Hightech-Industrie trifft Bioökonomie
Nicht nur im „Schaufenster Bioökonomie“ waren biobasierte Innovationen auch in diesem Jahr auf der Hannover Messe präsent.
Wie kann man Bioökonomie begreifbar machen? Auf diese Frage will der Gemeinschaftsstand „Schaufenster Bioökonomie“ bei der diesjährigen weltgrößten Industriemesse in Hannover eine Antwort geben. In Halle 2 Stand C50 zeigten der Projektträger Jülich, die Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe (FNR) sowie die BIOPRO Baden-Württemberg, was die Bioökonomie schon heute zu bieten hat und wie groß das Potenzial für eine biobasierte Wirtschaft ist. Auch das Team von bioökonomie.de war in der Aussstellung präsent.
19 Forschungsprojekte vorgestellt
Das „Schaufenster Bioökonomie“ bot in diesem Jahr die Bühne für insgesamt 19 Forschungsprojekte, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und dem Land Baden-Württemberg gefördert werden. Die Palette der biobasierten Innovationen reicht von Bioplastik aus Kaffeesatz, über holzbasierte Chemikalien bis hin zu Dämmmaterialien aus Holz und neuen Faserverbundstoffen aus Cellulose für die Autoindustrie. Einer der Hingucker in der Bioökonomie-Ausstellung: Das Bioconcept-Car, ein Rennbolide, der zu großen Teilen aus biobasierten Werkstoffen besteht. Er ist Ergebnis eines zweieinhalbjährigen durch das BMEL geförderten Forschungsprojekts des IfBB zusammen mit dem Rennstall Four Motors, dem auch Smudo angehört, der Sänger der Hip-Hop-Gruppe „Die Fantastischen Vier“. In dem Rennwagen sind naturfaserverstärkten Verbundwerkstoffe, biobasierte Harzen und biobasierte Kunststoffe verbaut. Der Motor wird von Raps-Biodiesel angetrieben.
In mehreren Schichten übereinandergelegt, kann das Tape auch stark belasteter Bauteile wie Autotüren verstärken.
Belastbare Naturfaserverbundstoffe für die Automobilindustrie
Die Automobilindustrie verwendet seit Langem naturfaserverstärkte Verbundstoffe. Der Einsatz beschränkt sich bisher aber auf Bauteile, die keine Belastungen aushalten müssen wie etwa Innenverkleidung oder Unterbodenschutz. Auf dem Gemeinschaftsstand präsentierten Forscher vom Fraunhofer IMWS einen neuen biobasierten Faserverbundstoff, der aufgrund seiner hohen Steifigkeit auch als Verstärkung für Autokarosserien geeignet wäre. Die sogenannte Zellulosegeneratfaser wurden im Rahmen des vom BMBF geförderten Projektes „Bio-DU-Tape“ verwendet. Um die nötige Steifigkeit zu erhalten, wurden hier hauchdünne Laminatstreifen, sogenannte Tapes, unidirektional und in mehreren Lagen übereinander gelegt, gepresst und verschmolzen, wie Lovis Kneisel vom IMWS erklärt.
Im Verbundprojekt "KaVE" wurde ein biobasierter Kunststoff aus Kaffeesatz entwickelt.
Computermäuse aus Kaffeesatz
Wie aus Kaffeesatz Computermäuse entstehen, zeigt im „Schaufenster Bioökonomie“ Anke Kasch von der Kölner abc GmbH. Im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundvorhabens „KaVe“ entstand aus Reststoffen der Instant-Kaffee-Herstellung ein hochwertiges Granulat zur Herstellung von Bioplastik. Für ein thermoverformbares Papier wurde wiederum Cellulose genutzt, dass die Papiertechnische Stiftung (PTS) auf dem Gemeinschaftsstand vorstellt. Für den neuen Werkstoff wurde Cellulose chemisch so modifiziert, dass es ohne Zugabe von Additiven bei Temperaturen von 50 bis 125 Grad Celsius in sogenannten Thermoformingprozessen eingesetzt werden kann.
Bodenbeläge mit PLA weich machen
Eine Kostprobe des ersten weichmacherfreien Fußbodenbelages gab es am Stand vom Fraunhofer Institut UMSICHT zu besichtigen. Im Rahmen des Projektes „Biofloor“, das vom Bundeslandwirtschaftsministerium gefördert wird, entwickelt ein Team um Projektleiter Felix Kroschwald aus Polymilchsäure ein Vulkanisat als Weichmacherersatz für die Herstellung von Fußbodenbelägen.
Das erste alkoholfreie Proteinbier für Kraftsportler wurde in Zusammenarbeit mit der TU Berlin entwickelt.
Aber auch andernorts waren nachhaltige und biobasierte Innovationen auf der Hannover Messe präsent. Ingenieur Wolfram Schmidt stellte am Stand der Bundesanstalt für Materialforschung und prüfung (BAM) einen innovativen, biobasierten Beton vor. Er wird aus Zement hergestellt, der aus Agrarreststoffen gewonnen wird: Aus der derben Schale der Maniokknolle (Cassava). Die Süßkartoffel ist in Afrika als Stärkelieferant ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Nigeria ist der größte Cassava-Produzent. Doch die Cassava-Schalen landen tonnenweise auf Müllhalden, wo sie nur langsam verrotten. Dabei schlummert in ihnen ungeahntes Potenzial. "Die Asche aus Cassava-Schalen oder Reishülsen eignet sich hervorragend als Zementersatz für die Betonherstellung", so Schmidt.
Das ist das Ergebnis einer mehrjährigen Kooperation mit Partnern aus Nigeria, in der Schmidts Team verschiedene Agrarreststoffe auf ihre Eignung als Zementalternative überprüft hat. Nicht nur, dass für den nachhaltigen Beton ein Abfallstoff verwertet wird. Der biobasierte Zementzusatz besticht mit einer deutlich besseren Ökobilanz. Die Nutzung der Cassava-Schalen bringt noch einen weiteren Pluspunkt: Die Verbrennungsenergie bei der Ascheproduktion kann beispielsweise für die Ziegelherstellung genutzt werden.
Digitale Zwillinge in der Wirkstoffproduktion
Warum Big Data und Künstliche Intelligenz auch in der Bioökonomie gefragt sind, demonstrierte das Fraunhofer IME mit seinem Stand zur "adaptiven, vernetzten Produktion" am Beispiel Tabakpflanzen als grüne Arzneifabriken. Am Fraunhofer IME werden Pflanzen unter kontrollierten Bedingungen gesät, aufgezogen, dann biochemisch verändert, sodass sie Medikamente produzieren, und anschließend geerntet. Im letzten Schritt werden die Wirkstoffe extrahiert und isoliert. "Wir wollen die Aufzucht und die Ernte der Pflanzen möglichst so gestalten, dass kein Mensch mehr in Kontakt mit den Pflanzen kommen muss", sagt Johannes Buyel vom Fraunhofer IME.
Da verschiedene Pflanzen unterschiedlich wachsen und verschiedene Mengen an Wirkstoff liefern, ist es hier interessant, die Historie der Pflanzen nachzuvollziehen, um die Wachstumsbedingungen und die Wirkstoffproduktion genau analysieren zu können. "Hier kommen digitale Zwillinge ins Spiel, die aus Scans konstruiert werden", sagt der Forscher. "So können wir am Ende erkennen, unter welchen Bedingungen die Pflanzen besonders produktiv sind und damit den Prozess laufend anpassen. Wir führen hier umfangreiche Big-Data-Analysen durch, um die richtige Parameter zu finden und zu überwachen, die die Wirkstoffproduktion beeinflussen."
bb/pg/