Die Entwicklung von Nutzpflanzen, die künftigen Anforderungen gewachsen sind, verlangt nach innovativen Forschungsansätzen. Die wachsende Weltbevölkerung und der Klimawandel lassen Forscher mit Hochdruck nach Möglichkeiten suchen, um die Ernährung der Menschen abzusichern. Das Wissen um die Genomsequenz bedeutender Nutzpflanzen ist eine wichtige Basis für die Züchtung neuer Sorten, mit denen sich auch bei schwankender Witterung stabile Ernten einfahren lassen und die gegen Krankheiten und Schädlinge gewappnet sind.
Getreidegenom im Fokus der Forschung
Die Gerste Hordeum vulgare ist nach dem Weizen hierzulande das zweitwichtigste Getreide. Sie steht seit Jahren im Fokus der Förderung der Pflanzengenomforschung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Im Rahmen des in der Initiative „PLANT 2030“ geförderten Verbundprojektes „TRITEX“ stand die Hochdurchsatz-Sequenzierung der Gerste und weiterer mit ihr verwandter Getreide-Genome. Das Vorhaben unter der Leitung von Nils Stein vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben wurde von 2011 bis 2015 mit insgesamt 3 Mio. Euro gefördert.
Gemeinsam mit Kollegen vom Helmholtz-Zentrum München konnte das Team um Stein dabei auf die Ergebnisse vorangegangener Projekte aufbauen. Vor allem die Vorarbeiten des Projektes GABI-BARLEX lieferten den Forschern bereits eine erste Version einer „physikalischen Karte“.
Physikalische Karte der Gerste erweitern
Wenn Molekularbiologen von einer physikalischen Karte sprechen, meinen sie damit eine Art Genortsverzeichnis – für dessen Erstellung das gesamte Erbgut in tausende kleiner Abschnitte gerastert wird und diese gemäß ihrer „Koordinaten“ auf einer Chromosomenkarte angeordnet werden. Keine einfache Aufgabe: denn das Genom der Gerste erstreckt sich auf über sieben Chromosomen mit einer Gesamtlänge von 5 Milliarden Basenpaaren (5,1 Gbp) – das ist fast doppelt so groß wie beim Menschen.
„Eines der Hauptziele des Tritex-Projektes war es, die bereits vorhandene physikalische Karte des Gerste-Genoms in höherer Auflösung zu erhalten“, erläutert Stein. „Außerdem wollten wir eine zweite Version dieser Karte entwickeln, in der sich Informationen über die genomweite Diversität verschiedener Gerstevarianten herauslesen lassen.“
Genom handhabbar machen
Die physikalische Karte dient nicht nur einer groben Orientierung. Sie ist ein Hilfsmittel, um das Genom handhabbar zu machen und es überhaupt sequenzieren zu können. Dazu wird das komplette Erbgut zunächst in kleine Portionen aufgeteilt. Dafür wird die DNA aus der Pflanze isoliert und mit speziellen Enzymen in einzelne Pakete zerlegt. Diese DNA-Stücke werden in sogenannten BAC-Klonen abgelegt. So entsteht eine riesige Sammlung von BAC-Klonen, in die zunächst Ordnung gebracht werden muss. Dazu wird die DNA jedes BAC-Klons sequenziert. „So können wir die einzelnen BAC-Klone miteinander vergleichen und vorhersagen, welche davon sich überlappen“.
9.000 Puzzleteilen zusammensetzen
Die Gen-Karte der Gerste, die den Forschern zu Projektstart 2011 vorlag, bestand aus insgesamt 9.000 Puzzleteilen. Im Tritex-Projekt galt es, diese einzelnen Puzzlestücke lückenlos in der richtigen Reihenfolge anzuordnen. Zur Hilfe kamen den Forschern dabei sogenannte molekulare Marker, charakteristische Sequenzunterschiede, die sich leicht erkennen lassen. Hierfür mussten jedoch ausreichend Sequenzdaten generiert werden, um das komplexe Genom der Gerste abzubilden.
Technischer Forschritt beflügelt Genom-Sequenzierung
An dieser Stelle kam den Tritex-Forschern der technische Fortschritt zur Hilfe. „Viele molekulare Marker konnten wir bereits in einer internationalen Zusammenarbeit mit Partnern in Schottland und den USA identifizieren. Wir konnten deshalb direkt mit der Sequenzierung des Gerstegenoms beginnen“, berichtet Stein. Das ursprüngliche Projektziel, die hochdichte genetische Verankerung der physikalischen Karte, wurde somit schneller erreicht und gab dem Projekt eine neue Ausrichtung.
Das Gerste-Chromosom 3H war im Rahmen eines anderen Projektes bereits von Stein und seinen Kollegen entschlüsselt worden. Nun konnte sich das Tritex-Team voll und ganz der Sequenzierung der anderen Chromosomen widmen, um das Gerste-Genom zu vervollständigen. Auch hier kamen den Pflanzenmolekularbiologen neue Techniken und die bestehenden internationalen Kontakte zugute. „Das Tritex-Projekt erlaubte es uns, zwei weitere Chromosomen der Gerste, 1H und 4H, vollständig zu sequenzieren. Wir hatten also fast die Hälfte des Gersten-Genoms zur Sequenzierung in eigenen Händen“, sagt Stein. Das sei ein wichtiger internationaler Meilenstein gewesen. „So konnten wir im Rahmen des International Barley Genome Sequencing Consortium (IBSC) weitere Partner zur Sequenzierung der verbliebenen Chromosomen gewinnen.“
Neue Sequenziermethode etabliet
Die verbleibenden vier Chromosomen wurden mit Unterstützung von Forschern aus Schottland, England, Australien, Dänemark, USA und China sequenziert. Im Ergebnis konnten nicht nur alle sieben Gerstechromosomen, sondern auch jene Bereiche, die bis dato noch keinen Chromosomen zugeordnet werden konnten, vollständig sequenziert werden. Aber nicht nur das. „Wir konnten mit der Chromosome-Conformation-Capture-Sequenzierung (Hi-C) eine neue Methode für Gerste etablieren, um Zuordnungssequenzen auf der Basis der 3D-Architektur des Genoms zu gewinnen. Diese Methode hat in Tritex die Weichen für die vollständige Sequenzierung gestellt.“ Mithilfe der Hi-C-Methode war es überhaupt erst möglich, die DNA Sequenzen in der physikalischen Karte linear anzuordnen. Das Team um Nils Stein lieferte damit den Beweis, dass die bis dahin vornehmlich in der Humangenetik angewandte Technologie auch für so große Genome wie das der Gerste geeignet ist. Die Ergebnisse hat das internationale Konsortium im April 2017 im Fachjournal "Nature" veröffentlicht.
Werkzeug für die Pflanzenzüchtung
„Die Genomsequenz und die Positionierung der einzelnen Gene liefert jetzt wichtige Informationen, die ein Züchter nutzen kann, um bestimmte Eigenschaften gezielt züchterisch zu bearbeiten“, sagt Stein. Durch die Resequenzierung von 90 Elitegersten-Genotypen aus dem Sommer- und Wintergersten-Genpool konnte das International Barley Genome Sequencing Consortium beispielsweise zeigen, dass sich beide Genpools in ihrer Genomzusammensetzung sehr stark unterscheiden. Zusätzlich lieferte das Tritex-Team mit der Erstellung der physikalischen Karte für das Weizenchromosom 6A einen wichtigen Baustein zur Sequenzierung des Weizengenoms. Trotz des Erfolgs: Noch sind die Informationen zum Gerste-Genom nicht 100-prozentig komplett. In einem neuem ebenfalls vom BMBF geförderten Projekt SHAPE wollen die Gaterslebener Pflanzenforscher daher von drei stark unterschiedlichen Genotypen der Gerste Genomsequenzen erstellen, um so die Information zum Gersten-Genom als Werkzeug für die Pflanzenzüchtung weiter zu perfektionieren.
Autorin: Beatrix Boldt