Auf dem Weg zur mikrobiellen Präbiotika-Produktion

Auf dem Weg zur mikrobiellen Präbiotika-Produktion

Forschende haben ein neuartiges mikrobiologisches Herstellungsverfahren entwickelt, mit dem sich Präbiotika und Süßstoffe nachhaltig und effizient herstellen lassen.

Chromatographische Systeme zur Analyse und Aufreinigung  enzymatisch produzierter Präbiotika.
Chromatographische Systeme zur Analyse und Aufreinigung enzymatisch produzierter Präbiotika

Im menschlichen Darm leben unzählige Mikroorganismen, die unser Wohlergehen nachhaltig beeinflussen: Darmbakterien. Sie helfen, wichtige Nährstoffe unserer Nahrung zu verwerten, verdrängen Krankheitserreger im Darm und sorgen für ein intaktes Immunsystem. Eine ausgeglichene Darmflora ist für die Gesundheit daher ausgesprochen wichtig – und die richtige Ernährung kann dazu beitragen, dieses Gleichgewicht zu erhalten. Zu den bekanntesten Gesundheitshelfern gehören Milchsäurebakterien, die in probiotischen Lebensmitteln wie Jogurt enthalten sind. Doch auch die weniger bekannten präbiotischen Lebensmittel haben nachweislich einen positiven Einfluss auf die menschliche Gesundheit. Dazu zählen etwa Getreide, Hülsenfrüchte oder Wurzelgemüse.

Zucker aus nachwachsenden Rohstoffen

Im Rahmen des Verbundprojektes IMPRES wollten Forschende nun mikrobiologische Verfahren entwickeln, um Präbiotika und kalorienarme Süßstoffe nachhaltig und effizient herzustellen. Das Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung von 2017 bis 2021 mit rund einer Million Euro gefördert. Forschende der Universität Bonn waren im Projekt für die Anpassung und Optimierung bakterieller Produktionsplattformen verantwortlich.  Mitarbeiter der RWTH Aachen sowie des Kölner Zuckerherstellers Pfeifer & Langen fokussierten sich auf die Optimierung und ein Upscaling bakterieller Kultivierungsbedingungen. Das Forschungszentrum Jülich war hingegen auf die Entwicklung kalorienarmer Zucker fokussiert – denn gerade synthetische Süßstoffe werden noch immer auf Basis von Erdöl hergestellt. „Unser Ansatz war, dass wir vielversprechende Zucker möglichst aus nachwachsenden und verfügbaren Rohstoffen produzieren. Deshalb haben wir uns auf Saccharose und Stärke konzentriert“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Marcel Hövels aus der Arbeitsgruppe des Projektkoordinators Uwe Deppenmeier von der Universität Bonn.

Moleküle im Haushaltszucker neu verknüpft

Anders als Probiotika enthalten Präbiotika unverdauliche Kohlenhydrate, die erst von den Bakterien im Darm aufgeschlossen werden müssen, um dort gezielt das Wachstum gesundheitsfördernder Bakterien zu unterstützen. Die Bonner Forschenden nutzten zur mikrobiellen Herstellung spezieller Präbiotika – so genannter Fructooligosaccharide – reine kristalline Saccharose – also gewöhnlichen Haushaltszucker. Haushaltszucker besteht zu je einem Teil aus Glukose und Fruktose. Mithilfe spezieller Biokatalysatoren gelang dem Bonner Team, den kristallinen Zucker in diese beiden Untereinheiten aufzuspalten und die Zuckermoleküle neu zu verknüpfen. „Unsere Biokatalysatoren spielen ein bisschen Lego mit dem Haushaltszucker“, beschreibt Hövels. „Auf diese Weise entstanden Zuckerketten, die aufgrund ihrer einzigartigen Verknüpfungen bevorzugt von gesundheitsfördernden Bakterien im menschlichen Darm abgebaut werden.“

Im Projekt produzierte und aufgereinigte Präbiotika auf  Inulin- und Levan-Basis.
Im Projekt produzierte und aufgereinigte Präbiotika auf Inulin- und Levan-Basis

Levan-basierte Präbiotika etablieren

Bei den Biokatalysatoren handelt es sich um sogenannte Levansucrasen und Inulosucrasen. Beide Enzyme wurden im Projekt darauf untersucht, wie ertragreich sie die Präbiotika Levan und Inulin produzieren. Beides sind sogenannte Fructane – lange Zuckerketten aus Fruchtzucker-Einheiten –, deren Zuckermoleküle abhängig von dem jeweiligen Enzym anders verknüpft sind. Im Projekt konzentrierte sich das Team um Hövels eher auf Levan-basierte Präbiotika. Der Grund: Anders als Inulin, das als Präbiotikum bereits in zahlreichen Lebensmitteln verarbeitet wird, sind Levan-basierte Präbiotika auf dem Markt noch nicht verfügbar, da es an entsprechenden Produktionsverfahren fehlt. „Unser Ziel war, Biokatalysatoren zu identifizieren und zu charakterisieren, um größere Mengen von diesen Levan-basierten Präbiotika zu produzieren. Dadurch wollten wir industrielle Verfahren entwickeln, die eine möglichst effiziente und kostengünstige Produktion dieser vielversprechenden Zucker ermöglichen“, erklärt Hövels.
 
Nach anfänglichen Versuchen mit dem bekannten Produktionsstamm Escherichia coli ist das Team schließlich auf das Meeresbakterium Vibrio natriegens umgeschwenkt, um die beschriebenen Biokatalysatoren zu produzieren. „Der Organismus wächst einfach unheimlich schnell und konnte in sehr kurzer Zeit sehr viel Biomasse generieren und damit viel Biokatalysator“, erklärt Hövels. Gerade mit Blick auf die industrielle Produktion von Levan-basierten Präbiotika wäre das von Vorteil, weil die Zeit im Bioreaktor verkürzt und damit Kosten eingespart werden könnten.

Positive Wirkung auf Darmflora nachgewiesen

Darüber hinaus untersuchten die Forschenden, wie gut die modifizierten Zucker von menschlichen Darmbakterien verstoffwechselt werden, sowie deren Wirkung auf die Darmflora. Untersucht wurde das in sogenannten Wachstumsexperimenten anhand von Bakterien, die im Darm lokalisiert sind. „Wir konnten sehen, dass bestimmte gutartige Bakterien die Levan-basierten Fructane sehr gut verstoffwechseln und so davon ausgegangen werden kann, dass sich die Substanzen gut auf die menschliche Darmflora auswirken“, resümiert Hövels.
 
Das mikrobielle Verfahren zu Herstellung Levan-basierter Präbiotika wurde so entwickelt, dass es in der Industrie einsetzbar ist. Ein Patent für den Herstellungsprozess wurde beim Europäischen Patentamt eingereicht und befindet sich zurzeit im Zulassungsprozess. Gegenwärtig arbeiten die Forschenden mit dem Projektpartner Pfeifer & Langen am Upscaling der Prozesse, um größere Mengen der Biokatalysatoren also auch der neuartigen Präbiotika herzustellen. Diese könnten dann in der Lebensmittelindustrie, aber auch bei der Herstellung von Tierfutter eingesetzt werden, und dort nachweislich den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung reduzieren.

Mikrobielle Produktion kalorienarmer Zucker

Hinsichtlich der mikrobiellen Produktion kalorienarmer Zucker auf Basis von Saccharose untersuchten die Wissenschaftler eine modifizierte Form des Milchzuckers – konkret die Lactosucrose. „Mit dem Legoprinzip unserer Biokatalysatoren können auch andere Zuckerderivate produziert werden, die ebenfalls süß schmecken“, resümiert Hövels. So kann beispielsweise der im Haushaltszucker enthaltene Fruchtzucker mit Hilfe der Biokatalysatoren auf Milchzucker übertragen werden. Bei der dabei entstehenden Lactosucrose handelt es sich technisch gesehen nicht mehr um einen Zucker, sondern um einen Ballaststoff. Dies spiegelt sich auch in der Art und Weise wider, wie die Verbindung im Körper verstoffwechselt wird, da Lactosucrose wie andere Ballaststoffe präbiotische Eigenschaften besitzt. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es hier noch andere spannende Produkte gibt, die wir mit unseren Biokatalysatoren produzieren können“, so Hövels. Mittlerweile ist das Verbundprojekt IMPRES mit Unterstützung des BMBF in die zweite Projektphase gestartet.

Autorin: Beatrix Boldt