„Nachhaltige Bioökonomie gelingt nur mit Beteiligung der Gesellschaft“
Iris LewandowskiBeruf:
promovierte Agrarforscherin
Position:
Co-Vorsitzende des Bioökonomierates; Leiterin des Fachgebietes „Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie“ und Chief Bioeconomy Officer (CBO) an der Universität Hohenheim sowie Sprecherin der European Bioeconomy University (EBU)
Beruf:
promovierte Agrarforscherin
Position:
Co-Vorsitzende des Bioökonomierates; Leiterin des Fachgebietes „Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie“ und Chief Bioeconomy Officer (CBO) an der Universität Hohenheim sowie Sprecherin der European Bioeconomy University (EBU)
Als Co-Vorsitzende des neuen Bioökonomierates der Bundesregierung möchte Iris Lewandowski die öffentliche Debatte zum Thema biobasiertes Wirtschaften stärken. Die Agrarwissenschaftlerin der Universität Hohenheim setzt sich für eine moderne sowie ökologisch verträgliche Landwirtschaft ein.
Seit Ende des vergangenen Jahres hat Deutschland wieder einen Bioökonomierat. Das 20-köpfige Fachgremium wählte die Hohenheimer Agrarforscherin Iris Lewandowski gemeinsam mit Daniela Thrän zu seinen Vorsitzenden. Im Interview spricht Iris Lewandowski über erste Themenschwerpunkte des Rates, über die Vernetzung auf internationaler Ebene, die Hochschulausbildung und persönliche Highlights des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.
Beim Blick auf die Besetzung: Was zeichnet den neuen Bioökonomierat aus?
Der neue Bioökonomierat, oder auch BÖR III, soll die Umsetzung der Nationalen Bioökonomiestrategie unterstützen. Entsprechend werden hierbei Expertinnen und Experten benötigt, die das fachliche Wissen haben, um die Bundesregierung hinsichtlich geeigneter Technologien und Entwicklungspfade zu beraten. Auf der anderen Seite muss die Entwicklung der Bioökonomie innerhalb der planetaren Grenzen, das heißt ökologisch verträglich, gestaltet werden, weshalb auch ökologische Expertise im BÖR III vertreten ist. Des Weiteren ist mehr als in früheren Räten die Zivilgesellschaft vertreten, da eine konkrete Nachhaltigkeitsstrategie, als welche ich die Bioökonomiestrategie verstehe, nicht ohne die Beteiligung der Gesellschaft gelingt. Wir haben damit eine vielfältige Besetzung im BÖR III, sodass in die Diskussion alle Facetten einer nachhaltigen Bioökonomie eingebracht werden können.
Welche thematischen Schwerpunkte will der Bioökonomierat in den kommenden Monaten setzen?
Es gibt einen ganzen Themenkanon, den wir als relevant für unsere Arbeit erachten. Unter anderem beschäftigen wir uns mit der Frage, wie ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten – die ja sehr unterschiedliche Perspektiven mitbringen – von einer nachhaltigen Bioökonomie aussehen kann. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Nachhaltigkeit der Versorgung mit biogenen Ressourcen. Diese muss so erfolgen, dass sie ökologisch, aber auch sozial verträglich ist. Das heißt, wir wollen die Versorgung mit biogenen Rostoffen sichern, ohne in Konkurrenz zur Versorgung mit Nahrungsmitteln zu treten. Außerdem gelten faire Produktionsbedingungen auch für Drittländer. Innovationen können und sollen die Umsetzung einer nachhaltigen Bioökonomie vorantreiben. Dabei wird es einerseits darum gehen, die richtigen Entscheidungen bei der Auswahl zukunftsfähiger Technologiepfade zu treffen. Weiterhin benötigen wir eine Akzeptanz hierfür in der Gesellschaft. Der Erfolg der Umsetzung der Bioökonomie wird auch maßgeblich davon abhängen, inwieweit die vorgeschlagenen Maßnahmen politisch unterstützt und durch geeignete Rahmenbedingungen angeleitet werden. Darum werden wir uns auch in der Ratsarbeit damit beschäftigen, wie diese zielführend gestaltet werden können.
Welche Themenkomplexe liegen Ihnen persönlich besonders am Herzen?
Als Agrarwissenschaftlerin ist es mir besonders wichtig, dass wir eine ökologisch verträgliche Landwirtschaft haben, die jetzt und in Zukunft die wachsende Bevölkerung mit ausreichend gesunden Nahrungsmitteln versorgen kann. Außerdem sollte eine nachhaltige Landwirtschaft so gestaltet werden, dass sie einen Beitrag zur Versorgung mit biogenen Rohstoffen gewährleisten, gleichzeitig verschiedene Ökosystemfunktionen bedienen und einen Beitrag zum Klimaschutz liefern kann. Dabei ist es mir ein besonderes Anliegen, den Menschen ein Verständnis für die Relevanz der Landwirtschaft zu vermitteln. Ich denke, wir werden zukünftig eine moderne Landwirtschaft brauchen, in der wir die Technologien einsetzen, die uns helfen können, auch unter Bedingungen des Klimawandels ausreichend gesunde Lebensmittel und biogene Rohstoffe zu erzeugen und dabei gleichzeitig unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten.
Welche Rolle werden die UN-Nachhaltigkeitsziele und internationale Kooperationen in der Beratungsarbeit des Gremiums spielen?
Die UN-Nachhaltigkeitsziele leiten unsere Arbeit maßgebend an, denn letztlich verstehen wir die Bioökonomie als einen wichtigen Baustein zur Gestaltung eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems und für eine nachhaltige Zukunft. Hierbei muss eine Bioökonomie immer regional umgesetzt werden. Das ist aber eine globale Aufgabe, die nur mit Kommunikation und Kooperation auf internationaler Ebene gelingen kann. Darum setzen wir neben offiziellen Gesprächen auf politischer Ebene auch auf die informellere Initiative IACGB (International Advisory Council on Global Bioeconomy). Sie ist eine Art internationaler Thinktank von Bioökonomie-Experten, Politikberatern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Mit Unterstützung der IACGB und von Deutschland finanziert wurde schon dreimal der Global Bioeconomy Summit (GBS) ausgerichtet. Der GBS ist ein wichtiges Forum für den internationalen Austausch zur nachhaltigen Bioökonomie. Das nächste Mal soll er im Jahr 2023 stattfinden, dann in Partnerschaft mit weiteren Ländern.
Die Nationale Bioökonomiestrategie formuliert als eine Aufgabe des Bioökonomierates die Förderung öffentlicher Debatten unter breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft. Gibt es bereits erste Pläne in diese Richtung?
Die öffentliche Debatte aufzunehmen, ist eine unserer ersten Aufgaben, nachdem der Bioökonomierat seit Juni 2021 eine Geschäftsstelle hat. Sie wird uns unterstützen, geeignete Formate hierfür zu finden. Als eines der ersten Formate planen wir ein Bioökonomie-Forum, welches in der ersten Hälfte des nächsten Jahres stattfinden soll. Außerdem werden wir uns mit anderen Räten, die zu relevanten Themen der Bioökonomie wie Nachhaltigkeit oder Biodiversität arbeiten, austauschen. Denn letztlich geht es ja darum, eine kohärente Strategie zur weiteren nachhaltigen Entwicklung in Deutschland zu haben. Wir hoffen zukünftig auch, Formate zu finden, durch die eine Beteiligung der Zivilgesellschaft möglich ist, aus der wir gemeinsam lernen und einen Weg zur nachhaltigen Entwicklung finden können.
Als Chief Bioeconomy Officer an der Universität Hohenheim sind Sie nah dran an der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Wie kommen die Bioökonomie-Studiengänge bei den Studierenden an? Wo sind die ersten Absolventen gelandet?
Neben einem internationalen Masterstudiengang „Bioeconomy“ haben wir an der Universität Hohenheim viele Bachelor- und Master-Studiengänge, die thematisch auf die Bioökonomie abzielen. Dazu gehören beispielsweise Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergie, Erdsystemwissenschaften, Agrarwissenschaften und Lebensmitteltechnologie. Welchen Studiengang die Studierenden wählen, hängt jeweils davon ab, ob sie sich vertieft einer Disziplin innerhalb der Bioökonomie widmen wollen, oder ob sie einen interdisziplinären Studiengang wie Bioeconomy bevorzugen. Bei allen Studiengängen geht es aber darum, Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, wie Klimawandel, nachhaltiger Umgang mit natürlichen Ressourcen und Ernährungssicherung zu finden. Für diese Themen interessieren sich vor allem Studierende, die an der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft mitwirken wollen. Die Aufgaben sind hierbei sehr vielfältig wie die Profile und Jobs, in die unsere Absolventen und Absolventinnen starten. Viele werden von den Nachhaltigkeitsabteilungen von Unternehmen angeheuert, andere für das Management von Projekten oder zur Entwicklung biobasierter Produkte eingestellt. Einige Absolventen gehen aber auch zu nationalen oder internationalen Forschungseinrichtungen und Institutionen, andere wiederum gründen ihre eigenen Start-ups.
Wissenschaftsjahr Bioökonomie – beobachten Sie, dass das manchmal abstrakte Thema Bioökonomie ankommt? Was sind Ihre persönlichen Highlights aus dem Wissenschaftsjahr?
Das Thema Bioökonomie bleibt für die meisten so lange abstrakt, bis wir ihnen ein praktisches Beispiel zeigen, wie zum Beispiel einen biobasierten Nylonstrumpf, der aus Plattformchemikalien gemacht wurde, die in einer Bioraffinerie entstanden sind. Zu den Highlights des Wissenschaftsjahres gehören daher für mich alle Aktivitäten, die es ermöglichen, die Bioökonomie begreifbar zu machen, wie zum Beispiel die Bioökonomie-Ausstellungen im Futurium in Berlin oder auf dem Forschungsschiff MS-Wissenschaft, welche die Ausstellung in verschiedene Städte bringt. Auch die Ausschreibungen für studentische Projekte fand ich sehr gut, denn die jungen Leute haben kreative Ideen entwickelt, wie die Bioökonomie erklärt und gezeigt werden kann – zum Beispiel indem sie künstlerisch dargestellt wird.
Mein persönliches Highlight ist das von der Universität Hohenheim mitorganisierte Bioeconomy Camp, bei dem junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der gesamten Republik Ende September in kreativer Real-Labor-Atmosphäre zusammenkommen. Vertreten sein werden fast 100 verschiedene Forschungsfelder, die die Forschungslandschaft der Bioökonomie in ihrer Vielschichtigkeit sehr gut abbilden. Hier sollen Forschungsideen für eine nachhaltige Zukunft Gestalt annehmen und dialogische Wissenschaftskommunikationsformate erarbeitet werden, vor allem mit Zielgruppen von außerhalb der Wissenschaft.
Interview: Beatrix Boldt/Philipp Graf