Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel: Auftakttreffen der fünf neuen Nachwuchsgruppen

Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel: Auftakttreffen der fünf neuen Nachwuchsgruppen

Im Rahmen der Fördermaßnahme „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ haben sich erstmals die fünf neuen Nachwuchsgruppen der zweiten Förderrunde im BMBF getroffen und sich über ihre Projekte ausgetauscht.

Die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine für globale Handels- und Lieferketten verdeutlichen derzeit eindringlich, wie anfällig die Sicherstellung einer weltweiten Versorgung mit Lebensmitteln ist. Fragen zur Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität stehen daher derzeit weit oben auf vielen Agenden nationaler Politik. Diese Themenfelder sind es auch, mit denen sich junge Forscherinnen und Forscher im Rahmen des Förderkonzepts „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) befassen. Nach pandemiebedingter Verzögerung fand das Auftakttreffen der fünf Nachwuchsgruppen der zweiten Förderrunde nun im BMBF in Berlin statt.

Ein Wandel hin zu einer biobasierten Wirtschaft ergibt sich aus dem Zusammenspiel vieler Faktoren. Er wird entscheidend durch wissenschaftlich-technische Innovationen vorangetrieben, sein Gelingen hängt aber auch von zahlreichen sozialen Prozessen sowie von Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft, Technik, Wirtschaft und Ökologie ab. Ausgehend von diesem Gedanken fasst das BMBF unter dem Konzept „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ mehrere Fördermaßnahmen zu den gesellschaftlichen Voraussetzungen, Triebkräften und Effekten der Bioökonomie zusammen. Gefördert werden nationale Forschungsprojekte, die auch international vergleichende Studien anstellen. Dies umfasst beispielswiese ein umfassendes Monitoring der Bioökonomie (z.B. Land-, Material-, Wasser- und Klimafußabdrücke) sowie Forschungsprojekte akademischer Nachwuchsgruppen. Letztere ermöglichen jungen, vielversprechenden Forscherinnen und Forschern aus den Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften, aber auch den Geistes- und Kulturwissenschaften sich bereits in einer frühen Karrierephase ein attraktives Forschungsumfeld rund um ein hochaktuelles und innovatives Forschungsthema zu erschließen.

Für die geförderten “Junior Research Groups“ eröffnen sich hierdurch vielfältige professionelle Qualifizierungs- und akademische Karrierewege in Lehre und Forschung sowie in zukunftsorientierten Berufsfeldern einer bioökonomischen Kreislaufwirtschaft. Auch wird das Thema Bioökonomie über Lehrveranstaltungen und nationale sowie internationale Forschungskooperationen stärker in die Gesellschaft getragen und es werden entsprechende Netzwerke aufgebaut, die im sich entwickelnden Nexus bioökonomischen Wirtschaftens von zentraler Bedeutung sind. Zusammen mit Veröffentlichungen in internationalen, wissenschaftlichen Zeitschriften sowie internationalen Konferenzbesuchen und ähnliche Formaten des wissenschaftlichen Austausches wird eine Wissensbasis geschaffen, die nicht nur unabdingbare Triebkraft für notwendige Veränderungsprozesse hin zu mehr Nachhaltigkeit ist, sondern darüber hinaus den Wissenschaftsstandort Deutschland stärkt.

Dem Projektträger Jülich (PtJ) obliegt die wissenschaftlich-administrative sowie organisatorische Umsetzung aller Förderaktivitäten zum oben genannten Konzept. Der PtJ organisiert hierzu unter anderem regelmäßige Statustreffen der geförderten Gruppen. Hierdurch wird eine Plattform für den wissenschaftlichen Austausch geschaffen, die es den Forschungsgruppen ermöglicht sich interdisziplinär zu vernetzen sowie gemeinsam ihre Forschungsergebnisse zu diskutieren.

Gruppenbild der nachwuchsgruppen beim Statustreffen BagW

Die geförderten Gruppen und ihre Themen

Ernährung ist nicht bloß eine Frage der Versorgung mit dem Nötigsten. Zur „Ernährungssouveränität“ gehört die Möglichkeit, selbst über die eigene, gesunde Ernährung bestimmen zu können. In den Industrieländern befassen sich soziale Bewegungen mindestens seit den 1980er Jahren mit Herkunft, Anbau und Eigenschaften von Lebensmitteln und haben sich zu einer treibenden Kraft für den Lebensmittelsektor und die Agrarpolitik entwickelt. Die Gruppe FoodforJustice – Power, Politics, and Food Inequalities in a Bioeconomy an der Freien Universität Berlin vergleicht deshalb aktuelle soziale Bewegungen rund um das Thema Ernährungssouveränität in Europa und Lateinamerika.

Noch grundsätzlicher gefasst, richtet die Gruppe flumen – Mentalitäten im Fluss. Vorstellungswelten in modernen bio-kreislaufbasierten Gesellschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena ihren Blick auf alltägliche Orientierungen, Zukunftsvorstellungen und Weltbilder, die eine grundlegende Rolle für den Übergang von einer linear-wachstumsorientierten zu einer zirkulär ausgerichteten Produktionsweise spielen, wie die Bioökonomie sie anstrebt. Neben repräsentativen Erhebungen dienen Bioenergiedörfer als Fallstudie. Die Gruppe legt außerdem Wert darauf, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse in gesellschaftliche Debatten zurückzuspielen und so einen evidenzbasierten Beitrag zu sich wandelnden Mentalitäten zu leisten.

Fortschritte im Verständnis biologischer Prinzipien und Prozesse sowie deren biotechnologische Anwendung sind die Basis einer kreislauforientierten Bioökonomie. Sie gehen unweigerlich damit einher, dass aus natürlichen Prozessen technische Verfahren und marktgängige Produkte werden. Diese „Inwertsetzung von Natur“ und den damit einhergehenden Wandel sozialer Strukturen untersucht die Gruppe BioMaterialities - Sozio-materielle Konstellationen und die Transformation von Produktion, Reproduktion und Politik an der Humboldt-Universität zu Berlin.

In der klassischen Landwirtschaft werden tierische Ausscheidungen und Pflanzenreste als Dünger wieder auf die Felder ausgebracht und somit zurück in biologische Kreisläufe gegeben. Die enormen Produktivitätszuwächse im Agrarsektor in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts haben jedoch zu einem hohen Überschuss an sogenanntem Wirtschaftsdünger geführt. Aus diesem Dünger ist ein ökologisches Problem geworden, z. B. durch Belastungen des Grundwassers, Schädigung der Biodiversität und Beeinträchtigungen der Bodenfruchtbarkeit. Die Gruppe BioKum – Kumulative Wirkungen bioökonomischer Strategien für eine nachhaltigere Landwirtschaft am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. in Müncheberg vergleicht, bewertet und optimiert regional angepasste Lösungsstrategien durch Aufbereitung, Kreislaufführung, energetische Nutzung oder Handel dieses Wirtschaftsdüngers. Zugleich wird die öffentliche Diskussion und Wahrnehmung von Landwirtschaft am Beispiel der intensiven Diskussion des „Gülleproblems“ untersucht. Am konkreten Beispiel zeigt sich, wie eng technische und organisatorisch-regulatorische Lösungen ineinandergreifen. Ökologische Aspekte, gesellschaftliche Wahrnehmung und alltägliche Handlungsbereitschaft beeinflussen einander ebenfalls stark.

Auch in den ehemaligen Republiken der früheren Sowjetunion wurde Landwirtschaft in großem Maßstab industrialisiert, mit Folgen für Mensch und Natur. Ein Beispiel sind infrastrukturelle, wasserbauliche Veränderungen der natürlichen Flussläufe des Amurdaja und des Sirdarja, welche die Entnahme von enormen Wassermengen für den großflächigen Baumwollanbau in den heutigen mittelasiatischen Staaten Kasachstan und Usbekistan ermöglichten. Das dadurch bedingte Austrocknen des Aralsees und die weitreichenden ökologischen Folgen einer derart nicht-nachhaltigen Landwirtschaft gelten bis heute als eine der größten menschgemachten, ökologischen Katastrophen.

Doch welche Alternativen gibt es für eine ökologisch und ökonomisch tragfähige Landwirtschaft, die unter den erschwerten Bedingungen des Klimawandels Überleben und Einkommen der regionalen Bevölkerung sichert oder sogar für die weltweite Ernährungssicherheit von Bedeutung ist? Die an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswald angesiedelte Gruppe TRANSECT - Agrartransformation und sozial-ökologische Komplexitäten. Lokale Bioökonomie-Szenarien in Zentral- und Südasien vergleicht lokal angepasst Lösungsstrategien in Kasachstan, Tadschikistan und Pakistan. Dabei spielt wiederum das Verständnis der Menschen vor Ort von natürlichen Kreisläufen und alternativen Anbausystemen eine wichtige Rolle.

Fazit

Das Statustreffen hat gezeigt, wie fruchtbar der interdisziplinäre Austausch zu den großen Herausforderungen ist, die der Weg zu einer nachhaltigen, kreislauforientierten Bioökonomie mit sich bringt. Gemeinsame, wiederkehrende Themen der fünf Gruppen sind Ernährung, Kreislauforientierung, internationale Vergleiche und regional angepasste Strategien sowie das Verständnis von natürlichen Kreisläufen als Grundlage konkreter gesellschaftlicher Praxis.

Ein zentraler Treiber ist die Einsicht, dass nur intakte ökologische Systeme dauerhaft Rohstoffe für Ernährung, stoffliche Nutzung wie Baumaterialien und Textilien sowie als Energieträger liefern. Doch wie ausgeprägt ist dieses Verständnis im Alltag? Abstraktes Wissen übersetzt sich nicht automatisch und widerspruchsfrei in konkretes, alltägliches Handeln. Technische Innovationen und innovative Anbaustrategien bringen Lösungen, aber auch Risiken und Zielkonflikte mit sich. Forschungsergebnisse zeigen, dass die Wechselwirkungen solcher Innovationen mit gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Dimensionen der Nachhaltigkeit von enormer Bedeutung für tiefgreifende Veränderungsprozesse sind. Nachhaltige Innovationen entstehen nur durch die soziale Aneignung technischer Erfindungen und deren nachhaltige Ausgestaltung in gesellschaftlicher Praxis.

Darüber hinaus machte dieses Statustreffen deutlich, dass Förderprogramme zur Erforschung menschlichen Zusammenlebens, des Wirtschaftens sowie der sozialen Interaktion und politischen Organisation in einer kreislauforientierten Bioökonomie eine starke Wissensbasis schaffen. Auf dieser Basis können dann Handlungsoptionen und Umsetzungsstrategien entwickelt werden, um einigen der globalen Herausforderungen in einer immer stärker durch den Klimawandel und andere Krisen und Konflikte bestimmten Welt evidenzbasierte Lösungen gegenüberzustellen.

Weiterführende Informationen

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung veröffentlicht in regelmäßigen Abständen neue Bekanntmachungen zu aktuellen sowie geplanten Fördermaßnahmen

Mehr Informationen beim BMBF
Mehr Informationen beim Projektträger Jülich