, wie vielseitig man das CRISPR-Cas-System mittlerweile als Werkzeug einsetzen kann, um genetische Veränderungen mit hoher Präzision und Effizienz herbeizuführen.

Pflanze die auf drei Büchern steht

Wie sich CRISPR-Cas als Werkzeug einsetzen lässt

Gezielt Mutationen auslösen: Eine Mutation ist eine dauerhafte Veränderung der Erbinformation. Sie entsteht, wenn an einer Stelle der DNA-Sequenz Bausteine ausgetauscht werden, eingesetzt werden oder verlorengehen. Mit CRISPR-Cas lässt sich praktisch an jeder Stelle des Genoms von lebenden Zellen eine gezielte Mutation hervorrufen. Dies erreicht man, indem man an einer definierten Stelle einen einzigen Schnitt setzt, also mittels CRISPR-Cas einen Doppelstrangbruch in der DNA des jeweiligen Gens verursacht. Der Bruch wird dann wie andere Erbgut-Schäden mit den zelleigenen Mechanismen von der Pflanzenzelle repariert. Da die Reparatur immer wieder auch fehlerhaft verläuft, kann dies zur Zerstörung der betroffenen Genfunktion führen. Solche Knock-out-Mutationen sind zurzeit die häufigste Anwendung, um einzelne Gene, die für bestimmte unerwünschte Eigenschaften in der Pflanzenzüchtung verantwortlich sind, auszuschalten. Diese Werkzeuge können auch dazu genutzt werden, um Punktmutationen (Austausch eines einzelnen DNA-Bausteins) oder eine Deletion (Verlust von DNA-Bausteinen) zu erzeugen. Es werden in diesem Prozess keine zusätzlichen, fremden DNA-Abschnitte eingebaut. Eine weitere Besonderheit: Durch eine Anpassung der Technik kann man mehrere solcher gezielten Eingriffe in einem Versuchsschritt vornehmen.

Gezielt DNA-Abschnitte einfügen: Daneben gibt es mithilfe von CRISPR-Cas auch die Möglichkeit, gezielt fremde DNA an spezifischen Stellen des Genoms zu integrieren. Dabei bedient man sich ebenfalls der zelleigenen Reparaturmechanismen. Hierzu muss man zunächst fremde DNA-Abschnitte, die mehrere Tausend Basenpaare lang sein können, in die Zelle einschleusen. Wichtig ist, dass diese die Sequenz der Spaltungsstelle enthalten. Das führt dazu, dass der fremde DNA-Abschnitt bei der Reparatur des Doppelstrangbruchs an der ausgewählten Stelle ins Genom eingebaut wird.

In rasantem Tempo entwickeln Forschende das CRISPR-Cas-System weiter. Für den Ansatz des sogenannten Base Editing wurde zum Beispiel die Schneidefunktion von CRISPR-Cas deaktiviert, stattdessen ist das Designer-Enzym in der Lage, gezielt DNA-Basen chemisch zu verändern. Damit lassen sich Veränderungen einbringen, ohne dass die zelleigene DNA-Reparatur in Aktion treten muss.

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Wie erkennt man eine genom-editierte Pflanze?

CRISPR-Cas setzt zielgerichtet Schnitte im Erbgut und löst damit Mutationen aus. Doch hinterlassen die Genscheren nach getaner Arbeit weitere Spuren im Erbgut von Pflanzen? Unterscheiden sich per CRISPR-Cas ausgelöste genetische Veränderungen von anderen Verfahren und natürlichen Vorgängen? Diese Fragen stehen aktuell im Zentrum der Forschung und der Debatte über den Umgang mit genom-editierten Nutzpflanzen.

Unterscheiden sich per CRISPR-Cas ausgelöste genetische Veränderungen von natürlichen Vorgängen?

Es gibt mehrere Schritte, die bei der Anwendung der CRISPR-Cas-Technologie in lebenden Pflanzenzellen Hinweise darauf geben könnten, ob eine Pflanze genom-editiert ist oder nicht. Hier setzen Forschende derzeit an, um potenzielle Nachweisverfahren zu entwickeln. Diese Forschungsarbeiten stellen auch die Grundlage dar, um die Genom-Editierung weiter zu optimieren:

Schritt 1: CRISPR-Cas in die Zelle schleusen

Die molekularen Baupläne für die Genom-Editierungsmaschine müssen an den Einsatzort ins Zellinnere gelangen, um wirksam zu werden. Pflanzenforscher lösen das derzeit noch vielfach mit transgenen Verfahren. Hierbei werden die Baupläne mithilfe von Genfähren in Pflanzenzellen eingeschleust. Es gelangt also fremde Erbinformation in Form von DNA-Ringen (Plasmiden) in die Pflanzenzellen. Dort wird das CRISPR-Cas-System durch die Proteinsynthese-Maschinerie der Zelle zusammengebaut und es wird dann aktiv. Es setzt einen Schnitt in der DNA, dann wird das Designer-Enzym vom Zellstoffwechsel wieder abgebaut.

Um auch die Transgene in einer genom-editierten Pflanze zu entfernen, wird sie dann über viele Generationen mit anderen transgenfreien Pflanzen gekreuzt. Um nachzuweisen, dass eine Pflanze nach zahlreichen Kreuzungen keinerlei fremde DNA-Sequenzen mehr enthält, kommt unter anderem die DNA-Sequenzierung zum Einsatz.

Vielfach wird an Methoden für eine von vornherein transgenfreie Genom-Editierung geforscht. Beispielsweise wird der Ansatz verfolgt, die Schlüsselkomponenten von CRISPR-Cas9 nicht auf Basis von Fremd-DNA durch die Pflanzenzelle selbst, sondern als Enzym-RNA-Komplex im Reaktionsgefäß im Labor herzustellen. Diese Komplexe können dann in die Zellen eingeschleust werden. Das kann zum Beispiel mithilfe von Laserimpulsen geschehen. So hinterlässt das System keine Fremd-DNA in der Pflanzenzelle.

Schritt 2: Die Genschere in Aktion in der Zelle

Nachdem die DNA einer Pflanzenzelle erfolgreich per Genom-Editierung bearbeitet wurde, weist ihr Erbgut an definierten Stellen eine Mutation auf. Ob Punktmutation oder Deletion – wie die Mutation aussieht, lässt sich heute einfach und schnell mittels einer DNA-Sequenzierung ermitteln, wenn die Art der Veränderung bekannt ist. Doch die DNA-Sequenz liefert keine Antwort auf die Frage: Auf welche Weise ist die Veränderung in der Erbsubstanz zustande gekommen? 

Denn Mutationen entstehen auch von Natur aus im Erbgut. Die Rate spontaner Mutationen ist in Nutzpflanzen, die oft über riesige Genome verfügen, sogar überraschend hoch. Die Zahl der natürlichen spontanen Mutationen in einer Generation, die etwa im Genom einer Weizen-Pflanze auftreten, wird auf 69 geschätzt, bei Mais auf 32 (Positionspapier der Max-Planck-Gesellschaft, S.8). So ist eine auf einem Feld stehende Population von Nutzpflanzen niemals identisch, weil sie sich aus einzelnen sich entwickelnden und Mutationen ausgesetzten Individuen besteht.

Per Genom-Editierung ausgelöste einfache Veränderungen wie Punktmutationen oder Deletionen unterscheiden sich nicht von Mutationen, die von Natur aus im Erbgut entstehen. Anders als bei klassischen Gentechnikverfahren wird keine artfremde Erbsubstanz (Fremd-DNA) in das Genom der Pflanzen eingebaut. Ob es sich um eine natürliche, zufällig entstandene Mutation handelt, ob sie auf konventionelle Züchtung zurückgeht oder gezielt im Labor editiert wurde, ist nach aktuellem Wissenstand nicht zu unterscheiden.

Raps-CRISPR-Mutagenese
Regeneration von Rapssprossen in der Petrischale nach CRISPR-Cas-Mutagenese. Aus den Gewebekulturen können komplette Pflanzen regeneriert werden.

Gesucht: Ein eindeutiger Nachweis für genom-editierte Mutationen

Inwiefern eine präzise, verlässliche Unterscheidung von durch Genom-Editierung ausgelösten Punktmutationen im Pflanzenerbgut und Mutationen, die durch klassische Mutagenese oder spontan entstanden sind, möglich ist, ist Gegenstand aktueller Forschungsprojekte. Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt allerdings keinen sicheren Nachweis dafür, wie eine neue Mutation in einer Pflanze zustande gekommen ist. Das unterstreicht unter anderem ein im Jahr 2019 veröffentlichter Bericht des Joint Research Centers der EU-Kommission und des European Network of GMO Laboratories (ENGL). Eine durch Genom-Editierung eingeführte Mutation ist – so das Fazit – bisher nur durch eine umfassende Dokumentation seitens der Pflanzenzüchter zu belegen.

Hinterlassen die Genscheren Spuren im Erbgut von Pflanzen?

Im September 2020 veröffentlichten ein Autorenteam im Fachjournal Foods ein PCR-Nachweisverfahren für genom-editierte Rapspflanzen (diese wurden nicht mit dem CRISPR-Cas-System hergestellt). Finanziert wurde die Studie u.a. vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) und Greenpeace. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat in einer Bewertung der Methode jedoch klargestellt, dass auch mit dieser Methode nicht gerichtsfest nachgewiesen werden kann, wie die Punktmutation entstanden ist. Zudem funktioniere das Verfahren nur, wenn Informationen des Herstellers vorliegen. Ähnlich argumentiert auch das European Network of GMO Laboratories in einer Stellungnahme.

Zusätzlichen Schnitten im Erbgut auf der Spur

Manchmal führen irrtümliche, nicht beabsichtigte Schnitte der Genschere zu den sogenannten Off-Target-Effekten. Dabei kommt es zu einer ungewollten Veränderung der DNA an Stellen im Genom, die nicht der Zielposition entsprechen. Oft liegt dies daran, dass der ungewollt veränderte Abschnitt nur wenige DNA-Basenpaare lang ist und eine große Ähnlichkeit mit der Zielregion aufweist. Inzwischen wurden verbesserte CRISPR-Cas-Systeme entwickelt, bei denen die Anzahl ungewollter Schnitte stark reduziert ist. Durch moderne Sequenzierungstechniken ist es relativ einfach zu prüfen, ob Off-Target-Effekte auftreten. Man kann so nur solche Pflanzen für die weitere Züchtung auswählen, bei denen ungewollte Schnitte nicht aufgetreten sind. Im Gegensatz zu medizinischen Anwendungen ist das für Pflanzenzüchter jedoch eher von sekundärer Bedeutung. Denn die Pflanzenzüchter kreuzen in der Regel unerwünschte Mutationen über etliche Pflanzen-Generationen aus dem Erbgut heraus, bevor sie eine Sorte zur Prüfung durch die Behörden einreichen.

Gezielte und ungezielte Mutagenese im Vergleich

Aufgrund der hohen Rate spontaner, natürlich auftretender Mutationen würde aus Sicht von Forschenden die Einführung einer definierten, künstlich erzeugten Punktmutation die Gesamtmutationsrate kaum erhöhen. Klassische Mutagenese-Verfahren, bei denen Chemikalien oder Strahlung zum Einsatz kommen, erzeugen hingegen Tausende Mutationen zufällig über das gesamte Erbgut hinweg (mehr zu den Mutageneseverfahren in diesem Themendossier).

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Bedeutung für die Landwirtschaft der Zukunft

Das Ausschalten von einzelnen Genen mittels Genom-Editierung kann für die Landwirtschaft zu einer ganzen Reihe von neuen oder attraktiven Eigenschaften führen. Mit diesem neuen Werkzeug in der Palette der Pflanzenzüchter wird erstmals eine gezielte Mutagenese möglich. Molekulare Züchtungsverfahren ermöglichen die schnelle Erzeugung von Einzel- und Mehrfachmutanten. Auch Nicht-Modellorganismen und Pflanzen mit polyploidem Genom (also Erbgut mit mehreren Chromosomensätzen) werden für Züchtungsexperimente zugänglich. Es werden auch Genomregionen zugänglich, die mit konventionellen Methoden bisher nicht erreicht werden konnten (zum Beispiel zentromernahe Bereiche auf den Chromosomen).

Viele Forschende sind sich einig, dass molekulare Züchtungsverfahren wie CRISPR-Cas einen wichtigen Beitrag für eine pflanzenbasierte Bioökonomie leisten können, die Lösungen für das Welternährungs- und Ressourcenproblem vor dem Hintergrund des Klimawandels bereitstellt. Die Landwirtschaft kann damit nicht nur produktiver, sondern auch weniger pestizidintensiv werden. Nutzpflanzen können durch Merkmale wie Trocken- und Hitzetoleranz besser an die Folgen des Klimawandels angepasst werden. Zudem wird durch das Werkzeug der Genom-Editierung eine größere Pflanzenvielfalt züchterisch erschließbar – was im Sinne einer nachhaltigen Landwirtschaft und einer gesunden Ernährung ist.

Erklärvideo: Mit CRISPR-Cas Pflanzen züchten

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So konnte bereits Weizen erzeugt werden, der gegen die Pilzkrankheit Mehltau resistent ist. Ebenso ist eine Sojasorte erzeugt worden, aus der Öl mit einer veränderten Zusammensetzung an ungesättigten Fettsäuren gewonnen werden kann. Dieses Öl ist besser zum Braten und Frittieren geeignet. Welche genom-editierten Nutz- und Zierpflanzen es schon gibt, zeigt eine Studie des Julius Kühn-Institut in Quedlinburg, die im Rahmen des BMBF geförderten Projekts ELSA-GEA entstanden ist. Die Dialogplattform Progressive Agrarwende hat mit der CRISPR-Bibliothek eine Datenbank entwickelt, die die Recherche von genom-editierten Nutzpflanzen gezielt nach Zuchtzielen, Pflanzenart oder Herkunftsland ermöglicht. Unter anderem sind in den USA bereits genom-editierte Pflanzen für den kommerziellen Anbau zugelassen.

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Die Rechtslage: Das EuGH-Urteil von 2018

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Juli 2018 ein Urteil gesprochen, das für Diskussionsstoff auf internationaler und nationaler Ebene gesorgt hat. Demnach sind sämtliche durch Mutagenese gewonnene Organismen als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) anzusehen und fallen grundsätzlich unter die strenge Regulierung der europäischen Freisetzungsrichtlinie für gentechnisch veränderte Organismen (GVO-Richtlinie).

EuGH Gande Salle
Der Große Saal des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg.

Das gilt auch für die gezielte Mutagenese durch die neue Genschere CRISPR-Cas und andere Werkzeuge der Genom-Editierung, mit denen sich das Erbgut von Organismen viel gezielter als bisher verändern lässt. Die Anwendung der neuen Mutagenese-Verfahren birgt nach Ansicht des EuGH vergleichbare Risiken wie die Erzeugung transgener Pflanzen, bei denen fremde Erbsubstanz ins Genom von Organismen eingeschleust wird (siehe auch Dossier zu Werkzeugen der Pflanzenzüchtung). Die neuen Züchtungsverfahren wie die Genom-Editierung von der Gentechnik-Regulierung auszunehmen, laufe dem Vorsorgeprinzip zuwider.

Eine Ausnahme machte der EuGH indes für klassische Mutagenese-Verfahren – etwa ionisierende Strahlung oder erbgutverändernde Chemikalien: Ihre Anwendung gelte seit Langem als sicher, so das Gericht. Den Mitgliedstaaten stehe „es allerdings frei, derartige Organismen (...) den in der GVO-Richtlinie vorgesehen Verpflichtungen zu unterwerfen“. Aus Sicht des EuGH ist der Einsatz von CRISPR-Cas in Pflanzen eine gentechnische Veränderung und deshalb müssen alle mit dieser Methode gezüchteten Pflanzen entsprechend der GVO-Richtlinie gekennzeichnet und reguliert werden.

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Positionen von Wissenschaft, Wirtschaft sowie Zivilgesellschaft

Das Urteil des EuGH hatte bereits im Sommer 2018 ein geteiltes Echo hervorgerufen. Während die Umwelt- und Verbraucherverbände das Urteil begrüßten, reagierten weite Teile der Wissenschaft sowie der Wirtschaft ernüchtert bis konsterniert.

Wissenschaft

Zahlreiche Forschungsorganisationen, Wissenschaftsakademien und Fachverbände haben inzwischen Positionspapiere zum EuGH-Urteil veröffentlicht. Sie alle eint der Aufruf an die Politik, die Gentechnik-Gesetzgebung in der EU im Hinblick auf die Genom-Editierung zu novellieren und die Regulierung von Pflanzenzüchtungen wissensbasiert und produktbezogen zu gestalten.

Wohl am detailliertesten ausgeführt wird das in einer Stellungnahme, die die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Ende 2019 veröffentlicht haben. Die pauschale rechtliche Einstufung als GVO berücksichtige nicht, welche Art der genetischen Veränderung im genom-editierten Organismus vorliegt. Dieser vorrangig verfahrensbezogene Regelungsansatz sei rational nicht zu begründen, kritisieren die Wissenschaftsakademien und DFG. Sie geben Empfehlungen, wie das europäische Gentechnikrecht kurzfristig novelliert und langfristig komplett neugestaltet werden kann.

Auch die Forschungsorganisationen hatten in diesem Sinne Stellung bezogen, so der Ethikrat der Max-Planck-Gesellschaft. Im Januar 2020 hatte sich der Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik und der VBIO mit einem Impulspapier an der Debatte beteiligt. Auch hier plädieren die Autoren für eine Anpassung der Gentechnikgesetzgebung sowie eine wissensbasierte und produktbezogene Regulierung von genom-editierten Pflanzen. Bereits im Sommer 2018 hatte der deutsche Bioökonomierat dafür plädiert, das Gentechnikrecht zu überarbeiten.

Genom-editierte Weizenpflanzen
Genom-editierte Weizenpflanzen aus der deutschen Pflanzenzüchtungsallianz PILTON. Das Ziel: Mithilfe von CRISPR-Cas mehrfach pilztolerante Sorten entwickeln.

Wirtschaft

Im Oktober 2019 haben 23 Verbände der Agrar- und Ernährungswirtschaft die deutsche Politik aufgefordert, in Sachen Genom-Editierung das veraltete EU-Gentechnikrecht an den Stand der Wissenschaft anzupassen und damit Rechtssicherheit im Agrarhandel zu gewährleisten. Bei der Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten sollte zwischen dem Vorsorgeprinzip und dem Innovationsprinzip zum Nutzen von Mensch und Umwelt abgewogen werden.

Zu den beteiligten Verbänden zählt die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB), die BIO Deutschland, der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter wie auch der Deutsche Bauernverband. Im September 2020 haben sich in dem Konsortium namens PILTON 60 deutsche Pflanzenzüchtungsunternehmen zusammengetan, um mithilfe von CRISPR-Cas mehrfach pilztolerante Weizensorten zu züchten.

Umwelt- und Verbraucherverbände

Die Umwelt- und Verbraucherorganisationen vertreten überwiegend die Ansicht, dass genom-editierte Pflanzen GVO sind und daher nach dem existierenden Gentechnik-Recht zu regulieren sind. Diese Position wurde bereits im Vorfeld des EuGH-Urteils in einem gemeinsamen Papier von NGOs und Ökoverbänden formuliert. Daher begrüßten Organisationen wie BUND sowie NABU das EuGH-Urteil. Es wird plädiert, den verfahrensorientierten Ansatz der Regulierung von GVO beizubehalten.

Die NGOs und Verbraucherorganisationen setzen sich für eine Kennzeichnung als Grundlage für Wahlfreiheit und Transparenz ein. Zudem berufen sie sich auf das Vorsorgeprinzip – und verweisen hier besonders auf mögliche Risiken, die zum Beispiel durch fehlerhafte Schnitte der Genschere CRISPR-Cas im Pflanzenerbgut vorkommen können.  

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Sicht der Verbraucher

Blickt man auf aktuelle Umfragen wie den Verbrauchermonitor, den das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) im Juni 2019 veröffentlicht hat, dann zeigt sich, dass vielen der Befragten mit dem Thema Genom-Editierung nichts anfangen können: 86 % der Befragten geben an, noch nie von Genom-Editierung gehört zu haben.

Verbraucherkonferenz in Berlin

Um den gesellschaftlichen Austausch und die Meinungsbildung zu verbrauchernahen Anwendungen von Genom-Editierung zu fördern, hat das BfR im Jahr 2019 eine Verbraucherkonferenz durchgeführt. Dafür wurde aus ca. 150 Bewerbungen zufällig eine möglichst heterogene Gruppe von 20 Teilnehmenden ausgewählt. In drei Wochenenden zog sich die Verbrauchergruppe zurück, befragte Experten, diskutierte und verfasste ein Votum. Es bildet sehr gut ab, welche Fragen sich für die Öffentlichkeit zum Thema Genom-Editierung momentan ergeben und enthält klare Forderungen an Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Dazu zählt ein Plädoyer für verantwortungsvolle Forschung zu Chancen, Risiken und Auswirkungen der Genom-Editierung sowie strengere Regeln seitens des Gesetzgebers.

Supermarkt erbundgut
Die Supermarkt-Installation ErbUndGut im Berliner Museum für Naturkunde.

Supermarkt-Installation im Naturkundemuseum

Zudem hat die Supermarkt-Installation ErbUndGut im Museum für Naturkunde interessante Einsichten geliefert. Es handelte sich dabei um ein Ausstellungs- und Dialogprojekt im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojektes GenomELECTION. Der Supermarkt im Naturkundemuseum bot von März bis Mai 2019 einen Blick hinter die Kulissen des Themas Pflanzenzüchtung.

Eingriffe ins Erbgut wurden eher für vertretbar gehalten, wenn dies zur Reduzierung von Pestiziden führt oder dabei hilft, Krankheiten von Nutzpflanzen einzudämmen.

Zudem war der Supermarkt von einer Befragung begleitet, an der sich rund 900 Besucherinnen und Besucher beteiligten. In der Umfrage gaben 50 % der Befragten an, noch nie von Genom-Editierung gehört zu haben. Nur 12 % der Befragten kannten das EuGH-Urteil. Auch die allgemeinen Einstellungen zum Thema Gentechnologie wurden abgefragt. Mehrheitlich sprachen sich die Besucher gegen Eingriffe in das Erbgut bei der Pflanzenzüchtung aus (57 % in der Station 1 zur Weizenzüchtung). Trotzdem gab es interessante Abstufungen in den Urteilen. Die Besuchenden unterschieden „sehr kontextabhängig, wann sie von ihrer prinzipiellen Einstellung abzuweichen bereit sind“, heißt es in der Ergebnisdokumentation. Eingriffe ins Erbgut wurden eher für vertretbar gehalten, wenn dies zur Reduzierung von Pestiziden führt oder dabei hilft, Krankheiten von Nutzpflanzen einzudämmen.

Genom-Editierung in der Landwirtschaft war auch Teil des vom BMBF geförderten Projekts ELSA-GEA. Es beschäftigte sich damit, wie die neuen Züchtungsmethoden ethisch, rechtlich und sozioökonomisch bewertet werden können. Im Zuge des Projektes ist ein interdisziplinäres Webportal entstanden, auf dem sich viele Hintergrundinformationen finden. 

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Herausforderungen für die Politik

Wie oben dargestellt, hat das Urteil des EuGH im Juli 2018 in Deutschland sehr gemischte Reaktionen ausgelöst. Besonders die Wissenschaft und Teile der Wirtschaft fordern nachdrücklich einen europäischen politischen Prozess mit dem Ziel, die Gentechnik-Gesetzgebung in der EU zu aktualisieren und an den technologischen Fortschritt anzupassen. Wichtigster Punkt: Bei Anwendungen der Genom-Editierung müsse zwischen denjenigen unterschieden werden, die die natürlichen Mutagenese-Prozesse nachahmen, und solchen, die mehr Kontrolle erfordern. Ein wissenschaftliches Beratungsgremium der EU-Kommission hatte Ende 2018 eine Stellungnahme veröffentlicht, die eine Überarbeitung der bestehenden europäischen Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) für gentechnisch veränderte Organismen empfiehlt. Damit solle den aktuellen Erkenntnissen und wissenschaftlichen Nachweisen, insbesondere im Bereich Genom-Editierung, Rechnung getragen werden.

Damit ist nun der europäische Gesetzgeber gefragt – die EU-Kommission, das EU-Parlament und der Rat der Europäischen Union. Im November 2019 kam auf europäischer Ebene etwas Bewegung in den politischen Prozess: Der Rat der Europäischen Union, das politische Leitorgan der EU, hat die EU-Kommission gebeten, in einer Studie die Konsequenzen des EuGH-Urteils zu klären und ggf. erforderliche Maßnahmen vorzuschlagen. Ende April 2021 hat die EU-Kommission die Ergebnisse dieser Untersuchung vorgelegt. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die derzeitig gültige europäische Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) für manche der neuen genomischen Züchtungsmethoden nicht mehr angemessen ist und entsprechend überarbeitet werden muss.

In Deutschland haben die Parteien sehr unterschiedliche Positionen zur Regulierung von genom-editierten Nutzpflanzen entwickelt. Die Diskussion, wie der politische Prozess auf europäischer und nationaler Ebene weiter gestaltet werden soll, ist in vollem Gange.