Nicht alle wollen den bioökonomischen Wandel

Nicht alle wollen den bioökonomischen Wandel

Ein Forschungsprojekt untersucht Mentalitäten sowie deren Hintergründe und Konsequenzen in Bezug auf die ökologisch-soziale Transformation.

Hügellandschaft mit Olivenanbau
Der Olivenanbau in Spanien ist eine der Fallstudien im Forschungsprojekt Flumen.

Bioökonomie und der Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise: Das klingt für die meisten Leute zunächst nach jeder Menge Forschung, Technik und Geschäftsmodellen. Dennis Eversberg hingegen denkt dabei zuerst an Menschen und Mentalitäten. Eversberg ist Soziologe an der Universität Jena und leitet das Forschungsprojekt „Mentalitäten im Fluss – Vorstellungswelten in modernen bio-kreislaufbasierten Gesellschaften“. Dessen Ziel ist es zu verstehen, welche Haltungen der Menschen es zur Bioökonomie gibt und was das für die Entwicklung der Bioökonomie bedeutet.

Ist die Bioökonomie eine Wachstumsökonomie?

„Ich habe vorher lange zu Postwachstums-Gesellschaften gearbeitet und mich mit den Problemen beschäftigt, die jetzt immer stärker in den Vordergrund treten“, erläutert Eversberg seine Motivation für das Projekt. Dabei denkt er an die ökologische Nicht-Nachhaltigkeit, mit der Gesellschaften operieren, sowie an soziale Ungleichheiten und Spannungen, die daran hängen. „Für mich ist spannend, was unter dem Begriff sozial-ökologische Transformation verhandelt wird und welche Konflikte sich darum ergeben“, sagt der Forscher. Teile der Bevölkerung seien sehr aufgeschlossen, andere reserviert oder sogar dagegen – was zu selten thematisiert werde. „Außerdem schauen wir, was die Leute wirklich machen, die Muster ihrer Alltagspraxis. Wie stark müsste man sich eigentlich anpassen, wenn es zum großen Wandel kommt?“

Doch da geht es mit den Konflikten schon los: Selbst innerhalb der Bioökonomiedebatte ist umstritten, wie viel sich überhaupt am alltäglichen Leben ändern muss. Und ist die Bioökonomie eigentlich eine Wachstumsökonomie? „Selbst wenn man sagt, die Bioökonomie müsse eine größere Rolle spielen und wachsen anstelle anderer Dinge, die aufhören müssen – wie fossile Energien: Bedeutet das noch Wachstum oder müssen wir uns trotzdem von der Logik der permanenten Ausweitung wirtschaftlicher Tätigkeit verabschieden?“, fragt Eversberg.

Weil sich all diese Fragen nicht mit rein quantitativen, aber auch nicht mit rein qualitativen Methoden beantworten lassen, hat das Projektteam sich für einen kombinierten Ansatz entschieden und auch den Vergleich mit historischen Analogien einbezogen. Deshalb ist das Projekt dreigeteilt.

Fallstudien, historischer Vergleich und eine Repräsentativbefragung

Im ersten Teil erstellen die Forschenden mehrere Fallstudien aus der Bioökonomie in Europa. Eher klassisch ist der Fall der finnischen Holzindustrie, die in ihrem Land der Pfeiler der Bioökonomie ist, neue Technologien entwickelt und anwendet. In Spanien schauen die Forschenden auf eine Region, die vom Olivenanbau dominiert ist. Die extensive Ausweitung des Anbaus stößt dort an Grenzen, doch ein intensiverer Anbau hätte Wasserkonflikte zur Folge. In Estland betrachtet das Projekt die Semisubsistenzlandwirtschaft in Form von Kleingärten. Für viele Menschen dort haben die Gärten eine zentrale Rolle dabei, den Lebensunterhalt zu bestreiten, insbesondere für die russische Minderheit im Osten des Landes. Der Fall beinhaltet daher auch ethnische und aktuell politische Spannungen. Nicht zuletzt studiert das Team Bioenergiedörfer in Deutschland. Worum streiten sich die Menschen, wenn Akteure vorschlagen, mit den Ressourcen vor Ort die eigene Energieversorgung selbst in die Hand zu nehmen? Was sind Vorbehalte und Voraussetzungen für einen Erfolg?

In einem weiteren Projektteil bearbeiten die Forschenden die Literatur zu einer analogen und doch entgegengesetzten historischen Entwicklung: Dem Wandel hin zu einer fossilen Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Wie ging damals der Wandel der Mentalitäten vor sich? „Wenn eine Mentalität an die Nutzung bestimmter Ressourcen gebunden ist und abgelöst wird durch neue Ressourcen und neue Mentalitäten – was passiert da?“, möchten Eversberg und sein Team verstehen.

Beide Projektteile sind schließlich in einen dritten Teil eingeflossen: eine Repräsentativbefragung der deutschen Bevölkerung zur Bioökonomie. Wo stehen die Menschen entlang der Spannungslinien? Das soll die Studie quantifizieren. „Wir wollen unterschiedliche Lebensweisen identifizieren und wie diese sich zueinander verhalten und unterscheiden, wo Konflikte sind“, sagt der Projektleiter. Das Ziel sei es, systematische, empirisch fundierte Aussagen treffen zu können zur Bioökonomie.

Mentalitäten sind schwer zu verändern

Bislang deuten frühere Daten aus Studien bis 2018 darauf hin, dass zwei Drittel bis drei Viertel der Bevölkerung zustimmen, dass wir mehr im Einklang mit der Natur leben und weniger verbrauchen sollten. „Aber was verstehen die Leute darunter?“, schränkt Eversberg ein. „Das ist nicht die zentrale Motivation für zwei Drittel der Bevölkerung, sonst sähen Wahlergebnisse anders aus.“ Und da kommt wieder das Stichwort Mentalität ins Spiel. „Mentalität ist immer ein umfassendes Muster der Haltung zur Welt“, erläutert der Soziologe, nichts, das sich wie eine Meinung schon durch einen Zeitungsartikel verändern kann.

Im Detail finden sich in Eversbergs Analysen existierender Umfragen drei Gruppen von Mentalitäten: Ein Drittel der Menschen ist demnach überzeugt von der ökologisch-sozialen Transformation, dass diese sich nicht in technischen Lösungen erschöpft, sondern auch die alltägliche Lebensgestaltung sich ändern muss. Ein Viertel bis ein Fünftel der Menschen hat eine „fossile Mentalität“ und gehören zu dem was Eversberg „regressiv-autoritäres Lager“ nennt. Sie fühlen sich und ihren Wohlstand vom Wandel bedroht und wollen zurück in die 60er- bis 70er-Jahre, fossile Rohstoffe weiter ausbeuten für immer mehr Wohlstandswachstum. Die größte Gruppe ist mit 40% das liberal-steigerungsorientierte Lager: zumeist wohlsituierte Menschen, die zustimmen, dass wir nachhaltig wirtschaften müssen – aber nicht so, dass sich an ihrer Lebensweise etwas ändert. Hier ruht die Hoffnung auf technischen Lösungen. „Allerdings gibt es in dieser Gruppe innere Spannungen, auch solche Menschen, die sagen: Wenn es denn sein muss, dann müssen wir eben auch was an unserem Leben ändern“, erläutert Eversberg. „Ich bin gespannt auf unsere Daten dazu.“ Denn derzeit wertet das Team die inzwischen abgeschlossene Repräsentativbefragung mit 4.000 Teilnehmenden aus.

Güterzug mit Baumstämmen beladen
Die Holzwirtschaft in Finnland ist eine weitere Fallstudie im Forschungsprojekt Flumen.

Bioökonomie nicht ohne Sozialpolitik und Verteilungsfragen denkbar

Für den Soziologen stehen diese Daten natürlich in einem sozialen Kontext. „Die Einstellungen der Menschen sind nicht zufällig. Da gibt es statistisch sehr signifikante Zusammenhänge zwischen demografischen Merkmalen und Standpunkten“, weiß der Experte. Im regressiv-autoritären Lager seien häufig ältere, gebildete Menschen mit veralteter Qualifikation, die das Gefühl hätten, abgehängt zu sein mir ihrer Lebenserfahrung und ihrem Können, sowie ein Teil Unterprivilegierte. Das ökosoziale Lager seien vor allem Menschen, deren gesellschaftliche Lage sich auf Bildung stützt oder deren Arbeit darin besteht, Menschen zu unterstützen. „Wie ich auf Natur blicke und mit ihr umgehe, hat viel damit zu tun, wie ich aus langjähriger Lebenserfahrung gewohnt bin, mit anderen Menschen umzugehen“, beschreibt Eversberg.

Was folgt daraus für die Bioökoomie? „Oft wird gedacht, man müsse die Leute nur gut informieren, dann ändern sie ihre Meinung“, sagt Eversberg. „Aber eine Mentalität zu ändern ist viel schwieriger.“ Das Problem des Wandels liege nicht darin, dass er technisch schwer umzusetzen sei, sondern  viel stärker auf der Ebene von Mentalitäten und sozialen Verhältnissen. „Es macht einen großen Unterschied, ob jemand sozial abgesichert ist, wenn er seinen Job verliert, weil der ökologisch nicht mehr tragbar ist“, nennt der Forscher ein Beispiel. „Fragen sozialer Ungleichheit spielen da stark mit rein.“ Der Wandel könne daher nicht losgelöst von Sozialpolitik und Verteilungsfragen diskutiert werden. „Es geht in der Bioökonomie um ein Gesellschaftsmodell und um unterschiedliche Vorstellungen davon.“

Ergebnisse der Forschung öffentlich diskutieren

Bis Februar 2025 läuft das Projekt noch, das im März 2019 gestartet ist und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund 2,9 Mio. Euro gefördert wird. Bis zum Projektende sollen die Ergebnisse aus den Fallstudien mit den Menschen vor Ort diskutiert werden. Die zentralen Ergebnisse des gesamten Projekts wollen die Beteiligten für die breite Öffentlichkeit lesbar aufbereiten. „Und natürlich versuchen wir, uns in gesellschaftliche Debatten einzubringen“, sagt Eversberg, „wir gehen zu Podiumsdebatten, schreiben Blogposts oder Zeitungsartikel". Schließlich geht es ja, wie der Projekttitel schon sagt, um Mentalitäten im Fluss.

Autor: Björn Lohmann