Ein Drittel der Landesfläche Deutschlands ist von Wald bedeckt, EU-weit sind es sogar mehr als 40%. Echte Urwälder gibt es europaweit nur noch sehr wenige, selbst „naturbelassen“ sind in Deutschland lediglich rund 1% der Waldfläche. Dabei sind Wälder wichtige Orte der Artenvielfalt und binden das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid. Dass die Nutzung von Wäldern nachhaltig erfolgen kann – und das nicht nur um Holz zu gewinnen – haben inzwischen zahlreiche Projekte demonstriert. Sechs erfolgreiche Fallbeispiele aus biogeografisch unterschiedlichen Regionen Europas werden seit November 2017 im EU-Forschungsprojekt „InnoForESt“ für drei Jahre wissenschaftlich begleitet, um sie zu optimieren oder auszudehnen.
Stark praxisorientiert
Weil es sich um eine „Innovation Action“ handelt, ist das mit rund 4 Mio. Euro geförderte Projekt stark praxisorientiert: „Wissenschaft unterstützt Praxisakteure bei Innovationen“, fasst Projektkoordinator Carsten Mann von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde zusammen. „Wir schauen uns gute Beispiele an, wie die Ökosystemleistungen des Waldes besser gefördert werden können.“ Im Blick haben die Forscher dabei das ganze Spektrum von der CO2-Bindung und dem damit verbundenen Klimaschutz bis zur Gesundheitsförderung durch den Erholungswert. „Anders als Holz gibt es dafür keine monetären Werte“, erläutert Mann, „deshalb werden sie bei Management-Entscheidungen oft nicht gleichwertig berücksichtigt.“
Am Beispiel des Projektes „Waldaktie“ in Mecklenburg-Vorpommern schildert der Projektleiter die Arbeit des Konsortiums aus 16 Hauptpartnern. Die Idee dahinter ist schnell erklärt: Touristen kompensieren die CO2-Emissionen ihrer Reise durch eine freiwillige Abgabe, mit der dann ein Klimaschutzwald in der Region aufgeforstet und gepflegt wird. „Initiatoren waren Mitarbeiter aus dem Umweltministerium, dem Tourismusbüro und der Forstverwaltung“, erzählt Mann und verweist auf ein wesentliches Merkmal erfolgreicher Waldinnovationen: die Vernetzung unterschiedlicher Akteure. Das Projekt sei regional bereits sehr erfolgreich und inzwischen sind bereits 19 Klimawälder in allen Landesteilen entstanden. Dabei entsprechen zehn Euro einer „Waldaktie“ bzw. fünf Quadratmetern Klimaschutzwald.
Die kollektive Verwaltung von Ökosystemleistungen ist das Innoforest-Thema in Tschechien.
Es fehlen freie Flächen
Jetzt soll das Projekt zum einen landesweit ausgeweitet werden und muss zum anderen ein Hindernis überwinden: Es gibt in der Region kaum noch freie Flächen, die sich in öffentlicher Hand befinden und bepflanzt werden könnten. InnoForESt hat dazu in Workshops mit den Beteiligten wichtige Fragen analysiert: Was funktioniert gut, was ist hinderlich, wohin soll das Projekt in 20 Jahren führen? „Wir haben auch gefragt: Was bedeutet es, wenn es die Waldaktie in ganz Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus gibt – und wollen wir das?“ Wenn ja, geht es daran, eine Roadmap zu erstellen. Diese Methode, mit der die Wissenschaftler das Projekt evaluieren, entstammt ursprünglich der Technikfolgenabschätzung. „So können wir früh Chancen und Risiken finden“, betont der Projektkoordinator.
Interessant sei die Waldaktie, weil sie die Verantwortung für die Kosten der CO2-Emission den Verursachern überträgt und gleichzeitig den touristischen Anreiz setzt, im Folgejahr die Region erneut zu besuchen und zu schauen, wie sich der mitfinanzierte Klimaschutzwald entwickelt. „Ein wichtiger Mechanismus sind die Pflanzevents, an denen die Urlauber teilnehmen können. Dann geht es mit der ganzen Familie in den Wald und die Bäume werden gepflanzt“, nennt Mann ein Ergebnis der Auswertung. Auch die ausgegebenen Zertifikate seien ein wertvoller Anreiz, die Waldaktie zu erwerben. Für die Region ist die Aktion zugleich ein Vermarktungsargument, verringert die Erosion und fördert die Artenvielfalt und die Wasserqualität.
Lösungsansätze aufgezeigt
Zwei wichtige Verbesserungsansätze konnte InnoForESt bereits herausarbeiten. So war es anfangs für die Initiatoren schwierig, den Preis der Waldaktien festzusetzen: Er musste hoch genug sein, damit das Projekt wirtschaftlich funktioniert, durfte aber die freiwillige Zahlungsbereitschaft nicht überfordern. „Hier wäre von Anfang an eine wissenschaftliche Begleitung hilfreich gewesen“, resümiert Mann. Es gehört allerdings nicht zum Ansatz von InnoForESt, nun den optimalen Preis zu ermitteln. „Wir ermitteln nur die Probleme und zeigen Lösungsansätze auf“, begründet der Forscher. Dazu gehört auch, künftig nicht nur die CO2-Speicherung, sondern auch die weiteren Ökosystemleistungen synergetisch bereitzustellen.
Ein zweiter solcher Ansatz betrifft die fehlenden Flächen. Zum einen erweiterten die Forscher das Netzwerk der Waldaktie um private Waldbesitzer. Zum anderen haben sie den Kontakt zu einer Genossenschaft in der Slowakei hergestellt, die Klimawälder pflanzt. „Dort gibt es genügend Flächen, aber zu wenig Investoren“, deutet Mann an, wohin die Reise gehen könnte. Dann allerdings wären die Pflanzungen nicht mehr in der Nachbarschaft der touristischen Reiseziele und die Pflanzaktionen würden entfallen. Eine dritte Option wäre, dass der Staat zusätzliche Flächen in den Reiseregionen erwirbt. „All das wird jetzt in weiteren Workshops mit dem vergrößerten Kreis an Akteuren diskutiert“, schildert der Projektkoordinator den aktuellen Stand.
Die Projektpartner von InnoForESt
Belgien: ELO
Finnland: SYKE, Suomen Metsäkeskus
Deutschland: Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde, Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. Akademie für Nachhaltige Entwicklung Mecklenburg-Vorpommern
Italien: Universität Trento, Forstverwaltung der Autonomen Provinz Trento
Niederlande: Universität Twente
Österreich: Universität Innsbruck, STUDIA
Slowakei/Tschechien: CETIP, IREAS
Schweden: Universität Lund, Wissenschaftszentrum UNIVERSEUM
Sechs Projekte über Europa verteilt
Auch die übrigen Projekte drehen sich um Klimaschutz, Biodiversität und Landmanagement. Ihnen gemein ist zudem, dass sie Ökosystemleistungen fördern, die als Regulierungs- oder kulturelle Leistungen weniger stark im Fokus stehen wie etwa die Holzproduktion, und sich selbst eher in Nischen befinden, aus denen sie nun herausgeholt werden sollen. So verbindet ein Projekt in Österreich nachhaltige Forstwirtschaft mit neuen Konzepten der regionalen Holzvermarktung. In Finnland sorgt ein Projekt dafür, dass diejenigen, die Biodiversität schädigen, den Artenverlust durch Zahlungen an Landbesitzer kompensieren, die damit Flächen schützen oder aufwerten. Bergweiden und -wälder zusammenführen wollte ein Projekt in Italien, dass nun aber nach schweren Sturmschäden in der Region vor allem zu einem Netzwerk des Katastrophenmanagements geworden ist. „InnoForESt hat aber auch hier weiter eine Unterstützungsfunktion“, berichtet Mann.
In Tschechien und der Slowakei sucht ein Projekt eine ausgewogene Lösung zwischen individuellen Interessen, die zur Übernutzung eines Waldes führen können, und dem gesellschaftlichen Interesse an einem nachhaltigen Wald, der seine Ökosystemleistungen erbringt. In Schweden steht hingegen die Bildung im Vordergrund. In einem Wettbewerb stellen Grundschüler dar, welche Ideen so für die schwedischen Wälder haben und wie der Wald künftig genutzt werden könnte. Nun soll das erfolgreiche Projekt mit einem Schwerpunkt auf Kinder mit Migrationshintergrund wiederholt werden und dabei herausarbeiten, wie der kulturelle Hintergrund die Vorstellungen von Wald prägen.
"Liebe den Wald" ist das Thema des InnoForESt-Bildungsprojektes in Schweden.
Waldkarte für die Suche nach Standorten
Darüber hinaus arbeiten die Forscher an einer Waldkarte, die sozioökologische Faktoren beinhaltet. Damit soll es später möglich werden, bestimmte Parameter einzugeben und angezeigt zu bekommen, welche Regionen dafür geeignet sind, eine bestimmte Innovation umzusetzen.
„Wir sind mit den bisherigen Ergebnissen sehr zufrieden“, fasst der Projektkoordinator zusammen. „Die Netzwerke skalieren sich hoch, die Projekte verbinden sich miteinander.“ Die Erfahrungen der Workshops kristallisieren langsam heraus, welche Faktoren die Innovationsprozesse begünstigen oder behindern, sodass zukünftig Managementempfehlungen an Politik und Wirtschaft gegeben werden können. „Idealerweise haben wir am Ende einen Musterinnovationsprozess, der natürlich kontextsensitiv gestaltet werden muss“, sagt Mann. Und die etablierten Netzwerke, das zeichnet sich schon jetzt ab, dürften oftmals über das Projektende hinaus Bestand haben und weiter Waldinnovationen voran bringen.
Autor: Björn Lohmann