Weltweit steigt der Verbrauch von synthetischen Pflanzenschutzmitteln wie Herbiziden, Insektiziden und Fungiziden. Die Folge: Pestizidrückstände finden sich immer häufiger in Lebensmitteln und reichern sich im Grund- und Trinkwasser an. Synthetische Pestizide stehen zudem in der Kritik, da sie durch ihre unspezifische Wirkung die Artenvielfalt reduzieren und die Bodenfruchtbarkeit vermindern. Ohne Pflanzenschutz geht es nicht, aber sogenannte Biologika – also biobasierte Wirkstoffe – sind eine nachhaltige Alternative.
Ein Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Interaktive Materialien e. V. (DWI) in Aachen sucht nach Wegen, um den Einsatz von synthetischen Pestiziden zu minimieren. Sie sehen großes Potenzial in Pflanzenschutzmitteln auf Protein-Basis und optimieren diese für die Anwendung im Pflanzenschutz. Unter der Leitung des Chemikers Ulrich Schwaneberg und dem Biotechnologen Florian Bourdeaux, arbeiten sie gemeinsam mit Forschenden in Thailand daran, ein für bestimmte Insektenlarven giftiges Bakterienprotein so zu modifizieren, dass es den Witterungsbedingungen auf dem Feld standhalten kann. Ihr Projekt InFuProts wird im Rahmen der Fördermaßnahme „Bioökonomie International“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2021 mit rund 460.000 Euro unterstützt.
Herbst-Heerwurm befällt Spargel und chinesischen Grünkohl
Die Aachener gelten als Experten für Protein-Design und nutzen nobelpreisgekrönte und eigene Methoden, um maßgeschneiderte Proteine herzustellen, die an verschiedenste Materialien binden können und Ankerproteine oder Adhäsionsvermittler genannt werden. Vor einigen Jahren gelang ihnen ein Durchbruch bei der Entwicklung von Ankerpeptiden für den Pflanzenschutz, die regenresistent an der Wachsschicht von Blättern haften. Die von ihnen entwickelte Technologie wird nun in InFuProts eingesetzt, um einen insektenspezifischen Proteinwirkstoff gegen die Raupen der Schmetterlingsart Spodoptera frugiperda herzustellen. Dieser ursprünglich in Nord- und Südamerika beheimatete Schädling ist inzwischen auch nach Asien eingeschleppt worden. „In Thailand tritt der sogenannte Herbst-Heerwurm massenhaft auf und befällt dort wichtige Nutzpflanzen, wie den chinesischen Grünkohl, Spargel und Cassava“, erläutert Projektleiter Florian Bourdeaux.
Bakterielles Protein zur Schädlingsbekämpfung
Ein geeigneter biologischer Wirkstoff zur Bekämpfung des Heerwurms war bereits bekannt und wurde von thailändischen Forschenden am National Center for Genetic Engineering and Biotechnology (BIOTEC) erprobt. Dabei handelt es sich um Vip3A – ein Protein, das ursprünglich aus dem Bakterium Bacillus thuringensis stammt und für den Menschen ungiftig ist. Es wirkt gezielt gegen Schmetterlingslarven, die den Wirkstoff beim Fressen von damit behandelten Blättern aufnehmen und absterben, wenn er in ihren Körper gelangt.
In Laborversuchen der thailändischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwies sich das Mittel als zuverlässig, in Feldversuchen bewährte es sich allerdings nicht: es verlor nach kurzer Zeit seine Wirksamkeit. Deshalb suchten die Forschenden den Kontakt zu dem Aachener-Team. Bei einem gemeinsamen Treffen in Thailand entwickelten sie die Idee zum Kooperationsprojekt. „Unser Ziel war es, Vip3A durch gezielte Modifikation so zu verändern, dass es auch bei Regen auf dem Blatt haften bleibt und thermisch resistenter wird, um seine Funktion zu erhalten“, erläutert Schwaneberg.
Ankerpeptid bindet Wirkstoff ans Blatt
Damit Vip3A nicht vom Blatt abgewaschen wird, koppelten es die Aachener Forschenden über einen Abstandshalter und ein Ankerpeptid fest an die Wachsschicht von Blättern. So entstand ein Fusionsprotein mit zwei unterschiedlichen Funktionen. Auf der einen Seite der Anker, auf der anderen der Wirkstoff. In Laborversuchen in Thailand erwies sich der Wirkstoff auch mit dem Anker noch als wirksam. „Die Versuche haben gezeigt, dass die Ankerpeptidtechnologie so effektiv ist, dass auch nach zwei bis drei Wochen im Freien bei vielen Regenfällen 50 % der Wirkung erhalten bleiben. Nach zwei Monaten war der Wirkstoff jedoch abgebaut“, sagt Schwaneberg.
Aufgrund der starken Haftung des Fusionsproteins kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückstände davon in Lebensmittel gelangen. Um das Risiko allergischer Reaktionen zu minimieren, nutzt das Team nur Proteine ohne allergene Sequenzen und entwickelt die Ankerprotein-Technologie noch weiter. „Die nächste Generation der Fusionsproteine wird zwischen Blatt und Frucht unterscheiden können. Außerdem haben wir pH-schaltbare Adhäsionsvermittler hergestellt, die sich bei einem pH-Wert im leicht sauren Bereich von der Frucht nahezu vollständig ablösen“, erläutert Schwaneberg.
Um die thermische Stabilität von Vip3A zu verbessern, veränderte das Aachener Team die Proteinsequenz des Wirkstoffs. So erhöhten sie dessen Temperaturstabilität von 55,3 auf 57,1 Grad Celsius. Bourdeaux sieht hier noch Verbesserungspotenzial: „Zwei Grad Celsius machen im Feld bereits einen großen Unterschied und können die Lebensdauer des Proteins um 40 bis 50 % erhöhen, aber unser Ziel ist es, die Temperaturstabilität noch weiter zu verbessern, auch indem wir die Struktur des Ankerproteins variieren.“
Weniger Pestizide und längerer Schutz dank intelligenter Technologien
Die Forschenden hoffen, dass sich das von ihnen entwickelte Adhäsionsvermittler-Vip3A Wirkstoff-Konzept zukünftig auch in der landwirtschaftlichen Praxis bewährt. Schwaneberg geht davon aus, dass der biobasierte Wirkstoff aufgrund seiner Regenbeständigkeit kostenkompetitiv ist: „Ein Gramm des bifunktionellen Peptids reicht aus, um etwa 250 Quadratmeter Oberfläche als dichte Monologe zu belegen. Die Produktionskosten für solche Spezialitäten-Proteine liegen bei einem Euro pro Gramm. Bulk Enzyme sind 10- bis 40-fach günstiger. Zudem muss das Biopestizid nur in wenigen Zyklen ausgebracht werden, was Arbeitszeit und Ressourcen spart und den CO₂-Fußabdruck verringert“, so Schwaneberg.
Die Wirkstoffmenge ließe sich sogar noch weiter reduzieren, wenn das Protein in Mikrogel-Container aus Zuckerpolymeren eingebracht würde, die das Pestizid langsam und nach Bedarf freisetzen. Diese sogenannte Green Release Technologie haben die Aachener im Rahmen vieler verschiedener Projekte entwickelt. Darunter auch das vom BMBF geförderte Projekt ProPlanta. Die Kombination beider Technologien ermöglicht es, die eingesetzte Pestizidmenge deutlich zu reduzieren und gleichzeitig einen höheren Pflanzenschutz zu erzielen. Vier Postdoktoranden des DWI und der RWTH Aachen werden die Technologie über die Ausgründung des Start-ups „Aachen Proteineers“ über die nächsten zwei Jahre kommerziell weiterentwickeln.
Großes Anwendungspotenzial für Fusionsproteine
Die insektenspezifischen Wirkpeptide könnten auch gegen andere Schädlinge wie den Buchsbaumzünsler eingesetzt werden, der in Deutschland weit verbreitet ist. Obwohl der proteinbasierte Wirkstoff biologisch abbaubar und biobasiert ist, wird er jedoch nicht im Ökolandbau eingesetzt werden können: „Die beiden Hälften des Fusionsproteins stammen aus Bakterien. In dieser Kombination kommen sie aber in der Natur nicht vor, was in einer regulatorischen Vorprüfung bei der Zulassung für den Ökolandbau als schwierig eingestuft wurde“, erklärt Schwaneberg.
In Zukunft wollen die Forscherinnen und Forscher des DWI nach weiteren Anwendungsmöglichkeiten der von ihnen entwickelten Technologien im Pflanzenschutz suchen und sich im Bereich der Biologika profilieren. Dafür wollen sie perspektivisch auch ein Insektenlabor am Institut in Aachen aufbauen, um die Forschungsarbeiten zu beschleunigen.
Autorin: Doreen Penso Dolfin