Bedeutung von Pilzen für das biobasierte Wirtschaften
Pilze zählen zu den faszinierendsten Lebewesen unseres Planeten. Weltweit verbreitet, kommen sie in unterschiedlichsten Lebensformen vor, als mikroskopisch kleine Zelle oder als gigantisches Pilzgeflecht, das den Boden großflächig durchzieht. Pilze können einzellige oder auch mehrzellige Organismen sein.
Da sie keine Photosynthese betreiben, müssen sie sich von organischen Substanzen ernähren, die sie aus der Umgebung aufnehmen. Pilze sind bedeutsam für den Abbau organischer Materie auf der Erde. Damit halten sie die großen Stoffkreisläufe der Natur aufrecht. Das macht sie zu Vorbildern für ein Recyceln und Verwerten von organischen Abfallstoffen.
Pilze bilden neben Tieren und Pflanzen das dritte große Reich eukaryotischer Lebewesen. Dementsprechend viele Arten sind unter diesem Begriff versammelt. Sowohl die aus Wald oder Supermarkt bekannten Ständerpilze als auch Einzeller wie Hefepilze zählen dazu. Beide Gruppen nutzt der Mensch seit Jahrtausenden: Ständerpilze wurden damals wie heute als Nahrungsmittel und teilweise als Rauschmittel konsumiert. Hefen ermöglichen es, Bier, Wein und Brot herzustellen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es mit der Produktion von Antibiotika mithilfe von Schimmelpilzen zu einem Durchbruch in der Medizin und Biotechnologie. Heute ergänzen unzählige Produkte das Spektrum, unter anderem Statine, eingesetzt als Blutdrucksenker, das Medikament Cyclosporin, wichtig bei Organtransplantationen, oder etwa Bestandteile der Antibabypille. Psychogene oder halluzinogene Pilze bergen zudem das Potenzial zur Behandlung psychischer Krankheiten.
Einerseits sind manche Ständerpilze für den Menschen giftig und auch unter den einzelligen Pilzen finden sich einige, die Krankheiten verursachen können – von harmlosen Infektionen wie Fußpilz bis hin zur lebensgefährlichen Aspergillose, einer Lungeninfektion. Doch nur wenige Hundert von den etwa 150.000 beschriebenen Pilzarten haben dieses negative Potenzial. Weitere rund 6.000 Pilzarten können jedoch Pflanzen schädigen.
Insgesamt dürfte es mehrere Millionen Pilzarten geben, was zum Andererseits führt: Pilze haben im Laufe ihrer vielseitigen Evolution enorm vielfältige Stoffwechselwege entwickelt. Sie besitzen Enzyme, die auf klassischem chemischem Wege nicht zu bewerkstelligende Synthesen ermöglichen. Sie erzeugen Stoffwechselprodukte, die nicht nur antibiotisch wirken können, sondern auch in anderen medizinischen Bereichen nützlich sind. Allein das QuantFung-Projekt, das neun Pilzgenome der Gattung Penicillium sequenzierte, identifizierte mehr als 1.300 Gencluster für Sekundärmetabolite. Jedes einzelne dieser Stoffwechselprodukte könnte ein noch ungehobener Schatz für die Biotechnologie sein.
Hinzu kommen praktische Vorteile gegenüber den in der Biotechnologie ebenfalls genutzten Bakterien: Pilze sind als Eukaryoten näher mit menschlichen Zellen verwandt. Insbesondere filamentöse Pilze sind besonders robust und damit einfach zu kultivieren. Außerdem können sie ihre Produkte ins Nährmedium absondern, was deren Aufreinigung vereinfacht.
Nicht zuletzt haben Pilze eine besondere Stärke hinsichtlich Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: Sie können zahlreiche Abfallstoffe als Nährstoffe verwenden. Damit verringern sie nicht nur den Einsatz von Erdöl als alternativem Rohstoff, was das Klima schont. Sie verkleinern auch die wachsenden Müllberge aus teils nicht anders recyclingfähigen Stoffen.
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Pilze in der Lebensmittelproduktion
Die Nutzung von Pilzen in der Lebensmittelindustrie lässt sich in vier Bereiche gliedern: Der älteste ist vermutlich der direkte Konsum von Speisepilzen, die anfänglich an ihren natürlichen Standorten geerntet wurden und heute vor allem aus der Zucht stammen. Manche großen und fleischigen Ständerpilze werden gerne auch als Fleischersatz genutzt. Jahrtausende alt ist ebenfalls jener Bereich, in dem Pilze an der Entstehung eines Produkts beteiligt sind – wie die Hefen etwa bei Brot, Bier, und Wein. Die moderne Ära der Pilzbiotechnologie nahm 1917 ihren Anfang mit der Herstellung von Zitronensäure durch den Schimmelpilz Aspergillus niger. Damit begann zugleich Bereich drei, die Nutzung von Pilzen, um Lebensmittelzusatzstoffe wie Konservierungsmittel, Säureregulatoren oder Antioxidantien zu erzeugen. Der vierte Bereich ist der jüngste und umfasst alle Einsätze von Pilzen als alternative Proteinquellen.
Bäckerhefe und nützliche Schimmelpilze
Die Bäckerhefe Sacharomyces cerevisiae ist längst nicht mehr die einzige Sacharomyces-Art, deren Gärung geschätzt wird. Um reproduzierbare Aromen zu garantieren, nutzt die Branche heute oft sogenannte Reinzuchthefen, also Kulturhefen, die nach ihren Gäreigenschaften ausgewählt und optimiert wurden. Winzer setzen zudem auf S. bayanus, S. ellipsoides und S. uvarum. Undenkbar wären auch viele Käse- und Salamisorten ohne Schimmelpilze: Penicillium roqueforti und Penicillium camemberti sind nach jenen Käsesorten benannt, bei deren Herstellung sie eingesetzt werden. Auch die Hefe Candida kefyr trägt ihr Produkt im Namen. Für Menschen, die sich vegan, halal oder koscher ernähren und Käse mögen, bieten Hefe-Enzyme eine mögliche Alternative: Forschende der Universität Gießen suchen gemeinsam mit der Allgäuer Firma Optiferm nach Lipasen aus Speisepilzen, die sich in der Käseherstellung anstelle der bislang üblichen Lipasen aus Ziegengewebe nutzen lassen.
Aspergillus niger ist ein Meister darin, Zitronensäure zu bilden, doch der Pilz produziert unter anderem auch Gluconsäure und Äpfelsäure. Erstere dient in Lebensmitteln als Stabilisator und Säureregulator, letztere wird aufgrund ihres hohen Preises bei Lebensmitteln eher selten eingesetzt. Einem Forschungsteam vom Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie in Halle (Saale) ist es nun gelungen, in S. cerevisiae das Antioxidationsmittel Carnosinsäure herzustellen. Bislang wird die Substanz aus getrockneten Rosmarin- und Salbeiblättern gewonnen, was eine Produktion in industriellem Maßstab erschwert. Außerdem wird der Bodenpilz Mortierella alpina bereits genutzt, um langkettige Fettsäuren wie Arachidonsäure als Nahrungsergänzung unter anderem für Babynahrung zu produzieren.
Das Berliner Start-up Mushlabs ist ein Beispiel dafür, wie Pilze als alternative Proteinquelle genutzt werden können. Das Unternehmen erzeugt aus Pilzmyzel – dem fadenförmigen Wurzelgeflecht von Pilzen – vegane Wurst und Burger-Pattys. Mushlabs ernährt die Pilze von Brauereiresten, Reishülsen und Kaffeesatz, also Abfallstoffen, die so zu Rohstoffen werden.
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Baumaterialien und Werkstoffe
Mit ihrem Geflecht aus Zellfäden, dem Myzel, durchwachsen Pilze in der Natur ihre Nahrungsquelle, das Substrat. Bestehen die Substrate aus losen Fasern, so verbinden sich die Pilzzellfäden damit zu einem festen Verbundwerkstoff – ein Komposit. Es ist leicht und robust, was es als Baustoff interessant macht. Obendrein ist die Produktion nicht nur im Vergleich zu vielen anderen Baustoffen sehr nachhaltig, da sich Pilze auf Reststoffen der Land- und Forstwirtschaft kultivieren lassen.
Am Karlsruher Institut für Technologie beispielsweise haben Forschende einen MycoTree gebaut. Dabei handelt es sich um eine Struktur aus Pilzmyzel und Bambus. Der Glänzende Lackporling wächst innerhalb weniger Tage zu einer dichten, schwammähnlichen Substanz heran, die sich in fast jede Form füllen lässt, wo sie sich dann weiter verdichtet. Am Ende wird die Masse getrocknet, um den Pilz abzutöten. Das Ergebnis sind individuell geformte Bausteine, die gut isolieren und selbsttragende Strukturen bilden können.
Die Mikrobiologin Vera Meyer von der TU Berlin hat aus Pilzmyzel Pressspanholz hergestellt, welches das Wissenschafts- und Kunstkollektiv MY-CO-X zu einer bewohnbaren, 20 Quadratmeter großen Skulptur aus 300 wabenförmigen Myzelelementen verarbeitet hat. Als Pilz nutzte die Forscherin den Zunderschwamm und kombinierte dessen Myzel mit Stroh zu einem Verbundstoff..
Die Biopioniere: Vera Meyer im Video-Porträt
Am Fraunhofer UMSICHT Institut entstand im Projekt FungiFacturing ein Dämmstoff aus Pilzmyzel. Im 3D-Druck erzeugten die Forschenden ein Gerüst auf Basis von Holzspänen und Stroh, auf dem das Myzel wachsen konnte. Die pilzbasierten Werkstoffe, die so entstanden sind, zeichnen sich durch gute Druckfestigkeit, Wärmedämmung und Brandverhalten aus. Sie sollen Materialien wie Polyesterschäume und Verbundstoffe auf Mineralbasis ersetzen, beispielsweise in der Schalldämmung oder anstelle von Holzfaserdämmplatten in der Wärmedämmung.
Verpackungen aus Pilzmyzel waren das erste Produkt des US-Unternehmens Ecovative. Dieses Material wächst in jeweils fünf Tagen heran und werden dann durch Hitze abgetötet und verfestigt. Als Nahrung erhält der Pilz Erntereste. Eingesetzt wird das leichte und umweltfreundliche Material anstelle von Polystyrol. Ikea hat erklärt, das biologisch abbaubare und in beliebiger Form herstellbare Material nutzen zu wollen. Die Firmen Dell und Puma nutzen es dem Hersteller zufolge bereits
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Pharmazeutika und Kosmetika
Einzellige Pilze konkurrieren in ihren natürlichen Habitaten mit zahllosen anderen Mikroorganismen um Nährstoffe. Im Verlauf der Evolution haben vielen von ihnen daher einen ganzen Baukasten an „Chemiewaffen“ entwickelt, um andere Mikroorganismen fernzuhalten. Die ersten, die diesen Umstand beobachteten und verstanden, waren Theodor Billroth und Jahrzehnte später Alexander Fleming. Sie entdeckten das Antibiotikum Penicillin G, das der Schimmelpilz Penicillium notatum produziert. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Schimmelpilz mehrfach einen neuen Namen bekommen. Lange hieß er P. chrysogenum und seit Kurzem P. rubens. Immer noch wird er für die Herstellung von Penicillin G eingesetzt. Einige weitere Beta-Lactam-Antibiotika sind Produkte von Pilzen der Gattung Penicillium. Da jedoch immer mehr Mikroorganismen Antibiotika-Resistenzen entwickeln, steigt der Bedarf an neuartigen Wirkstoffen. Die Forschung screent daher intensiv Pilzstämme, um derartige Moleküle zu identifizieren. Ein wichtiger Ansatz ist dabei die Co-Kultivierung mit anderen Mikroorganismen, da viele Stoffwechselwege der Pilze sonst gar nicht aktiviert werden und deren Produkte unentdeckt bleiben.
Zudem bilden einzellige Pilze noch eine große Menge weiterer sekundärer Stoffwechselprodukte, die pharmazeutisch bedeutsam sind, darunter Statine, Hormone, Wachstumsfaktoren, Interferone und Enzyme. An der Universität Tübingen und der TU Dresden arbeitet beispielsweise ein Team daran, aus den Pilzen Cyanodermella asteris Astine zu gewinnen. Dieses nutzt die traditionelle chinesische Medizin und es werden ihnen auch in der Krebstherapie vielversprechende Eigenschaften zugeschrieben. Die Forschenden hatten herausgefunden, dass die Aster den begehrten medizinisch wirksamen Naturstoff gar nicht selbst bildet, sondern im Gewebe ihrer Blütenstände besagten Pilz beherbergt, der das vollbringt.
An der Universität Jena forscht ein Team am Jochpilz Mortierella alpina. Dieser bildet Tenside aus der Gruppe der Maplinine. Deren Waschleistung soll dem in vielen Waschmitteln eingesetzten Natriumlaurylsulfat SDS überlegen sein. Denkbar wäre auch, die Moleküle zu nutzen, um pharmazeutische Wirkstoffe in Zellen einzuschleusen, da deren Membranen zu großen Teilen aus Fetten bestehen.
Viele positive Überraschungen erhofft sich zudem das Konsortium MaFNaP, das nach pharmazeutisch interessanten Substanzen in Meerespilzen sucht. Ein erstes Beispiel war bereits 2015 ein im Mittelmeer isolierter Pilz, der Tumorzellen in Darm und Bauchspeicheldrüse hemmen kann. Die beteiligten Substanzen konnten die Wissenschaftler bereits identifizieren.
Unter den vielen sekundären Stoffwechselprodukten von Pilzen finden sich erwartungsgemäß auch kosmetisch interessante Verbindungen. Ein Beispiel ist der Zunderschwamm, der schon lange in der Naturmedizin bekannt ist. Er enthält den Beta-(1,3)-(1,6)-D-Glucan-Melanin-Chitin-Komplex, der aufgereinigt das Immunsystem der Haut stärken und zugleich Anti-Aging-Effekte bewirken soll.
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Textilien
Das Haupteinsatzgebiet von Pilzmyzel in der Textilindustrie ist der vegane Lederersatz. Vor allem US-Unternehmen haben das Potenzial früh erkannt. Bolt Threads beispielsweise produziert das Material Mylo. Es wächst laut Hersteller in zwei Wochen heran, sieht aus wie Leder, fühlt sich an wie Leder und lässt sich genauso verarbeiten – vom Färben über das Finishing bis zum Prägen. Nahrungsgrundlage der Pilze sind Sägespäne. Insgesamt verbraucht die Herstellung deutlich weniger Wasser als Leder und verursacht erheblich weniger Treibhausgas-Emissionen. Einer der Partner ist der Sportkonzern Adidas, der bereits vegane Schuhe aus Mylo vertreibt.
Die Firma Ecovative hat ihre Palette an Pilzprodukten inzwischen ebenfalls auf die Modebranche ausgeweitet und produziert Forager, einen pilzbasierten Lederersatz, der qualitativ mit tierischem Leder vergleichbar sein soll. Die Myzelhäute haben einen großen Vorteil: Sie können gut zwei Meter breit und mehrere Meter lang produziert werden. Das US-Start-up MycoWorks hat 2021 mit dem myzelbasierten Leder „Reishi“ den Markt betreten.
Einen etwas anderen Ansatz mit Pilzen verfolgt das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB: Die Forschenden gewinnen aus Pilzen Hydrophobine. Diese Proteine können zu einer schmutz- und wasserabweisenden Beschichtung für Textilien verarbeitet werden, indem eine Art Anker die Verbindung zwischen Protein und Textil herstellt. Damit sind sie eine biologische Alternative zur Gruppe der kaum abbaubaren per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC). Die Forschenden wollen die natürlicherweise in Pilzen vorkommenden Verbindungen biotechnologisch herstellen.
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Pilze in der Landwirtschaft
In der Landwirtschaft spielen einzellige Pilze von Natur aus eine Rolle: Bestimmte Bodenpilze besiedeln mit ihren Pilzgeflechten die Wurzeln mancher Nutzpflanzenarten und gehen mit ihnen eine Symbiose ein. Diese sogenannte Mykorrhiza (griechisch: Pilzwurzel) ermöglicht als Lebensgemeinschaft den Austausch von Nährstoffen, was beiden Seiten beim Wachstum hilft. Inzwischen ist es der Pflanzenforschung gelungen, diese Symbiose auch bei Pflanzenarten zu etablieren, bei denen sie natürlicherweise nicht vorkommt.
Das Forschungsprojekt Mycotom beispielsweise hat Tomatenpflanzen hervorgebracht, die sich selbst in Hydrokultur mit Mykorrhiza-Pilzen besiedeln lassen. Bislang war das schwierig, da eine Pflanze unter Hydrokulturbedingungen optimal versorgt ist und kein Interesse zeigt, Nährstoffe abzugeben. So helfen die symbiontischen Pilze dabei, Dünger einzusparen und den Wasserhaushalt der Pflanzen zu regulieren. Obendrein wiesen die Tomaten einen besseren Geschmack und mehr gesunde Inhaltsstoffe auf.
Viele andere Anwendungen von Pilzen zielen darauf ab, deren Abwehrmechanismen den Pflanzen zugutekommen zu lassen, um Schadinsekten oder Krankheitserreger abzuwehren. So richtet sich das Projekt HOPE etwa gegen Larven von Dickmaulrüssler sowie Engerlinge, die Heidelbeeren befallen. Die Forschenden wollen Kapseln in den Boden einlassen, die CO2 freisetzen und damit die Larven anlocken. Doch in der Kapsel befindet sich zugleich ein Pilz, der für die Larven tödlich ist. Die Herausforderung besteht darin, den Pilz kostengünstig zu kultivieren und die Kapseln so zu gestalten, dass sie unter allen Bodenbedingungen verlässlich wirken.
Doch Schadinsekten schlagen nicht nur auf dem Feld zu, sondern auch im Silo. Ein Team unter Leitung des Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut in Müncheberg hat daher nach Wegen gesucht, das bei der Getreidelagerung genutzte Insektizid Imidacloprid durch einen Naturstoff zu ersetzen. Beim parasitären Pilz Beauveria bassiana wurden die Forschenden fündig. Die Sporen des Pilzes haften an der Haut der Schadinsekten wie der Kirschessigfliege. Keimen die Sporen, dringen sie in den Wirt ein, breiten sich dort aus und töten ihn. Den längsten Schutz für Getreide vor Schadinsekten erzielte in der Studie eine Kombination aus dem Pilz und Kieselerde.
Ähnliche Wirkung hat der Pilz Pseudobambusicola thailandica, gegen Fadenwürmer und Schadpilze. Unter der Leitung des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung hat ein internationales Forschungsteam im Projekt GoMyTri nach neuen Pilzen gesucht, die sich für die biologische Schädlingsbekämpfung eignen. Sie stießen unter anderem auf P. thailandica, der acht Naturstoffe mit antibiotischer oder nematizider Wirkung produziert. Gleich sechs dieser Wirkstoffe waren zuvor unbekannt – und zahlreiche weitere Pilzarten erscheinen den Forschenden ebenfalls vielversprechend.
Um Kartoffeln vor Schädlingen zu schützen, hat ein Team von der Hochschule Rhein-Waal und der FH Bielefeld im Projekt FORK eine Ummantelung für das Saatgut entwickelt, ein sogenanntes Coating. Es beinhaltet Pilzkulturen, die das Mikrobiom der Pflanze positiv beeinflussen. Dadurch bessert sich die Nährstoffversorgung und mikrobielle Schädlinge werden leichter verdrängt. Wird auch das Saatgut einer Zwischenfrucht wie der Bienenweide ummantelt, verringert das das Vorkommen von Fadenwürmern.
Etwas anders wirkt der Pilz Acremonium alternatum: Leidet Raps unter der Kohlhernie, brechen die Erträge ein. Ein Forschungsteam von TU Dresden und Julius-Kühn-Institut impfte den Raps mit A. alternatum, nachdem die Pflanzen mit dem Erreger der Kohlhernie, Plasmodiophora brassicae, infiziert worden waren. Überraschenderweise zeigte der befallene Raps zwar unverminderte Krankheitssymptome, doch Biomasse und Ertrag der Pflanze fielen deutlich höher aus.
Pilze als Dünger-Verbesserer hat ein Team der Universität Tübingen entwickelt. Die Forschenden besiedelten Holz mit Mikropilzen der Gattung Serendipita und erzeugten daraus Biokohle. Aus der wiederum stellte das Team ein Spezialsubstrat für den Gartenbau her. Es fördert das Wurzelwachstum von Jungpflanzen und macht sie robuster gegen Pilzkrankheiten.
Doch das Potenzial von Pilzen in der Landwirtschaft endet nicht beim Pflanzenschutz. So nutzt das Start-up Verovaccine, eine im Gründungsförderung durch das BMBF (GO-Bio) unterstützte Ausgründung der Universität Halle-Wittenberg, die Milchhefe Kluyveromyces lactis, um darin einen Impfstoff für die Geflügelzucht zu produzieren. Interessanterweise erwiesen sich auch die Nachkommen der geimpften Hennen als vollständig immunisiert. Der Impfstoff ist leicht anzupassen, kostengünstig zu produzieren, einfach anzuwenden und muss nicht gekühlt werden.
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Pilze in der Chemie- und Energieindustrie
Die industrielle Biotechnologie stellt inzwischen zahlreiche chemische Produkte mittels einzelliger Pilze her oder ist auf dem Weg dorthin. Schwerpunkte liegen dabei auf organischen Säuren, Alkoholen und Enzymen.
Eine kleine Revolution im Bereich der Reinigungs- und Pflegeprodukte waren vor einigen Jahren biobasierte und biologisch abbaubare Tenside. Die Marktpioniere setzten dabei zwar auf Enzyme aus Bakterien, doch dass auch Pilze dieses Potenzial aufweisen, haben Forschende vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart gezeigt. Sie produzierten Biotenside mithilfe von Brandpilzen. Gefüttert werden die Pilze mit einer Zuckerlösung auf Holzbasis. Außerdem nutzt eine Forschungsgruppe des IGB bestimmte Stämme des Hefepilzes Candida, um langkettige Dicarbonsäuren herzustellen. Diese Moleküle lassen sich als Rohstoff für neuartige Kunststoffe nutzen. In der Bioraffinerie des Fraunhofer IGB in Leuna sollen diese Produktionsprozesse nun hochskaliert werden.
Polyhydroxysäuren waren hingegen das Forschungsziel des BMBF-geförderten Verbunds PRO-SUGAR aus TU München, der Frankfurter Goethe-Universität und dem Unternehmen Südzucker. Die Moleküle sollten durch den Pilz Aspergillus niger gebildet werden, der sich dazu von pektinhaltigen Reststoffen ernährt. Typischerweise sind diese in den meisten Agrarreststoffe wie Apfeltrester oder Zuckerrübenmasse enthalten. Die so gewonnenen Polyhydroxysäuren lassen sich in der Kosmetikbranche und in der Lebensmittelbranche verwenden. Weil es sich um andere Polyhydroxysäuren handelt, als bislang etabliert sind, wäre es denkbar, neue funktionale Eigenschaften mit ihnen zu erzielen. Das Folgeprojekt PRO-SUPER nutzt A. niger, um einen weiteren Baustein der Agrarreststoffe zu verarbeiten: Aus Pentosezuckern wird so Xylitol, ein kalorienarmes Süßungsmittel, das bislang in einer kosten- und energieintensiven chemischen Katalyse hergestellt wird.
Ein eher simples Produkt, aber ein besonderes Produktionsverfahren bilden den Kern des Forschungsprojekts TrickleZyme. Die Abkehr vom Erdöl hin zu pflanzlichen Rohstoffen führt unter anderem zu Lignocellulose als biogenem Ausgangsstoff. Sie macht einen Großteil der pflanzlichen Zellwand aus, doch die enzymatische Umwandlung in Glukose – Ausgangspunkt vieler chemischer Synthesen – ist teuer, weil die nötigen Enzyme nur im Batchverfahren hergestellt werden können.
Dem Forschungsteam ist es jedoch gelungen, einen Rieselstrom-Bioreaktor zu entwickeln, in dem Aspergillus nigulans in einem kontinuierlichen Verfahren kultiviert werden kann und Beta-Glucosidasen direkt ins Nährmedium abgibt. Von dort können die Enzyme leicht entnommen und aufgereinigt werden, ohne dass der Prozess gestoppt werden muss. Damit dadurch nicht mit der Zeit der ganze Reaktor zuwächst, haben die Forschenden eine spezielle Mutante des Pilzes entwickelt, die sich nur vermehrt, wenn dem Nährmedium ein bestimmter Wachstumsfaktor zugegeben wird. Die Ausbeute lag schließlich um 50 % höher als im Batchverfahren.
Neben biobasierten Basis- und Feinchemikalien wächst auch die Nachfrage nach biogenen Energieträgern wie Bioethanol und Biogas. Auch diese lassen sich durch Pilze herstellen. Einer der Pioniere ist der Schweizer Spezialchemiekonzern Clariant, der bereits 2012 im bayrischen Straubing eine Demonstrationsanlage in Betrieb nahm. Dort erzeugen zunächst Bakterien aus Agrarreststoffen aus den Pflanzenfasern Zucker, die dann von Hefen zu Bioethanol vergoren werden. Seitdem ist die Herstellung von Bioethanol aus Stroh und ähnlichen Reststoffen rasant gewachsen. Die erste kommerzielle Anlage eröffnete Clariant 2022 in Rumänien. Sie erzeugt jährlich 50.000 Tonnen Ethanol aus 250.000 Tonnen Agrarreststoffen. Übrigens hatten einige Bioethanol-Hersteller zu Beginn der COVID-19-Pandemie kurzfristig auf die Produktion von Desinfektionsmitteln umgerüstet. Auch die basieren oftmals auf Pilzbiotechnologie.
Die Prozesse werden dabei ständig weiterentwickelt. Ein Team der Universität Frankfurt beispielsweise hat Hefen dazu gebracht, Glucose und Xylose gleichzeitig zu Ethanol zu verstoffwechseln. Normalerweise ernähren sich Hefen erst dann von Xylose, wenn keine Glucose mehr verfügbar ist. Außerdem suchen Forschende schon länger nach Enzymen, die Lignocellulose besonders effizient abbauen können. Eine mögliche Quelle sind Ständerpilze, die auf Totholz wachsen, wie ein Team der Universität Gießen herausfand.
Selbst die Champignonzucht leistet einen Beitrag zur Biogasherstellung: Champost, das Substrat, auf dem die Pilze wachsen, besteht größtenteils aus Pferdedung und muss regelmäßig in großen Mengen entsorgt werden. Europaweit fallen jährlich mehrere Millionen Tonnen davon an. Das Tübinger Unternehmen Novis hat mit weiteren Beteiligten im EU-Forschungsprojekt Smartmushrooms ein Verfahren entwickelt, um mit den richtigen Pilzadditiven und Enzymen zwei- bis dreimal so viel Biogas daraus zu gewinnen, wie es mit herkömmlichen Methoden möglich ist.
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Pilze in Umwelttechnologie und Elektronikindustrie
Pilze können nicht nur Wertstoffe produzieren – sie können auch Schadstoffe aufnehmen und damit aus der Umwelt entfernen. Beispielsweise gelangen zunehmend mehr Chemikalien ins Abwasser, die Kläranlagen mit den üblichen Reinigungsstufen nicht herausfiltern können. Dazu zählen sogenannte Xenobiotika, chemisch hergestellte Verbindungen, die in der Natur nicht vorkommen. Beispiele dafür sind Agrarchemikalien, Medikamente, Röntgenkontrastmittel und Industriechemikalien wie Bisphenol A. Das BMBF-geförderte Forschungsprojekt Xenokat favorisiert als Lösung eine vierte Filterstufe, in der immobilisierte Pilzenzyme zum Einsatz kommen. Erbsengroße, metallische Hohlkugeln dienen als Trägermaterial für Enzyme aus Weißfäulepilzen, darunter Laccasen, Peroxidasen und Peroxygenasen. Diese Enzyme können Moleküle mit Ringstruktur aufbrechen und sind damit prädestiniert dafür, Xenobiotika abzubauen. Ob das ganze System langlebig und stabil genug für die Praxis ist, wird derzeit untersucht.
Pilze in der Elektronikindustrie
Ein eher junges Anwendungsfeld für Pilztechnologien ist die Elektronikindustrie. Die Branche möchte schon länger weg von starren Leiterplatten. Bislang wurden dazu Chips auf Papier entwickelt. Zellstoff ist in der Herstellung jedoch energieintensiv. Ein Forschungsteam der Universität Linz hat daher eine Alternative ins Spiel gebracht: die Myzel-Haut des Glänzenden Lackporlings. Der Pilz entwickelt eine geschlossene und leicht abnehmbare Haut, um sich gegen Krankheitserreger zu schützen. Das Material ist robust, flexibel und hitzebeständig bis 250 Grad Celsius – ideal als Gerüst für flexible Elektronikbauteile. Die Pilzhaut ist zudem biologisch abbaubar, und der Pilz benötigt als Nahrung lediglich Abfallholz. Mögliche Anwendungen könnten in der Medizintechnik liegen oder in Batterien aus Myzel.