Bioökonomie im Weltall

Planet Erde und das Weltall

Text: Björn Lohmann

Das Weltall ist eine außergewöhnliche und faszinierende Umgebung. Biobasierte Innovationen können dazu beitragen, das Universum als Lebensraum zu erschließen. Gleichzeitig helfen Satelliten und andere Innovationen der Weltraumforschung, die Bioökonomie auf der Erde weiterzuentwickeln.

Das All als extremer Lebensraum

Der Weltraum ist eine extreme und lebensfeindliche Umgebung – und doch möchten Menschen im Zuge diverser Missionen nicht nur den Mond und den Mars ansteuern und besiedeln, sondern perspektivisch auch in die Tiefen des Universums vordringen.

Schwerelosigkeit und Strahlung

Die Schwerelosigkeit im Weltall und die kosmische Strahlung bereiten Menschen ebenso wie fast allen anderen Lebewesen der Erde Schwierigkeiten. Die Mikrogravitation führt bei längerem Aufenthalt zu Osteoporose und Muskelschwund. Die hochenergetische Strahlung ionisiert im Körper Atome und Moleküle, was insbesondere das Erbgut schädigen kann. Auch Grauer Star und Arteriosklerose werden wahrscheinlicher. Außerdem wird das Immunsystem geschwächt: T-Zellen zeigten im Weltall Eigenschaften, die denen gealterter T-Zellen ähneln. Anzunehmen ist, dass sich der Stoffwechsel und die Zellbiologie auf weiteren Wegen verändern. Ein anderer Effekt der Schwerelosigkeit ist zudem, dass bakterielle Krankheitserreger unter dieser Bedingung virulenter sind.

Noch deutlicher wird die Lebensfeindlichkeit des Alls beim Blick auf die Atmung: Weder Sauerstoff noch Kohlendioxid existieren dort. Zudem liegt die Temperatur nur knapp über dem absoluten Nullpunkt. Dennoch möchten Menschen das Weltall aus wissenschaftlichem Interesse erkunden, dort Rohstoffe gewinnen und eines Tages fremde Planeten oder Monde besiedeln.

Erklärvideo: Bioökonomie im All

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Reaktionen verlaufen anders

Die Schwerelosigkeit im Weltraum wirkt sich zudem auf den Ablauf chemischer Reaktionen aus. Ohne Gravitation gibt es keine Sedimentationsprozesse. Reaktionsgemische können sich daher nicht entmischen, was zu längeren Reaktionszeiten führt. Bei Stoffen mit unterschiedlichen Temperaturen bleibt die Dichte bedeutungslos, wodurch sich kein Wärmegradient ausbildet. Dadurch ändern sich chemische Reaktionsabläufe. Manche Reaktionen werden jedoch durch die fehlende Schwerkraft überhaupt erst möglich.

Ähnliches gilt für die Biochemie: Die Schwerelosigkeit ermöglicht es, Proteinkristalle – die für strukturbiologischen Forschung eine wichtige Rolle spielen – in besonders hoher Qualität herzustellen: Flüssigkeiten nehmen hochsphärische Formen an und besitzen thermodynamisch eine geringere Entropie – also ein hohes Maß an Ordnung. Zugleich lässt sich die Kristallstruktur dann besser analysieren. In einem der ersten Astrobiotechnologie-Experimente der Geschichte sollten 1975 Erythrozyten-Zellen von Ratten, Hasen und Meerschweinchen mittels trägerfreier Elektrophorese voneinander getrennt werden. Dabei bestätigte sich die Erwartung, dass diese Trennung in der Schwerelosigkeit wesentlich besser funktioniert als auf der Erde.

Biologisches Weltraum-Wissen

Astrobiologie ist eine Naturwissenschaft, die sich mit dem Studium des Ursprungs, der Evolution, der Ausbreitung und der Zukunft des Lebens im Universum beschäftigt.


Die Astrobiotechnologie beschäftigt sich mit der Gewinnung und der Erforschung von Biomolekülen, der Kultivierung von Organismen und biobasierten Prozessen für die Herstellung von Lebensmitteln, Materialien, Chemikalien und Arzneien im Weltraum.

Nachhaltige und erdunabhängige Versorgung gefragt

Darüber hinaus gibt es im All bislang keine einfachen Versorgungs- und Nachschubsysteme. Über große Distanzen sind sie schlicht nicht praktikabel, und selbst auf den vergleichsweise kurzen Versorgungsflügen zur Internationalen Raumstation fallen pro Kilogramm, das transportiert wird, Kosten von mehr als 10.000 Euro an. Raumstationen oder Kolonien auf fremden Planeten müssen daher in der Lage sein, Nahrung, Sauerstoff, Medikamente, Energie oder auch Werkstoffe und Werkzeuge vor Ort zu generieren.

Biobasierte Innovationen und Prozesse können helfen, die Versorgung von Menschen im All unabhängig von der Erde zu gewährleisten und Missionen resilienter und nachhaltiger zu gestalten. Gleichzeitig haben Bioökonomie-Innovationen das Potenzial, mit Bordressourcen und außerirdischen Ressourcen schonend umzugehen und Abfälle zu vermeiden.

Wissenschaftsjahr 2023 – Unser Universum

Dieses Themendossier ist einer unserer Beiträge zum Wissenschaftsjahr 2023 – Unser Universum

Zum Thema gab es auch einen Dialog an Deck auf der MS Wissenschaft in Mainz: Bioökonomie im All und auf der Erde war eine Kooperation von bioökonomie.de und Wissenschaft im Dialog.

Mehr Informationen gibt auf der offiziellen Website des Wissenschaftsjahrs: wissenschaftsjahr.de

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Forschung und Entwicklung im Weltall

Die Besonderheiten des Weltalls machen es zu einem außergewöhnlichen Labor für die Bioökonomie- und für Gesundheitsforschung. Das ist nicht nur für die Menschen auf der Erde relevant. Die Auswirkungen des Alls auf Lebewesen muss erforscht werden, um zukünftig das Überleben der Besatzung in Weltraummissionen zu gewährleisten.

Strahlungsresistente Organismen

Ein dynamisches Forschungsfeld ist die Astrobiotechnologie, die sich mit der Kultivierung von Organismen sowie biobasierten Prozessen für die Herstellung von Lebensmitteln, Materialien, Chemikalien und Arzneien im Weltraum beschäftigt. Einige Mikroorganismen als Produktionsorganismen haben sich hierbei als enorm anpassungsfähig erwiesen. Im Fokus steht vor allem der von Natur aus sehr strahlungsresistente Schimmelpilz Aspergillus niger. In der Biotechnologie ist er schon lange als Zellfabrik im Einsatz. Außerdem existieren zahlreiche molekulare Werkzeuge, um den Pilz genetisch anzupassen. Schon heute werden Wertstoffe aus mehr als einem Dutzend Molekülklassen in A. niger produziert.

Auch die Sporen mancher Bakterien besitzen im Vergleich zu menschlichen Zellen eine etwa 500-fach höhere Resistenz gegen Weltraumstrahlung und können im All bis zu sechs Jahre überleben. Aber auch Algen eignen sich für die Astrobiotechnologie: Sie sind oftmals sehr anspruchslos und können beispielsweise genutzt werden, um Biokerosin herzustellen. Ihr großer Vorteil ist, dass sie noch schneller Biomasse aufbauen als Bakterien. Generell ist an Mikroorganismen attraktiv, dass nur wenige Zellen von der Erde mitgenommen werden müssen, die dann auf der Raumstation oder in einer Kolonie vermehrt werden können.

Das Projekt BIOMEX hat bereits 2014 für zahlreiche Mikroorganismen, Moose und Algen untersucht, wie diese mit den Bedingungen im Weltraum – am Außenbereich der Internationalen Raumstation (ISS) – zurechtkommen.

Vorteilhaft ist, dass die Bedingungen im All auch Mikroorganismen unter Stress setzen. Als Reaktion auf die kosmische Strahlung und die Schwerelosigkeit bilden sie Substanzen, die sie unter irdischen Bedingungen nicht produzieren. Für diese Biomoleküle interessieren sich die Pharma- und die Kosmetikindustrie. Denn Schutzmechanismen gegen zellschädigende Einflüsse könnten potenziell auch als Wirkstoffe in der Humanmedizin Anwendung finden.

Bisherige Experimente an Bord der Raumstationen MIR und ISS (insbesondere in der BIOLAB-Anlage im europäischen Columbus-Labor) dienten jedoch zunächst dazu, für einige Mikroorganismen zu verstehen, wie sich deren Genom und die Aktivität der Gene unter den dortigen Bedingungen verändern. Neben verschiedenen Aspergillus-Stämmen untersuchten Forschende bislang auch Penicillium-Stämme und Bakterien der Bacillus-Familie. Weil es jedoch nur wenige Gelegenheiten für Experimente auf Weltraumflügen gibt und diese teuer sind, ist der Fortschritt langsam.

Algenexperiment EXPOSE-R auf der ISS
Im Projekt Biomex wurden Grün- und Blaualgen in Halterungen auf der Außenseite der ISS über eineinhalb Jahre den Weltraumbedingungen ausgesetzt.

Pflanzenwachstum erforschen

Pflanzen richten ihr Wurzelwachstum an der Schwerkraft aus. Pflanzenforschende untersuchen, wie Pflanzen auf Mikrogravitation reagieren und welche Gene daran beteiligt sind, dass Pflanzen trotzdem gedeihen. Mittelfristig können so Pflanzen gezüchtet werden, die besonders gut mit den Bedingungen im Weltraum zurechtkommen. Sie könnten dann Sauerstoff und Nahrung für die Astronauten produzieren. Sauerstoff könnte allerdings auch durch photosynthetisch aktive Mikroorganismen wie Cyanobakterien erneuert werden.

Ähnlich wie züchterisch optimierte Pflanzen könnten speziell entworfene Bakterien als Produktionssysteme im All zukünftig das Mittel der Wahl sein: Die Synthetische Biologie ermöglicht es, Bakterien herzustellen, die in der Natur nicht vorkommen und allein für einen definierten Zweck optimiert sind. Je besser Forschende verstehen, wie Mikroorganismen sich an die Bedingungen im All anpassen, desto eher können sie speziell für Einsätze in Raumstationen oder auf anderen Planeten entwickelte synthetische Mikroorganismen erzeugen.

Proteinkristalle für die Pharmaforschung

International liegt einer von zwei Forschungsschwerpunkten derzeit darauf, hochreine Proteinkristalle herzustellen und zu charakterisieren. Die Hoffnung ist, medizinisch relevante Proteine besser zu verstehen und neue Wirkstoffe zu entwickeln. Der andere Schwerpunkt ist die Zellbiologie. Dabei besteht vor allem der Wunsch, das Wachstum von Gefäß-, Knorpel- und Knochenzellen besser zu verstehen, um Krankheitsursachen aufzuklären, etwa von Krebs.

Neben den Vorteilen für die Analyse von Proteinkristallen und der Auftrennung von Zellgemischen verläuft auch die Elektrofusion von unterschiedlichen Zellen zu Hybridzellen mit potenziell neuen Eigenschaften in der Schwerelosigkeit erfolgreicher. Das belegten bereits Experimente in den 1980er und 1990er Jahren, sowohl für menschliche Zellen als auch für pflanzliche Protoplasten. Anwendungen für derartige Hybridzellen sind etwa die Herstellung von Antikörpern oder die Gewinnung von Impfstoffen gegen Tumorzellen. Bis heute bildet die Immunsystemforschung einen wichtigen Schwerpunkt des deutschen Forschungsprogramms zu Lebenswissenschaften im All.

Weil die Mikrogravitation Osteoporose und Muskelschwund verursacht, gibt es keinen besseren Ort, um Zell- und Tierstudien zu diesen Krankheiten durchzuführen. Und auch wenn die Astronautinnen und Astronauten durch spezielle Programme versuchen, entsprechende Auswirkungen auf ihren Körper zu begrenzen, helfen ihre Gesundheitsdaten der Forschung.

Ernährungsforschung

Relevant sind die Daten der Astronautinnen und Astronauten auch für die Ernährungsforschung. Beobachtungsstudien zur Ernährung scheitern oft daran, dass die Ernährung viel zu komplex ist und es daneben noch zahlreiche weitere Faktoren gibt, welche die Gesundheit beeinflussen. Auf der ISS wird jedoch genau kontrolliert, welche Nährstoffe die Menschen in welcher Menge zu sich nehmen. Außerdem wird ihre Gesundheit vor, während und nach dem All-Aufenthalt sehr genau untersucht. So stammt das bislang beste Wissen darüber, wie Kochsalz auf den menschlichen Körper wirkt, zwar nicht aus dem All, jedoch aus Mars-500, einer Simulation für künftige Mars-Flüge, bei der die Teilnehmenden 520 Tage lang unter den Bedingungen eines Weltraumaufenthalts lebten.

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Lebensmittelproduktion im All

Für Missionen auf der Raumstation ISS oder künftigen Basen auf Mond oder Mars muss sich die Besatzung weitgehend unabhängig vom irdischen Nachschub mit Werkstoffen, Nahrung, Medikamenten und Sauerstoff sowie Energie und Treibstoff versorgen. Vorräte von der Erde müssen klein gehalten werden, denn ihr Transport ist aufwendig, teuer und die Lebensdauer mancher Vorräte ist im All begrenzt.

Antarktis als Testbasis

Für die Lebensmittelproduktion im All werden insbesondere Indoor-Farming-Konzepte erprobt. Erfahrung mit dem Gemüseanbau unter widrigen Bedingungen gibt es bereits aus den Forschungsstationen in der Antarktis. Der siebte Kontinent dient deshalb als Testareal für künftige Anwendungen im All. Seit 2018 hat dort das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit einer mobilen Testeinrichtung die Produktion von Nahrung und anderen wichtigen Ressourcen wie Sauerstoff und Wasser in einer lebensfeindlichen Umgebung erforscht.

In dem Projekt EDEN-ISS dienten zwei etwa sechs Meter lange Container dazu Tomaten, Paprika, Gurken, verschiedene Salatsorten, Radieschen, Spinat, verschiedene Kräuter wie Basilikum, Schnittlauch, Petersilie, Minze, Koriander sowie Erdbeeren anzubauen. Denn alle diese Pflanzen haben einen hohen Wassergehalt, was ihre Lagerfähigkeit begrenzt. Das EDEN-ISS-Gewächshaus stellte ein nahezu komplett geschlossenes System dar, das selbst Luft, Nährstoffe, Wasser und Energie in genau kontrollierten Mengen bereitstellt und im Kreislauf führt. Die Pflanzen wuchsen aeroponisch, das heißt sie wurden mit einem Nebel aus speziell abgestimmten Nährstofflösungen besprüht. Ein spezielles LED-System stellte nur jenen Teil des Lichtspektrums bereit, den die Pflanzen benötigen. Das spart Energie. UV-Strahlung sterilisiert die Luft und macht dadurch Insektizide und Pestizide überflüssig.

Die EDEN-ISS-Container in der Antarktis

Gewächshäuser im Orbit

Tatsächlich im All befinden sich die beiden Gewächshäuser des Projekts Eu:CROPIS. Ende 2018 startete ein Satellit mit den beiden Gewächshäusern an Bord in die Erdumlaufbahn. In den Gewächshäusern befinden sich Lebensgemeinschaften aus Bakterien in einem Biofilter, Tomatenpflanzen, einzelligen Algen und synthetischem Urin. Das System extrahiert mittels eines am DLR entwickelten Verfahrens namens C.R.O.P. (Combined Regenerative Organic food Production) aus dem Urin Nitrat und düngt damit die Tomaten – ein Verfahren, dass angesichts hoher Mineraldüngerpreise auch auf der Erde nachgefragt wird, um Stickstoffdünger aus Gülle und Gärresten herzustellen.

Die Algen an Bord erzeugen Sauerstoff und entgiften das Gesamtsystem bei Bedarf. Der Satellit simuliert durch seine Rotation die Schwerkraftverhältnisse auf dem Mond oder dem Mars. Über insgesamt 62 Wochen analysierten DLR-Forschende damit, ob biologische Abfallstoffe im All recycelt und für den Anbau frischer Lebensmittel – hier Tomaten – genutzt werden können. Ende 2019 wurden drei der vier Experimente erfolgreich abgeschlossen. Sie demonstrieren, dass biologische Lebenserhaltungssysteme, die Astronauten mit Atemluft, Wasser und Nahrung versorgen, über lange Zeit stabil sein können.

Mehr Ernten mit angepassten Weizensorten

Forschende der School of Life Sciences der TU München (TUM) erproben den Anbau von Weizen in vertikalen Indoor-Farmen. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Revolution der Nahrungsmittelproduktion“ werden hier die Pflanzen 20 Stunden am Tag belichtet. Zum Einsatz kommt ein von der US-Weltraumagentur NASA gezüchteter raumsparender Weizen. Statt einem Meter ragt dieser nur 50 Zentimeter in die Höhe. Mit einer Reifephase von nur 60 Tagen können die Forschenden der TUM nicht nur eine, sondern fünf bis sechs Ernten im Jahr einfahren, und das bei einem deutlich geringeren Wasserverbrauch und ohne den Einsatz von Pestiziden.

Daneben gibt es viele weitere, teils schon kommerziell genutzte Systeme, die hydro- oder aeroponisch Gemüse und Kräuter produzieren, also die Pflanzen ohne Erde in Hydrokultursystemen kultivieren. Sie wurden vor allem für irdische Anwendungen entwickelt, um in Städten oder Regionen wenig fruchtbarer Böden Landwirtschaft zu ermöglichen. Doch auch die hierbei gewonnenen Erkenntnisse können in Weiterentwicklungen fürs All einfließen.

Aus Muskelstammzellen Fleisch erzeugen

Aber auch andere Zellen und Mikroorganismen bieten sich als Produktionssysteme für Raumstationen und planetare Basen an. Anstelle von Viehzucht könnten durch die Kultivierung von Muskelstammzellen im Labor zellbasiertes Fleisch sowie Milchprodukte erzeugt werden und so den Ernährungsplan bereichern.

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Biomaterialien herstellen

Biologische Ressourcen und biobasierte Prozesse helfen nicht nur bei der Nahrungsproduktion im All. Sie können auch dazu beitragen, interessante Werkstoffe herzustellen.

Seegras als Hitzeschutz

Die Bioökonomie liefert bereits Innovationen für die Raumfahrt-Technologie. Auf den ersten Blick überraschend klingt, was am Institut für Naturstofftechnik an der TU Dresden mit Mitteln aus dem BMBF-Ideenwettbewerb „Neue Produkte für die Bioökonomie“ noch bis Herbst 2023 erforscht wird: Die Fachleute dort beabsichtigen, für Anwendungen in der Raumfahrt einen ablativen Hitzeschutz aus Seegras herzustellen. Bedenkt man, dass Seegras bereits als besonders hitzeresistenter Dämmstoff im Baugewerbe genutzt wird, erscheint der Ansatz durchaus plausibel.

Nicht zuletzt können biobasierte Sensoren eine wichtige Rolle dabei spielen, Umweltparameter auf Raumstationen oder in planetaren Basen zu überwachen. Antikörper oder Enzyme binden dabei spezifisch an bestimmte Substanzen und weisen so deren Präsenz oder auch Konzentration nach. Das kann nützlich sein, um Schadstoffe frühzeitig in der Luft oder im Trinkwasser zu entdecken und damit Risiken in einem geschlossenen System, wie einer Raumstation zu verringern.

Baustoffe aus Pilzen

Die Pilzbiotechnologie eröffnet ebenfalls interessante Ansätze für Anwendungen im All: So lässt sich das Myzel, das Geflecht aus Zellfäden, das Pilze bilden, als Verbundwerkstoff nutzen. Es dient dann anstelle von Holz als Baustoff, kann aber auch ein starker Dämmstoff sein, zumindest in Verbindung mit pflanzlichen Reststoffen wie Stroh. Selbst Verpackungen, die anstelle von Polystyrol genutzt werden können, werden bereits mithilfe von Pilzen produziert. Auch hier wäre der große Vorteil bei einer Anwendung im Weltraum, dass das Material komplett biologisch abbaubar ist und somit recycelt werden kann. Die NASA erprobt den Einsatz im Rahmen eines „Myco-architecture Project

Biobasierter 3D-Druck

Eine Technologie, die im Weltall ebenfalls sehr praktisch wäre, ist der 3D-Druck: Aus unterschiedlichen Filamenten lassen sich komplexe dreidimensionale Objekte drucken, von Lebensmitteln über Implantate bis hin zu Ersatzteilen. Immer häufiger kommen dabei heute schon biobasierte Rohstoffe zum Einsatz. Für Lebensmittel würde so beispielsweise die Haltbarkeit deutlich steigen, weil die einzelnen Rohstoffe in der Regel länger lagerfähig sind als das fertige Produkt.

Ob sich die Methode einfach so bei Raumfahrtmissionen nutzen lässt, wird derzeit erforscht: Die fehlende Schwerkraft könnte sich als Herausforderung erweisen, die es noch zu bewältigen gilt. Auch hier wäre jedenfalls die Recyclingfähigkeit ein wichtiger Vorteil: Grundsätzlich ist es möglich, im 3D-Druck erzeugte Objekte wieder zu schreddern und den Werkstoff erneut als Filament einzusetzen.

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Zellen als biologische Chemie- und Arzneifabriken

Das Potenzial mikrobieller Biofabriken für Anwendungen im All ist noch größer. In Escherichia coli werden heute zahlreiche Feinchemikalien hergestellt sowie Enzyme, die ihrerseits zur zellfreien Bioproduktion nutzbar sind. Die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae ist ein hervorragender Produzent von Bioethanol. Das Bakterium Clostridium acetobutylicum bildet neben der namensgebenden Buttersäure ebenfalls Ethanol, aber auch Butanol, das für Biokraftstoffe noch interessanter ist. Biokunststoffe lassen sich im All beispielsweise durch das Bakterium Lactobacillus delbrueckii produzieren: Es bildet Milchsäure, die Basis des Biokunststoffs PLA.

Schimmelpilz Aspergillus niger Collage
Der Schimmelpilz Aspergillus niger ist eine besonders robuste und ergiebige Zellfabrik.

Besonders interessant könnten gerade für Raumstationen und Planetenbasen Pilze sein. Weniger, weil sie essenziell sind für die Fermentation von Bier, Wein und Brot, sondern weil sie ideale Reststoffverwerter sind und so perfekt in Kreislaufsysteme integriert werden können. Beispielsweise filtert der Schimmelpilz Aspergillus niger Schwermetalle aus Abwässern und kann so gleichzeitig das Wasser reinigen als auch die wertvollen Metallressourcen zurückgewinnen.

Mit besonderem Interesse beobachtet die Astrobioökonomie eine Verschmelzung aus Elektrobiochemie und Biotechnologie – die sogenannte Elektrobiotechnologie. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Produktionsorganismen ihre Energie nicht etwa aus Zucker oder ähnlichen Nährmedien beziehen, sondern aus Strom. In Verbindung mit CO2 oder anderen kohlenstoffhaltigen Abfallstoffen genügt das bestimmten Mikroorganismen, um zu wachsen und ihre Stoffwechselprodukte zu bilden. Werden diese Bakterien nun gentechnisch angepasst oder mittels Synthetischer Biologie direkt entsprechend designt, können eine Vielzahl chemischer Verbindungen allein mit Strom und CO2 hergestellt werden. Strom ist infolge der Sonnenstrahlung im All reichlich verfügbar, CO2 entsteht allein schon als Abfallprodukt der menschlichen Atmung.

Andere Mikroorganismen könnten wichtige Pharmazeutika und Impfstoffe herstellen. Mit weiteren Fortschritten in der Synthetischen Biologie und der Automatisierung von Labor- und Produktionstechnik könnten sogar Forschende auf der Erde eine Therapie entwickeln und dann den Bauplan für ein Bakterium, dass das entsprechende Medikament herstellt, zur Raumkolonie funken, wo der Mikroorganismus dann erzeugt würde.

Die bei der Nahrungsmittelproduktion bereits erwähnten Mikroalgen bieten noch einen weiteren Nutzen: Sie sind reich an Ölen und werden in zahlreichen Projekten als Produktionsorganismen für Biokraftstoffe oder Wasserstoff erforscht. Die TU München hat beispielsweise ausgelotet, wie Algen mit künstlicher Beleuchtung und kontrollierten Klimabedingungen optimal gedeihen, um damit Biokerosin herzustellen.

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Biobasiertes Upcycling: Abfälle im All wiederverwerten

Idealerweise sollte auf Raumstationen oder planetaren Basen jeder Abfallstoff erneut zum Rohstoff werden – auch wenn das vielleicht manchmal ungewöhnlich klingt, so wie im Forschungsprojekt PeePower: Darin erproben Forschende ein Verfahren, um Strom aus der mikrobiellen Zersetzung von Urin zu gewinnen. Bei der Bundesgartenschau 2023 in Mannheim können die Gäste so beim Toilettengang ihr Smartphone laden.Generell lassen sich biobasierte Reststoffe – von Lebensmittelabfällen bis hin zu Ausscheidungen der Astronautinnen und Astronauten – in der Bioökonomie als Rohstoff für biotechnologische Prozesse einsetzen.

Video: PeePower! – Strom aus Biokatalyse

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Auch hier könnten Mikroorganismen noch deutlich mehr leisten: Das Forschungsprojekt SUSKULT erprobt beispielsweise, wie aus Abwasser einer Kläranlage Mikroben Nährstoffe wie Stickstoff, Kalium und Phosphor zurückgewinnen, die dann zusammen mit ebenfalls aus der Kläranlage stammendem CO2, Wasser und Wärme für den Gemüseanbau genutzt werden können. Ein ähnliches Ziel verfolgte das Projekt BiNäA, das mittels Mikroalgen Nährstoffe aus Kläranlagen zurückgewonnen hat, um sie erneut als Dünger zu verwenden.

Die europäische Raumfahrtbehörde ESA unterstützt die Initiative MELiSSA (Micro-Ecological Life Support System Alternative), in dem geschlossene Kreislaufsysteme unter anderem mithilfe von mikrobiellen Upcycling-Strategien erprobt werden.

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Fernerkundung per Satellit

Raumfahrttechnologien zielen keineswegs nur darauf ab, Menschen das Leben in den Weiten des Alls zu ermöglichen. Beim Blick in den nächtlichen Himmel wird das schnell deutlich, ziehen dort doch unzählige Satelliten ihre Bahnen. Darunter sind auch viele Erdbeobachtungssatelliten, deren Messdaten für die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, den Naturschutz und andere Bereiche der Bioökonomie wichtige Hilfsmittel sind. So trägt Technik im Weltall dazu bei, die UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) zu erreichen.

Satellitengetragene Sensoren liefern Umweltdaten

Bedeutende Erdbeobachtungssatelliten aus dem ESA-Copernicus-Programm sind Sentinel-1, Sentinel-2 und Sentinel-6. Technisch basiert die Datenerfassung dieser Satelliten zumeist auf optischen Sensoren. Neben dem sichtbaren Licht erfassen sie auch andere Bereiche des Spektrums oder die Wärmestrahlung der Erdoberfläche. Im vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Forschungsprojekt GLAM.DE hat beispielsweise ein Team der Universität Würzburg Satellitendaten mit am Boden durchgeführten Messungen abgeglichen. Aus diesen Zusammenhängen haben die Forschenden abgeleitet, wie sich aus den Satellitendaten Informationen über Pflanzenwachstum, Biomasse und Bodenfeuchte herauslesen lassen.

Auch das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt SYMOBIO, das inzwischen in einer zweiten Förderperiode angekommen ist, nutzt die Satelliten-Fernerkundung, um bioökonomisch relevante Parameter zu erheben. Das Vorhaben will ein selbstlernendes Monitoringsystem entwickeln. Die Satellitendaten sollen dabei vor allem Landnutzungsänderungen sichtbar machen und abbilden, wie sich die landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Nutzung auf die Biodiversität auswirkt. Bilder aus dem All helfen so auf unterschiedliche Weise, die Auswirkungen der Bioökonomie zu verstehen.

Der ESA-Satelit Sentinel 2 hat bereits erste Daten vom landwirtschaftlichen Testgelände der BASf geliefert.gelie
Erdbeobachtungssatellit Sentinel-2 aus dem Copernicus-Programm der ESA

Wichtige Basis für die Präzisionslandwirtschaft

In der Landwirtschaft gewinnt die Fernerkundung mit Satelliten weiter an Bedeutung. So lassen sich selbst aus der großen Distanz Informationen über den Entwicklungszustand der Pflanzen ableiten. Während die Präzisionslandwirtschaft Daten zu einzelnen Pflanzen benötigt und daher eher auf Drohnen oder bodengebundene Roboter setzt, erlauben die Satellitenbilder jedoch eine andere wichtige Analyse: Weil Satelliten erfassen können, wie hoch eine Pflanze gewachsen ist und wie gut sie beispielsweise mit Wasser versorgt ist, können intelligente Algorithmen daraus Ernteprognosen ableiten. Das interessiert nicht nur Landwirte und deren Abnehmer, sondern auch Regierungen, die die Ernährung ihrer Bevölkerung sicherstellen müssen, oder auch Versicherungen, die landwirtschaftliche Betriebe gegen Ernteausfälle versichern.

Das Forschungsprojekt Yield Consortium kombiniert dazu die Satellitendaten mit Wetterdaten, Informationen über die Bodenbeschaffenheit und die Wachstumszyklen der Pflanzen. Gegenwärtig kann damit eine KI für Deutschland bis zu 120 Tage vor der Ernte Ertragsprognosen zur Weizen- und Rapsernte erstellen, aber auch zur Sojaernte in Argentinien und Uruguay. Künftig soll das System weitere Kulturpflanzen und weitere Länder abdecken.

Klimaforschung und Meteorologie

Nicht zu vergessen ist die vermutlich bekannteste Satellitenanwendung für die Bioökonomie: die Wettervorhersage. Verlässliche Prognosen von Niederschlagsmengen und -zeitpunkten erlauben landwirtschaftlichen Betrieben, zur richtigen Zeit Dünge- oder Pflanzenschutzmittel auszubringen, die Ernte einzuholen oder Maßnahmen gegen bevorstehende Dürrephasen zu ergreifen.

In der Forstwirtschaft überwachen Satelliten vor allem den Baumbestand. Damit lassen sich nicht nur illegale Holzeinschläge schnell aufdecken und stoppen, sondern auch der Gesundheitszustand von Wäldern beurteilen. So untersuchte das DLR beispielsweise, wie groß der Baumverlust in Deutschland zwischen Januar 2018 und April 2021 war. Auf 500.000 Hektar wurden demnach Bäume entnommen oder sind abgestorben. Dadurch konnte festgestellt werden, dass der Schaden deutlich größer war, als es der Waldzustandsbericht der Bundesregierung anhand anderer Methoden ausgewiesen hatte – eine wichtige Information nicht nur für die auf den Rohstoff Holz angewiesene Bioökonomie. Denn wenn der Holzverlust größer ist als die Menge, die nachwächst, sind die Grenzen der Nachhaltigkeit überschritten.

Weitere Satelliten messen Gletscherschmelze und Grundwasserspiegel. In Zeiten zunehmender Dürren sind Daten über den Wasserhaushalt des Bodens elementar für Standortentscheidungen und Anpassungsmaßnahmen an die Klimakrise, um die Biomasseproduktion aufrecht zu erhalten.

Hyperspektralsatellit EnMAP liefert Umweltdaten

Die Artenvielfalt und die Zusammensetzung von Ökosystemen sind wichtige Aspekte einer nachhaltigen Bioökonomie. Der Umweltsatellit EnMAP kann mit seinen hyperspektralen Aufnahmen dazu eine Reihe von Fragen beantworten: Wie verschmutzt ist ein bestimmtes Gewässer? Welche Mineralien oder Schadstoffe sind in einer Region im Boden? Was wächst dort und wie steht es um die Versorgung der Pflanzen mit Nährstoffen? Wie wirkt sich der Klimawandel auf die unterschiedlichen Ökosysteme aus? Die Auflösung beträgt dabei 30 Meter, Updates des gleichen Ortes sind spätestens nach vier Tagen möglich.

Denn egal, ob für das All oder aus dem All: Bioökonomie soll nicht nur innovativ, sondern auch nachhaltig sein und dazu beitragen Klima sowie Artenvielfalt zu schützen.