Ob in Farben, Kleidung, Baustoffen, Kosmetikartikeln oder Medikamenten: Nanopartikel sind in unzähligen Produkten enthalten. Neben Nanoteilchen, die in der Natur vorkommen, lassen sich viele heute synthetisch herstellen und so gezielt in der Industrie einsetzen. Aufgrund ihrer „Größe“ haben die winzigen Partikel andere physikalische oder chemische Eigenschaften als größere Teilchen aus dem gleichen Stoff. Sie reagieren schneller und stärker und haben vergrößerte Oberflächen, die mehr Platz für Wirkstoffe oder andere funktionelle Substanzen bieten. Mit der zunehmenden Präsenz von Nanopartikeln, werden Fragen nach den gesundheitlichen Risiken vor allem in der Medizin immer lauter.
Zusammenspiel Nanopartikeln und Zellen
Hier setzt der Forschungsverbund namens „MINAC“ an. Unter der Leitung der Universität Münster haben Partner aus Wissenschaft und Industrie in einer deutsch-chinesischen Kooperation untersucht, wie bestimmte Nanopartikel auf die Zellen im Körper und das Immunsystem wirken. „Wir wollten verstehen, wie die Nanostrukturen mit Zellen interagieren“, sagt Projektleiterin Kristina Riehemann. Das Vorhaben wurde von August 2011 bis Februar 2015 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 1,4 Mio. Euro unterstützt.
Im Fokus des Projektes standen medizinische Anwendungen von Nanopartikeln für Therapie und Diagnose sowie deren Nebenwirkungen. Trotz der Vielzahl von Nanoteilchen, die mittlerweile zum Einsatz kommen, ist noch wenig über das zelluläre Zusammenspiel der Fremdpartikel und deren Wirkung auf das Immunsystem bekannt. „Im Grunde muss jedes Teilchen darauf untersucht werden, in welcher Konzentration es schädlich sein könnte, wie es im Körper wirkt und wo es abgelagert wird und warum“, erklärt Riehemann.
Gesundheitsrisiken schneller erkennen
Perspektivisch sollen mithilfe eines neuen Testsystems die Risiken von Nanopartikeln auf Zellen schneller erkennbar sein. Doch bis dahin sind noch viele grundlegende Fragen zu klären. Vorherige Projekte der Münsteraner Forscher haben bereits gezeigt, dass die Effekte in Zelle und Körper vielschichtig sind und sich nicht nur auf die toxische Wirkung beschränken.
Information zu Partnern im Verbundprojekt „MINAC“
Westfälische Wilhelms-Universität Münster – Projektleitung
nanoAnalytics GmbH; GeSIM – gesellschaft für Silizium-Mikrosysteme mbH;
Chemicell GmbH; Postnova Analytics GmbH; Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT)
Chinesische Partner:
Chinese Academy of Science (CAS) Key Laboratory for Biological Effects of Nanomaterials and Nanosafety, National Center for Nanoscience and Technology of China; Chinese Academy of Science (CAS) Analytical Chemistry, Inorganic Chemistry, Nanotechnology; Lab for Bio-Environmental Effects of Nanomaterials & Nanosafety Wuhan HUST Nano Medicine Co., Ltd.; Guangdong Huanan Pharmacy Ltd.
Im Projekt konzentrierten sie die Forscher auf zwei Nanopartikel: zum einem auf ein metallisches Teilchen namens Spions, das in Kontrastmitteln für die Magnetresonanztomographie (MRT) vorkommt. Und das Lactat-Nanoteilchen PLGA, ein sogenanntes Co-Polymer, das mit verschiedenen Wirkstoffen beladen als Arzneivehikel eingesetzt wird. Beide Teilchen wurden jeweils auf ihre Wirkung im Labor in ihren Effekten auf bestimmte Fresszellen des Immunsystems (Makrophagen) verglichen und auf mögliche zellbiologische Nebenwirkungen untersucht.
Erstkontakt löst Effekt aus
Die Effekte der Nanoteilchen auf das Zytoskelett, die Ionenkanäle und die sogenannte Proteinkorona waren dabei für das Team um Riehemann von besonderem Interesse. „Was wir zeigen konnten ist, dass Ionenkanäle auf Nanoteilchen reagieren und somit schon beim ersten Kontakt ein Effekt entsteht. Das Zytoskelett reagiert und Zellen werden weicher, in dem das Titandioxid die Freisetzung von Zytokine auslöst, die weitere Reaktionen im Körper bewirken“.
Proteinkorona der Zellen für Interaktion entscheidend
Die Rolle der Proteinkorona im Zusammenspiel mit Nanopartikeln stellte sich dabei anders als erwartet dar: „Hier ist es so, dass sich Proteine an das Nanoteilchen anlagern, sobald diese mit Körperflüssigkeiten oder Gewebe in Berührung kommen. Die ursprüngliche Vorstellung, man könne durch Oberflächenstrukturierung des Materials die Zellen direkt adressieren, hat sich in der Praxis als unrealistisch herausgestellt, sagt Riehemann. Die Forscher vermuten, dass dies eine natürliche Reaktion des Körpers ist, um sich vor Nanoteilchen zu schützen. Das Problem: Die Oberfläche wird durch die Proteinschicht regelrecht zugeklebt und erschwert, dass beispielsweise Nanoteilchen mit Wirkstoffen Zellen erreichen. Die Erkenntnis der Forscher: „Entscheidend ist nicht, wie das Material, sondern wie die Proteinkorona der Zellen interagiert.“
Testverfahren für die Krebsmedizin
Darüber hinaus konnte das Team um Riehemann gemeinsam mit dem Projektpartner, der nanoAnalytics GmbH, neue Testmethoden für die Krebsmedizin entwickeln. Hier geht es darum, den elektrischen Widerstand und damit die zelluläre Barrierefunktion einer gesunden Einzelzellschicht präzise zu analysieren. Das in-vitro-Testsystem ermöglicht es bereits heute, den Einfluss von Nanoteilchen standardisiert und in großem Maßstab zu vermessen. So gelingt eine schnellere Risikobewertung der Substanzen und ihrer Interaktion mit Zellen.
Einfluss auf Herstellung von Implantaten
Für die Herstellung von Implantaten wie Knie- oder Gelenkprothesen ist dieses Wissen besonders wichtig, betont die Immunologin. „In der Prothetik geht es darum, Oberflächen zu entwickeln, die das Immunsystem ignoriert. Diese Möglichkeit bieten PLGA-beschichtete Oberflächen“. Das im Projekt getestete PLGA-Molekül zeigte im Test dann auch keine Nebenwirkungen auf das Immunsystem. Im Vergleich dazu wurden die metallischen Nanopartikel im Kontrastmittel zwar nicht abgebaut. Toxische Effekte wurden indes nicht registriert.
Als nächstes will das Team nach Wegen forschen, die Proteinkorona zu manipulieren aber auch die Reaktion der ersten Kontaktadresse für Nanopartikel auf der Zellhülle, die Ionenkanäle, weiter ergründen.
Autorin: Beatrix Boldt