Die Kartoffel ist nach Weizen, Reis und Mais die viertwichtigste Nutzpflanze auf der Welt. Mehr als 325 Millionen Tonnen der Knollenfrucht werden jedes Jahr geerntet. Kartoffeln sind allerdings auch äußerst anfällig für Krankheiten – sich rasch ausbreitende Pilze, Viren oder Fadenwürmer können massive Ernteausfälle verursachen. Ertragreiche und krankheitsresistente Kartoffeln sind daher die zentralen Ziele der Züchter.
Smart Breeding auf dem Vormarsch
Die vielen verschiedenen Kartoffelsorten sind das Ergebnis jahrhundertelanger Auslesezüchtung. Diese allein auf phänotypischen Merkmalen beruhende Züchtung ist äußerst aufwendig und langwierig. Bis zu zehn Jahre dauert es, bis eine neue Sorte entwickelt und auch für den Anbau zugelassen ist. Deswegen haben auch in der Kartoffelzüchtung molekularbiologische Testverfahren und bioinformatische Analysen – das sogenannte Smart Breeding – Einzug gehalten. Im Rahmen der BMBF-Förderinitiative KMU-innovativ haben Pflanzenzüchter wertvolle diagnostische Werkzeuge entwickelt, die dazu eingesetzt werden, Kartoffelsorten voneinander zu unterscheiden und im Genom nach relevanten Resistenzgenen gegen Krankheitserreger zu fahnden.
Molekulare Marker im Kartoffelgenom
Die Grundlagen dafür legte das KMU-innovativ-Verbundprojekt „Retrokartoffel“ in den Jahren 2009 bis 2012. An diesem vom BMBF mit insgesamt mehr als 530.000 Euro unterstützten Forschungsprojekt war der Züchtungsbetrieb Norika GmbH in Sanitz zusammen mit der Technischen Universität Dresden und dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben beteiligt. Das Ziel: Ein DNA-Analyse-Verfahren für die Erkennung und Erfassung aller bekannten Kartoffelsorten entwickeln.
Für die Markeranalyse muss zunächst DNA aus den Blättern der Kartoffelpflanze gewonnen werden.
Dazu haben die Pflanzenforscher das Kartoffelgenom mithilfe sogenannter molekularer Marker, also Orientierungspunkte im Erbgut, abgesteckt. „Die bisher verwendeten diagnostischen Markersysteme waren für den Routineeinsatz in unseren Laboren zu aufwendig und zu teuer“, sagt Katja Muders, die bei der Norika für Forschung und Entwicklung zuständig ist. Deshalb haben die Pflanzenexperten ein an der TU Dresden entwickeltes Marker-System auf der Basis von Retrotransposons verwendet. Es handelt sich hierbei um DNA-Sequenzen, die in vielfacher Wiederholung im Pflanzenerbgut auftreten.
Die Verteilungsmuster der sogenannten Short Interspersed Nuclear Elements (SINEs) erwiesen sich als charakteristische Merkmale für die jeweilige Sorte. „Wir können damit heute 350 Kartoffelsorten mit geringem Laboraufwand zuverlässig unterschieden“, so Muders. Der PCR-basierte Test wird in dem Unternehmen aus Mecklenburg-Vorpommern mittlerweile routinemäßig für die Qualitätssicherung und die Züchtung eingesetzt.
Neues Werkzeug für die Präzisionszüchtung
Die Forscher haben in einem weiteren KMU-innovativ-Projekt demonstriert, dass sich das neue Markersystem noch vielseitiger einsetzen lässt als anfangs gedacht. Es eignet sich sogar für die markergestützte Präzisionszüchtung, denn die molekularen Marker sind im Kartoffelerbgut weit verteilt und werden in der Regel gemeinsam mit einem züchterisch interessanten Merkmal vererbt. Die Marker lassen sich mithilfe molekulardiagnostischer Tests aufspüren und sind daher wichtiges Werkzeug für die Züchter, da sie helfen, die Erzeugung neuer Sorten zu beschleunigen. Mit ihrer Markertechnologie haben die Forscher deshalb in dem Projekt „AVIMA“ im Kartoffel-Erbgut nach Genen gesucht, die Pflanzen vor Infektionen mit Viren wappnen können (2012–2015, Fördersumme: 193.000 Euro). Beim Kartoffelvirus Y ist es den Forscher tatsächlich gelungen, einen Resistenz-Lokus auf dem Kartoffel-Chromosom Nummer 9 zu identifizieren.
Kartoffelkrebs breitet sich rasant aus
Auch eine zunehmende Bedrohung für die Kartoffeläcker haben die Züchter von Norika ins Visier genommen: den Kartoffelkrebs. Der Pilz Synchytrium endobioticum führt zu verheerenden Wucherungen an der Kartoffelpflanze und breitet sich rasant aus. „Dass sich der Kartoffelkrebs so schnell ausbreitet, ist leider das Ergebnis zu enger Fruchtfolgen im Anbau“, sagt Muders. Das Problem: eine chemische Bekämpfung des Erregers ist nicht verfügbar. Die Hoffnungen der Pflanzenzüchter liegen daher auf in der Natur existierenden resistenten Sorten. Derzeit sind die Forscher von Norika dabei, mithilfe ihrer Marker nach den genetischen Ursachen dieser Krebsresistenz zu fahnden.
Autor: Philipp Graf