Oberhausen: Bioressourcen raffiniert nutzen

Oberhausen: Bioressourcen raffiniert nutzen

Rückschau und Ausblick: Bei der zehnten Ausgabe der Konferenz „BIO-raffiniert“ drehte sich alles um die innovative Nutzung von Biomasse.

Am 26. und 27. Februar 2019 diskutierten Wissenschaftler in Oberhausen die Zukunft der Bioökonomie.

„Ausgeklügelt, durchdacht und folgerichtig“ - mit dieser Definition zur Herkunft des Konferenztitels hatte Eckhard Weidner, Leiter des Oberhausener Fraunhofer-Instituts UMSICHT, die zehnte „BIO-raffiniert“ in seinem Hause eröffnet. Zum runden Geburtstag der Veranstaltung fasste er die Erkenntnisse der Vorjahre zusammen und beschrieb damit auch das diesjährige Thema: „Wir haben gelernt, dass wir in Kreisläufen denken müssen.“ Wie die Kreisläufe in der Bioökonomie geschlossen werden können, darüber diskutierten rund 90 Teilnehmer am ersten Konferenztag nach drei Impulsvorträgen. Neben dem Fraunhofer UMSICHT hatten die EnergieAgentur.NRW und der Cluster für industrielle Biotechnologie CLIB zu der Konferenz geladen.

Anbau für stoffliche Nutzung anteilig unverändert

„Organische Chemie ist nichts anderes als Nachahmung der Natur“, sagte Jörg Rothermel vom Verband der Chemischen Industrie, der gemeinsam mit Dietmar Peters von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe zwei Jahrzehnte der stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe Revue passieren ließ. Peters betonte mit Blick auf den steigenden Bedarf an landwirtschaftlichen Produkten, dass zwar die Zahl der Betriebe und Mitarbeiter stark gesunken sei. „Aber heute versorgt ein Landwirt nicht nur seine Familie, sondern 130 Menschen.“ Der Anteil des Anbaus für die stoffliche Nutzung in den vergangenen zwei Jahrzehnten sei in etwa konstant geblieben. Gestiegen sei jedoch die Nutzung selbst, und zwar aufgrund von Importen, beispielsweise von Palmöl für Tenside: „Palmen wachsen – zumindest noch – nicht an Nord- oder Ostsee“, scherzte Peters.

Rothermel warnte derweil vor zu großen Erwartungen an die Nutzung von Kohlendioxid als Rohstoff, auch wenn das ein wichtiger Schritt zur Schließung des Kohlenstoffkreislaufs sei: Rund 600 Terawattstunden Strom wären nötig, um hypothetisch Kohlendioxid als einzige Kohlenstoffquelle für die stoffliche Nutzung zu verwenden. Denn dazu müssten enorme Mengen Wasserstoff hergestellt werden. An anderen Kohlenstoffquellen – und damit biologischen Ressourcen im Sinne der Bioökonomie – führe daher kein Weg vorbei.

Vegane Ernährung würde technologischen Kraftakt ersparen

In eine ähnliche Kerbe schlug später Andreas Pfennig von der Universität Lüttich. Er legte dar, weshalb Prognosen für die künftige Größe der Weltbevölkerung vermutlich zu niedrig angesetzt seien – was damit auch für den Bedarf an Agrarprodukten gelte. Die wiederum stünden dann in weit geringem Maß als bislang angenommen für andere Nutzungen zur Verfügung, was auch daran liege, dass mehr als die Hälfte aller Nahrung „erst durch Tiermägen veredelt“ werde. Unabwendbar seien daher Verhaltensänderungen der Menschen. Sonst gäbe es mittelfristig drei Optionen: eine massive Umwandlung von Wald in Ackerland – mit entsprechenden Klimafolgen, wachsender Welthunger oder den Zwang zur maximalen Technologieoptimierung. „Eine rein vegane Ernährung würde riesige Flächen freisetzen, die dann für die Bioökonomie genutzt werden könnten“, warb Pfennig.

Uwe Fritsche vom Institut für Nachhaltigkeitsanalysen und -strategien schärfte ebenfalls das Bewusstsein für die materielle Dimension der Nutzung nachwachsender Rohstoffe. „Energetisch betrachtet verbraucht der Mensch bereits die Hälfte aller Biomasse, die auf dem Planeten wächst.“ Fritsche wies außerdem darauf hin, dass Kreisläufe zwar das richtige Ziel seien. „Aber Recycling ist nicht nachhaltig, solange die Stromproduktion es nicht ist“ – denn in der Regel ist Recycling energieintensiver als die erstmalige Produktion. Und auch nicht jede Bioraffinerie sei nachhaltig. Der Blick lohne auf kleine Bioraffinerien mit Spezialprodukten. Eine eigene Session sollte später das Thema Bioraffinerien vertiefen.

Chemische Synthesen und enzymatische Prozesse verzahnen

Wie die Verzahnung chemischer Synthesen mit enzymatischen Schritten zu neuen Produktionswegen für Industriechemikalien führt, erläuterte der Chemiker Harald Gröger von der Universität Bielefeld. Am Anfang stand für sein Team die Frage, ob man Nitrile ohne die Hilfe giftiger Blausäure herstellen könne. Da es Pflanzen gibt, die Nitrile bilden, aber Blausäure für alle Organismen toxisch ist, musste es möglich sein. Die Forscher identifizierten das entscheidende Enzym der Pflanzen und integrierten es erfolgreich in den chemischen Prozess. Inzwischen lässt sich auf Basis unterschiedlicher Fettaldehyde aus nachwachsenden Rohstoffen ohne den Einsatz von Blausäure ein ganzes Spektrum an Fettnitrilen herstellen.

In den folgenden Workshops ging es auch um soziale Fragen. So diskutierten die Teilnehmer, welchen Beitrag die Bioökonomie zu den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung leisten könne. Bei ihrem Einsatz müsse es darum gehen, die Menschen mitzunehmen und die besten Lösungen für den jeweiligen Bedarf zu finden, anstatt bestimmte Dinge per se zu verbieten. Außerdem bestehe ein wichtiges Ziel darin, Bioökonomie in die Städte zu holen, da dort die großen Stoffströme seien.

Die Konferenzteilnehmer betonten wiederholt die unterschätzte quantitative Bedeutung der Lignocellulose aus der Forstwirtschaft im Vergleich zu Produkten der Landwirtschaft.

 Die Konferenzteilnehmer betonten wiederholt die unterschätzte quantitative Bedeutung der Lignocellulose aus der Forstwirtschaft im Vergleich zu Produkten der Landwirtschaft.

Pflanzenzüchtung und Pflanzenschutz kämpfen mit Regulation

Im Workshop zu modernen Methoden der Pflanzenzüchtung rechnete Andreas Müller vom Forschungszentrum Jülich vor, dass die in den Jahren 2010 bis 2050 benötigte Biomasse voraussichtlich größer sein werde als die gesamte Biomasse, die die Menschheit vor 2010 verbraucht hat. Umso wichtiger sei es, die Leistungsfähigkeit der Pflanzen zu verbessern. „Meines Erachtens stellt Genome Editing mit CRISPR-Cas9 ein überschaubares Risiko dar“, sagte Müller und bedauerte, dass das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs die entsprechende Arbeit erschweren werde. Einen Ansatz, den das Forschungszentrum Jülich verfolgt, ist die Optimierung des pflanzlichen Wurzelwerks. Tausend Pflanzen können dort gleichzeitig und vollautomatisiert in ihrem Wurzelwachstum beobachtet werden. Züchtungsziele könnten tiefere Wurzeln sein, Wurzeln mit optimierten Leitungssystemen und Wurzeln, die ihr Wachstum flexibel an Umweltbedingungen anpassen.

Dagmar Heibertshausen vom Pflanzenschutzmittelhersteller Nufam warnte im Anschluss vor dem möglichen Auslaufen der Zulassung zahlreicher Pflanzenschutzmittel infolge weiter verschärfter EU-Vorschriften. Von heute 50 Getreidefungiziden könnten nur noch 13 übrig bleiben. „Und so schnell haben wir keinen Ersatz“, verwies sie auf die rund zwölf Jahre, die es von einer Wirkstoffentdeckung bis zur Zulassung dauere. „Wer kann so lange im Voraus absehen, was dann nötig und gewünscht ist?“ Auch die Entwicklungskosten seien stark gestiegen - auf heute rund 250 Millionen Euro je Produkt. Zwar sei der chemische Pflanzenschutz nur eine von sechs Säulen im integrierten Pflanzenschutz, aber ohne diesen ginge bis zu einem Drittel der Erträge verloren. Zudem sei die geplante EU-Leitlinie zum Bienenschutz nicht praktikabel. So bräuchte man für jede Substanz für die Tests eine Anbaufläche von 28 mal 16 Quadratkilometern – etwa die Hälfte der Fläche Berlins.

Zahlreiche Praxisbeispiele vorgestellt

Ein weiteres Workshopthema war Synthesegas. Dabei resümierten die Teilnehmer, dass dieser Ansatz nur wirtschaftlich sein könne durch CO2-Zertifikate. Eine weitere Voraussetzung sei die Verfügbarkeit von bezahlbarem Überschussstrom. Selbst dann sei es wichtig, kleine Mengen hochpreisiger Chemikalien kombiniert mit Massenchemikalien zu produzieren.

Im Anschluss an diesen Tag mit oft eher grundsätzlichen Themen standen für den zweiten Tag der Konferenz zahlreiche Praxisbeispiele aus Forschungs- und Industrieprojekten auf dem Programm.

bl