„Nachhaltigkeitsstrategien der Fleischindustrie unter die Lupe nehmen“

„Nachhaltigkeitsstrategien der Fleischindustrie unter die Lupe nehmen“

Christin Bernhold

Beruf:
promovierte Wirtschaftsgeographin

Position:
Juniorprofessorin am Fachbereich Erdsystemwissenschaften (Institut für Geographie) der Universität Hamburg; Leiterin der Nachwuchsforschungsgruppe „Meat The Bioeconomy“

Christin Bernhold
Vorname
Christin
Nachname
Bernhold

Beruf:
promovierte Wirtschaftsgeographin

Position:
Juniorprofessorin am Fachbereich Erdsystemwissenschaften (Institut für Geographie) der Universität Hamburg; Leiterin der Nachwuchsforschungsgruppe „Meat The Bioeconomy“

Christin Bernhold

In der Nachwuchsforschungsgruppe „Meat The Bioeconomy“ untersucht die Hamburger Wirtschaftsgeographin Christin Bernhold, ob die Unternehmensstrategien der deutschen Fleischindustrie mit einer nachhaltigen Produktions- und Lebensweise vereinbar sind.

Als Teil der Fördermaßnahme „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Nachwuchsgruppen, die das biobasierte Wirtschaften aus sozial- , politik- und wirtschaftswissenschaftlicher Sicht erforschen. Es geht darum, den Wandel zu einer Bioökonomie in all seinen Facetten möglichst umfassend zu verstehen, seine Effekte zu analysieren und zu bewerten sowie Konsequenzen und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Zu den 2023 gestarteten Nachwuchsgruppen zählt das Team von Christin Bernhold an der Universität Hamburg. Im Projekt „Meat The Bioeconomy“ untersucht das Team, welche Rolle die Fleischindustrie in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um nachhaltige Produktionsweisen spielt. Das Vorhaben wird in den kommenden fünf Jahren vom BMBF mit 3,1 Mio. Euro gefördert.

Frage

Die Fleischindustrie ist im Kontext der Bioökonomie wissenschaftlich bisher kaum analysiert worden. Woran liegt das und wie wollen Sie das mit Ihrer Nachwuchsgruppe ändern?

Antwort

Die Fleischindustrie gehörte lange nicht zu den treibenden Pionieren der Bioökonomie. Erst in den letzten circa zehn Jahren nutzten Teile der Branche zum Beispiel vermehrt pflanzenbasierte Proteinquellen, die zuvor eher ein Nischendasein fristeten. Die Bioökonomieforschung wiederum hat sich im Bereich Fleisch stark auf kulturelle und technologische Innovationen, auf Esskulturen sowie auf marktorientierte Ansätze zur ökologischen Modernisierung der Warenproduktion, ihres Verkaufs und Konsums konzentriert. Wir wollen nun die politische Ökonomie der Fleischindustrie stärker ins Zentrum der Forschung rücken. Das machen wir, indem wir Unternehmensstrategien der deutschen Fleischindustrie unter die Lupe nehmen und sie auf ihre Vereinbarkeit mit einer nachhaltigen Produktions- und Lebensweise auf drei Feldern prüfen. Wir untersuchen Internationalisierungsstrategien, Arbeitsbeziehungen und die Verhältnisse der Fleischwirtschaft zum Staat und zur Zivilgesellschaft. Dabei verknüpfen wir wirtschaftsgeographische und sozial- und kulturwissenschaftliche Ansätze.

Frage

Sie werden in Ihren Studien Unternehmen der Fleischwirtschaft und deren Nachhaltigkeitsstrategien untersuchen. Welche Erkenntnisse versprechen Sie sich davon?

Antwort

Auch führende Unternehmen der Fleischwirtschaft werben heute damit, das eigene Unternehmensprofil stärker auf Nachhaltigkeit auszurichten. Vor diesem Hintergrund möchten wir zum einen herausfinden, wie die Nachhaltigkeitsstrategien von Lead Firms und anderen Unternehmen der Industrie überhaupt definiert werden und welche (wirtschaftlichen und anderen) Ziele damit verfolgt werden. Zum anderen geht es darum, die Nachhaltigkeitsstrategien mit dem konkreten Agieren der Unternehmen abzugleichen: Was passiert in der Realität – und inwiefern ist Nachhaltigkeit in einem Bereich wie der Fleischwirtschaft überhaupt möglich? Zudem interessiert uns, inwiefern partielle Verbesserungen in einem Handlungsfeld – etwa Lohnerhöhungen in der Branche – potenziell durch Strategien in anderen Handlungsfeldern – etwa Internationalisierung – relativiert werden können.

Frage

Auf welche Weise gehen Sie in Ihrer Forschung auf neue Trends in der Fleischindustrie wie pflanzenbasierte Alternativen oder kultiviertes Fleisch ein?

Antwort

Auch wenn dieses Thema nicht unser Forschungsschwerpunkt ist, betrachten wir die genannten Trends aus verschiedenen Blickwinkeln. Zunächst analysieren wir die Produktion und den Verkauf von pflanzenbasierten Proteinquellen als politische, kulturelle und ökonomische Herausforderung für die immer noch stark auf Fleisch orientierte Produktions- und Lebensweise. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die pflanzlichen Alternativen zumindest hierzulande stark mit politischen Sub- und Gegenkulturen verbunden waren und dies teils auch immer noch sind. Zweitens untersuchen wir pflanzliche Fleischersatzprodukte als einen Baustein von profitorientierten Unternehmensstrategien, durch die mit Bezug zu alternativen Lebensweisen neue Märkte erschlossen werden. Drittens fragen wir uns, inwiefern Laborfleisch und ähnliche Waren unter gegenwärtigen Bedingungen dazu beitragen, die Fleischproduktion zu ergänzen, anstatt sie zu minimieren, und ihr damit eine höhere Akzeptanz verschaffen.

Frage

Welche Länderbeispiele werden Sie bei der Analyse von Internationalisierungsstrategien in den Blick nehmen? Warum haben Sie diese ausgewählt?

Antwort

Insbesondere was Investitionen in Produktionsstandorte außerhalb Deutschlands betrifft, untersuchen wir zunächst Internationalisierungsstrategien deutscher Unternehmen anhand der Länderbeispiele Spanien und Polen. Aus wirtschaftsgeographischer Perspektive wollen wir auf dieser Basis die Gründe für die Auslandsinvestitionen verstehen und ihre Implikationen hinsichtlich sozioökonomischer Nachhaltigkeit und Geographien der Ungleichheit analysieren. Die regionalen Schwerpunkte ergeben sich maßgeblich aus Investitionen, die dort von Unternehmen der deutschen Fleischwirtschaft getätigt wurden. Zudem hat etwa in Spanien die Bedeutung der Fleischindustrie in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Darüber hinaus analysiert ein vergleichendes Teilprojekt chinesische Investitionen in die argentinische Fleischindustrie. Denn das Wirken von Fleischkonzernen auf die Tragweite und Qualität des Wandels hin zu nachhaltigen Produktionsweisen unterscheidet sich in verschiedenen geographischen, polit-ökonomischen und kulturellen Kontexten voneinander. Globale Transformationen in der Fleischwirtschaft können entsprechend nur umfassend verstanden werden, wenn unterschiedlich verortete Fallbeispiele einbezogen werden.

Frage

Wie kann das durch Ihre Forschung entstandene Wissen zukünftig helfen, notwendige Transformationsprozesse hin zu einer nachhaltigen Bioökonomie zu initiieren, zu gestalten und zu verstetigen? Welche Rolle spielt für Sie in diesem Zusammenhang die gesellschaftswissenschaftliche Forschung in der Bioökonomie?

Antwort

Die gesellschaftswissenschaftliche Forschung ist essentiell, soll die Diskussion nicht auf Aspekte wie technologische Innovationen reduziert werden, sondern auch die Ebenen Produktionsbeziehungen, Arbeit, Politik und Kultur einbeziehen, die für gesellschaftliche Veränderungs- und Umbauprozesse aller Art grundlegend sind. Ein entsprechend umfassender Blick ist darüber hinaus auch aus dem oben bereits kurz genannten Grund wichtig, dass Verbesserungen in einem nachhaltigkeitsrelevanten Handlungsfeld durch Strategien in anderen potenziell relativiert werden können: „Grünere“ Produktionstechnologie nützte beispielsweise wenig, wenn im Rahmen von Internationalisierungsstrategien die Produktion an anderen Standorten mit niedrigeren Standards einherginge. Ob sich unsere Erkenntnisse unmittelbar auf Transformationsprozesse in anderen Bereichen übertragen lassen, muss sich noch zeigen – unsere Forschung kann hier dazu beitragen, Besonderheiten herauszuarbeiten, die die Fleischindustrie gegenüber anderen Wirtschaftszweigen aufweist. Zum jetzigen Zeitpunkt wollen wir aber erst einmal herausfinden, mit welchen Strategien Unternehmen der Branche auf nachhaltigkeitsrelevanten Feldern agieren und welche Auswirkungen diese auf den nötigen Wandel hin zu nachhaltigen Produktionsweisen haben. Dabei sind verschiedene Szenarien denkbar: Es kann auch den Fall einschließen, dass partielle Veränderungen in einzelnen Bereichen der industriellen Fleischproduktion und sozial-ökologische Nachhaltigkeit sich als gesamtgesellschaftliche Frage nicht vereinbaren lassen.

Interview: Beatrix Boldt, Philipp Graf