Nachhaltiges Wirtschaften ist eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, angefangen von der sparsamen Verwendung von Ressourcen bis zu abfallvermeidenden Herstellungsmethoden. Bereits im Jahr 2000 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) deshalb den Förderschwerpunkt „Nachhaltige BioProduktion" eingerichtet. Bis 2008 sind 50 Millionen Euro in Projekte geflossen, die umweltschonende Herstellungsideen für die Industrie entwickeln. In Münster versucht Dirk Prüfer aus kasachischen Löwenzahn Gummi zu gewinnen.
Von Kindern als Pusteblume gefeiert, von Kleingartenbesitzern hingegen als Unkraut verteufelt. Doch wie die persönliche Neigung auch ausfallen mag, wohl kaum einer würde erwarten, dass im Löwenzahn ein wichtiger Rohstoff steckt: Gummi. Autoreifen, Dichtungen, Kondome oder Schnuller – die Vielfalt an möglichen Produkten, die aus dem Milchsaft der Pflanze hergestellt werden könnten ist groß, und das Interesse namhafter Industriekonzerne wächst. „Im Garten will ihn keiner haben, aber an den Saft wollen gerade alle", sagt Dirk Prüfer und lacht. An der Universität Münster forscht er schon seit Jahren an der Pflanze. Besonders Löwenzahn aus Kasachstan hat es ihm angetan: Die von dort stammende Art Taraxacum kok-saghyz sieht ihrem deutschen Verwandten sehr ähnlich, liefert aber deutlich mehr Saft: etwa 1 Milliliter pro Pflanze. Üblicherweise wird Naturkautschuk aus dem Gummibaum (Hevea brasiliensis) gewonnen – vor allem in Südostasien. Die dortigen Plantagen werden allerdings zunehmend durch eine Pilzerkrankung bedroht – die South-American Leaf Blight. Hinzu kommt, das schnell wachsende Märkte wie China oder Indien die Nachfrage und somit den Handelspreis in die Höhe schrauben. Auch die chemische Synthese aus Erdöl ist wegen des volatilen Ölpreises unsicher und teuer geworden. Aus diesem Grund suchen Hersteller seit Jahren nach alternativen Quellen für Kautschuk.
Löwenzahn liefert Gummi
Die Idee, Löwenzahn zur Gummiproduktion zu verwenden, ist nicht neu. „Russischer Löwenzahn wurde schon während des zweiten Weltkriegs genutzt, von Russland, den USA und auch von den deutschen Nationalsozialisten", weiß Prüfer. Rund um das Konzentrationslager Auschwitz gab es große Felder; etliche der KZ-Häftlinge mussten in einer 1942 eingerichteten Forschungsstation für Pflanzenkautschuk Zwangsarbeit leisten. Als nach dem Kriegsende die Versorgung aus dem Ausland wieder sichergestellt war, schliefen die Forschungen allerdings ein.
Seit dem Jahr 2000 versuchen nun Wissenschaftler den Löwenzahn als Gummilieferant fit für die Industrie zu machen. Unter dem Dach des Verbundprojekts BioSysPro (Neue Enzyme und Verfahren zur Herstellung von biobasierten Produkten durch Integration von biotechnologischen und chemischen Verfahren) begannen die Forscher der Universität Münster, des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie in Pfinztal sowie des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Aachen nach Wegen zu suchen, um den Saft der Pflanze zu nutzen. BioSysPro war eines von mehreren Projekten im Förderschwerpunkt „Nachhaltige BioProduktion", den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von 2000 bis 2008 mit insgesamt 50 Millionen Euro unterstützt hat. Auch von Seiten der Europäischen Union wurde das Vorhaben gefördert. Im Rahmen des Projekts "EU-PEARLS" (EU-based Production and Exploitation of Alternative Rubber and Latex Sources) profitierten Prüfer und sein Team vom Institut für Biochemie und Biotechnologie der Pflanzen von knapp 700.000 Euro Förderung.
Im Gewächshaus der Universität Münster gedeiht russischer Gentechnik-Löwenzahn.
Blutende Pflanzen durch Gentechnik
Und ihre Forschung erzielt Erfolge. Bereits vor einigen Jahren konnten die Wissenschaftler zeigen, dass der Löwenzahn-Gummi das gleiche Molekulargewicht und die gleiche Elastizität wie der Kautschuk vom Gummibaum aufweist und sich deshalb ähnlich verarbeiten lässt. Allerdings standen sie auch bald vor einem entscheidenden Problem: der Pflanzensaft wird sofort zäh und verfärbt sich braun sobald er mit Luft in Berührung kommt, möglicherweise ein Schutz gegen Fressfeinde: Insekten, die sich an den Blättern versuchen, bezahlen das mit verklebten Kauwerkzeugen. Für die industrielle Verarbeitung muss der Kautschuk flüssig bleiben. Das Team um Prüfer hat das Enzym identifiziert, das für die Verklebung verantwortlich ist: Polyphenoloxidase (PPO). Mit einem gentechnischen Eingriff konnten die Forscher das verantwortliche Gen ausschalten. Wird kein PPO gebildet, läuft die Milch aus angeritzten Pflanzen ungehindert heraus. Die Forscher sprechen in diesem Fall von „blutendem Löwenzahn". „Wir haben einen derart modifizierten Löwenzahn hier im Gewächshaus stehen", sagt Prüfer.In dieser Folge der Kreidezeit erklären wir, was sich hinter dem Begriff Mutagenese verbirgt.Quelle: biotechnologie.tv An einen flächendeckenden Anbau einer gentechnisch veränderten Pflanze unter freiem Himmel ist in Deutschland aber vorerst nicht zu denken, das ist nämlich verboten. Auch die großen Konzerne aus der Reifenherstellung oder Gesundheitsbranche äußern Bedenken – sie fürchten um ihren Ruf. „Ich kann das auch verstehen: Die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen ist gering und die Angst ist groß", so der Molekularbiologe. Aus rein wissenschaftlicher Sichtweise sähe er da keine Probleme. Der Gentechnik-Löwenzahn bleibt deshalb im abgeschlossenen Gewächshaus der Universität Münster, dient aber weiter der Forschung. Der Löwenzahn wurde genetisch so verändert, dass sein kautschukhaltiger Saft an der Luft nicht gerinnt.
Mutagenese: ein Schrotschuss ins Genom
Infolgedessen setzt Prüfer auf eine andere, konventionelle Strategie: „blutender" Löwenzahn durch Mutagenese. Dabei werden erbgutverändernde Chemikalien wie etwa Ethylmethansulfonat auf die Pflanzen gegeben. So soll das PPO-Gen durch Mutationen ausgeschalten werden. Das Problem: Die Mutationen treten völlig willkürlich und ungezielt auf. „Ein Schrotschuss ins Genom", nennt Prüfer das Verfahren „Je nach Lage im Chromosom werden manche Gene häufig getroffen, andere Gene hingegen nur sehr selten – das ist reine Glücksache." Erst eine DNA-Sequenzierung im Hochdurchsatzverfahren klärt auf, wo die Chemikalie gewirkt hat. Beim PPO-Gen haben die Forscher offenbar Glück, es scheint für das Mutagen gut zugänglich im Genom zu liegen: „Die Werte sehen vernünftig aus, wir haben mithilfe der Mutagenese wirklich „blutende" Pflanzen erzeugt", so Prüfer.
Gummi für die Straße
Mittlerweile sind den Forschern alle für die Kautschuk-Produktion relevanten Gene bekannt. Einige davon sind verantwortlich für die molekulare Kettenlänge des Gummis. Diese ist entscheidend für die spätere Verarbeitung. „Eine Kettenlänge von unter 106 ist für viele Firmen und ihre Produkte nicht zu gebrauchen, wohingegen die Reifenhersteller oft einen Mix aus kurz- und langkettigem Kautschuk wünschen, um ihre ganz individuelle, geheime Gummimischung herzustellen", erzählt Prüfer. Mithilfe von Enzymen wollen die Wissenschaftler daher versuchen, die Kettenlänge nach Bedarf zu modellieren. Der Automobilzulieferer Continental hat diese Forschungsergebnisse aufgegriffen und engagiert sich für deren Weiterentwicklung. Das Unternehmen gehört zu einem Konsortium aus Forschungsinstituten und Industriepartnern, das die Idee zur Marktreife führen will.
Autor: Timo Kern