Beste Bedingungen für Zellfabriken berechnen

Beste Bedingungen für Zellfabriken berechnen

Nur unter optimalen Bedingungen können Mikroben im Bioreaktor effizient wachsen. Hamburger Bioverfahrenstechniker entwickeln dafür smarte Computer-Modelle.

Um Mikroorganismen effizient in Bioreaktoren zu kultivieren, bedarf es optimaler Haltungsbedingungen. Bioverfahrenstechniker um Ralf Pörtner errechnen diese in komplexen Computer-Modellen.

In der Biotechnologie werden viele Stoffe aus Mikroorganismen als lebende Zellfabriken gewonnen. Um diese Produktionsorganismen auch im industriellen Maßstab so effizient wie möglich zu kultivieren, bedarf es oft langwieriger Versuchsreihen. Ralf Pörtner an der Technischen Universität Hamburg sowie weitere Kollegen aus Industrie und Forschung haben im Rahmen eines Forschungs-Verbundprojektes ein digitales Werkzeug zur Optimierung von biotechnologischen Prozessen entwickelt.

Biotechnologische Prozesse zugänglich machen

Die Digitalisierung schreitet voran und macht auch vor der Biotechnologie nicht halt. Um optimale Kultivierungsbedingungen für Mikrobenstämme zu ermitteln, setzen die Hamburger Biotechnologen zunehmend auf modellgestützte Prozessführungsstrategien. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat sie im Rahmen der Fördermaßnahme „BioIndustrie2021“ von 2012 bis 2015 mit insgesamt fast 420.000 Euro unterstützt. „Das Ziel ist es, biotechnologische Prozesse durch Modelle und auf Modellen basierenden Berechnungen zugänglich zu machen und zu optimieren“, sagt Pörtner. Anstelle langwieriger und aufwendiger Versuchsreihen im Labor sollen in Zukunft die optimalen Bedingungen basierend auf einigen wenigen Vortests am Computer errechnet und modelliert werden.

Kultivierungsbedingungen optimieren

„Wir haben mit Milchsäurebakterien als Modellorganismus gearbeitet, da diese vielseitig einsetzbar und vor allem für die Lebensmittelindustrie sehr interessant sind“, sagt Pörtner. 

In einem ersten Schritt wurden die Bakterien konventionell in einem einfachen Schüttelkolben kultiviert, um die Wachstumsbedingungen einzustellen und das Medium zu optimieren. „Basierend darauf haben wir dann erste kinetische Modelle aufgestellt, mit denen der Metabolismus der Organismen beschrieben werden kann“, erklärt Pörtner.

Besonderes Augenmerk der Wissenschaftler galt dabei dem Substratverbrauch, dem Wachstumstempo und Faktoren, die das Wachstum hemmen. Im nächsten Schritt wurde dann eine Strategie entwickelt, mit der der Bioprozess optimiert werden kann. „Basierend auf dem Berechnungsmodell haben wir einen Prozess entworfen und verfolgt, ob die Berechnungen mit den realen Organismen übereinstimmen“, sagt Pörtner.

Die Projektpartner im Überblick

BMBF-Verbundprojekt "Tools zur Prozessentwicklung für Fermentationen unter ungewöhnlichen Bedingungen"

Technische Universität Hamburg-Harburg
Hochschule Furtwangen;
Ingenieurbüro Dr.-Ing. Schoop GmbH (Hamburg)
medorex e.K. (Nörten-Hardenberg)
GALAB Laboratories GmbH (Hamburg)

Ständige Kontrolle in Echtzeit

Was aber, wenn die Mikroben sich dennoch anders verhalten als berechnet? Auch dafür haben Pörtner und Kollegen ein Modell parat: „Wenn die Organismen mal nicht so reagieren, wie errechnet, fangen wir das durch die OLFO-Strategie auf.“

OLFO steht hierbei für die „Open-Loop-Feedback-Optimal“-Strategie. Diese gleicht während der Kultivierung laufend ab, ob Vorhersage und Realität übereinstimmen. Ermittelt die OLFO-Strategie Unterschiede, wird der Kultivierungsverlauf sofort neu berechnet, um so den Wachstumsveränderungen der Zellen entgegenzuwirken. Dabei reagiert OLFO individuell auf jedes Anwendungsziel und jeden Bakterienstamm. „Am Ende der Berechnungen und der Prozessentwicklungen soll eine Art Rezeptur für jeden Stamm und jedes Anwendungsziel stehen, nach dem in Zukunft kultiviert werden kann“, erläutert Pörtner.

Die Arbeitsgruppe von Projektpartner Volker Hass, Professor an der Hochschule Furtwangen, übernahm hierfür einen Großteil der Programmierung und Modellierung. Um das Vorhaben anschließend auch auf industrielle Anwendungen übertragen zu können, entwickelte das Ingenieurbüro Schoop aus Hamburg Prozessleitsysteme für biotechnologische Prozesse.

Festbett-Bioreaktoren als Innovation

Der Bioreaktorhersteller medorex aus dem niedersächsischen Nörten-Hardenberg stellte wiederum sogenannte Festbettreaktoren zur Verfügung. In diesen Behältern sind die Produktionsorganismen auf Oberflächen immobilisiert. „Zusammen mit medorex haben wir diese Reaktoren für eine optimale Kultivierung weiterentwickelt. Bei optimalen Bedingungen kann so noch mehr Substrat gespart und die Kultivierung effizienter gestaltet werden“, sagt Pörtner.

Zudem stehen für Festbettsysteme bisher kaum Entwicklungswerkzeuge zur Verfügung. „In unserem Verbundprojekt haben wir ein kleines, kompaktes Festbettsystem entwickelt, in dem 12 verschiedene Zustände parallel untersucht werden können“, erläutert Pörtner. Der Clou: Da das Festbettsystem mit der modellgestützten Vorgehensweise kombiniert ist, können verschiedene Kultivierungsbedingungen auch hier bereits im Vorhinein durchmodelliert werden, um dann sehr viel gezielter einige ausgewählte Experimente in den Reaktoren durchzuführen.

Diese Festbettsysteme wurden bereits mit den zuvor erwähnten Milchsäureorganismen sowie mit Escherichia coli-Stämmen des Projektpartners GALAB Laboratories aus Hamburg erfolgreich getestet.

Software-Toolbox soll zukünftige Modellierungen vereinfachen

Pörtner und seinen Kollegen ist es somit gelungen, eine modellgestützte Optimierung von biotechnologischen Prozessen zu entwickeln. In der Industrie wird das Verfahren zwar noch nicht eingesetzt, diese Realisierung wird jedoch von der Firma Schoop angestrebt. Aufbauend auf diesem Projekt arbeiten Pörtner und Kollegen zudem im Rahmen der Fördermaßnahme „Neue Produkte für die Bioökonomie“ daran, eine umfassende Software-Toolbox zu etablieren, die die modellgestützte Optimierung solcher Kultivierungsprozesse in Zukunft noch weiter vereinfacht.

Autorin: Judith Reichel