Bioökonomie in Zentral- und Südasien

Bioökonomie in Zentral- und Südasien

Wie könnte eine Bioökonomie in Kasachstan, Tadschikistan oder Pakistan aussehen? Und welche sozial-ökologischen Veränderungen brächte eine solche Transformation mit sich? Das untersucht das Projekt TRANSECT.

Geerntete Maiskolben in Kasachstan

„Länder wie Pakistan, Tadschikistan und Kasachstan stehen vor großen ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen“, erklärt der Wissenschaftler Michael Spies, Projektleiter von TRANSECT. Gerade für diese Region könnte die Bioökonomie Lösungen mit sich bringen, doch dies wurde aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Lage bislang wenig beachtet. Die ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen „sind auch die Folgen einer Landwirtschaft, die stark auf Intensivierung und Monokulturen gesetzt hat,“ führt Spies weiter aus. So führte der jahrzehntelange Anbau von Baumwolle, Weizen und Mais in Monokulturen in Kasachstan und Tadschikistan etwa zu Bodendegradation. In Pakistan zeigt der nicht-nachhaltige Wandel zum Anbau genmanipulierter Baumwolle, die mit 95 Prozent den Anbau dominiert, zurzeit schwerwiegende ökologischen Folgen: Schädlinge entwickelten Resistenzen gegenüber den neuartigen Pflanzen. Damit verbunden sind drastische Ernteeinbrüche, die dramatische Auswirkungen für die Menschen vor Ort haben. „Auch der Klimawandel hat, vor allem durch die Zunahme von Wetterextremen, bereits großen Einfluss auf die Landwirtschaft in der Region“, sagt Spies.

Eine Region mit viel Potenzial und enormen Herausforderungen

Die BMBF-geförderte Nachwuchsgruppe TRANSECT an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) entwickelt gemeinsam mit der Bevölkerung in den drei Ländern mögliche Bioökonomie-Zukunftsszenarien. Sie sollen die sozial-ökologischen Wirkungsgeflechte eines solchen Transformationsprozesses aufzeigen. „Wir schauen sehr konkret in die Region herein. Dazu gehört auch, die lokalen Entwicklungen in der Landwirtschaft genau zu betrachten und so die große Bandbreite an lokalen Veränderungen in den Blick zu nehmen“ betont Spies. So stellen die Forscherinnen und Forscher sich beispielweise die Fragen: Welche Möglichkeiten gibt es in Tadschikistan für eine nachhaltigere Baumwollproduktion? Und lassen sich Agrartechnologien in Pakistan entsprechend der Bedarfe in der Landwirtschaft gestalten, ohne dass kleinbäuerliche Haushalte davon benachteiligt werden? „Dazu müssen wir eng mit den Landnutzerinnen und -nutzern sowie lokalen Partnern zusammenarbeiten.“ Neben der Verwendung biologischer Ressourcen zur Ernährungssicherung, der stofflich-industriellen Nutzung und der Bioenergie, geht es im Projekt vor allem darum, die Chancen und Risiken einer Bioökonomie für Mensch und Umwelt aufzuzeigen.

Baumwollernte in Tadschikistan.

Vor Ort Kontakte aufbauen und einen Überblick erhalten

Um das herauszufinden, arbeiten die HNEE-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Bevölkerung aus drei Regionen in Pakistan, Tadschikistan, und Kasachstan eng zusammen. „Jede Region stellt eine Fallstudie dar, wobei im ersten Schritt Analysen zu den lokalen Entwicklungen in der Landwirtschaft gemacht werden, um anschließend zu schauen, welche Bioökonomie-Szenarien für die Zukunft denkbar sind“, beschreibt Projektkoordinatorin Madlen Mählis den Ablauf.

Die Forschenden von TRANSECT haben die drei Regionen Südpunjab (Pakistan), Almaty (Kasachstan) sowie Khatlon (Tadschikistan) in je eine Fallstudie unterteilt. Dabei ist mit Fallstudie ein Untersuchungsgegenstand in ihrem realen Umfeld gemeint. Beim Projekt werden zunächst in einer Fallstudie die lokalen Begebenheiten landwirtschaftlicher Transformationsprozesse, auch in ihrem historischen Kontext herausgearbeitet. Danach sollen mögliche Bioökonomie-Szenarien für die Zukunft entwickelt werden. Im November letzten Jahres fuhren die Forschenden von TRANSECT das erste Mal in die Regionen. Spies berichtet: „Unser erster Forschungsaufenthalt war sehr erfolgreich. Wir konnten erste Forschungskontakte knüpfen und Kooperationen anbahnen. In Pakistan etwa konnten wir mit der MNS University of Agriculture Multan einen sehr vielversprechenden neuen Partner gewinnen, der unsere Forschungen vor Ort maßgeblich unterstützt“. Zum zweiten nutze man die ersten Forschungsreisen insbesondere für Interviews mit Landwirten sowie regionalen und nationalen Entscheidungsträgern, um Daten zu sozioökonomischen, institutionellen und ökologischen Aspekten hinsichtlich einer sich verändernden Landnutzung zu gewinnen.  Geplant ist jetzt, diese Daten pro Region durch einen je sechsmonatigen Forschungsaufenthalt vor Ort zu ergänzen.

Komplementiert werden die Fallstudien durch übergreifende Forschungsmodule zu ökologischen und politischen Gesichtspunkten nationaler und transnationaler Bioökonomiebestrebungen.  Eine Gemeinsamkeit der drei Länder im Fokus des Projektes ist ihr gemeinsamer Nachbar China. Der dort stark wachsende Bioökonomiesektor hält sowohl Chancen als auch Risiken für die Länder Zentralasiens bereit. Deshalb wird TRANSECT auch untersuchen, welchen Einfluss China, etwa durch das großangelegte Projekt „Neue Seidenstraße“, auf die Landwirtschaft in der Region hat. Neben den lokalen Befunden der Fallstudien werden zudem auch die nationalen Bioökonomiestrategien der Länder untersucht.

Mit Partizipation und Wissens-Landkarten in die Zukunft

Im Rahmen partizipativer Stakeholder-Workshops sollen schließlich Bioökonomie-Szenarien entwickelt und hinsichtlich ihrer Gestaltungsspielräume ausgeleuchtet werden. Da die Forschungsaufenthalte in der Region durch die COVID-19 Pandemie zunächst verschoben werden müssen, arbeitet das Team um Spies bereits jetzt an der später bei den Workshops zur Anwendung kommenden Methodik. So werden auf der Grundlage einer am Center for Econics and Ecosystem Management der HNEE entwickelten Methode (MARISCO), gemeinsam mit lokalen Akteuren und Stakeholdern „Wissens-Landkarten“ der komplexen sozial-ökologischen Systeme entwickelt. Diese können dann für eine Folgenabschätzung zukünftiger Interventionen im Landwirtschaftssektor hin zu einer Bioökonomie genutzt werden.

Der Forscher ist mit der bisherigen Arbeit vor Ort zufrieden. “Ein großer Faktor bei der Arbeit mit den lokalen Partnern ist sicherlich, dass alle Teammitglieder bereits vor ihren Forschungen mit der Projektregion vertraut waren.“ Der Projektleiter betont auch, dass die große Zahl an Daten, die bereits im November und Dezember gesammelt wurden, nun wissenschaftlich aufgearbeitet sowie zielgerichtet für die Vorbereitung der nächsten Forschungsreisen genutzt werden können. „Wir hoffen, dass wir mit einem Jahr Verzögerung im Frühjahr 2021 unsere Feldforschung in allen drei Ländern wiederaufnehmen können.“

Geerntete Baumwolle in Pakistan.

Die Arbeit der Nachwuchsforschungsgruppe soll eine tiefgehende Analyse über die lokalen Wirkungsgefüge, die Chancen und Risiken landwirtschaftlicher Intensivierungs- und alternativer Transformationspfade in sozial-ökologisch fragilen Systemen liefern. Darüber hinaus soll die Entwicklung einer praxistauglichen Methodik die Analyse, Szenarienentwicklung sowie die Identifikation von Gestaltungsmöglichkeiten eines Wandels hin zur Bioökonomie auch über das eigene Projekt hinaus ermöglichen.

Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel

Das 2014 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) entwickelte Konzept „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“, fördert sozial-, politik- und wirtschafts­wissenschaftliche Forschung. Ziel ist es, bioökonomische Transformationsprozesse langfristig zu etablieren. Dazu bedarf es mehr als technologischer Innovationen, um fossile Ressourcen durch biobasierte Rohstoffe ersetzen zu können. Die Herausforderungen müssen vielmehr auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Ebene angegangen werden. TRANSECT wird im Rahmen dieser Förder­maßnahme im Zeitraum von Mai 2019 bis April 2024 mit 2,6 Mio. Euro gefördert.

Autor: Simon Schöbinger