Die chemische Sprache der Mikroorganismen
Stäbchenbakterien können Grünalgen binnen Minuten stilllegen. Jenaer Forscher identifizierten nun den chemischen Auslöser für den Beutezug.
Mikroben leben oft in Artengemeinschaften. Dabei wird ihr Miteinander von komplexen Wechselbeziehungen und chemischen Signalen geprägt. Jenaer Forscher haben jetzt herausgefunden, wie die etwa zwei Mikrometer großen Stäbchenbakterien Pseudomonas protegens die etwa fünf Mal größeren Grünalgen Chlamydomonas reinhardtii innerhalb weniger Minuten wortwörtlich stilllegen können. Wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten, setzen die Bakterien das Lipopeptid Orfamid A frei, welches die Zellmembran der Algen beeinträchtigt.
Mikrobielle Gemeinschaften verstehen lernen
Die Mikroalgen Chlamydomonas reinhardtii sind etwa zehn Mikrometer groß. Diese Photosynthese-betreibenden Kleinstlebewesen, auch Phytoplankton genannt, besitzen zwei Geißeln, mit denen sie sich fortbewegen. Außerdem tragen zu rund 50% der Fixierung des Treibhausgases Kohlendioxid bei und produzieren quasi als Nebenprodukt Sauerstoff. Die Mikroalgen leben im Süßwasser, in nassen Böden oder den Weltmeeren und bilden eine wichtige Grundlage für die Nahrungsketten, besonders in aquatischen Systemen. Kommen sie jedoch in die Nähe des Bakteriums Pseudomonas protegens, so verlieren sie binnen kürzester Zeit ihre Geißeln, können sich nicht mehr bewegen und auch nicht mehr fortpflanzen. Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung von Maria Mittag und Severin Sasso von der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie Christian Hertweck vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI) konnten nun das komplexe Wechselspiel entschlüsseln. „Wir wollen die Mechanismen verstehen lernen, über die mikrobielle Gemeinschaftsstrukturen entstehen und ihre Vielfalt erhalten bleibt“, so Hertweck.
Öffnung der Kalziumkanäle bedingt Geißelverlust
Kommen Pseudomonas-Bakterien in die Nähe der Mirkoalgen, so werden diese von den Bakterien regelrecht eingekesselt. Bereits wenige Minuten später sind die Algen dann entgeißelt. Die Ursache dafür: Die Bakterien geben das zyklisches Lipopeptid Orfamid A zusammen mit anderen chemischen Verbindungen ab, wie die Jenaer Forscher herausfanden. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Orfamid A auf Kanäle in der Zellmembran der Algen wirkt, was zur Öffnung dieser Kanäle führt. Das führt zu einem Einstrom von Kalziumionen aus der Umgebung in das Zellinnere der Algen,“ erläutert Sasso. Eine rasche Änderung der Konzentration von Kalziumionen ist in der Biologie ein weitverbreitetes Warnsignal, das zahlreiche Stoffwechselwege reguliert und hier das Abfallen der Geißeln zur Folge hat.
Des Weiteren konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die Bakterien bei Bedarf die Algen auch als Nährstoffquelle anzapfen können. „Wir haben Hinweise, dass auch weitere Substanzen aus dem Giftcocktail, den die Bakterien freisetzen, dabei eine Rolle spielen“, sagt Maria Mittag.
jmr