Mit der „Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie“ hat die Bundesregierung den Weg geebnet und Förderprogramme aufgelegt, um die Entwicklung biobasierter Produkte voranzutreiben. Autos, die mit Biodiesel oder Bioethanol fahren, Kinderspielzeug und Plastiktüten aus Maisstärke sind nur einige Beispiele. Doch unproblematisch ist der Wandel von einer erdölbasierten hin zu einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft nicht. Vor allem auf dem Feld der Erneuerbaren Energien zeigte sich früh, dass etwa die zunehmende Verarbeitung von Palmöl, Mais oder Weizen zu Biokraftstoffen negative soziale Auswirkungen vor allem im Süden der Erdkugel hat.
Steigende Nahrungsmittelpreise treffen besonders die Armen; wachsende Plantagen zerstören nicht nur Wälder und verbrauchen viel Süßwasser, sondern verstärken auch die Verdrängung ländlicher Gruppen und die Konzentration von großen Landflächen auf einige Wenige. Wie auch die kürzlich erschienene WWF-Studie zum Palmöl unterstreicht, gilt es, die globalen Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels zur Bioökonomie im Blick zu behalten, um nationale Förderstrategien korrigieren zu können.
Nachwuchsforschergruppe in Jena
Die Auswirkungen der Bioökonomie auf globale soziale Ungleichheiten will in den kommenden fünf Jahren die Soziologin Maria Backhouse mit ihrer Nachwuchsforschergruppe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena speziell für den Energiesektor ausloten. „Wir gehen davon aus, dass keine gesellschaftlichen Veränderungen – das betrifft auch Technologieentwicklungen – im luftleeren Raum stattfinden. Vielmehr sind sie von sozialen Ungleichheitsverhältnissen von der globalen bis zur lokalen Ebene durchdrungen. Deshalb untersuchen wir, wie sich der Transformationsprozess zur Bioökonomie auf die ungleichen Nord-Süd-Verhältnisse im globalisierten Agrarsektor, aber auch auf die lokalen Arbeitsverhältnisse und Landzugangsrechte auswirkt. Konkret fragen wir: Wer profitiert und wer verliert?“, so Backhouse.
Das Projekt „Bioinequalities“ wird mit rund 2,6 Mio. Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Initiative „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ unterstützt.
Stellschraube zur gesellschaftlichen Transformation
„Der Energiesektor ist eine wichtige Stellschraube zur gesellschaftlichen Transformation und dementsprechend hart umkämpft“, sagt Backhouse. Es handele sich um einen Bereich, der demokratisch und gerecht gestaltet werden könne. „Umso wichtiger ist es aus einer globalen Ungleichheitsperspektive zu verstehen, welche sozialen Auswirkungen der aktuell wachsende Bioenergiesektor hat.“
Die promovierte Umweltsoziologin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Biokraftstoffpolitiken. Das Thema wurde in der Vergangenheit nicht nur hierzulande kontrovers diskutiert. Auch die Forschungsergebnisse variieren. Diese unterschiedlichen Ergebnisse wollen die Jenaer Nachwuchsforscher zunächst systematisch aus einer Ungleichheitsperspektive auswerten als Basis für die nachfolgende Feldarbeit.
Fallstudien auf drei Kontinenten
Grundlage der Untersuchung bilden Fallstudien zu Deutschland, Brasilien sowie Malaysia und Indonesien, die starke Player auf dem Bioenergiesektor sind und über jeweils eigene Bioökonomiestrategien verfügen. „Das sind regional verankerte Studien, die die Veränderungen von Arbeits- und Landzugangsverhältnissen untersuchen. Diese werden wir mit drei Studien zu globalen Nord-Süd-Zusammenhängen verzahnen. Darin geht es um politische Partizipation in Zertifizierungsinitiativen, um Technikentwicklung sowie Handel und Investitionen“.
Das Besondere: Das sechsköpfige Team blickt über Ländergrenzen hinweg. „Wir wollen nicht nur herausfinden, was auf lokaler Ebene passiert, sondern Regionen zusammendenken und ihr Wechselverhältnis zueinander im globalen Kontext verstehen lernen“, sagt Backhouse. Der Fahrplan der Forscherin: Die Beziehungen und Verflechtungen zwischen den Hauptproduktionsländern analysieren und mit den einzelnen Fallstudien zu Landzugangs- und Arbeitsverhältnissen verknüpfen.
Beitrag für den bioökonomischen Wandel
Wie haben sich beispielsweise in Brasilien, Malaysia und Indonesien die Landzugangs- und Arbeitsverhältnisse der Menschen sowie Handel und Investitionen durch den Palmölanbau verändert? Welche Wissens- und Technologiezentren sind dort entstanden, wie stehen die unterschiedlichen Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu Zertifizierungsinitiativen und inwieweit konkurrieren diese Länder bei der Technikentwicklung oder im Handel? So klar wie ihre Fragen definiert sind, ist auch das Ziel der Forscher. Backhouse: „Wir wollen mit unseren Ergebnissen einen Beitrag zur Gestaltung der Bioökonomie leisten.“
Autorin: Beatrix Boldt