„Vertical-Farming-Systeme könnten uns künftig auch mit Weizen versorgen“
Susanne BaldermannBeruf:
Promovierte Lebensmittelchemikerin
Position:
Professorin für Food Metabolom an der neuen Fakultät VII für Lebenswissenschaften: Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit der Universität Bayreuth in Kulmbach
Beruf:
Promovierte Lebensmittelchemikerin
Position:
Professorin für Food Metabolom an der neuen Fakultät VII für Lebenswissenschaften: Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit der Universität Bayreuth in Kulmbach
Alternative Agrarsysteme wie das „Vertical Farming“ sind ein Schwerpunkt der Forschungsarbeit von Susanne Baldermann. Mit Blick auf eine gesunde, nachhaltige Ernährung nimmt die Lebensmittelchemikerin unter anderem sekundäre Pflanzenstoffe ins Visier.
Die Ernährung der Zukunft liegt Susanne Baldermann am Herzen. Ihr Forschungsziel: eine gesunde Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen ermöglichen. Ein Aufenthalt in Japan hatte die promovierte Lebensmittelchemikerin einst zur Forschung an Algen inspiriert, aber auch den Blick für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion geschärft. Moderne Agrarsysteme wie das Vertical Farming sieht sie als einen Weg, eine gesunde Ernährung auch künftig zu sichern. Dafür nimmt Baldermann auch sekundäre Pflanzenstoffe von Indoor-Gemüse und -Kräutern ins Visier. Sie ist überzeugt, dass solch moderne Produktionssysteme uns zukünftig das ganze Jahr über regional mit frischen Lebensmitteln versorgen werden.
Ist der Indoor-Anbau in Städten das Agrarsystem der Zukunft, um gesunde Lebensmittel in ausreichender Menge und nachhaltig zu produzieren?
Der Anbau in Vertical-Farming-Systemen für die saisonal unabhängige Produktion von frischen Kräutern und Salaten gewinnt an Bedeutung. Solche Systeme können dabei helfen, mit den Herausforderungen der Landwirtschaft wie der begrenzten Verfügbarkeit von Ackerland und Wasser, dem Rückgang der ländlichen Bevölkerung und der Urbanisierung umzugehen. Systeme mit hohem technologischem Fortschritt spielen dabei eine immer wichtigere Rolle. Hierzu zählen auch geschlossene, steuerbare Pflanzenproduktionssysteme wie Pflanzenfabriken oder der Anbau von Kräutern in Supermärkten in Vertical-Farming-Systemen. Da hier die Produktion auf mehreren Ebenen erfolgt, kann ein sehr hoher Ertrag pro Fläche erzielt werden. Während diese Systeme derzeit vor allem für die Produktion von frischen pflanzlichen Lebensmitteln verwendet werden, haben Berechnungen gezeigt, dass gerade unter den sich ändernden Umweltbedingungen eine Weiterentwicklung der Systeme dazu beitragen könnte, uns zukünftig auch mit Lebensmitteln wie z. B. Weizen zu versorgen.
Welche Eigenschaften müssen Pflanzen für den Indoor-Anbau mitbringen? Welche Rolle spielen sekundäre Pflanzenstoffe?
Die technologischen Entwicklungen erlauben, die Anforderungen an die Pflanzen anzupassen; daher werden immer mehr Pflanzen in diesen Systemen angebaut. Am häufigsten sind Blattgemüse und Kräuter in den Systemen zu finden, da diese gut in den Nährlösungen und bei künstlichem Licht wachsen. Eine Diversifizierung ist aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit. Somit kann der Indoor-Anbau auch dazu beitragen, den Konsum von Gemüse zu erhöhen. Die frischen Indoor-Gemüse enthalten eine vergleichbare Konzentration an sekundären Pflanzenstoffen wie Freilandgemüse. Epidemiologische Studien weisen darauf hin, dass sekundäre Pflanzenstoffe oder pflanzliche Lebensmittel das Risiko für verschiedene nicht-übertragbare Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken können.
Welche sekundären Pflanzenstoffe stehen aktuell im Fokus Ihrer Forschungsarbeit?
Wir beschäftigen uns mit sekundären Pflanzenstoffen, die in der Lage sind, das Risiko für verschiedene nicht-übertragbare Krankheiten zu senken. Schätzungen gehen von vielen Tausend Verbindungen aus. Ein Fokus liegt auf den Carotinoiden. Carotinoide können vom menschlichen Körper nicht synthetisiert werden und müssen daher über die Nahrung aufgenommen werden, wobei Gemüse die Hauptquelle ist. Diese natürlichen Pigmente tragen zu den charakteristischen gelben, orangen und roten Farben von Obst und Gemüse bei. Aufgrund ihrer attraktiven Farben werden Carotinoide häufig zum Färben von Lebens- und Futtermitteln sowie Kosmetika verwendet. Einige Carotinoide werden in Vitamin A und Retinoide umgewandelt. Diese sind für das Sehvermögen, das Immunsystem und die Signalübertragung von Zelle zu Zelle unerlässlich. Darüber hinaus sind Carotinoide lipophile Antioxidantien und können oxidierende Spezies neutralisieren oder verschiedene Prozesse aktivieren, die an der Regulation des Redox-Status beteiligt sind. Wir hoffen, durch unsere Forschungsarbeiten unser Verständnis dafür zu verbessern, wie diese Prozesse ablaufen und welchen Einfluss diese möglicherweise auf die Gesunderhaltung haben.
Sie haben einige Jahre in Japan geforscht und gelehrt.
Inwiefern hat die japanische Esskultur Ihre weitere Forschungsarbeit in Deutschland inspiriert?
Nicht nur die Esskultur, sondern auch der Umgang und die Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln haben mich beeindruckt und inspiriert. Ich würde mir beispielsweise wünschen, dass sich auf unseren Tellern auch so viele regionale, saisonale und frische Lebensmittel befinden. Im Bereich der Forschungsarbeiten habe ich die Faszination für Algen mit nach Deutschland gebracht.
Im Rahmen des Projektes „Food4Future“ befassen Sie sich mit ungewöhnlichen Nahrungsquellen wie Makroalgen, Salzpflanzen, Grillen und Quallen. Wie sieht die Biofabrik für die Ernährung der Zukunft aus?
Um solche Produkte als „Bio“ zu bezeichnen, müsste sich die Gesetzgebung ändern, aber ich bin mir sicher, dass moderne Produktionssysteme eine ergänzende Alternative der „klassischen“ Landwirtschaft sein werden. Diese Systeme werden uns zukünftig regional mit frischem Lebensmittel das ganze Jahr versorgen. Je nach System und welche Organismen dort angebaut werden, werden diese Lebensmittel dazu beitragen, uns mit Makro- und Mikronährstoffen zu versorgen. Dazu zählen beispielsweise Proteine aus Insekten oder Algen, aber auch die bereits erwähnten sekundären Pflanzenstoffe als auch Vitamine und Mineralstoffe.
Was wollen Sie mit Ihrer Forschung erreichen?
Wir möchten uns den Herausforderungen, die mit einer gesunden, qualitativ hochwertigen und nachhaltigen Ernährung verbunden sind, im Rahmen unserer Forschungsarbeiten stellen und die Erkenntnisse nutzen, um einen Beitrag zu leisten, eine gesunde Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen für möglichst viele Menschen zu ermöglichen.
Interview: Beatrix Boldt