„Den gesellschaftlichen Wandel mit einer nachhaltigen Bioökonomie vorantreiben“
Daniela ThränBeruf: Ingenieurin für Technischen Umweltschutz; Systemwissenschaftlerin
Position: Leiterin des Departments Bioenergie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig; Bereichsleiterin Bioenergiesysteme am Deutschen Biomasseforschungszentrum – DBFZ; Co-Vorsitzende des Bioökonomierates (BÖR)
Beruf: Ingenieurin für Technischen Umweltschutz; Systemwissenschaftlerin
Position: Leiterin des Departments Bioenergie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig; Bereichsleiterin Bioenergiesysteme am Deutschen Biomasseforschungszentrum – DBFZ; Co-Vorsitzende des Bioökonomierates (BÖR)
Daniela Thrän ist Co-Vorsitzende des Bioökonomierats. Im Interview geht die Leipziger Helmholtz-Forscherin auf zentrale Punkte des kürzlich veröffentlichten ersten Arbeitspapiers des Beratungsgremiums für die Bundesregierung ein.
Der seit Ende 2020 berufene Bioökonomierat (BÖR) – ein 20-köpfiges unabhängiges Beratungsgremium für die Bundesregierung – hat Anfang Februar 2022 zum sechsten Mal getagt und sein erstes Arbeitspapier veröffentlicht. Die Staatssekretärinnen Manuela Rottmann (BMEL) und Judith Pirscher (BMBF) nahmen das Papier in Empfang. Das Arbeitspapier "Bioökonomie: Gemeinsam eine nachhaltige Zukunft gestalten" steckt den Rahmen für die Arbeit des BÖR, zeigt erste Handlungsfelder und Orientierungspunkte auf und benennt erste konkrete Themen. Im Interview erläutert die Co-Vorsitzende des Bioökonomierats, die Leipziger Systemwissenschaftlerin Daniela Thrän, die wichtigsten Punkte.
In dem Arbeitspapier gehen Sie auf die unterschiedlichen Verständnisse von Bioökonomie ein. Welche sind das und was bedeutet es für Ihre Arbeit als Bioökonomierat?
Das Verständnis über die Bioökonomie hat sich in den letzten – sagen wir 15 Jahren – stark verändert. Ging es zu Beginn fast ausschließlich um die Branchen, die Biomasse erzeugt und verarbeitet haben, so wird der Begriff heute viel weiter gefasst. Mittlerweile geht es darum, eine biologische Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise und zukunftsfähigen Gesellschaft zu begleiten. Grundsätzlich gehören alle Branchen, die biogene Ressourcen erzeugen und nutzen und solche, die biologisches Wissen nutzen, zur Bioökonomie. Entsprechend breit ist auch das Feld der Bioökonomie in der Umsetzung. Stichworte sind hier Kreislaufwirtschaft, Wertschöpfungsnetzwerke, aber auch biointelligente Systeme und soziale Innovationen. Damit sind die Erwartungen an die Bioökonomie immer größer geworden und gleichzeitig hat die Unschärfe des Begriffs zugenommen. Im dritten BÖR, der im Dezember 2020 berufen wurde, haben wir uns darauf verständigt, dass es wichtig ist, diese Unschärfe in den verschiedenen Strategien und Definitionen zuzulassen und anzuerkennen. Wir wollen Schnittmengen, Differenzen oder Widersprüche benennen, um auf dieser Basis inhaltlich kohärente Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Bioökonomie zu erarbeiten.
Im Rahmen der Nationalen Bioökonomiestrategie hat der BÖR die Aufgabe erhalten, seine Handlungsempfehlungen in einem partizipativen Prozess zu entwerfen, zudem dabei mitzuhelfen, die Bioökonomie breit in der Gesellschaft zu verankern. Wie wollen Sie Dialog und Partizipation gestalten? Aufbauend auf bisherigen Erfahrungen: Welche Formate wollen Sie dafür einsetzen?
Der BÖR ist ein interdisziplinär zusammengesetzter Beirat, der die Aufgabe erhalten hat, mit seiner fachlichen Expertise Empfehlungen für die Umsetzung der Nationalen Bioökonomiestrategie zu erarbeiten. Um diese Empfehlungen zu erarbeiten, haben wir uns ein transparentes Vorgehen gegeben. Darin ist sowohl nahvollziehbar, wie wir zu Themenschwerpunkten kommen, als auch, wie wir diese bearbeiten wollen. Der Dialog mit Beteiligung von Fachleuten an unseren thematischen Handlungsempfehlungen stellt dabei ein wichtiges Element dar. Die Fragestellung der Partizipation ist komplexer. Daher sind wir hier noch dabei, die Rollen zu definieren: Ergebnisse aus Forschungsvorhaben zu Dialog- und Partizipationsprozessen in unterschiedlichen thematischen Ausrichtungen liegen vor. Diese wollen wir auswerten und auf Fragestellungen der Bioökonomie anpassen. Welche konkreten Formate sich eignen und wie genau ein partizipativer Prozess in der Bioökonomie aussehen sollte, werden wir bis zu unserem Bioökonomie-Forum im September klarer fassen. Wir prüfen beispielsweise die Empfehlung zur Einrichtung eines Bürgerrats, bei dem vergleichbar zum Bürgerrat Klima, Bürgerinnen und Bürger an der Suche nach nachhaltigen Lösungen beteiligt werden könnten. Ungeachtet dessen werden wir den Dialog mit verschiedenen Akteuren auf Veranstaltungen und im Rahmen von Workshops vorantreiben und in die Öffentlichkeit tragen. Damit wollen wir insbesondere die Akzeptanz für nachhaltige technische und soziale Lösungen, die uns unabhängiger von fossilen Rohstoffen machen, steigern.
Welche Orientierungspunkte/Handlungsfelder haben sich im Rat herauskristallisiert?
Wenn wir eine biologische Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft erreichen wollen, bewegen wir uns selbstverständlich nicht im luftleeren Raum. Die Bioökonomie muss sich im normativen Rahmen bewegen und die nationalen, europäischen und internationalen Ziele berücksichtigen. Neben den relevanten Gesetzen zu Klimaschutz, Biodiversität, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, spielen auch strategische Ziele und Konzepte wie die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, der European Green Deal oder die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN eine wesentliche Rolle. Wenn wir eine nachhaltige Bioökonomie vorantreiben wollen, müssen unsere Handlungsempfehlungen in diesem Rahmen passfähig sein.
Im Herbst 2021 haben wir im Bioökonomierat mit einem internen Strategieprozess begonnen, mit dem wir einen Konsens über die relevanten und prioritär zu bearbeitenden Handlungsfelder geschaffen haben. Die drängendsten Aufgaben sehen wir insbesondere in vier Bereichen:
1. Nachhaltige Land- und Flächennutzung
2. Maßnahmen und Innovationen zur Reduzierung von Treibhausgasen
3. Stabile Rahmenbedingungen für Innovationen in der Bioökonomie
4. Die Rohstoffwende
Diese vier Handlungsfelder verstehen wir als übergeordnete Bereiche, die eine Vielzahl an Ansatzpunkten und komplexen Fragestellungen beinhalten. Bei der Landnutzung kann dies beispielsweise die Diversifizierung der Landbewirtschaftung mit dem Ziel sein, dass bei der Produktion von Nahrungsmitteln und Biomasse für die stoffliche und energetische Nutzung gleichzeitig auch Biodiversität erhalten bleibt und Kohlenstoff im Boden gespeichert wird.
Welche inhaltlichen Themenschwerpunkte wollen Sie setzen, wenn es um politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen auf dem Weg in eine Bioökonomie geht?
In unserem Strategieprozess haben wir uns die vorher erwähnten Handlungsfelder genauer angeschaut und begonnen mit Themen zu unterfüttern, bei denen wir der Ansicht sind, dass entweder sehr schnell Maßnahmen ergriffen werden müssen oder bei denen möglicherweise einfache und schnell wirkende Stellschrauben große positive Effekte haben könnten. Gerade wenn es um Innovationsförderung, externe Kosten oder Governance geht, erscheint es uns sinnvoll, die Steuerung oder auch Fehlsteuerung an konkreten Beispielen zu verdeutlichen. Wir schauen uns etwa den forstwirtschaftlichen Anbau, die Produktion von Gütern wie Möbel, Papier oder Plattformchemikalien aus Holz, die Kaskadennutzung und Wertschöpfungsnetze an. Von der Seite der Innovationen kann beleuchtet werden, wo genau Hemmnisse oder Finanzierungslücken liegen. Auch die politischen Vorgaben können auf ihre Kohärenz untersucht und gegebenenfalls Fehlsteuerungen aufgezeigt werden. Wenn wir die Landnutzung im forstwirtschaftlichen Bereich unter die Lupe nehmen, können wir gegebenenfalls Empfehlungen erarbeiten, wie eine Bepreisung aussehen müsste, die die Ökosystemleistungen mitberücksichtigt.
Entscheidende Punkte für das Gelingen einer biologischen Transformation sind das Schließen von Stoffkreisläufen und das Einrichten von Wertschöpfungsnetzen. Der Abfall des einen muss zum Rohstoff des anderen werden, so dass es langfristig keinen kohlenstoffhaltigen Abfall mehr gibt. Um dies in der Produktion zu implementieren, bedarf es genauso der Eigeninitiative der Unternehmen wie der gezielten politischen Steuerung. Welches hier die richtigen Wege sind, werden wir im Rat ausführlich diskutieren.
Welche ersten Themenschwerpunkte bearbeitet der Bioökonomierat derzeit und wie werden Sie diese ausgestalten?
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis zu unserem Bioökonomie-Forum, das im September 2022 in Berlin stattfinden wird, erste Ergebnisse in ausgewählten Themen zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Das Kernthema ist sicherlich die soziale, gesellschaftliche und industrielle Transformation. Hier werden wir nur Teilaspekte genauer beleuchten können und sind gerade dabei, eine Fokussierung vorzunehmen. Die Frage der Landnutzung habe ich bereits angesprochen. Hier wollen wir uns detaillierter damit beschäftigen, wie und unter welchen Bedingungen eine Diversifizierung der Landbewirtschaftung unter Berücksichtigung von Aspekten wie der Biodiversität und weiterer Ökosystemleistungen gestaltet werden kann.
Ein zentrales und globales Anliegen ist – mehr denn je – die Ernährungssicherung. Hier wollen wir uns mit dem möglichen Nutzen alternativer Proteinquellen und der biotechnischen Produktion beschäftigen. Hierzu gehört auch der Blick über den deutschen Tellerrand hinaus, wenn es um Innovationen geht.
Interview: Philipp Graf