Die Menschheit verbraucht seit Jahrzehnten mehr natürliche Ressourcen, als die Erde pro Jahr zur Verfügung stellen kann. In diesem Jahr fiel der sogenannte Erdüberlastungstag auf den 2. August. Deutschland hatte nach Berechnungen des Global Footprint Network bereits am 4. Mai alle natürlichen Ressourcen verbraucht und lebt seither sozusagen auf Pump. Ein Weiter so kann es nicht geben. Die Bioökonomie bietet Lösungen für ein ressourcenschonendes und nachhaltiges Wirtschaften. Doch der Wandel von einer fossilbasierten hin zu einer auf erneuerbare Ressourcen basierende Wirtschaft bietet nicht nur Chancen, sondern stellt die Gesellschaft auch vor große Herausforderungen.
Um zu einer wirklich nachhaltigen biobasierten Wirtschaftsweise zu gelangen, sind nicht nur wissenschaftlich-technische Innovationen erforderlich. Auch die Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft, Technik, Wirtschaft und Ökologie müssen neu durchdacht werden. Mit der Fördermaßnahme „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung daher die Forschung (BMBF) auf diesem Feld.
Analyse der Innovationspolitik zur Bioökonomie
Im Projekt BioTOP hat ein Forschungsteam unter Leitung der Universität Bremen nun die Innovationspolitik in der Bioökonomie genauer unter die Lupe genommen. „Damit ein nachhaltiger Strukturwandel auch gelingen kann, bedarf es einer effizienten und kohärenten Innovationspolitik“, sagt Projektleiter Nils Grashof von der Universität Bremen. „Für eine zielorientierte Gestaltung solcher Politikmaßnahmen braucht es auch ein fundiertes Wissen im Hinblick auf die entsprechenden Transformationspotenziale und -hindernisse.“
Biomasse, Biomaterialien und Biotechnologie im Blick
In dem vom BMBF von 2019 bis 2022 mit rund 532.000 Euro geförderten Vorhaben haben die Bremer Forschenden den Transformationsprozess sowie die Innovationspolitik anhand verschiedener Indikatoren wie technologische Fähigkeiten sowie Markt-, System- und Transformationsfehler für drei Teilbereiche der Bioökonomie analysiert: Biomasse, Biomaterialien und die Biotechnologie – einschließlich der Gentechnik. „Wir haben uns vor allem mit der Integration der bioökonomischen Aktivitäten in Form von Patenten und Publikationen in den jeweiligen Innovationssystemen beschäftigt“, erklärt Grashof. Zentrale Fragen waren, wie sich die bioökonomischen Aktivitäten bezogen auf die drei Bereiche in Forschungsnetzwerke und technologische Räume integriert und entwickelt haben, welche Treiber die Integration beeinflussen, und welche neuen politischen Maßnahmen geeignet sind, um Fehler zu verhindern und die Integration bioökonomischer Aktivitäten zu fördern. Auch ein Vergleich mit anderen Ländern, wie etwa Norwegen und Italien, wurde vorgenommen.
Bisherige Innovationspolitik auf Wissensgenerierung fokussiert
Anhand von Experteninterviews und der Analyse von Daten zu Patenten, Publikationen und Förderungen zeichnen die Forschenden ein klares Bild der bisherigen Innovationspolitik sowie ihrer Potenziale. Sie zeigen aber auch Strategien für eine bessere Integration bioökonomischer Aktivitäten auf. Die Analyse ergab, dass die Innovationspolitik in der Vergangenheit vor allem darauf fokussiert war, neues Wissen in den Bereichen Biomasse, Biomaterialien und Biotechnologie zu generieren – wobei die Wissensentwicklung und -verbreitung in der Biotechnologie sich besonders positiv darstellte. „Bei der Biotechnologie war dieser Bereich mit am stärksten ausgeprägt hinsichtlich Publikations- und Patentaktivitäten. Auch bei Neugründungen waren starke Aktivitäten zu verzeichnen“, berichtet Grashof. Dem Forscher zufolge hat sich der Fokus der Innovationspolitik in den drei betrachteten Teilbereichen der Bioökonomie bis heute „tatsächlich wenig verändert“. „Das Problem ist eher, dass Wissen auch in den Markt zu bringen und Produkte zu generieren,“ sagt Grashof.
Biomasse-Nutzung schwankend
Im Bereich der Biomaterialien stellten die Forschenden hinsichtlichtlich der Integration einen „starken Anstieg“ fest – vor allem in den letzten Jahren. „Deutlich schwankender“ verlief hingegen die Entwicklung im Bereich Biomasse. Interviews zeigten, dass es immer noch Bedenken gibt, Biomasse als Ausgangsstoff für die Produktion einzusetzen. „Das liegt an dem negativen Image. Hier geht es vor vollem darum, weitere Informationsmaßnahmen zu ergreifen, um die Vorteile biobasierter Produkte zu vermitteln und dabei alle relevanten Interessensgruppen zu berücksichtigen“, resümiert der Projektleiter.
Fakt ist: Der bioökonomische Wandel kann nur gelingen, wenn alle Akteure – auch die Gesellschaft – mit einbezogen werden. Hier sehen die Forschenden in allen drei untersuchten Bereichen der Bioökonomie Nachholbedarf. Eine verbesserte Kommunikation würde nicht nur die Akzeptanz gegenüber bioökonomischen Innovationen positiv beeinflussen, sondern auch die Nachfrage nach biobasierten Produkten und damit die Investitionsbereitschaft bei Unternehmen ankurbeln.
Hohe Preise für biobasierte Produkte beeinflussen Nachfrage
„Bei der Marktbildung haben wir festgestellt, dass es eine mangelnde Nachfrage auf Grund des in der Regel höheren Preises von biobasierten Produkten gibt“, so Grashof. „Aber auch auf der Angebotsseite haben wir Probleme identifiziert.“ Hier zeigte sich, dass Unternehmen aufgrund der geringen Nachfrage aber auch der meist noch kostenintensiven Technologien bei nachhaltigen Investitionen eher zurückhaltend sind – und das, obwohl nachhaltige Lösungen zunehmend in den Vordergrund rücken.
Ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern ergab, dass die drei Bereiche – Biomasse, Biomaterialien, Biotechnologie – seit 2010 in Deutschland zunehmend eine relativ „periphere Rolle“ spielten, also vergleichsweise weniger stark mit anderen Technologien kombiniert wurden. Im Projekt wurden daher klare Handlungsfelder identifiziert, die aufzeigen, wo man die vorhandenen Stärken nutzen kann, um bestehende Blockademechanismen zu entschärfen.
Marktunsicherheit reduzieren durch zentrale Beschaffungspolitik
Hindernisse sehen die Forschenden demnach zum Beispiel in der „Marktunsicherheit“ und in einer „unklaren politischen Richtung“. Marktunsicherheiten könnten demnach etwa durch eine zentrale Beschaffungspolitik reduziert werden, heißt es. „Je größer die Beschaffungspolitik aufgezogen wird, desto größer wird auch die Nachfrage, und um so eher gelingt es, mögliche Investitionsunsicherheiten auf dem Markt zu reduzieren“, erklärt Grashof. Durch eine zentrale Beschaffung könne also der „Staat einen neuen Markt initiieren“ und so die Herstellung nachhaltiger Produkte und Verfahren ankurbeln. Doch dazu müsse auch die Beschaffungspolitik als „Ganzes in eine Richtung gedacht werden“. „Gerade bei der Beschaffungspolitik wäre es wichtig, eine klare politische Richtung vorzugeben. Aktuell ist es so, dass alle in die gleiche Richtung wollen, aber auf ganz unterschiedlichen Bahnen laufen“, sagt Grashof.
Eine weitere wichtige Erkenntnis: Bei der transformationsorientierten Innovationspolitik sollte es keine Insellösungen geben. Vielmehr sollten bioökonomische Aktivitäten und Technologien in die Breite gehen – sprich eine zentrale Rolle im jeweiligen Innovationssystem spielen. „Neue Innovationen dürfen nicht nur in dem Bereich von grünen Technologien bestehen. Auch andere Industrien wie die Stahlindustrie sollten die neuen grünen Technologien adaptieren und potenziell sogar weiterentwickeln“, sagt Grashof. „Wenn die Insellösungen keine Verknüpfungen zum Regime aufbauen und isoliert bleiben, wird es keinen nachhaltigen Wandel geben.“
Bioökonomische Innovationen in den Fokus stellen
Innovationen in die Bioökonomie sollten den Forschenden zufolge von der Nische in das zentrale Innovationssystem geholt werden – und das auch in den einzelnen Regionen. Dabei müssen jedoch die regionalen Kompetenzen und Besonderheiten berücksichtigt werden. „Wo bereits grüne Technologien vorhanden sind und genutzt werden, ist die Transformation eher ein kleiner Schritt. Aber auch andere Regionen wie die Kohleregionen können den nachhaltigen technologischen Wandel schaffen. Entscheidend ist aber, dass die grünen Technologien in den Wissensraum eingebettet werden oder nicht, und ob es bereits einen gewissen Grad einer Verknüpfung zu diesen nachhaltigen Technologien gibt“, sagt Grashof. In Regionen, wo die Kompetenzen fehlen, sollte demnach die Politik unterstützend eingreifen. „Andenfalls besteht das Risiko, dass neue regionale Unterschiede entstehen.“ Der Strukturwandel in den Kohleregionen wird von der Bundesregierung auch durch das „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen" unterstützt.
Klare Orientierung für alle Akteure
Das Fazit der Forschenden: Neben der Schaffung einer zentralen Beschaffungspolitik zur Förderung der Nachfrage, sollten die Kommunikations- und Beteiligungsformate mehr gestärkt werden. Auch sollten die Maßnahmen der Innovationspolitik auf allen Ebenen in die gleiche Richtung gehen. „Es muss klare Missionen, eine klare Orientierung für alle Akteure geben“, so Grashof.
Autorin: Beatrix Boldt