Bioökonomie-Agenda mitgestalten
Wie kann die Bioökonomie-Forschung der Zukunft aussehen? Rund 130 Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft diskutierten darüber im Bundesforschungsministerium.
Längst haben biobasierte Produkte den Verbraucher erreicht: Turnschuhe mit Textilien aus Spinnenseide, Lupinen als Proteinalternativen für Lebensmittel oder neue natürliche Inhaltsstoffe für Kosmetika sind nur einige Innovationen, die Forscher in der Bioökonomie vom Labor bis in den Markt gebracht haben. (weitere Produktsteckbriefe gibt es hier) Die Vielfalt der genutzten biologischen Ressourcen reicht von Pflanzen und Tieren über Mikroorganismen bis hin zu Reststoffen, die in der Landwirtschaft oder anderen Industrien anfallen.
Agendakonferenz für die neue Forschungsstrategie
Seit 2010 unterstützt die Bundesregierung diesen Wandel hin zu einer vermehrt biobasierten Wirtschaft mit der "Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030". Doch wie kann diese Forschungspolitik in den nächsten Jahren weiterentwickelt werden? Welche Themenschwerpunkte müssen künftig gesetzt werden? Darüber haben rund 130 Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft am 29. Juni im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) diskutiert. Die Agendakonferenz bot vor allem zivilgesellschaftlichen Akteuren eine Plattform, um Chancen und Risiken der Bioökonomie aus ihrer Perspektive zu diskutieren.
Einig waren sich die meisten Teilnehmer darüber, dass ein einfaches „Weiter so“ nicht zu einer nachhaltigen Bioökonomie führt. Nicht selten treten Zielkonflikte zutage, wenn biologische Ressourcen genutzt werden. „Es geht darum, Wirtschaftlichkeit mit Nachhaltigkeit zu verbinden“, betonte Andrea Noske, Referatsleiterin Bioökonomie im BMBF. Dazu brauche es ein neues Denken. „Wir benötigen ein Update der nationalen Bioökonomie-Forschungsstrategie, und dazu benötigen wir Ihren Input“, sagte sie zur Begrüßung der Konferenzteilnehmer.
Stärker agrar-ökologisch denken
Steffi Ober, Leiterin Ökonomie und Forschungspolitik beim NABU Bundesverband, plädierte ebenfalls für ein Umdenken. Eine allein auf Wirtschaftswachstum ausgerichtete Gesellschaft sieht sie ebenso kritisch wie einen zu starken Fokus auf neue Technologien. „Wir brauchen ein neues Verständnis von Ökonomie und Nachhaltigkeit“, sagte sie in Berlin. In ihrem Vortrag hob sie die große Bedeutung von Innovationen hervor, sprach sich aber gleichzeitig für ein vorsorgeorientiertes Innovationsprinzip und einen agrar-ökologischen Systemansatz aus: „Wir müssen stärker als bisher auch vielversprechende Lowtech-Lösungen verfolgen und die Ansprüche unserer Konsumgesellschaft überdenken.“ Ober stellte zudem ihre Ideen für eine "Akademie für die sozialökologische Transformation" vor, die als Plattform für gesellschaftliche Akteure den Diskurs des Wandels einer Bioökonomie begleiten soll. In der Akademie könnten transdisziplinäre Räte zu Themen wie Klima, Ernährung oder ethischen Aspekten gemeinsam die Chancen und Risiken aktueller Entwicklungen betrachten. Gleichzeitig könnte es hier eine Anbindung an regionale Strukturen geben. Ober: "Auf diese Weise könnten Dialoge mit der Gesellschaft dynamischer und agiler als bisher stattfinden."
Den Konsumenten mit biobasierten Produkten überzeugen
Als Geschäftsführer des börsennotierten Biotech-Unternehmens BRAIN AG aus Zwingenberg rückte Jürgen Eck das Potenzial von Mikroorganismen für die Bioökonomie in den Fokus. „Mit ihrer Hilfe könnten wir langfristig wieder dazukommen, natürliche Kreisläufe zu schließen und industrielle Abfälle oder Reststoffe sinnvoll zu verwerten“, sagte er und verwies als Beispiel auf Mikroben, die CO2 verwerten können oder beim Abbau seltener Erden eine biologische Alternative zu Blausäure bieten. „Letztlich müssen wir aber neue Produkte entwickeln, die dem Konsumenten einen klaren Vorteil und Nutzen bieten. Nur dann wird sich in der Gesellschaft ein Wandel in Richtung Nachhaltigkeit durchsetzen“, betonte Eck bei der Podiumsdiskussion. Darin sahen die Experten aktuell die größte Herausforderung, denn oftmals würden Bioökonomie-Innovationen für den Verbraucher nicht sichtbar.
In kleinen Gruppen wurden am Nachmittag Topthemen einer neuen Forschungsstrategie diskutiert.
Dass die Nutzung biologischer Ressourcen allein noch nicht nachhaltig ist und in vielen Fällen auch ambivalent sein kann, unterstrich Tobias Kümmerle, Professor für Geografie an der Humboldt-Universität Berlin. „Die Bioökonomie ist Problem und Lösung zugleich“, sagte der Wissenschaftler mit Blick auf den Biodiversitätsverlust in Südamerika, den er am Beispiel der intensive Soja-Landwirtschaft in Argentinien erforscht. "Hier konnten wir sehen, dass die Bereitstellung von trockenresistentem Soja zu massiver Entwaldung geführt hat", berichtete Kümmerle. Vor diesem Hintergrund hebt er die Bedeutung von Begleitforschung hervor. „Wir müssen einen Weg finden, biologische Ressourcen nachhaltig zu nutzen und gleichzeitig die ökologischen und sozioökonomischen Folgen im Blick behalten.“ Kümmerle sprach sich dafür aus, insbesondere die Langzeiteffekte zu studieren.
Daniela Thrän, Leiterin der Abteilung Bioenergie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und Mitglied des Bioökonomierates, stellte in der Podiumsdiskussion heraus, dass ein gesellschaftlicher Wandel nur über mehrgleisige Konzepte zu erreichen ist. „Viele Herausforderungen lassen sich nicht mit einer Technologie lösen, das haben wir am Beispiel der Bioenergie gesehen. Wir brauchen ein Monitoring zur Erfassung von Daten, um ein Leitbild für die Bioökonomie zu definieren“, sagte sie.
Sieben parallele Workshops
In parallelen Workshops am Nachmittag war Arbeit in Kleingruppen angesagt: Hier konnten die Konferenzteilnehmer konkrete Ideen für das neue Forschungsrahmenprogramm der Bundesregierung zur Bioökonomie einbringen. In sieben Workshops diskutierten sie den Forschungsbedarf in den Bereichen neue Technologien und Digitalisierung, Biodiversität, Primärproduktion, effiziente Biomassenutzung, nachhaltiger Konsum, internationale Aspekte sowie die Rolle der sozial-, geistes- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschung für die Bioökonomie.
Die sieben Themenbereichen hatten sich in einer Online-Umfrage unter den Konferenzteilnehmern im Vorfeld als diejenigen herauskristallisiert, die das Bundesforschungsministerium künftig stärker durch Förderung adressieren sollte. Im Laufe der Workshops wurde klar, dass eine angepasste Forschungspolitik in vielen Bereichen ein Hebel sein kann, um eine nachhaltige Bioökonomie voranzubringen – vor allem dort, wo das wirtschaftliche Risiko groß oder die gesellschaftliche Verantwortung besonders wichtig ist. Die meisten Experten plädierten zudem für ein ressortübergreifendes Vorgehen, da nicht nur das BMBF, sondern auch Themen des Umwelt-, Landwirtschaft - oder Wirtschaftsministeriums berührt werden. BMBF-Referatsleiterin Andrea Noske bedankte sich für das Feedback und gab einen Ausblick auf den Prozess bis zur Bekanntmachung des neuen Nationalen Forschungsprogramms Bioökonomie: „Wir wollen bis Ende 2018 einen Referentenentwurf fertiggestellt haben, sodass wir das neue Forschungsprogramm spätestens im Sommer 2019 ins Kabinett einbringen können.“
sw/pg