„Regionale Unterschiede auf dem Weg zum nachhaltigen Bauen verstehen“
Sebastian LosackerBeruf:
promovierter Geograph
Position:
Leiter der Nachwuchsgruppe TRABBI am Institut für Geographie an der Justus-Liebig-Universität Gießen
Beruf:
promovierter Geograph
Position:
Leiter der Nachwuchsgruppe TRABBI am Institut für Geographie an der Justus-Liebig-Universität Gießen
In der Nachwuchsforschungsgruppe TRABBI untersucht der Gießener Wirtschaftsgeograph Sebastian Losacker den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit im Bausektor und die Rolle biogener Baustoffe dabei.
Als Teil der Fördermaßnahme „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Nachwuchsgruppen, die das biobasierte Wirtschaften aus sozial- , politik- und wirtschaftswissenschaftlicher Sicht erforschen. Es geht darum, den Wandel zu einer Bioökonomie in all seinen Facetten möglichst umfassend zu verstehen, seine Effekte zu analysieren und zu bewerten sowie Konsequenzen und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Zu den 2023 gestarteten Nachwuchsgruppen zählt das Team von Sebastian Losacker an der Universität Gießen. Es untersucht im Projekt TRABBI den Transformationsprozess zu mehr Nachhaltigkeit im Bausektor. Das Vorhaben wird in den kommenden fünf Jahren vom BMBF mit 2,3 Mio. Euro gefördert.
Nachhaltiges Bauen boomt. Wo sehen Sie heute schon die größten potenziellen Beiträge aus der Bioökonomie für den Bausektor – und wo zukünftig?
Nachhaltiges Bauen boomt leider nicht so sehr, wie es global eigentlich notwendig wäre, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Die Bioökonomie kann allerdings einen wichtigen Beitrag dabei leisten, den Bausektor nachhaltiger zu gestalten. Durch den doppelten Klimaeffekt, den der Einsatz von biobasierten Baustoffen hat, liegt bereits heute ein enormes Potenzial darin, mit einem möglichst hohen Anteil biogener Materialien zu bauen. Doppelter Klimaeffekt, da wir einerseits klimaschädliche Stoffe wie Stahl und Beton vermeiden und gleichzeitig mit nachwachsenden Stoffen bauen, die langfristig CO2 speichern. Als wichtigster Hebel gilt dabei natürlich der Holzbau. Aber auch weitere biogene Baumaterialien, wie etwa natürliche Dämmstoffe, werden noch weniger genutzt, als es eigentlich notwendig wäre. Die Bioökonomie kann allerdings wesentlich mehr sein als eine Substitution klimaschädlicher mit klimafreundlichen Ressourcen. Es gibt zahlreiche Forschungsanstrengungen in den Bereichen Biokunststoffe, Biochemie oder Biotechnologie, die Lösungen für einen nachhaltigen Bausektor der Zukunft entwickeln. Ein interessantes Beispiel sind innovative, nachwachsende Wände aus Pilzmyzel, die für den Innenausbau genutzt werden könnten.
Mit Blick auf die sozio-technischen Transformationsprozesse im Bausektor und einer nachhaltigen Bioökonomie: Was sind die zentralen Fragestellungen, denen Sie mit Ihrer neuen Nachwuchsgruppe nachgehen möchten?
Die Transformation des Bausektors ist sehr komplex. In den Transformationsprozess sind viele Akteure eingebunden, die teilweise sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie der Bausektor zukünftig aussehen soll. Unsere Forschungsarbeiten zielen darauf ab, zu verstehen, welche Faktoren den Transformationsprozess zu einem biobasierten Bausektor erleichtern oder blockieren. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir auch, welche Rolle neue biogene Baustoffe und bioökonomische Innovationen für einen solchen Transformationsprozess spielen. Wir sind auch an regionalen Unterschieden in der Nachhaltigkeitstransformation des Bausektors interessiert. Obwohl die Transformation des Bausektors auf globaler Ebene stattfindet, existieren unterschiedliche regionale Transformationspfade.
Wie werden Sie methodisch vorgehen und warum?
Wir greifen auf einen Mix qualitativer und quantitativer Methoden der empirischen Sozialforschung zurück. In Fallstudien untersuchen wir Transformationsprozesse in mehreren Ländern sowie in ausgewählten Regionen innerhalb dieser Länder. Dazu nutzen wir qualitative Methoden wie Interviews mit Expertinnen und Experten des jeweiligen nationalen beziehungsweise regionalen Bausektors. Dieser Ansatz erlaubt es uns, regionalspezifische Charakteristika der Transformation zu verstehen und miteinander zu vergleichen. Auf der anderen Seite nutzen wir moderne quantitative Methoden aus dem Bereich Data Science, um bioökonomische Wirtschafts- und Innovationsaktivitäten statistisch zu erfassen. Aktuell arbeiten wir zum Beispiel daran, mithilfe von Natural Language Processing bioökonomische Aktivitäten auf den Webseiten von über 600.000 Unternehmen in Deutschland zu identifizieren. Damit können wir den regionalen Strukturwandel zur Bioökonomie nachzeichnen.
Sie werden sich in Ihren Studien auf die Situation in Deutschland, China und Indien fokussieren. Warum haben Sie diese Länder ausgewählt?
Deutschland positioniert sich mit seiner Bioökonomiestrategie als Leitmarkt der Bioökonomie. Wir wollen wissen, inwiefern der Bausektor in Deutschland diesen Erwartungen und Zielen gerecht wird oder gerecht werden kann. Für die Wahl der Untersuchungsländer Indien und China gibt es sehr viele Gründe. Der wichtigste ist vermutlich, dass beide Länder in den kommenden Dekaden vor einer enormen Nachfrage an Neubauten stehen. Das ist anders als in Deutschland, da wir uns hier weitaus intensiver mit ökologischer Nachverdichtung, Sanierung und Kreislaufansätzen auseinandersetzen müssen. Gleichzeitig sind China und Indien bereits heute führend in vielen grünen Industrien und beeinflussen stark, was in anderen Ländern passiert. Die Transformation des Bausektors kann für beide Länder ein „green window of opportunity“ sein, um weitere Wettbewerbsvorteile in grünen Industrien aufzubauen.
Wie kann das durch Ihre Forschung entstandene Wissen helfen, Transformationsprozesse hin zu einer nachhaltigen Bioökonomie zu initiieren, gestalten und zu verstetigen?
Noch stehen wir zwar am Beginn unserer Forschungsarbeiten, aber wir sind zuversichtlich, dass unsere Ergebnisse hilfreiche Implikationen für die politische Steuerung der Transformationsprozesse im Bausektor bieten werden. Unsere Ergebnisse sind beispielsweise für unterschiedliche innovations- und industriepolitische Programme der Bundesregierung relevant, etwa für die nationale Bioökonomiestrategie oder für die Holzbauinitiative. Gleichzeitig sind sicherlich viele Erkenntnisse auch auf andere Sektoren übertragbar, sodass der Wandel zu einer Bioökonomie auch in anderen Bereichen unterstützt werden kann. Als Wirtschaftsgeograph ist es mir auch ein Anliegen, auf regionalspezifische Besonderheiten bei der Ausgestaltung politischer Maßnahmen hinzuweisen. Dies scheint mir bei der starken lokalen Verankerung der Wertschöpfungsketten im Bausektor besonders relevant. Für die Politik wird es jedoch auch die Herausforderung geben, nachhaltigkeitsbezogene Zielkonflikte zu berücksichtigen, die beim Übergang zu einem biobasierten Bausektor entstehen.
Interview: Beatrix Boldt, Philipp Graf