Lignin – Reststoff mit Potenzial

Organosolv-Lignin nach Fällung und Filtration auf der Filterpresse
Fraunhofer CBP/©Sven Döring

Text: Martin Reich

Der Holzstoff Lignin gehört zu den Biopolymeren, die in der Natur am häufigsten vorkommen. Trotzdem wird das Potenzial des komplexen Moleküls bisher bei Weitem nicht ausgeschöpft – zumeist wird Lignin heute verfeuert. Dieses Dossier gibt einen kompakten Überblick über Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die neue Anwendungen für Lignin erschließen.

Reststoff der Gegenwart, Rohstoff der Zukunft

Lignin ist eines der in der Natur am häufigsten vorkommenden Biopolymere und bildet die größte nachwachsende Quelle aromatischer Bausteine. Es gibt nicht das eine Lignin, stattdessen handelt es sich dabei um eine Gruppe von komplexen Molekülen. Im Verbund mit Cellulose und Hemicellulose bildet Lignin Holz, beziehungsweise verholzte Biomasse (Lignocellulose). Diese umfasst nicht nur das Holz von Bäumen und Sträuchern, sondern zum Beispiel auch die Halme von Gräsern und Getreide.

Cellulose und Hemicellulose bilden dabei das Gerüst der pflanzlichen Zellwände, in die sich wiederum das Lignin einlagert und so für Festigkeit und Stabilität sorgt. In Forst- und Landwirtschaft sowie nachgelagerten Bereichen fällt Lignocellulose schon seit langer Zeit in großen Mengen an und wurde vor allem als Brenn- und Baustoff verwendet. Mit der Industrialisierung der Papierherstellung fiel Lignin erstmals von Cellulose und Hemicellulose getrennt und in größeren Mengen als Reststoff an, da es dort als störende Komponente von den restlichen Fasern getrennt wird. Bisher wird das Lignin vor allem thermisch endverwertet und dient damit als Energiequelle für das eigentliche Produktionsverfahren. Manche stofflichen Nutzungen, wie z. B. die chemische Synthese von Aromen, wurden in den letzten Jahren wieder zurückgefahren, da dabei problematische Abfälle entstehen.

Der Aufbau von verholzter Biomasse.
Der Aufbau von verholzter Biomasse

Seit einiger Zeit werden modernere Verfahren entwickelt, um Lignin stofflich und nachhaltiger zu nutzen und weiterzuverarbeiten: entweder als das natürlicherweise vorkommende bzw. in der Papierherstellung anfallende, heterogene Gemisch oder durch neue Verfahren aufgereinigt, um auch für speziellere Anwendungen genutzt werden zu können. In diesem Text werden Forschungsansätze und einige der Technologien zur Gewinnung, Aufbereitung und Nutzung beispielhaft vorgestellt.

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Moleküle knacken, um Potenzial zu entfalten: Die Gewinnung von Lignin

Auch in biotechnologischen Ansätzen, bei denen verholzte Biomasse als Ausgangsstoff dient, werden bisher meist die Cellulose und die Hemicellulose für weitere Schritte aufgereinigt und verwendet. Lignin wird in den meisten Fällen noch immer als Reststoff behandelt und thermisch verwertet.

Auch in Lignocellulose-Bioraffinerien wird verholzte Biomasse in ihre drei Grundbestandteile Cellulose, Hemicellulose und Lignin getrennt. Lignin ist sehr stabil und nicht nur ein einziges Molekül, sondern ein biochemisches Gemisch. Die Aufreinigung ist mit einigem Aufwand verbunden. Eine Möglichkeit ist es deshalb, Lignin-Gemische nach der Trennung in ihrer rohen Form direkt zu verarbeiten und zu nutzen (im nächsten Abschnitt sind einige Beispiele aufgeführt).

Die chemische Struktur des Ligninmoleküls ist komplex und variabel.
Die chemische Struktur des Ligninmoleküls ist komplex und variabel.

Innovative Ansätze in der Bioökonomie-Forschung zielen jedoch auf eine stoffliche Nutzung dieses komplexen Moleküls ab. Viele dieser Anwendungen sind auf möglichst reines Lignin angewiesen, um effizient und kostengünstig zu sein. Zum Beispiel enthält Lignin, das in Zellstoffwerken als Rest anfällt, Schwefelverbindungen, das für viele weiterverarbeitende Schritte problematisch ist. In verschiedenen Forschungsansätzen wird deshalb daran gearbeitet, solch reines Lignin zur Verfügung zu stellen. Am Fraunhofer CBP wird das Lignin hierfür beispielsweise in einem speziellen Verfahren in besonders reiner Form gewonnen. Dabei wird mithilfe eines erhöhten Drucks, erhöhter Temperatur sowie mit Wasser und Ethanol das Lignin von Cellulose und Hemicellulose getrennt (Organosolv-Verfahren; mehr zu dieser Art der Aufbereitung verholzter Biomasse findet sich im zweiten Kapitel der Multimedia-Story “Entdeckungstour durch eine Bioraffinerie”).

Abtrennung von Organoslv-Lignin über eine Filterpresse.
Abtrennung von Organoslv-Lignin über eine Filterpresse

Das brandenburgische Start-up LXP Teltow löst mit einem relativ sanften Verfahren Lignin von Cellulose und Hemicellulose und erreicht dadurch schwefelfreies Lignin mit 90%iger Reinheit. Forschende im europäischen Projekt SElectiveLi haben es sich hingegen zum Ziel gesetzt, Lignin unter Verwendung eines elektrochemischen Verfahrens in Aldehyde aufzureinigen. Hierzu sollen Überschüsse aus der Erzeugung regenerativer Energie genutzt werden, um das Verfahren wirtschaftlich und nachhaltig zu machen. In einem weiteren EU-Projekt namens Sweetwoods haben sich neun europäische Firmen zusammengeschlossen, um in Estland eine Bioraffinerie zu bauen, die aus verholzter Biomasse ebenfalls hochreines Lignin herstellen soll.
Es sind also bereits viele Ansätze auf dem Weg, um der Bioökonomie reines Lignin für biobasierte Produkte zur Verfügung zu stellen.

Audio von Dr. Christine Rasche, Fraunhofer CBP über die Trennung und Aufreinigung von Lignin aus verholzter Biomasse aus unserer Multimedia-Story über Bioraffinerien.

 

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Eine beinah endlose Produktpalette: Anwendungsbereiche von Lignin


Lignin in der Form, wie es nach einer klassischen chemischen Trennung von Cellulose und Hemicellulose anfällt, kann nicht geschmolzen oder geformt werden, hat eine bräunliche Farbe und ist nicht geruchsneutral. Trotz dieser Nachteile kommt eine Reihe von biobasierten Anwendungen dieses biologischen Reststoffes in Frage, unter anderem:

  • Für Additive, Klebstoffe, Holzteer und Bindemittel
  • Für die Beimischung in Autoreifen, wo das Lignin erdölbasierten Ruß ersetzt (Entsprechende Pläne gibt es bei UPM)
  • Zur Bodenverbesserung entweder in Form der Strohreste von abgeerntetem Getreide auf Äckern oder auch durch die Ausbringung von Reststoff-Lignin. Beides hat positive Auswirkungen und letzterer Ansatz setzt zusätzlich weniger CO2 frei als zum Beispiel ausgebrachtes Stroh. Denn bei der Verrottung von Cellulose und Hemicellulose wird mehr CO2 freigesetzt als bei der von Lignin.
  • Das österreichische Unternehmen Lignovations, ein Spin-off der TU Wien, hat ein Verfahren für die Entwicklung von kolloidalem Lignin entwickelt, das für Produkte mit vorteilhaften Eigenschaften wie UV-Schutz oder Entzündungshemmung verwendet werden kann.
  • Das Unternehmen LignoPure bereitet Lignin auf für Anwendungen in der Kosmetikindustrie.

Durch innovative Weiterverarbeitung kann aus rohem Lignin eine formbare Substanz hergestellt werden. Es kann zum Beispiel unter Elektronenbestrahlung zu einem Komposit mit Biokunststoff verbunden und dann per Extrusion verformt werden. So können Materialien aus Lignin hergestellt werden. Eine andere Methode wendet das Unternehmen Tecnaro an (siehe hierzu auch dieses Interview mit Jürgen Pfizer), bei der Lignin mit weiteren biologischen Polymeren und Harzen vermengt wird. Hieraus lassen sich zahlreiche Produkte aus Erdöl substituieren, zum Beispiel auch herkömmliches Plastik.

Andere Prozesse basieren auf aufbereitetem, reinem Lignin. Dabei wird das komplexe Biopolymer als Plattform für eine Vielzahl neuer, biobasierter Chemikalien genutzt, die wiederum ihrerseits Plattformchemikalien für eine Vielzahl von speziellen Anwendungen darstellen.

Zum Beispiel kann über eine elektrochemische Synthese Vanillin aus Lignin gewonnen werden (kommt hierbei Energie aus regenerativen Quellen zum Einsatz, spricht man auch von “Grüner Chemie”). Aktuell werden über 90% des weltweit verwendeten Vanillins synthetisch hergestellt, also nicht aus Vanilleschoten. Das meiste davon inzwischen petrochemisch, also aus fossilen Ausgangsstoffen. Bereits seit einigen Jahrzehnten wird Vanillin auch chemisch aus Lignin synthetisiert, das in der Papierherstellung als Reststoff anfällt. Allerdings fallen beim herkömmlichen Verfahren giftige Abfälle an, weshalb die Produktion größtenteils zurückgefahren und durch eine erdölbasierte ersetzt wurde. Neuere Verfahren, die sich zum Beispiel der Elektrolyse bedienen, sollen eine unproblematische Gewinnung aus Lignin ermöglichen. Allerdings darf das so gewonnene Lignin, anders als biotechnologisch produziertes, bisher nicht als “natürliches” Aroma bezeichnet werden.

Lignin kann auch zur Energiespeicherung verwendet werden, in „Batterien aus Holz“. Dazu werden aus dem Lignin sogenannte Chinone gewonnen, die dann als Elektrolyt in Batterien dienen können.

Auch Carbonfasern werden heute noch hauptsächlich aus fossilen Rohstoffen hergestellt. Doch statt aus erdölbasierten Grundchemikalien kann auch Lignin mit seinem hohen Carbongehalt als hervorragendes Ausgangsmaterial dienen und somit Erdöl ersetzen.

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Mit Biotechnologie Lignin aufwerten: drei innovative Projekte im Fokus

Pilze und Bakterien als Lignin-Architekten

Für den Abbau des sehr stabilen Moleküls Lignin sind Mikroorganismen prädestiniert, besonders Pilze und Bakterien, die in der Natur Holz zersetzen. Ihre Enzyme sind auf die Spaltung der komplexen Struktur spezialisiert und können deshalb in biotechnologischen Anwendungen hochenergetische, konventionelle Prozesse ersetzen.

Die Enzyme (sogenannte ligninolytische Enzyme) werden erforscht und dann mithilfe genetischer Methoden in größeren Mengen produziert. Andere spezialisierte Enzyme können wiederum die Bausteine des Lignins biochemisch modifizieren und so den Grundstein für die Entwicklung neuer Produkte legen. Hieran wird unter anderem in der Gruppe von Dr.-Ing. Susanne Zibek am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB geforscht.

„Lignin ist ein komplexes Molekül, dessen Potenzial wir dank Extraktionsmethoden, chemischer und enzymatischer Umwandlungsprozesse für die Bioökonomie nutzbar machen können.”
Dr.-Ing. Susanne Zibek, Gruppenleiterin Bioprozessentwicklung, Industrielle Biotechnologie am Fraunhofer IGB

Neue Produkte aus Lignin dank Biotechnologie

Eine mögliche Modifikation der Ligninbausteine ist die Fermentation zu cis,cis-Mukonsäure mit Hilfe mikrobieller Zellfabriken. Das Molekül ist eine sogenannte Plattformchemikalie und ermöglicht Zugang zu bedeutenden Industriechemikalien, die in großen Mengen in der pharmazeutischen Industrie, für die Herstellung von Kunststoffen und Agrochemikalien benötigt werden und bisher sämtlich in energieintensiven Prozessen aus fossilen Rohstoffen produziert werden.

Mithilfe verschiedener Mikroorganismen wie Corynebacterium glutamicum oder Pseudomonas putida wandelt die Arbeitsgruppe von Christoph Wittmann Lignin-basierte Aromaten effizient in cis,cis-Mukonsäure um. Dabei können die mittels Metabolic Engineering optimierten Bakterienstämme komplexe Mischungen von Aromaten verarbeiten sowie auch industrielle Hydrolysate und Pyrolysate von Lignin. Aus der aufgereinigten cis,cis-Mukonsäure wird durch das Team an der Universität des Saarlandes mittels Chemie inzwischen biobasierte Adipinsäure und biobasiertes Nylon synthetisiert.

Und auch weitere relevante Stoffe kann die Forschungsgruppe bereits aus Lignin herstellen, zum Beispiel den wichtigen, bisher rein petrochemisch erzeugten Kunststoff PET und PHA, ein abbaubares Biopolymer. Durch die innovative Kopplung chemischer und biologischer Schritte kann auf diese Weise erstmals die komplette Wertschöpfungskette von Lignin bis zu fertigen Industriechemikalien demonstriert werden.

Ökoeffizienzanalysen bewerten diese neuen Verfahren als umweltschonend und ökonomisch attraktiv. Mehr Informationen finden sich auf der Webseite der Arbeitsgruppe.

 

„Das wertvolle Biomolekül Lignin ist zum Verbrennen viel zu schade. Für die Bioökonomie ist es hingegen wie geschaffen. Dank biotechnologischer Verfahren und maßgeschneiderter Zellfabriken können wir daraus eine Vielzahl interessanter und sogar ganz neuer biobasierter Produkte entwickeln. Die neuen Routen sind dabei viel nachhaltiger und rechnen sich zudem auch ökonomisch."
Prof. Dr. Christoph Wittmann, Institut für Systembiotechnologie, Universität des Saarlandes

Entwicklung von optimierten Enzym-Teams

Die Prozesse, bei denen mithilfe von Mikroorganismen beziehungsweise deren Enzymen Lignin abgebaut und umgewandelt wird, müssen weiter verbessert werden, um marktfähige Produkte daraus gewinnen zu können. Prof. Volker Sieber entwickelt mit seiner Forschungsgruppe an der TU München nicht nur spezielle Enzyme, die Lignin besser aufspalten und aus den Bausteinen neue Produkte synthetisieren können, sondern arbeitet auch an der Optimierung von Verfahren zur besseren Nutzung von Lignocellulose.

Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte konvergierende Konversion, bei der passgenaue Teams von Enzymen zusammen- und hintereinandergeschaltet werden, um Ausgangsstoffe von heterogener Zusammensetzung effektiv in gewünschte Plattformchemikalien umzuwandeln (in diesem Video wird das Verfahren erklärt: Express – Folge 25 – Nachhaltige Bioraffinerien).

„Gerade bei der Umwandlung von Lignin entsteht ein riesiger Blumenstrauß an Molekülen, die schwer voneinander zu trennen sind. Daher sind Verfahren wichtig, die Lignin in eine kleine Anzahl von ähnlichen und miteinander in eine Anwendung zu bringenden Produkten aufspalten.“
Prof. Dr. Volker Sieber, Technische Universität München.

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Fazit

Am Beispiel der Nutzung von Lignin wird eine der großen Stärken der Bioökonomie deutlich: Energieaufwendige und auf fossilen Rohstoffen basierende Prozesse können durch nachhaltigere, biologische Verfahren ersetzt werden. Das komplexe, biochemisch schwer zugängliche Biomolekül Lignin wird mithilfe von maßgeschneiderten Mikroorganismen oder deren spezialisierter Enzyme zunächst in seine Bestandteile zerlegt. Anschließend wird aus diesen wiederum eine Vielfalt neuer Verbindungen und Produkte synthetisiert. Durch Innovation sowohl bei der Nutzbarmachung des Reststoffes Lignin als auch der Entwicklung von Produkten werden auf der Basis von Bioökonomieforschung potenziell nachhaltige Alternativen zu bestehenden Verfahren und Produkten entwickelt.