Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt seit vielen Jahren im Rahmen der nationalen Forschungsförderung die Qualifizierung des Nachwuchses für die Bioökonomie, sowohl im akademischen Bereich als auch für Karrierewege in der Wirtschaft.
Die Förderung des wissenschaftlichen sowie unternehmerischen Nachwuchses wird durch das BMBF-Konzept „Nachwuchsförderung für eine nachhaltige Bioökonomie“ mit der in der Nationalen Bioökonomiestrategie verankerten Nachhaltigkeitsagenda verbunden. Ebenso handlungsleitend wie die Nachhaltigkeitsagenda ist für die aktuelle Forschungsförderung die Zukunftsstrategie Forschung und Innovation der Bundesregierung. Damit macht das BMBF den Nachhaltigkeitsbezug sowie die Innovationsorientierung zu zentralen Kriterien seiner Nachwuchsförderung in der Bioökonomie.
Dynamische Veränderungsprozesse im Blick
Die praktische Umsetzung der Erkenntnisse aus der Bioökonomieforschung erzeugt vielschichtige, dynamische Veränderungsprozesse – auf gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ebene – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Solche Dynamiken fordern etablierte Wirtschaftsstrukturen heraus und erzeugen Konkurrenz. Sie fördern damit aber auch Innovation und Wettbewerb und lassen neue Kooperations- und Wertschöpfungsnetzwerke entstehen. Die damit einhergehenden, gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozesse zu verstehen und mögliche Konfliktlinien zu antizipieren, ist eine Voraussetzung, um den bioökonomischen Wandel nachhaltig gestalten zu können. Hier setzt die Maßnahme „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ an.
Sie wurde 2014 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030 erstmals aufgelegt und mit der Nationalen Bioökonomiestrategie fortgeführt. Im Rahmen der Fördermaßnahme „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ fördert das BMBF seit Jahren Nachwuchsgruppen, die biobasiertes Wirtschaften aus sozial-, politik- und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive erforschen. Ziel ist es, den Wandel zur Bioökonomie in all seinen Facetten möglichst umfassend zu verstehen, seine Auswirkungen zu analysieren und zu bewerten sowie Konsequenzen und Handlungsoptionen aufzuzeigen.
Zusätzlich zu den bald auslaufenden Projekten der Förderrunde aus dem Jahr 2018 haben im Jahr 2023 vier weitere Nachwuchsgruppen mit ihren Arbeiten begonnen. Die Themen der ausgewählten Projekte sind so vielfältig wie die Potenziale, die mit dem bioökonomischen Wandel einhergehen, und die Herausforderungen, die sich bei der Umsetzung stellen. Das BMBF fördert die Arbeit der Teams aus jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den kommenden fünf Jahren mit jeweils bis zu 3,1 Mio. Euro.
Statustreffen 2023 in Eberswalde
Auf dem Waldcampus der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung (HNE) in Eberswalde bei Berlin trafen sich die neuen Nachwuchsgruppen mit jenen aus der vorherigen Förderrunde zu einem wissenschaftlichen Austausch und professionellem Netzwerken. Der Waldcampus besitzt eine lange Geschichte in der Forstwirtschaft Brandenburgs. Aktuell beherbergt der moderne Campus jedoch die akademischen Fachbereiche für Wald und Umwelt und Holzingenieurwesen, die Landesforstanstalt Eberswalde (LFE), das Institut für Waldökosysteme des Johann Heinrich von Thünen-Institutes, das Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei sowie die Materialprüfanstalt Brandenburg GmbH. In diesem passenden Ambiente diskutierten die jungen Forscher und Forscherinnen untereinander sowie mit Vertretern des BMBF und Verantwortlichen des Projektträgers Jülich (PtJ) ihre Forschungsergebnisse.
Im Folgenden werden die Vorhaben der vier im Jahr 2023 gestarteten Nachwuchsgruppen kompakt porträtiert.
Transformationsprozess zu einem biobasierten Bausektor
Die Nachwuchsgruppe der Justus-Liebig-Universität Gießen beschäftigt sich im Projekt TRABBI mit den Herausforderungen des Wandels im Bausektor hin zu mehr Nachhaltigkeit. Neben dem Rohstoff Holz sind es vor allem innovative Baustoffe wie Wände aus Pilzmycel, die die Klimabilanz des Bausektors deutlich verbessern könnten. „In den Transformationsprozess sind viele Akteure eingebunden, die teilweise sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie der Bausektor zukünftig aussehen soll“, sagt der Leiter des Projektes, Sebastian Losacker. „Unsere Forschungsarbeiten zielen darauf ab, zu verstehen, welche Faktoren den Transformationsprozess zu einem biobasierten Bausektor erleichtern oder blockieren.“
Eine zentrale Frage des Projekts ist daher, welche Rolle neue biogene Baustoffe und bioökonomische Innovationen im Transformationsprozess der Bauwirtschaft spielen. Dazu sollen Innovationssysteme, sozio-technische Regime und Leitmarktstrukturen auf globaler, nationaler und regionaler Ebene analysiert und Handlungsempfehlungen für die Politik abgeleitet werden. „Als Wirtschaftsgeograph ist es mir auch ein Anliegen, auf regionalspezifische Besonderheiten bei der Ausgestaltung politischer Maßnahmen hinzuweisen. Dies scheint mir bei der starken lokalen Verankerung der Wertschöpfungsketten im Bausektor besonders relevant“, so Losacker. Im Fokus der Untersuchung stehen aber nicht nur die Transformationsprozesse der Baubranche in Deutschland, sondern auch in China und Indien. Ein Grund für diese Länderwahl ist laut Losacker, dass beide Staaten bereits heute führend in vielen grünen Industrien sind und damit die globale Entwicklung stark beeinflussen.
Nachhaltigkeitsstrategien der Fleischindustrie unter der Lupe
Die Transformation im Ernährungssektor beleuchtet wiederum eine Nachwuchsgruppe der Universität Hamburg. Im Projekt Meat The Bioeconomy untersucht ein Team um Projektleiterin Christin Bernhold, welche Rolle die Fleischindustrie in der gesellschaftlichen Debatte um nachhaltige Produktionsweisen spielt. Dazu nehmen die Forscherinnen und Forscher die Unternehmensstrategien der Branche unter die Lupe und prüfen, inwieweit diese tatsächlich mit einer nachhaltigen Produktions- und Lebensweise vereinbar sind. „Selbst führende Unternehmen der Fleischbranche werben heute damit, das eigene Unternehmensprofil stärker auf Nachhaltigkeit auszurichten“, sagt Bernhold.
Doch wie sind diese Nachhaltigkeitsstrategien definiert und welche Ziele verfolgen sie?
Um diese Fragen zu beantworten, wird Bernholds Team drei Bereiche genauer analysieren. „Wir untersuchen Internationalisierungsstrategien, Arbeitsbeziehungen und das Verhältnis der Fleischindustrie zu Staat und Zivilgesellschaft. Dabei verbinden wir wirtschaftsgeographische mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen“, erklärt die Projektleiterin. Der Blick der Forschenden geht auch hier über Deutschland hinaus und richtet sich auf Produktionsstandorte deutscher Fleischunternehmen in Spanien und Polen.
„Aus wirtschaftsgeographischer Perspektive wollen wir auf dieser Basis die Gründe für die Auslandsinvestitionen verstehen und ihre Implikationen hinsichtlich sozioökonomischer Nachhaltigkeit und Geographien der Ungleichheit analysieren.“ Auch neue Trends in der Fleischindustrie wie pflanzenbasierte Alternativen werden im Rahmen des Projekts hinsichtlich ihrer politischen, kulturellen und ökonomischen Herausforderungen untersucht. Im Hinblick auf die Entwicklung von Fleischersatzprodukten interessiert sich die Forschungsgruppe dafür, inwieweit diese Innovation dazu beitragen kann, die Fleischproduktion zu ergänzen und damit deren Akzeptanz zu erhöhen.
Soziale und ökologische Wertschöpfungsketten verstehen
Vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen rücken pflanzliche Reststoffe zunehmend in den Fokus von Forschung und Industrie. Das Projekt ReVaLueD beschäftigt sich daher mit der Nutzung von Reststoffen für biobasierte Produkte. Darin untersuchen Nachwuchsforschende der Universität Passau anhand einzelner Rohstoffe den sozialen Wandel durch die Bioökonomie in drei Entwicklungsländern und deren Verbindungen zu den Weltmärkten.
„Länder wie Deutschland sind nicht unbedingt reich an natürlichen Ressourcen und müssen daher innovative Wege finden, diesen Wandel auf Basis nachwachsender Rohstoffe voranzutreiben. Wir konzentrieren uns daher auf Länder, die an der Produktion und dem Export von tropischen Früchten beteiligt sind“, erklärt Projektleiterin Terese Emilia Venus. Im Fokus stehen Costa Rica, Ghana und die Philippinen, wo bei der Produktion und Verarbeitung tropischer Früchte reichlich Reststoffe anfallen. Diese Reststoffe sind als Rohstoff für neue biobasierte Produkte wie Biokunststoffe interessant, die in Bioraffinerien zu grünen Feinchemikalien umgewandelt werden können.
Der Export tropischer Früchte in den Herkunftsländern wird auf Grund der Nachfrage aus Europa, den USA und Ostasien allerdings vorangetrieben. „Das bedeutet, dass sie an Überseemärkte und Verbraucherpräferenzen gebunden sind“, so Venus. Im Projekt wollen die Forschenden daher die Potenziale der Reststoffverwertung, ihre sozioökonomischen und ökologischen Auswirkungen und ihre Vermarktungsformen in der globalen Bioökonomie genauer untersuchen, um die Lücke zwischen dem technischen Wissen der Bioökonomie und den sozioökonomischen Realitäten zu schließen.
„Es ist sehr wichtig, dass andere Länder, die reich an natürlichen Ressourcen sind, nicht nur als Quelle für Biomasse betrachtet werden. Es gibt eine Verantwortung, soziale und ökologische Wertschöpfungsketten und Netzwerke aufzubauen. Indem wir die aktuelle Situation und ihre Auswirkungen verstehen, können wir politische und wirtschaftliche Strategien vorschlagen, um menschliche Ausbeutung und Umweltzerstörung im Kontext dieses Transformationsprozesses zu verhindern“, argumentiert die Umweltökonomin.
Nähere Informationen zu den gefördeten Nachwuchsgruppen finden sich auf der Internetseite zur Fördermaßnahme "Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel".
Implementation von Bioökonomiestrategien im Blick
Klimawandel, Ressourcenknappheit und Ernährungssicherheit sind die großen Herausforderungen der Zukunft. Die Bioökonomie bietet Lösungsansätze. Viele Länder haben daher in den letzten Jahren Bioökonomiestrategien entwickelt, die oft gleichermaßen eine stärker biobasierte Wirtschaft fördern sowie dazu beitragen sollen, die globalen Nachhaltigkeitsziele aus dem Jahre 2015 zu erreichen. Wie diese Ziele in nationaler Politik und Governance umgesetzt werden, ist Gegenstand aktueller Forschung.
Eine Nachwuchsforschungsgruppe an der Humboldt-Universität zu Berlin wird dies untersuchen. Im Projekt BIOPOLISTA geht das Team um Maria Proestou und Nicolai Schulz der Frage nach, ob, wann und warum die Umsetzung von Bioökonomiestrategien gelingt oder scheitert. Dazu werden die Bioökonomiestrategien von sechs Ländern untersucht, die ähnliche Ziele verfolgen: Deutschland, Frankreich, Kolumbien, Malaysia, Südafrika und die USA.
„Staaten sind die treibende Kraft in der Politik-Implementation und damit auch in den bestehenden Ansätzen der Politik-Implementationsforschung. Ohne staatliche Unterstützung bei der Implementation wird eine schnelle und adäquate Transformation kaum möglich sein“, erläutert Projektleiterin Maria Proestou. „Konkret wird unser Projekt dazu beitragen, empirisch fundierte und kontextbezogene Erkenntnisse und Leitlinien für politische Entscheidungen zu entwickeln, wie Bioökonomiestrategien erfolgreich implementiert werden, wie sich Bioökonomie-Staaten gut entwickeln, aber auch wie besser umsetzbare Policy-Ziele und -Instrumente formuliert werden.“
Mit diesen Projekten fördert das BMBF die Themen der Zukunft biökonomischer Anwendungen und Innovationen, die sowohl ökonomisch, ökologisch als auch gesellschaftlich gedacht werden. Hiermit knüpft es nahtlos an die letzten zehn Jahre erfolgreicher Forschungsförderung an und setzt Akzente für die Zukunft der Bioökonomie in der Gesellschaft.
Beatrix Boldt, Jan Janosch Förster (PtJ)