Neue Impulse für die industrielle Bioökonomie
Auf einer BMBF-Online-Konferenz ging es darum, wie sich die Corona-Krise auf Bioökonomie-Unternehmen auswirkt und welche Förderimpulse nun gesetzt werden sollten. Der Report.
Die Corona-Pandemie hat unser Leben und Wirtschaften tiefgreifend verändert – was bedeutet das für den Wandel hin zu einer Bioökonomie? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hatte am 8. September zu einer Digitalkonferenz geladen: Im Dialog mit Industrie-Akteuren und der Bioökonomie-Community sollte im Rahmen der Konferenz „Industrielle Bioökonomie – Mit neuen Impulsen aus der Corona-Krise“ ausgelotet werden, was die Krise an Herausforderungen, aber auch an Chancen bietet. Rund 170 Teilnehmende verfolgten die Online-Konferenz und konnten sich per Chat und via Live-Umfrage-Tool Slido beteiligen.
„Durch die neue Nationale Bioökonomiestrategie und das Wissenschaftsjahr ist 2020 ein wichtiges Jahr für die Bioökonomie, und das Thema darf trotz Corona-Krise nicht an Bedeutung verlieren“, sagte Andrea Noske, Referatsleiterin im BMBF und Gastgeberin der Online-Konferenz, zur Begrüßung. Der Austausch mit den Branchenakteuren und der Forschungscommunity sei sehr wichtig – und eine Online-Konferenz wie diese als Plattform eine Premiere. Die industrielle Bioökonomie sei ein Kernthema der Förderpolitik des BMBF. Von der Online-Konferenz erhoffe man sich Hinweise, wie neue Förderimpulse und Themenschwerpunkte gesetzt werden können.
Wie Bioökonomie resilient wird
In seiner Keynote-Präsentation beleuchtete der Berliner Politikwissenschaftler Peter Feindt das Thema Resilienz: Wie kann sich eine Bioökonomie in Zeiten von Corona- und Nachhaltigkeitskrise entwickeln? Feindt ist Leiter des Fachgebiets Agrar- und Ernährungspolitik an der Humboldt-Universität und koordiniert mehrere öffentlich geförderte Projekte zur Resilienzforschung (mehr in diesem Interview).
„Resilienz ist die Fähigkeit von Personen, Unternehmen oder Systemen, auf kurzfristige Schocks oder anhaltenden Stress zu reagieren“, erläuterte Feindt. Resilienz sei aber nicht dasselbe wie Nachhaltigkeit. „Anders als Nachhaltigkeit ist Resilienz stärker auf Veränderung und Anpassungsfähigkeit angelegt.“
Bioökonomie sei ein großes gesellschaftliches Transformationsprojekt, das sich im Spannungsfeld eines politischen, ökologischen und technologischen Meta-Wandels als resilient erweisen müsse, so Feindt. Sein Team untersucht die Anfälligkeiten biobasierter Produktionssysteme auf unterschiedlichen Ebenen und bewertet Resilienz anhand verschiedener Kriterien. Mit Blick auf Resilienz in der Corona-Krise gebe es einen laufenden gesellschaftlichen Anpassungsprozess, der politisch zwar mit Pandemieplänen antizipiert wurde, jedoch verzögert und dann sehr agil in Gang gekommen sei. Staatliche Kompensationsprogramme und Solidarität sorgten für Robustheit.
Fähigkeit zur Antizipation schärfen
Für die Entwicklung der Bioökonomie plädierte er für eine Future Literacy: „Wir müssen die Fähigkeit zur Antizipation – auch des Unwillkommenen – verstärken.“ Es brauche flexible Governance-Formen, koordinierte Zielbilder und die Förderung von Nischeninnovationen. Zudem erfordere Resilienz Reflexivität. Das betreffe die Governance-Formen wie auch ein partizipatives und integratives Monitoring der kritischen Systeme der Bioökonomie.
Als Beispiel nannte er die frühere Bioenergiepolitik der Bundesregierung, die sich als nicht resilient erwiesen habe (Stichworte Maisanbau und Subventionen). Hier sei das System inzwischen angepasst worden, um Zielkonflikte abzumildern. Feindt: „Auch in der Nationalen Bioökonomiestrategie wird deutlich: Die Politik nimmt breiter die Folgen ihres Tuns in den Blick und will zu smarteren und mehrstufigen Wertschöpfungssystemen kommen.“
Feindt formulierte die Idee von staatlichen Zuwendungen in Form einer „Resilienz-Prämie“ für Unternehmen der industriellen Bioökonomie – diese müsste dann aber auch eingesetzt werden.
Keynote-Präsentation: Resilienz und Bioökonomie
Diskussionsrunde mit Branchenexperten
In der anschließenden von Tatjana Vogt moderierten Diskussionsrunde sprachen fünf Branchen-Expertinnen und -Experten über die Corona-Krise, aktuelle Trends in Forschung und Entwicklung und Innovationsstrategien für die industrielle Bioökonomie.
„Für Chemie-Großunternehmen wie die BASF ist die Corona-Krise eine heftige Herausforderung, aber sie hat nichts an unserer Ausrichtung hin zu einer nachhaltigeren Zukunft geändert“, sagte Cordula Mock-Knoblauch, Director Renewables & Sustainability bei der BASF. Biobasierte Rohstoffe und Prozesse könnten helfen, CO2-Emissionen zu senken und einer Kreislaufwirtschaft näherzukommen. „Fördermittel sollten gezielt in innovative Technologien investiert werden, um die notwendigen Transformationsprozesse voranzutreiben“, so Mock-Knoblauch.
Auch das börsennotierte Bioökonomie-Unternehmen BRAIN AG aus Zwingenberg ist bisher gut durch die Corona-Krise gekommen. „Wir sehen nur moderate Effekte durch Corona“, sagte Michael Krohn, der bei BRAIN Head of Research & Development ist. Die Kunden setzten weiter auf die Innovationsfähigkeit seines Unternehmens. „Die Erwartungshaltung an BRAIN ist, ein Innovationstreiber zu sein. Innovationen müssen allerdings auch von der Gesellschaft und den Konsumenten mitgetragen werden.“
Investoren nicht für innovative Abenteuer zu haben
Von einer Achterbahn der Gefühle konnte Michael Brandkamp berichten. Der langjährige Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds baut als General Partner seit Januar dieses Jahres den European Circular Bioeconomy Fund (ECBF) auf. „Wir setzen auf das Wachstum von innovativen Bioökonomie-Unternehmen“, so Brandkamp. Mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) als Hauptinvestor sah es auch gut aus, das Fondsziel von 250 Millionen Euro schnell zu erreichen. „Dann kam Corona, die Börsen gingen in den Keller und Investoren waren nicht mehr für innovative Abenteuer zu haben.“ Dank Zugeständnissen seitens der EIB könne man demnächst jedoch das Fonds-Closing verkünden. „Das Thema Nachhaltigkeit ist bei Investoren sehr wichtig und wird zukünftig die Investorenszene deutlich beeinflussen“, betonte Brandkamp.
Wolfgang Wach ist Abteilungsleiter Biotechnologie bei der Südzucker AG. „Südzucker ist Europas größter Ethanolproduzent für Treibstoffe – bisher waren wir kein Produzent für Desinfektionsmittel. Wir haben uns wegen Corona zügig umgestellt und viel Flexibilität bei unseren Partnern und der Politik erfahren.“ Die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten bei Südzucker hätten keine Delle erlebt. Wach ist zudem Vorstandsvorsitzender des IWBio, ein Branchenverband, dem rund 20 Unternehmen der industriellen Biotechnologie in Deutschland angehören. „Die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind wichtige Leitplanken für unsere Mitglieder.“ Die Corona-Krise habe die Bedeutung der Digitalisierung in den Unternehmen untermauert. „Es geht nicht nur um Homeoffice – sondern auch um die digitale Führung von Bioprozessen und Industrie 4.0“, so Wach.
Als Start-up hat sich das zehnköpfige Team der Jülicher SenseUp Biotechnology GmbH (hier im Videoporträt) vor Ort schnell mit der Corona-Situation arrangiert. Global sah es für die Entwickler von mikrobiellen Produktionsstämmen anders aus: „Große Kooperationen mit Partnern in den USA oder China lagen lange Zeit komplett auf Eis“, sagte SenseUp-Geschäftsführer Georg Schaumann. Das Hauptgeschäft im Anwendungsfeld Feed, Food & Flavours sei zurückgegangen. Dafür sei die Nachfrage in der Produktion von pharmazeutischen Proteinen gestiegen. Daneben gebe es bei SenseUp äußerst vielversprechende explorative Projekte – „aber mit denen generieren wir natürlich keine Umsätze“, so Schaumann.
Perspektiven für die Förderpolitik
Gerade für diese innovativen Ansätze sei BMBF-Förderung wichtig. „Durch Förderinstrumente wie die Gründungsoffensive GO-Bio lernt man, wie man vom Forscher zum Unternehmer wird“, sagte Schaumann. Auch die Mittelstandsförderung im Rahmen von KMU-innovativ sei ideal für explorative Projekte. „Damit überzeugt man auch Investoren“, sagte Schaumann. Wolfgang Wach wünschte sich eine Wiederauflage der „Innovationsinitiative Industrielle Biotechnologie“, in der große industriegeführte Allianzen entstanden.
Cordula Mock-Knoblauch unterstrich die Bedeutung europäischer Forschungsinitiativen – etwa des Bioindustrie-Forschungsrahmens BBI JU, dessen Nachfolger derzeit in Vorbereitung ist. „Wichtig ist, dass Ergebnisse aus diesen Verbünden dann auch wirtschaftlich implementierbar sind.“ Nach Ansicht der BASF-Nachhaltigkeitsexpertin sollte zudem nicht nur F&E gefördert werden, sondern auch die Investitionsförderung von Produktionsanlagen. Auf dem Weg in eine Kreislaufwirtschaft müsse dann aber auch der regulatorische Rahmen passen.
Michael Krohn von BRAIN plädierte dafür, bei der Vergabe von Fördermitteln aufs Tempo zu drücken. „Es vergehen manchmal 15 bis 20 Monate von der Ausschreibung bis zur Umsetzung – hier könnte man seitens der Fördergeber etwas mutiger sein.“ Die gängige Forschungsförderung blende oft die großen Unternehmen aus. Diese sollten nach Krohns Ansicht jedoch stärker miteinbezogen werden, da sie auch Abnehmer von entwickelten Produkten sein könnten.
Trendthemen für die Bioindustrie
Welche Forschungsthemen werden die Zukunft der industriellen Bioökonomie prägen? Viel Potenzial für Innovationen in der Bioökonomie sieht ECBF-Mann Michael Brandkamp bei der nachhaltigen Ernährung und bei neuartigen Verfahren zur Produktion von Biomasse. Als Beispiel nannte er die Prolupin GmbH mit ihren Produkten aus Lupinenproteinen oder den – auch dank viel Marketing – äußerst erfolgreichen Fleischersatz-Produzenten Beyond meat aus Kalifornien. Ein weiteres Topthema für den Fondsmanager: Verpackungen, die biobasiert und kompostierbar sind. Südzucker-Biotechnologe Wolfgang Wach unterstrich die Bedeutung von Technologie- und Prozessentwicklung. Es gebe einen hohen Bedarf an besseren Verfahren für das Auftrennen von Stoffgemischen und das Aufreinigen von Produkten. „Die Bioökonomie wird so zum grünen Motor der Kreislaufwirtschaft.“ Dem stimmte Georg Schaumann zu. „Wenn die entwickelten Technologien funktionieren, dann findet man auch das Geld für die Skalierung und den Anlagenbau.“
Cordula Mock-Knoblauch betonte, in der chemischen Industrie seien nicht nur explorative Projekte von Bedeutung. „Auch Prozessverbesserungen sind wichtig und innovativ.“ So setze die BASF unter anderem auf Biomasse-Abfälle als Ressource für die Herstellung von Methan. Dieses Gas ließe sich wiederum in existierende Anlagen einspeisen.
BMBF-Referatsleiterin Andrea Noske kündigte zum Abschluss weitere BMBF-Förderaktivitäten mit Relevanz für Akteure in der industriellen Bioökonomie an - darunter weitere Ausschreibungen in der Fördermaßnahme „Zukunftstechnologien“. Bald werde voraussichtlich auch der neue Bioökonomierat nominiert, dem die Bundesregierung eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung der Bioökonomiestrategie beimesse.
pg