Aus Pilzen Häuser bauen

Aus Pilzen Häuser bauen

Vera Meyer

Beruf:
Biotechnologin/Künstlerin

Position:
Leiterin des Fachgebietes Angewandte und Molekulare Mikrobiologie an der TU Berlin

Biotechnologin Dr. Vera Meyer
Vorname
Vera
Nachname
Meyer

Beruf:
Biotechnologin/Künstlerin

Position:
Leiterin des Fachgebietes Angewandte und Molekulare Mikrobiologie an der TU Berlin

Biotechnologin Dr. Vera Meyer

Vera Meyer ist von Pilzen fasziniert: Als Biotechnologin will sie das Stoffwechselpotenzial der Lebenwesen nutzen, um der Bioökonomie Leben einzuhauchen, und gleichfalls mit Kunst begeistern.

Pilze werden in der Regel gegessen oder bei der Herstellung von Käse oder Bier genutzt. Für Vera Meyer sind sie jedoch mehr als nur Lebensmittel. Als Biotechnologin und Künstlerin weiß sie um die Vielfalt der Spezies und deren Potenzial, vor allem für die Bioökonomie. Denn aus Pilzen lassen sich nicht nur neue Verbundwerkstoffe und Verpackungen herstellen, sondern auch Kleidung, Möbel und Baustoffe. Ihre Vision vom Wohnen in Pilzhäusern treibt Meyer nicht nur als Forscherin an. Als Künstlerin hebt sie die Multitalente auch in Form von Skulpturen auf die Bühne, um die Pilzvielfalt einer breiten Öffentlichkeit näherzubringen.

Frage

Wie kamen Sie auf die Idee, dass man mit Pilzen Häuser bauen könnte?

Antwort

Seit mehr als 20 Jahren erforsche ich mit meinem Team Schimmelpilze als Produzenten von Proteinen, Enzymen, Medikamenten, Plattformchemikalien und Biokraftstoffen. Vor etwa fünf Jahren begann ich, mich darüber hinaus für Ständerpilze zu interessieren. Sie sind die einzigen Mikroorganismen, die pflanzliche Lignocellulose vollständig biologisch abbauen können. Der Clou: Wenn Ständerpilze auf lignocellulosehaltigen pflanzlichen Reststoffen kontrolliert kultiviert werden, entstehen dabei sehr stabile, aber auch sehr leichte Verbundstoffe. Aus diesen könnte man wiederum Möbel, Kleidung oder Baustoffe produzieren. Der logische Schritt zum Hausbau mit Pilzen lag daher für mich auf der Hand: In einer Zukunft, in der Klimawandel, ein steigender Meeresspiegel und somit Migration unser tägliches Leben prägen werden, könnten Häuser aus Pilzen eine utopische Antwort auf diese Herausforderungen sein. Sollten die „Pilzhäuser“ nicht mehr benötigt werden, könnten sie durch eine kontrollierte Kompostierung der Natur wieder zurückgegeben werden.


Frage

Was fasziniert Sie als Biotechnologin und Künstlerin an Pilzen?

Antwort

Pilze – sowohl Schimmelpilze als auch Ständerpilze – sind vielschichtig, vielgestaltig und vielseitig. Einige schenken uns Leben. Sei es als Nahrungsmittel oder als Schatztruhen für die Medizin. Andere bringen den Tod. Sei es, weil sie pathogen sind oder gefährliche Giftstoffe bilden. Manche Pilze sind umwerfend schön, wieder andere wirken abstoßend und hässlich. Dabei sind sie gleichermaßen sichtbar und unsichtbar für uns. Pilze wirken daher fast mystisch auf viele Menschen. Sie ziehen sie in ihren Bann und unzählige Mythen ranken sich um sie. Als Wissenschaftlerin kann ich die vielseitigen Potentiale der Pilze für die Biotechnologie und ihr Bedrohungspotential für Mensch und Umwelt erforschen und in innovative Anwendungen überführen. Als Künstlerin fasziniert mich ihre unbändige metamorphische Kraft, ihr Verwandlungspotential in Bezug auf sich selber und die sie umgebende Natur. Diese Metamorphosen übersetze ich in Skulpturen, um Traum- und Gegenwelten lebendig werden zu lassen und zu erreichen, dass wir die Welt um uns herum mit anderen Augen sehen lernen.

Frage

Welche Pilze könnten sich beispielsweise zur Baustoffherstellung eignen, und welche Eigenschaften sind dafür relevant?

Antwort

Ständerpilze sind für die Herstellung von Verbundwerkstoffen am besten geeignet. Dabei kann es sich um essbare Pilze handeln wie Austernpilze oder um Baumpilze wie den Zunderschwamm, die an kranken oder toten Bäumen zu finden sind. Wichtig ist, dass die Pilze auf den nachwachsenden pflanzlichen Rohstoffen schnell wachsen, dass während der Kultivierung die Ausbildung von Fruchtkörpern und somit Sporen unterdrückt wird und dass die Pilze keine Giftstoffe bilden. Bei den sich ausbildenden Verbundstoffen können verschiedene Materialeigenschaften erzielt werden, die von der Art der Kultivierung, dem gewählten Pilz und den gewählten Substraten abhängen. Wir erforschen gerade diese multifaktoriellen Einflüsse mit dem Ziel, diese in der Zukunft gezielt einzusetzen, um kostengünstig Werkstoffe nach Maß herzustellen.

Frage

Was macht Pilze Ihrer Ansicht nach zu Pionieren beim Wandel hin zu einer biobasierten Wirtschaft?

Antwort

Ohne Pilze gibt es meines Erachtens keine Bioökonomie mit ihren Prinzipien Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Pilze sind Meister der Zersetzung. Biologisch basierte Substrate wie Lignocellulose, Stärke, aber auch Protein- und Fettabfälle können von ihnen verstoffwechselt werden. Sie sind aber auch Meister der Synthese: Aus den hierbei entstehenden monomeren Bestandteilen können Materialen, Textilien, Plattformchemikalien oder auch Medikamente entstehen, die bis dato auf Erdölbasis produziert wurden. Dieses faszinierend große Stoffwechselpotenzial der Pilze ist in der Natur unübertroffen und wird einer wachsenden Bioökonomie Leben einhauchen.

Frage

Sie haben das Citizen-Science-Projekt „Mind the Fungi" gestartet. Wie hat die Öffentlichkeit reagiert?

Antwort

Das Interesse an unserer Forschung und dem „Mind the Fungi“-Projekt ist riesig. Wir bekommen viele Interessensbekundungen sowohl aus der Citizen Science Community, den Wissenschaften, der Industrie als auch aus der Kunstszene und von interessierten Laien. Ich denke, dass dies mit der den Pilzen eigenen Anziehungskraft zu tun hat und mit der um sich greifenden Erkenntnis, dass Pilze und die Pilzbiotechnologie tatsächlich über ein erhebliches Transformationspotential für eine biobasierte Wirtschaft verfügen und als Innovationsmotor verstanden werden. Unsere Vision, in Pilzen zu wohnen, sich in Pilze zu kleiden und mit und von Pilzen zu leben, irritiert und fasziniert  die Menschen gleichermaßen. Der Weckruf „Mind the Fungi“ – Beachtet Pilze – ist angekommen. Viele haben sich von der Idee begeistern und inspirieren lassen.

Autorin: Beatrix Boldt