Dieser Baum muss gefällt werden, in der Lichtung muss aufgeforstet werden, die Schonung mit jungen Bäumen ist für Waldarbeiter tabu. Doch nicht der Förster bestimmt hier, wann Maßnahmen ergriffen werden, sondern allein der Computer trifft die Entscheidungen. Diese Gedanken sind visionär und provokant zugleich. In der Wirtschaftsinformatik allerdings ist dieses Szenario mit der Krypto-Währung Bitcoin längst ein Trend. Ein Team um Thomas Wagenknecht vom Berliner Forschungszentrum Informatik (FZI) des Karlsruher Instituts für Technologie will diese Methode auch in die Forstwirtschaft tragen. Dafür sollen nach dem Vorbild der Bitcoins ebenfalls Code-Ketten, sogenannte Blockchains, entwickelt werden, die dann Daten von einem Waldstück sammeln, diese auswerten und so den Wald selbst bewirtschaften.
Forst- und Waldwirtschaft transparenter machen
„Wir wollen uns anschauen, inwieweit man so eine Technologie tatsächlich nutzen kann, um Forst- und Holzwirtschaft transparenter zu gestalten. Andererseits wollen wir mit diesem Thema auch eine breite gesellschaftlich Debatte zur Bioökonomie anstoßen“, erklärt Wagenknecht. Seit Oktober vergangenen Jahres läuft das Verbundprojekt „Wie kann sich der Wald selbst verwalten? – Digitale Ansätze für eine gesellschaftliche Debatte zur Bioökonomie 4.0“. Das Projekt wird vom FZI koordiniert und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2020 mit knapp 317.000 Euro gefördert. Daran beteiligt sind außerdem die Universität der Künste Berlin (UDK), das Wuppertal Institut als Forschungspartner sowie das Institut für Ressourcenmanagment Inter3 und die auf Online-Bürgerbefragungen spezialisierte Firma Zebralog.
Kunstprojekt als Vorlage
Die futuristische Idee der Selbstverwaltung des Waldes geht auf ein Kunstprojekt zurück, das drei UDK-Studenten entworfen haben. Der Gedanke dahinter: Was würde passieren, wenn der Wald, den sich der Mensch zueigen gemacht hat, wieder sein eigener Herr wird, und wie würde der Wald selbst wirtschaften, vor allem hinsichtlich der kostbaren Ressource Holz? Die Blockchain-Technologie ist für die Forscher ein vielversprechendes Instrument, um den heimischen Rohstoff noch nachhaltiger zu nutzen und das Ökosystem zu schützen. „Das Spannende ist, dass man ohne einen Mittelsmann auskommt. Man setzt einmal das System auf, bestimmt die Regeln und das System operiert danach. Alle Ereignisse würden über die Blockchain verwaltet und wären dazu noch transparent“, sagt der Projektleiter. Bei der Blockchain-Technologie gibt es demnach keine zentrale Datenbank, die auf irgend einem Großrechner liegt, sondern eine dezentrale Datenbank, die auf ganz viele Rechner der Welt verteilt ist.
Spielerisch Vision greifbar machen
Wagenknecht zufolge soll in den kommenden drei Jahren eine solch „vertrauenswürdige Instanz“, die nach festen Regeln im Interesse des Waldes agiert, aufgestellt werden. Die Idee des Kunstprojektes soll dafür im breiten Diskurs mit Experten aus der Forstwirtschaft und der interessierten Öffentlichkeit in sogenannten „ForestLabs“ diskutiert und ausgelotet werden. Die Ergebnisse wiederum sollen in die Entwicklung einer Online-Plattform fließen, die das Thema „Selbstverwaltung des Waldes“ fokussiert und die Fortschritte des Projektes abbildet. Neben Diskussionsforen soll die Webseite auch ein Computerspiel beinhalten. „Wir wollen die Leute erst spielerisch an das Thema heranführen und ihnen in einer Art Simulation zeigen, was es bedeuten würde, wenn es so ein System gibt, was für Entscheidungen das System treffen muss und welche Folgen das hätte“, erklärt Wagenknecht.
Blockchain mit Sensordaten speisen
Ist die klassische Forstwirtschaft damit ein Auslaufmodell? Thomas Wagenknecht weiß um die Möglichkeiten, die Vision wahr werden zu lassen. Am FZI wird bereits mit Sensoren experimentiert, die in Pflanzen Lichteinfall und Feuchtigkeit messen. Diese Daten könnten beispielsweise dann in die Blockchain fließen. Doch der Forscher ist Realist und Visionär zugleich: „Momentan funktioniert das System nur, wenn wir sagen, was es tun soll. Aber wir gucken uns auch an, inwieweit man so ein System tatsächlich frei vom Menschen strukturieren kann. Vorstellbar ist aber auch, dass das in einer Symbiose funktioniert, dass das System den Förster etwa dabei unterstützt, seine Arbeiten noch besser zu verrichten“.
Kunstprojekt in die Realität übertragen
Wagenknecht ist optimistisch, dass das Projekt neue Impulse für die Bewirtschaftung des Ökosystems Wald bringen wird. Die Debatte darüber ist dringend notwenig. Der Wald und sein wichtigster Rohstoff Holz sind ein Grundpfeiler der Bioökonomie. Allein in den vergangenen 20 Jahren hat sich die Verwendung des Holzes verdoppelt. Die größte Herausforderung sieht Wagenknecht darin, eine Debatte loszutreten, wo nicht nur Altes wiederholt wird, sondern tatsächlich neue Aspekte gesetzt werden. „Wir haben den Anspruch, das Kunstprojekt in die Realität zu übertragen. Dafür wollen wir Innovationen betreiben und neue Sichtweisen erarbeiten. So könnten wir Impulsgeber für die Modernisierung der Forstwirtschaft sein“.
Nachdenken über holzbasierte Bioökonomie ankurbeln
Dass die Vision nicht leicht zu vermitteln sein wird, darüber sind sich die Forscher bewusst. „Viele schreckt man mit so einer Vision erst einmal ab. Aber wir glauben, dass wir mit dem Projekt die Leute dazu bewegen können nachzudenken, wie ein holzbasierte Bioökonomie aussehen kann, wie etwa mit Holz umgegangen, wie die Verwertung transparenter gestaltet werden kann und was akzeptable Regeln für eine Waldbewirtschaftung wären“. Auch das Thema Biodiversität sowie ökologische Fragen sollen im Diskurs berücksichtigt werden. Derzeit ist das Team dabei, die „Kunstvision“ für die breite Öffentlichkeit greifbarer zu machen und Szenarien für die Forstbewirtschaftung auszuloten, wo das System den größten Nutzen bringen könnte.
Neuer Ansprechpartner für das Projekt am Berliner Forschungszentrum Informatik ist Sven Willrich.
Autorin: Beatrix Boldt