Mehr als 9.000 öffentliche Kläranlagen sorgen in Deutschland dafür, dass Abwässer biologisch gereinigt und so die heimischen Gewässer möglichst wenig mit stickstoffhaltigen Verbindungen belastet werden. Doch in den Abwässern der Haushalte und der Industrie finden sich immer mehr sogenannte Xenobiotika, also chemisch synthetisierte Verbindungen, die in der Natur nicht vorkommen. Dazu zählen viele Agrarchemikalien, Medikamente oder Röntgenkontrastmittel sowie Industriechemikalien wie Bisphenol A.
Biokatalysatoren statt Aktivkohle und Ozon
Die meisten Kläranlagen arbeiten heutzutage mit drei Reinigungsstufen: zunächst werden grobe und dann immer feinteiligere Verunreinigungen wie Sand und Fett mechanisch entfernt. Dann folgt die biologische Klärung, in der Mikroorganismen die organischen Substanzen – insbesondere Stickstoffverbindungen – abbauen. Nachgeschaltet ist dann die dritte, chemische Reinigungsstufe, in der Stoffe wie Phosphat ausgefällt werden. Xenobiotika können in herkömmlichen Kläranlagen kaum oder gar nicht entfernt werden. Genau hier setzt das Projekt „Xenokat“ von Anett Werner, Leiterin der Arbeitsgruppe Enzymtechnik der Technischen Universität Dresden, an. „Wir reden zwar immer von Spurenstoffen, doch tatsächlich gelangen pro Jahr mehrere Tonnen des Schmerzmittels Diclofenac über das sogenannten Klarwasser in die Gewässer, drei Reinigungsstufen reichen nicht aus“, sagt Werner.
Laut Werner wird schon länger über eine vierte Reinigungsstufe für Kläranlagen diskutiert. „Es gibt zwar bereits Ansätze mittels Aktivkohle oder Ozonierung, doch diese haben eine schlechte Ökobilanz und schaffen auch nicht alles“, so Werner. Die Biotechnologin wollte deshalb das Problem mit einer Filtertechnologie ergänzen, die auf immobilisierten Enzymen basiert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat sie dabei im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Neue Produkte für die Bioökonomie“ unterstützt. Das Verbundprojekt „Xenokat“ wird seit Mai 2017 mit insgesamt rund 676.000 Euro gefördert.
Metallische Hohlkugeln als Träger
Als Trägermaterial für die reinigenden Enzyme setzt das Team um Werner auf erbsengroße Hohlkugeln aus Metall, die im Rahmen eines anderen BMBF-Forschungsprojektes entstanden sind. „Wir haben nach Applikationen für diese Hohlkugeln gesucht, und da kam unser zweites großes Standbein in der Arbeitsgruppe ins Spiel: die Enzyme aus Weißfäulepilzen“, sagt Werner. Im Rahmen einer neunmonatigen Sondierungsphase, für die das BMBF 60.000 Euro beisteuerte, holte sie Analytik-Experten von der Bundesanstalt für Gewässerkunde ins Boot. Außerdem konnte sie die Biotechnologie-Firma ASA Spezialenzyme GmbH als Industriepartner gewinnen.
Erbsengroße, metallische Hohlkugeln dienen als Trägermaterial für Enzyme aus Weißfäulepilzen. Die Pilzenzyme sollen in einer neuen Reinigungsstufe die in immer größeren Mengen vorkommenden Xenobiotika aus dem Klarwasser filtern.
Gebündelte Kompetenzen
Gemeinsam reichten die Partner eine Projektskizze für den Ideenwettbewerb „Neue Produkte für die Bioökonomie“ ein. Nach erfolgreicher Evaluierung dürfen die Dresdener Forscher ihre Idee nun in der zweijährigen Machbarkeitsphase weiter reifen lassen. „Viele Kollegen hatten sich schon in den Jahren zuvor beworben und mir den Ideenwettbewerb weiterempfohlen. Und ich selbst bin auch begeistert von dem sehr geradlinigen Bewerbungsprozess“, sagt Werner. „Was uns für die erfolgreiche Antragstellung sicher geholfen hat, war die Bündelung von Kompetenzen.“
Pilzenzyme können Xenobiotika knacken
Werner ist Spezialistin für die Gewinnung und Herstellung von Enzymen aus Pilzen, den sogenannten Basidiomyceten. Dazu zählen auch die holzzerstörenden Weiß- und Braunfäulepilze. Diese Basidiomyceten sind als einzige in der Lage, den Holzstoff Lignin zu spalten. Werner kennt die Kulturbedingungen, unter denen die Pilze die Enzyme produzieren und in das sie umgebende Nährmedium abgeben. Besonders abgesehen hat es das Team um Werner auf die sogenannten Laccasen, Peroxidasen und Peroxygenasen. Diese Enzyme sind imstande, chemische Verbindungen mit einer Ringstruktur zu knacken. Damit sind diese Biokatalysatoren für den Abbau von Xenobiotika aus Abwässern geradezu prädestiniert.
Mix aus 70 Substanzen im Abbautest
Im Labor werden die Fähigkeiten der Laccasen mit einem Analytmix getestet, der 70 verschiedene Substanzen enthält, darunter Lebensmittelzusatzstoffe, Medikamente und deren Transformationsprodukte. „Man kann sich das wie eine Art Filtersäule vorstellen“, so Werner. Zu dem Analytmix geben die Forscher dann die auf den Metallhohlkügelchen aufgebrachten Enzyme hinzu und untersuchen den Abbauvorgang. „Wir bekommen auch eine Unterstützung durch die Stadtentwässerung Dresden, von der wir große Mengen Ablauf und Daten zur Verfügung gestellt bekamen. So können wir das Abbaupotenzial der Enzyme schon früh unter Realbedingungen testen“, erläutert Werner.
Enzyme auf den Metallkugeln ankoppeln
Die Immobilisierung der Enzyme auf den Metallkugeln ist ein sehr wichtiger Schritt, ohne den die Laccasen im Abwasser einfach weggespült würden. Doch schon die ersten Kontrollversuche zeigten, wie komplex dieser essenzielle Schritt ist: „Um zu kontrollieren, wie effizient der Schadstoffabbau durch unsere Laccasen ist, haben wir zum Vergleich verschiedene eigene und auch kommerziell erhältliche Enzyme verwendet. Doch die Enzyme sind empfindlich, einige waren nach der Immobilisierung nicht mehr aktiv“, erläutert Werner.
Nach viel Tüftelarbeit gelang es Werner und ihrem Team schließlich, die Enzyme in eine Matrix einzubetten. Dieses Gemisch konnte dann hauchdünn auf die metallischen Oberflächen aufgetragen werden. Das Ziel für die Enzymkügelchen mit den Pilz-Laccasen ist, dass die bioaktive Beschichtung mehrere Wochen hält. „Danach können die metallischen Trägerkörper entnommen, thermisch gereinigt und schließlich neu beschichtet werden. Dieser Austausch soll nur wenige Stunden dauern“, so Werner.
Erster Praxistest in der Kläranlage
Bis es so weit ist, stehen jedoch noch zwei große Meilensteine an: Ende dieses Jahres soll in Dresden ein Workshop mit Experten zu dem Thema stattfinden, in dem die nächsten Schritte diskutiert werden. Außerdem soll im Herbst 2018 ein kleiner Filter mit den metallischen Trägerstoffen und den Enzymen in einer Kläranlage in Dresden angebracht werden. Laut Werner wäre das „dann ein erster kleiner Praxistest. Wir wollen schauen, wie sich die Kugeln verhalten und wie lange die Enzyme wirklich aktiv sind.“ Vor dem Einsatz in großen kommunalen Kläranlagen seien jedoch noch viele technische Entwicklungen nötig, so Werner. Das erklärte Ziel aller Projektpartner ist es, in einem Anschlussprojekt die Entwicklung der biobasierten Technologie für die vierte Klärstufe und spezieller Abwässer weiter voranzutreiben. Dabei soll auch die Kombination verschiedener Verfahren betrachtet werden.
Autorin: Judith Reichel