Nicht nur für die Welternährung – auch aus genetischer Perspektive ist Weizen ein Koloss: Er besitzt ein riesiges und äußerst schwer zu ergründendes Erbgut. Deshalb ist das Weizengenom auch immer noch nicht komplett entziffert. Nach jahrelanger Tüftelarbeit sind Pflanzenforscher weltweit bei diesem Mammutprojekt endlich auf der Zielgeraden: Das internationale Weizengenom-Sequenzierkonsortium (IWGSC) hat das Erbgut des wichtigsten Brotgetreides detailliert vermessen und eine molekulare Überblickskarte im Fachjournal Science (2014, Bd.345, Ausg. 6194) vorgestellt. Beteiligt an diesen Analysen sind auch Genomforscher um Klaus Mayer vom Helmholtz Zentrum München und Nils Stein vom IPK Gatersleben. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat die Forscher im Rahmen der Fördermaßnahme "Plant 2030" mit einer Millionenförderung unterstützt.
Der Brotweizen Triticum aestivum gilt als der wichtigste Kohlenhydrat- und Proteinlieferant für die Weltbevölkerung. Schwindelerregend sind auch die molekularen Kennziffern des Weizens: Das auf 21 Chromosomen verteilte Genom ist mit 17 Milliarden Basenpaaren (17 Gigabasenpaare) fast sechsmal so groß wie das Erbgut des Menschen. Das wäre für die modernen Sequenziermaschinen eigentlich problemlos zu bewältigen. Doch das Weizenerbgut liegt im Zellkern gleich noch in sechs Kopien vor (hexaploid). Es ist dazu noch äußerst komplex aufgebaut. So stellt es einen Mix aus drei verschiedenen Vorläufergenomen (Subgenome A, B und D) dar: Im Laufe der Evolution haben sich die Erbsubstanz dreier verschiedener Gräserarten miteinander vermischt.
Genom in seine einzelnen Chromosomen zerlegt
Diese Komplexität hat sich als harte Nuss erwiesen auf dem Weg, die komplette Genomsequenz von Weizen zu entziffern. Doch die Kenntnis der Erbgutinformation ist ein Schlüssel, den Pflanzenzüchter zur Entwicklung neuer und anpassungsfähiger Sorten dringend benötigen. Seit den 1980er Jahren hinken die Möglichkeiten der Weizengenetik denen bei anderen Nutzpflanzen hinterher. Ein internationales Konsortium hat sich deshalb daran gemacht, das Weizengenom im Detail auseinanderzunehmen und das Erbgut vollständig zu entschlüsseln. Dazu hieß es zunächst: kleinere Brötchen backen. Zwar hatten die Forscher bereits 2012 im Fachjournal Nature eine erste Inventur der genetischen Ausstattung des Brotweizens vorgelegt. Doch hieraus ging nicht hervor, wo im Genom welches Gen tatsächlich verortet ist. Deshalb haben die Forscher das gigantische Genom in seine kleineren Einheiten, nämlich seine 21 einzelnen Chromosomen, zerlegt. Ihre Überblickskarte mit der vorläufigen Gensequenzen stellen sie nun in Science vor. Ein Chromosom, 3B, haben sie zudem vollständig entziffert und damit eine erste Referenzsequenz vorgelegt.
Weitere ausführliche Berichte und Interviews zum Weizengenom-Projekt bietet das Fachportal pflanzenforschung.de:
Dynamische Evolution
Das BMBF unterstützt die angewandte Pflanzenforschung im Rahmen der Fördermaßnahme Plant 2030. Eines der Pionierprojekte ist TRITEX – hier machen sich Pflanzenforscher aus Gatersleben und München daran, die komplexen Genome von Getreidearten wie Gerste und Weizen zu entziffern und zu analysieren. Klaus Mayer, Leiter der Abteilung für Genom- und Systembiologie der Pflanzen am Helmholtz Zentrum München, war mit seinem Team federführend an der internationalen Weizen-Analyse beteiligt und konnte zudem Einblicke in das komplexe Wechselspiel der Genregulation gewinnen. „Jetzt ist endlich nachvollziehbar, welches Gen von welchem Chromosom und von welchem Subgenom stammt.“ Auf etwa sieben Millionen Jahre zurück können die Wissenschaftler nun einen gemeinsamen Vorfahren des Weizen-Subgenoms ‚A‘ und ‚B‘ datieren. Aus diesen ist ein bis zwei Millionen Jahre später ein weiterer, eigenständiges Subgenom D hervorgegangen. „Unser heutiges Brotweizengenom ist das vorläufige Endprodukt einer Vielzahl von Kreuzungen und Hybridisierungen während der Artenentwicklung des Weizens. Deshalb müssen wir es als ein stammesgeschichtlich vielschichtiges Mosaik verstehen“, erläutert Mayer.
Vorteile für die Pflanzenzüchtung
Mit der vorliegenden Überblickskarte in Händen will das internationale Weizengenom-Sequenzierkonsortium (IWGSC) nun jedes einzelne Chromosom vollständig entziffern, in drei Jahren soll das Genom dann endlich geknackt sein. „Je besser wir die Organisation, Funktion und Evolution des großen, polyploiden Genoms verstehen, umso leichter können wir die für die Züchtung wichtigen Gene identifizieren“, so Mayer. Dies erlaubt Züchtern, für unterschiedliche Standorte eine möglichst geeignete Pflanze zu züchten. „Die neu gewonnenen Einsichten in die Biologie des Weizengenoms ermöglichen uns, Gene rascher zu isolieren und die Entwicklung von molekularen Markern für die Züchtung leistungsfähiger Pflanzen voranzutreiben“, sagt Mayer.
Autor: Philipp Graf