Meere und Ozeane bedecken rund 72% der Erdoberfläche. Sie bilden die Lebensräume für eine Vielzahl von Lebewesen wie Algen, Fische, Korallen, Schwämme und Mikroorganismen, die sich auf komplexe Weise gegenseitig beeinflussen. Die marine Biodiversität stellt eine noch in weiten Teilen unerforschte Schatzkiste an Naturstoffen dar, die sich für eine Nutzung durch den Menschen eignen. Marine Bioressourcen wie Fisch und andere Meeresfrüchte sind nicht nur unverzichtbare Nahrungs- und Futtermittel, sondern auch Quellen für Kosmetikzusatzstoffe, Energieträger oder Wirkstoffe.
Die marine Bioökonomie beschäftigt sich mit der nachhaltigen und an Kreisläufen orientierten Erschließung und Nutzung dieser Ressourcen. So können gleichzeitig die lebenswichtigen Ökosystemleistungen des Meeres gewahrt und die Biodiversität geschützt werden. Schon heute ist die marine Bioökonomie ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor: laut Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit einem jährlichen Beitrag zur weltweiten Wertschöpfung von weit mehr als 100 Mrd. US-Dollar für Fischerei, Aquakultur und verarbeitende Industrien.
Dieses Dossier gibt einen Überblick über das Potenzial mariner Ressourcen für die Bioökonomie. Ein Fokus liegt auf biotechnischen Anwendungen. Zudem werden Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft vorgestellt und nationale und internationale Forschungs- und Förderaktivitäten beleuchtet.
Der Planet Erde war die längste Zeit seiner Existenz von Ozeanen bedeckt. Mehr als zwei Milliarden Jahre fand die Evolution der Lebewesen ausschließlich im Wasser statt, bis Tiere und Pflanzen vor etwa 445 Millionen Jahren das Land eroberten. Deshalb brachte die Evolution in den Meeren eine außergewöhnlich große Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten sowie Mikroorganismen hervor. Die Lebewesen haben sich an verschiedene Klimazonen und Habitate mit unterschiedlichem Salzgehalt angepasst.
Die Küstenzonen, die Tiefsee und die oberen, lichtdurchfluteten Schichten der Meere sind für sich genommen Hot Spots der Biodiversität. Zum Teil haben sich die Organismen an extreme Lebensbedingungen wie permanente Dunkelheit, hohe Drücke oder extreme Temperaturen angepasst. Eindrucksvolle Beispiele dafür liefern die Ökosysteme der Hydrothermalquellen in der Tiefsee („Schwarze Raucher“).
Inventur der marinen Lebewesen
Taxonomen schätzen, dass in den Meeren mehr als eine Million höhere Lebensformen und eine Milliarde Mikrobenarten existieren. Mehr als 95% dieser faszinierenden Unterwasserwelt gilt als unerforscht. Eine Reihe von Forschungskonsortien hat sich in den vergangenen Jahren darangemacht, die Vielfalt der marinen Lebewesen zu katalogisieren. Dazu zählt die Initiative „Census of Marine Life“. In einer ersten Bilanz im Jahr 2010 hatten mehrere Forschergruppen etwa 120.000 verschiedene Spezies identifiziert, darunter mehr als 1.200 bisher unbekannte Arten. Die TARA-Expedition hat wiederum eine genetische Inventur des Planktons durchgeführt, und molekularbiologische Spuren von 150.000 Arten in den obersten Schichten der Weltmeere ausgewertet. Darunter waren allein 35.000 Arten von Mikroorganismen. Mikrobiologen wollen das Mikrobiom einzelner mariner Ökosysteme genauer erforschen. So analysiert das Global Coral Microbiome Project gezielt die mikrobielle Vielfalt in Korallenriffen.
Die Vielfalt der marinen Organismen mit ihren außergewöhnlichen Stoffwechselleistungen stellt eine schier unerschöpfliche Quelle für Naturstoffe dar, die sich potenziell für eine Nutzung durch den Menschen eignen. Die Bioökonomie-Forschung beschäftigt sich unter anderem mit der Erforschung und der nachhaltigen Nutzung dieser Bioressourcen.
Die TARA-Expedition ergründete einen weitgehend unerforschten Mikrokosmos der Ozeane, das Plankton.
Herausforderung Klimawandel, Übernutzung und Müll
Gleichzeitig gilt es im Sinne der Nachhaltigkeit jedoch, ein Gleichgewicht zu erhalten: Nutzung auf der einen Seite, aber auch Erhalt und Schutz der Biodiversität. Die große Bedeutung von Meeren und Ozeanen zeigt sich im Hinblick auf die Ernährung: Viele marine Ressourcen bilden für uns Menschen eine wichtige Nahrungsquelle. Laut Vereinten Nationen sind mehr als drei Milliarden Menschen auf Fisch und Meeresfrüchte angewiesen, um ihren Bedarf an tierischen Eiweißen zu decken. Aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung, gestiegener Lebensstandards und verbesserter Transportmöglichkeiten ist die Tendenz weiter steigend.
Der globale Nahrungsbedarf hat an vielen Orten bereits zu Überfischung geführt. Mehr als ein Viertel der weltweiten Fischbestände ist bedroht oder erschöpft. Aber auch der Klimawandel hat Auswirkungen auf die Meere. Ausgelöst durch den gestiegenen Kohlendioxidgehalt der Luft nimmt der Säuregehalt des Meerwassers zu. Habitate gehen deswegen verloren oder verändern sich; die biologische Vielfalt schwindet. Beispielsweise beeinträchtigt die Versauerung den Kalkbildungsprozess, der für viele, insbesondere wirbellose Meeresbewohner wie Muscheln, Korallen und vor allem das Plankton, lebenswichtig ist. Auch steigende Wassertemperaturen und veränderte Strömungen wirken sich aus. Steigende Meeresspiegel bedrohen Lebensräume, verändern lokale Ökosysteme und sind auch für den Menschen eine Bedrohung.
Nach wie vor als kritisch gelten zudem Nähr- und Schadstoffeinträge in die Meere. Inzwischen dokumentieren zahlreiche aktuelle Publikationen, dass die Meere und Gewässer der Erde immer weiter verschmutzt werden. Inzwischen sind demnach mehr als 150 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Meeren gelandet. Auf einer Übersichtseite informiert die Europäische Kommission über das Ausmaß der Müllverschmutzung im Meer.
Im Zeichen des wissenschaftlichen, technologischen und sozialen Fortschritts kommt dem Schutz und Erhalt mariner Ressourcen eine bedeutende Rolle zu. In diesem Zusammenhang stehen auch Anstrengungen, die Ökosystemdienstleistungen der Meere einzuschätzen, also Leistungen, die diese heute und in Zukunft für den Menschen erbringen können.
Für diese Folge von ZOOM+ hat unser Videoteam Mikrobiologen in Hamburg und Bremerhaven besucht, die in marinen Aquarien oder im offenen Ozean nach unbekannten Mikroorganismen fahnden - um sie für biotechnische Anwendungen zu erschließen.
Neben ihrer großen Bedeutung für die Lebensmittelversorgung birgt die Vielfalt der marinen Organismen das Potenzial für neuartige, innovative Produkte. Die biologischen Ressourcen der Meere können künftig in verschiedensten Wirtschaftsbereichen wie der chemischen Industrie, der Kosmetik, der Nahrungs- und Futtermittelproduktion, der Arzneimittelherstellung sowie den Lebenswissenschaften intensiver genutzt werden. Insbesondere der Verzahnung unterschiedlicher Technologien, Plattformen und Aktivitäten messen Experten hierfür eine große Rolle zu. Denn die Komplexität der Ressource Meer verlangt eine enge Kooperation unterschiedlicher Akteure. Im Folgenden wird das breite Spektrum an möglichen Anwendungen vorgestellt.
Industrielle Anwendungen und Konsumgüter
Die reiche Vielfalt an Meeresbewohnern bildet die Grundlage für eine breite Palette an industriellen Anwendungsmöglichkeiten. Insbesondere Bakterien, Wirbellose und Algen stehen im Fokus des Interesses. So präsentiert sich bereits heute der globale Markt für Enzyme als ein Milliarden-Geschäft. Diese Biokatalysatoren, etwa Proteasen oder Amylasen, werden beispielsweise Waschmitteln zur Steigerung der Waschleistung zugesetzt. In der Industrie dienen sie dazu, große Zuckermoleküle zu spalten. Allerdings werden sie derzeit noch meist aus terrestrischen Quellen gewonnen. Eine Alternative und Erweiterung des Spektrums könnten marine Enzyme sein, die an extreme Umweltbedingungen angepasst sind. Sie könnten chemische Synthesen unter extrem sauren oder alkalischen Bedingungen erlauben, Prozessschritte vereinfachen, Waschtemperaturen absenken, Umweltgifte bei niedrigen Temperaturen abbauen oder die Papierherstellung vereinfachen. Selbst eine optimierte Herstellung von Biodiesel oder das Einfangen von Kohlendioxid werden bereits diskutiert.
In einigen Branchen werden marine Ressourcen schon heute tagtäglich genutzt. So zählen die Kosmetik- und die Lebensmittelindustrie zu den Hauptabnehmern von Algen, die in zahlreichen Produkten enthalten sind. Vielen algenbasierten Inhaltsstoffen wird unter anderem eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben. Positiv auf das menschliche Wohlbefinden sollen in ihnen enthaltene Vitamine, Enzyme, Antioxidantien oder essenzielle Öle wirken. Bei Kosmetika zählen Hautpflegeprodukte zu den wichtigsten Produktgruppen, die marine Ressourcen wie Algen einsetzen. So verkaufen Kosmetikfirmen bereits Pflegeprodukte, die Entzündungen hemmen oder zellschädigende Moleküle einfangen sollen. Die Industrie gewinnt inzwischen sehr viele dieser Inhaltsstoffe aus Mikroalgen, wobei sich die Algen-Gattungen Spirulina, Chlorella und Dunaliella besonders gut eignen. Pigmente wie Astaxanthin oder natürliche Farbstoffe wie Phycocyanin und Betacarotin liefern Mikroalgen ebenso wie ungesättigte Omega-3-Fettsäuren. Bis zu zehn Millionen Tonnen Algen werden pro Jahr aus den Ozeanen gefördert – meist aus Aquakulturen in asiatischen Gewässern.
Die im Vergleich mit herkömmlichen Produkten schnellere Rentabilität dieser Produkte, bei einem minimierten Risiko, erklärt die Attraktivität des schnell wachsenden Algenmarktes für Unternehmen. Experten schätzen den Markt für aus Algen gewonnenen Carotinoiden, die zu den hochwertigen Feinchemikalien zählen, auf mehr als 1 Mrd. US-Dollar. Carotinoide finden sich als Farbgeber in Lebensmitteln, als Futtermittelbeimischung oder in kosmetischen sowie pharmazeutischen Produkten. In Asien werden Algen als Nutzpflanzen schon lange kommerziell produziert. Auch in Sansibar (Tansania) werden Algen für die industrielle Nutzung kultiviert. Das Investitionsaufkommen ist gering, die Anbaubedingungen ideal und das Produkt ein Exportschlager. Handelsfirmen bringen die Ware in die USA, nach Frankreich oder Dänemark. Hier werden sie vor allem im Wellness-Bereich eingesetzt.
Eine deutsche Algenfarm wird auf Sylt betrieben. Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) haben hier in einem dreijährigen Projekt die ganzjährige umweltverträgliche Züchtung von Nordsee-Makroalgen als Nahrungsmittel erprobt. Nach Angaben der DBU hat das Projekt die Grundlage für kommerzielle, ökologisch sinnvolle Meeresalgenzüchtung in Deutschland bereitet.
Werkstoffe und biobasierte Werkzeuge
Weltweit arbeiten Forschende in Laboren und Unternehmen an neuen Werkzeugen und Werkstoffen, die ihren Ursprung im Meer haben. In marinen Schwämmen haben Mainzer Forscher das Enzym Silicatein entdeckt. Es ermöglicht, Oberflächen in einem biotechnologischen Prozess mit Silikat zu beschichten. In bisherigen Produktionsprozessen werden hingegen hohe Temperaturen von über 1.800 Grad Celsius benötigt. Silikat weist als Werkstoff eine gute Bioverträglichkeit auf. Künftig könnten damit womöglich auch Zahn- oder Knochendefekte behoben werden.
Medizinisch interessant sind auch aus Muscheln abgeleitete vernetzte Moleküle, die als Gewebekleber oder als Wundauflage in Frage kommen. Forscher vom GEOMAR, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, wiederum arbeiten mit Mikroalgen und Quallen, die Polymere produzieren. Diese können Wasser binden und für die Landwirtschaft wertvoll sein. Oder die gewonnenen Mehrfachmoleküle werden zu Kunststoff-Folien verarbeitet.
Marine Produkte im Laboralltag
Einige Produkte marinen Ursprungs sind unverzichtbar für die Forschung in Biowissenschaften und der Medizin. So nutzen Mikrobiologen seit Langem Mehrfachzucker wie Agar-Agar aus marinen Rotalgen, um Nährmedien zu verfestigen. Nicht mehr aus dem Laboralltag von Molekularbiologen wegzudenken sind thermostabile DNA-Polymerasen. Diese Enzyme stammen unter anderem von marinen Bakterien ab und sind in der Lage, bei sehr hohen Temperaturen Erbsubstanz äußerst schnell und genau zu vervielfältigen. Um zelluläre Vorgänge zu beobachten, steht Molekularbiologen seit einigen Jahren das grün fluoreszierende Protein (GFP) und zahlreiche Varianten davon aus der Qualle Aequorea victoria zur Verfügung.
Schalenabfälle von Krustentieren liefern wiederum den Grundstock für das vielfältig anwendbare Biopolymer Chitosan, das beispielsweise in Medizinprodukten, Zahnpasten oder der Getränkemittelindustrie unabdingbar ist.
Forschende machen sich zudem auf die Suche nach ganz neuen Substanzen, die ihren Ursprung insbesondere in Bakterien haben. Mikroorganismen, die an heißen Quellen in der Tiefsee siedeln und bestens an hohe Temperaturen und Drücke angepasst sind, könnten hitzebeständige Enzyme für industrielle Prozesse liefern. Der Bewuchs von Schiffsrümpfen oder Aquakulturanlagen ließe sich künftig womöglich mit speziellen Enzymen oder in der Natur vorkommenden Nanopartikeln verhindern. Nützlich sind die marinen Helfer auch, wenn es darum geht, Umweltschäden, die durch eine Ölverschmutzung, zu minimieren.
Nahrungsmittelproduktion
Zur Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln kommt der Ressource Meer künftig eine immer wichtigere Rolle zu. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zählen Aquakulturen bereits zu den am schnellsten wachsenden Bereichen der Landwirtschaft. Schon rund die Hälfte des weltweit verzehrten Fisches stammt aus diesen Anlagen; 600 Arten werden weltweit in Teichen, Fließkanälen, rezirkulierenden Systemen, Netzgehegen oder Leinenkulturen gehalten. Doch es gibt Kritik an dieser Form der Lebensmittelerzeugung: Überschüssige Nährstoffe aus Fischfarmen überdüngten umgebende Gewässer, das verwendete Fischfutter enthalte Fisch aus Wildfang. Ebenfalls beanstandet wird der Einsatz von Antibiotika.
Insgesamt werden im Fischerei- und Aquakultursektor weltweit jährlich etwa 140 Millionen Tonnen Fisch – beziehungsweise Fischerei-Erzeugnisse – produziert. Allerdings lässt sich herkömmlicher Fischfang aufgrund von Überfischung und zunehmender Verschmutzung der Meere nur noch schwer steigern. Auch deshalb wächst die Aquakultur. Die Produktion (ohne aquatische Pflanzen) liegt hier bereits bei 66 Millionen Tonnen pro Jahr. Der Ausbau der Aquakultur im Meer und an Land verläuft dabei weltweit sehr ungleich und nicht immer umweltverträglich. Der Großteil der aquakulturellen Produktion findet seit langem in Asien statt.
Es ist erklärtes Ziel der neuen Bioökonomie-Strategie der Europäischen Union und weiterer Richtlinien der EU-Kommission, die Aquakultur in Europa auszubauen. Allerdings ist vor allem die industrielle Verarbeitung von Wildfängen zu Fischfutter für die Aquakultur umstritten. Andere Proteinquellen sind als Ersatz für Fischmehl jedoch nur bedingt geeignet, weil die Zusammensetzung ihrer Aminosäuren häufig am Bedarf der Zuchtfische vorbeigeht. Auch ist es in der Aquakultur schwierig, Kriterien für die Tierhaltung zu bestimmen. Viele Fische sind beispielsweise Schwarmtiere, sodass eine niedrige Besatzdichte nicht automatisch zu einem gesteigerten Tierwohl führt.
Experten am Thünen-Institut für Fischereiökologie analysieren die Umweltwirkung von Aquakulturen, um diese langfristig nachhaltiger zu gestalten. Demnach ist die Umweltwirkung von einer Vielzahl von Faktoren wie der kultivierten Art, dem verwendeten Aquakulturverfahren, dem Ort der Anlagen in einem Gewässersystem und nicht zuletzt den eingesetzten Futtermitteln abhängig. In technischen Anlagen wie Fließkanälen und Kreislaufanlagen können Futterreste und Ausscheidungen der Fische durch technische Maßnahmen aus dem Wasser entfernt werden, allerdings haben diese Anlagen einen hohen Energieverbrauch. Bei Netzkäfiganlagen im offenen Meer besteht diese Möglichkeit nicht, allerdings kann durch die Positionierung der Anlage in der Strömung und bei ausreichender Wassertiefe erreicht werden, dass Futterreste und Ausscheidungen im direkten Umfeld schneller verdünnt werden. An günstigen Standorten können auch die freiwerdenden Nährstoffe durch Muschel- und Algenkulturen „geerntet“ werden, solche Systeme werden integrierte multitrophische Aquakultur (IMTA) genannt.
Ein Team am Thünen-Institut für Fischereiökologie testet auch alternative pflanzliche Proteinquellen für Futtermittel in der Aquakultur, bewertet aquatische Haltungsbedingungen hinsichtlich des Tierwohls und untersucht, welche neuen Arten und innovativen Verfahren sich für die Aquakultur eignen. Zusammen mit dem Thünen-Institut für Seefischerei wird zudem die Wirtschaftlichkeit von Produktionssystemen der Aquakultur und Fischerei international verglichen und das Potenzial mariner Aquakulturen erforscht. So wird das Ziel verfolgt, ökologisch verträgliche und wirtschaftlich tragfähige Formen der Fischwirtschaft zu fördern.
Dass Algen bereits heute wirtschaftlich für den Lebensmitteleinsatz genutzt werden können, zeigen auch einige Start-ups in Deutschland. Zu ihnen gehört auch die Berliner Mint Engineering GmbH. Eine dort entwickelte Anlage zur urbanen Algenkultivierung wurde am EUREF-Campus in Berlin installiert und versorgt die dortige Campuskantine mit Algen. Neben Süßwasser-Spezies sind bei Mint Engineering auch marine Algen im Einsatz.
Das Projekt Plant3 wiederum ist eines von 32 ausgewählten Projekten aus dem Programm „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), das 2017 aufgelegt wurde. Das Ziel: Innovationen in strukturschwachen Regionen wie etwa im nordöstlichen Mecklenburg-Vorpommern steigern. An dem Projekt sind die Universität Greifswald, die WITENO GmbH, die Wirtschaftsfördergesellschaft Vorpommern mbH und die Enzymicals AG beteiligt. Die Projektpartner setzen dabei auf den reichen Fundus an pflanzlichen Ressourcen, die Land, Moore und Meer zu bieten haben. Nachwachsende Rohstoffe wie Algen sollen zu neuen hochwertigen Produkten veredelt werden, um den Strukturwandel in der Region zu fördern.
In unserer Erklärrubrik EXPRESS wird hier kompakt erläutert, was marine Biotechnologie ist.
Wirkstoffe für Medizin und Kosmetik
Weltweit wächst die Bevölkerung und der Anteil an alten Menschen nimmt überproportional zu. Zudem entwickeln Krankheitserreger immer öfter Resistenzen gegenüber den verwendeten Arzneien. Inzwischen suchen Forscher und Firmen daher verstärkt in marinen Lebensräumen nach neuartigen Molekülen, um diesem Problem zu begegnen.
Im Rahmen des EU-Projekts PharmaSea suchten 24 Partner aus 13 Ländern in den heißesten, tiefsten und kältesten Gegenden der Erde nach neuen Mikroorganismen mit bisher unbekannten Eigenschaften. Doch bis aus marinen Naturstoffen ein Medikament für die klinische Praxis wird, ist es ein langer Weg. Dies liegt an den häufig komplexen Molekülstrukturen, die sich nicht so einfach synthetisieren lassen. Die Suche ist zudem zeitraubend und kostenintensiv. Mithilfe moderner Verfahren der Genomforschung lässt sich die Suche nach Wirkstoffen aus marinen Quellen heute deutlich beschleunigen. Auf Basis moderner Sequenzier-Verfahren und Bioinformatik wird nach Erbgutabschnitten gesucht, die Baupläne für vielversprechende Enzyme enthalten. Außerdem werden nicht mehr einzelne Organismen betrachtet, sondern die Erbinformation ganzer Lebensräume wird analysiert (Metagenomik).
Dass in marinen Ressourcen, und hier vor allem Algen, auch heilende Kräfte schlummern, zeigte bereits eine Studie der CRM – Coastal Research & Management GmbH aus Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2015. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Wirkstoffe der heimischen Braunalge Fucus vesiculosus das Wachstum von Krebszellen in der Bauchspeicheldrüse bremsen. Damit unterstreicht die vom BMBF geförderte Studie das Potenzial von Algen als Wirkstofflieferant. Mit der Weichkoralle Antillogorgia elisabethae gibt es inzwischen einen weiteren potenziellen Wirkstofflieferanten für die Krebstherapie. Die in der Karibik beheimatete Koralle bildet einen Naturstoff, mit dem sie sich vor Fressfeinden schützt. Dieser Naturstoff namens Pseudopterosin wird wegen seiner entzündungshemmenden Wirkung bereits in Hautcremes verwendet.
Forscher von der Technischen Hochschule Köln haben beobachtet, dass Pseudopterosin auch die Fähigkeit hat, aggressive metastasierende Brustkrebszellen am Wachstum zu hindern. Auch Braunalgen aus der Ostsee gelten schon lange als gesundheitsfördernd, denn sie enthalten viele bioaktive Inhaltsstoffe wie die Fucoidane. Die Einsatzmöglichkeiten dieser Polysaccharide in Medizin und Kosmetik stehen im Fokus des grenzüberschreitenden Projekts „FucoSan – Gesundheit aus dem Meer“. Das deutsch-dänische Projekt wird von der Europäischen Union im Rahmen des Interreg-Programms mit einer Gesamtsumme von 2,2 Mio. Euro bis Februar 2020 gefördert und steht unter der Leitung von Forschern am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel sowie der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).
Bioenergie
Algen können auch als Energielieferanten dienen – insbesondere als Quelle von fetten Ölen, die für die Biotreibstoffhersteller interessant sind. Denn im Vergleich zu Landpflanzen, die bereits zur Biokraftstoffproduktion eingesetzt werden, bieten Algen eine wesentlich höhere Biomasseproduktivität. So könnten mit einem Hektar Fläche laut dem European Science Foundation Marine Board theoretisch zwischen 20.000 und 80.000 Liter Öl pro Hektar aus Algenkultur gewonnen werden. Palm- und Rapskulturen bringen zwischen 6.000 und 1.500 Liter pro Jahr und Hektar. Ein weiterer Vorteil: Die Algenfarmen können auf landwirtschaftlich nicht genutzten Flächen angelegt werden. Den Verbrauch an Wasser und Nährstoffen könnten geschlossene Systeme zudem auf ein Minimum senken. Gleichwohl muss die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit der Verfahren noch weiter optimiert werden, um die großen Farmen kommerziell erfolgreich betreiben zu können. Laut der OECD wären auch konstant hohe Ölpreise eine Voraussetzung hierfür.
Das Berliner Start-up SOLAGA entwickelt eine neue Methode, um aus Blaualgen Biogas für private Haushalte zu gewinnen. Johann Bauerfeind und Benjamin Herzog erforschen, wie Cyanobakterien Sonnenlicht in Biogas umwandeln können und entwickeln die dafür notwendigen Solarmodule. Nach etwa zwei Jahren Vorlaufzeit haben sie inzwischen den ersten Prototyp vorgestellt. In einem zweistufigen Prozess entsteht darin reines Biomethan. Hier ist neben Süßwasserarten der Einsatz mariner Spezies denkbar.
Die Hamburger Biotechnologiefirma SSC entwickelt Algenbioreaktoren für Hauswände. Im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg hat die Firma das Algenhaus BIQ errichtet: Hier verziert der Algenbioreaktor die Fassade und produziert Biomasse, aus der Biogas gewonnen wird. Damit jede Algenzelle genug Licht erhält, wird das Wasser durch einströmende Gasblasen in Bewegung gehalten. Gefüttert werden die kleinen grünen Zellen mit CO2 aus einer Gastherme. Doch die Fassade dient nicht nur als Brutstätte, sondern produziert auch überschüssige Wärme, die genutzt werden kann, um die Wohnungen im Haus mit Warmwasser zu versorgen. Die Abwässer der Wohnungen wiederum werden in einer angeschlossenen Anlage zu Biogas vergoren. Es handelt sich also um ein echtes Kreislaufsystem, das Abwassertechnik und die Produktion von Wärme und Rohstoffe kombiniert. Die Hamburger Algenfassade funktioniert mit einer Süßwasseralge, doch SSC baut auch Anlagen in anderen Teilen der Welt, die laut Geschäftsführer Martin Kerner mit marinen Algen betrieben werden können.
Mit dem Algentechnikum der Technischen Universität München wurde auf dem Bölkow-Campus ein hochmodernes Algenforschungslabor errichtet. Hier werden seit 2016 größtenteils Algen mariner Herkunft auf ihre Fähigkeit untersucht, bei extremen Salzkonzentrationen fette Öle herzustellen, die sich für die Herstellung von Flugzeugtreibstoffen und anderen Industriechemikalien eignen. Der Neubau wurde aus Landesmitteln und von der Airbus Group finanziert – die Erzeugung von Algen-Biokerosin steht im Mittelpunkt der Forschungsaktivitäten.
Im Algentechnikum der TU München werden vorrangig marine Algen untersucht.
Die Meere und Ozeane sind unverzichtbare Ressource für den Menschen, diese Ökosysteme sind aber auch bedroht durch übermäßige Ausbeutung, Klimawandel und Umweltverschmutzung. Es existieren zahlreiche politische Vorgaben zur Regulierung und Nutzung der marinen Ressourcen. Gleichwohl existieren laut einer Studie der International Union for Conservation of Nature in der internationalen Gesetzgebung große Lücken, wie diese Potenziale nachhaltig gehoben werden können. Derzeit gibt es zahlreiche Initiativen – vor allem auf europäischer Ebene – die untersuchen, wie eine nachhaltige Nutzung der „blauen“ Ressourcen aussehen könnte.
International
In ihrer globalen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung haben die Vereinten Nationen den Meeresschutz als ein bedeutendes Entwicklungsziel (Sustainable Development Goal, SDG) verankert. So formuliert SDG 14: „Die Ozeane, Meere und marinen Ressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen.“
Eine tragende Rolle kommt hierbei den bereits existierenden internationalen Regelwerken zu. Innerhalb seiner 200-Meilen-Zone darf ein Küstenstaat Ressourcen und Fischbestände exklusiv nutzen. Außerhalb der 200-Meilen-Zone von Küstenstaaten gilt internationales Recht. Hier reguliert insbesondere die 1982 geschlossene und 1994 in Kraft getretene „Convention on the Law of the Sea“ (UNCLOS) der Vereinten Nationen die Nutzung.
Eines der übergeordneten Ziele der 1992 in Rio de Janeiro unterzeichneten Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity) ist die gerechte Verteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergeben. Das Nagoya-Protokoll folgte auf die Konvention und ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag, der 2014 nach Ratifizierung durch 50 Länder in Kraft trat. Das Protokoll wurde konzipiert, um sicherzustellen, dass insbesondere ressourcenreiche, ärmere Entwicklungsländer von der Nutzung genetischer Ressourcen profitieren, die aus ihren Hoheitsgebieten stammen. Gleichzeitig soll der Vertrag den fairen und transparenten Zugang zu solchen genetischen Ressourcen gewährleisten. In vielen Ländern, die das Nagoya-Protokoll ratifiziert haben, wurden die notwendigen Rechtsvorschriften und institutionellen Voraussetzungen zur Umsetzung des Vertrags noch nicht geschaffen. Deshalb kann noch nicht beurteilt werden, ob das Nagoya-Protokoll ausreicht, um für mehr Gerechtigkeit bei der Nutzung der genetischen Ressourcen der Meere zu sorgen.
Europa
In Hinblick auf Meere und Ozeane veröffentlichte die EU 2012 ihre „Blue Growth“-Initiative. Ihr Ziel: mehr nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung in allen marinen und maritimen Wirtschaftszweigen zu schaffen. Ebenfalls im Jahr 2012 präsentierte die EU ihre Bioökonomie-Strategie „Innovating for Sustainable Growth: A Bioeconomy for Europe“. Sie fokussiert auf die Nutzung aller biologischen Ressourcen, hat in den vergangenen Jahren aber auch zahlreiche Förderinitiativen zur gezielten Unterstützung der marinen Bioökonomie vorangetrieben. Die im Herbst 2018 veröffentlichte neue EU-Bioökonomie-Strategie will sich künftig noch stärker dem Schutz der Meere und der nachhaltigen Nutzung mariner Ressourcen widmen.
Vor diesem Hintergrund soll insbesondere die Blue Bioeconomy weiter vorangetrieben werden. Diesem Ziel hat sich das neue europäische Forschungsnetzwerk European Research Area-Net Cofund on Blue Bioeconomy (ERA-NET BlueBio COFUND) verschrieben. Hier haben sich 26 Partner aus 16 Ländern zusammengeschlossen, um gemeinsam Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in der Blue Bioeconomy umzusetzen. Im Fokus stehen dabei vor allem neue Lösungen zur Ernährungssicherung sowie zur nachhaltigen Produktion von gesunden und sicheren Lebensmitteln aus aquatischen Ressourcen, die sich dabei auf neues biologisches bzw. biotechnologische Know-how stützen und zusätzlich Informations- und Kommunikationstechnologien nutzen. Eine erste Ausschreibung ist Ende 2018 gestartet (www.bluebioeconomy.eu). Das neue europäische Netzwerk ist das Resultat der Zusammenarbeit der Joint Programming Initiative Healthy and Productive Seas and Oceans (JPI Oceans) sowie der früheren ERA-NET Initiativen COFASP-Cooperation in Fisheries, Aquaculture and Seafood Processing und MBT- Marine Biotechnology. Deutschland ist im ERA-NET BlueBio COFUND durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vertreten.
Auf regulativer Ebene gelang es schon im Jahr 2008, den Schutz der Meere und ihrer Ressourcen in einem umfassenden, integrierten und nicht-sektoralen Ansatz zu verankern – mit der „Marine Strategy Framework Directive“. Daneben gewährleistet die Anfang Januar 2014 in Kraft getretene, neue Gemeinsame Fischereipolitik (GFP), dass Fischerei und Aquakultur umweltverträglich sowie langfristig wirtschaftlich und sozial tragbar sein sollen.
Auf regionaler Ebene in Europa gibt es ebenfalls zahlreiche Initiativen. Ein Beispiel ist das SUBMARINER Network. Unter Federführung des Landeswirtschaftsministeriums in Schleswig-Holstein zusammen mit schwedischen und polnischen Partnern fanden sich hier die Ostsee-Anrainerstaaten zusammen, um künftig elf strategische, in einer Roadmap herausgearbeitete Felder zu bearbeiten. Hierzu zählen Pilotanlagen für neue Aquakultursysteme oder Bioraffinerien, gemeinsame Forschungsprojekte im Bereich der marinen Biotechnologie sowie zur Bewertung von Ökosystemleistungen. Zudem setzt die Baltic Blue Biotechnology Alliance unter dem SUBMAINER-Dach auf transnationale Produktentwicklung. Empfehlungen insbesondere für die Politik erarbeitet das European Marine Board (EMB), eine Denkfabrik für marine Forschung und Technologie. Ihre „European Strategy for Marine Biotechnology“ veröffentlichten sie im Jahr 2002.
Deutschland
Mit Blick auf die Forschungsförderung zur marinen Bioökonomie ist in Deutschland die ressortübergreifende, vom BMBF initiierte „Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“ und deren aktuelle Weiterentwicklung von großer Bedeutung. Ausdrücklich eingeschlossen: die aquatische Biomasseproduktion und deren nachhaltige Nutzung für die Industrie. Das Fachprogramm MARE:N - "Küsten-, Meeres- und Polarforschung für Nachhaltigkeit" ist eine weitere ressortübergreifende Initiative unter Federführung des BMBF. Hier werden Schwerpunktthemen wie Biodiversität und Ökosystemleistungen, aber auch Querschnittsaktivitäten wie innovative Technologien adressiert.
Auf Bundesländerebene ist vor allem der Norden aktiv. Schleswig-Holstein, das Land zwischen Nord- und Ostsee, sieht sein bioökonomisches Potenzial gemäß der geografischen Lage als einziges Bundesland vorwiegend maritim geprägt. In der Regionalen Innovationsstrategie von 2014 werden Potenziale vor allem in der nachhaltigen, modernen Aquakultur, der marinen Biotechnologie und im Bereich der Anlagentechnik identifiziert. Der bereits 2012 erstellte Masterplan Marine Biotechnologie enthält ebenfalls bioökonomische Anforderungen: „Die Marine Biotechnologie soll mit erheblicher Wertschöpfung einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheit und Lebensqualität der Menschen leisten und dabei gleichzeitig die Meeresökosysteme und ihre natürlichen Ressourcen schützen und erhalten.“ Darüber hinaus haben die Bundesländer in Zusammenarbeit mit dem BMBF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) das „Forum Marine Forschung“ etabliert, um zukünftig die Forschungsaktivitäten besser zu koordinieren. Auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es Akteure in der marinen Bioökonomie, etwa am Institut für Pharmazie der Universität Greifswald.
Den öffentlichen Dialog über die vielfältigen Aspekte der Meeresforschung fördert das BMBF ebenso. Erst vor wenigen Jahren präsentierte sich das Wissenschaftsjahr 2016/17 „Meere und Ozeane“ der Öffentlichkeit mit diversen Veranstaltungen.
Zahlreiche wissenschaftliche Institutionen forschen in Deutschland im Bereich der marinen Bioökonomie. Zu den Akteuren zählen außeruniversitäre Einrichtungen, Universitäten, Fachhochschulen sowie Forschungsbetriebe des Bundes. Die Landesanstalten forschen zudem im Auftrag der Bundesländer. Auch in Unternehmen werden marine Ressourcen erforscht.
Das Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität in Niedersachsen untersucht den Zusammenhang von biologischer Vielfalt im Meer und der Funktion und Leistung mariner Ökosysteme. Biodiversität steht auch auf dem Programm des Deutschen Zentrums für Marine Biodiversitätsforschung DZMB in Wilhelmshaven. Es stärkt die systematische Forschung an Meeresorganismen und treibt die Erfassung der Lebensvielfalt in den Ozeanen voran.
Das Bremer Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) forscht dagegen seit mehr als 25 Jahren zur nachhaltigen Nutzung tropischer Küsten und Meere. In diesem Zusammenhang steht ein im Aufbau befindliches Netzwerk verschiedener Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die sich mit der tropischen marinen Bioökonomie und ihrer Relevanz für die deutsche Wirtschaft befassen. Das Netzwerk richtet sich an verschiedene Wirtschaftszweige in den Bereichen Sea Food, Life Science, Pharmazie, Kosmetik, Düngemittel und Futtermittelproduktion sowie Hafen- und Wassermanagement und digitale Technologie. Beim Bremer Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie liegt der Fokus auf mikrobiellen Gemeinschaften, ihrer Vielfalt und ihren Stoffwechselleistungen. Am Bremerhavener AWI, einem Helmholtz-Zentrum, ist das Zentrum für Aquakulturforschung (ZAF) untergebracht. Hier wird der Frage nach einer umweltbewussten, nachhaltigen Aquakultur nachgegangen.
Eine weitere führende Einrichtung zur Meeresforschung befindet sich in Schleswig-Holstein. Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, forscht zu Aquakultur und zur marinen Ökologie mit einem eigenen Wirkstoffzentrum. Das Zentrum verfügt über vier eigene Forschungsschiffe. Diese gehören zur deutschen Forschungsflotte der im Konsortium Deutsche Meeresforschung zusammengeschlossenen Forschungseinrichtungen. Koordiniert vom GEOMAR und unterstützt von der EU mit 21 Mio. Euro arbeiten aktuell 62 Nationen zusammen an einem besseren Verständnis des Atlantischen Ozeans, im Projekt AtlantOS. Eine ebenso tragende Rolle spielt diese Forschungseinrichtung gemeinsam mit dem Institut für Weltwirtschaft (IfW), der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der Muthesius Kunsthochschule im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“. In diesem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Cluster stehen rund 35 Mio. Euro zur Verfügung. Das Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) ist an der Universität Bremen angesiedelt und erforscht die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im Erdsystem. MARUM widmet sich zudem der Ausbildung im Bereich der marinen Umweltforschung.
Die Lübecker Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie und Zelltechnik (Fraunhofer EMB) fokussiert wiederum stärker auf industrienahe Forschung. Sie arbeitet an Verwertungsmöglichkeiten für aquatische Rohstoffe in der Lebensmitteltechnik und ist mit großtechnischen Aquakulturanlagen ausgestattet, in denen marine Organismen gezüchtet werden können. Eine eigene Forschungs- und Versuchsanlage betreibt auch die Gesellschaft für Marine Aquakultur mbH in Büsum. In Mecklenburg-Vorpommern ist ein Ziel der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock, Aquaponik in Mecklenburg-Vorpommern zu etablieren. Und am Institut für Pharmazie der Universität Greifswald wird unter anderem zur Aktivität mariner Polysaccharide geforscht. Auch am Deutschen Meeresmuseum in Stralsund wird die marine Biodiversität erforscht.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche Forschergruppen, die sich mit der Aktivität von Algen sowie der Konstruktion von Algenbioreaktoren beschäftigen. Im Projekt „AlgNutrient-UrBioSol“ arbeiten daran zum Beispiel Forschende vom Solar-Institut Jülich (SIJ) der Fachhochschule Aachen und dem Forschungszentrums Jülich (FZJ) gemeinsam mit russischen Kollegen. Forschende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Universitäten Jena und Leipzig sowie der Hochschule Anhalt beschäftigen sich wiederum mit Nährstoffen aus Algen für Nahrungsmittel. Wissenschaftler der Universität Konstanz wollen Mikroalgen indes für die Herstellung von Basis-Chemikalien fit machen.
Europäische Union
Mit dem aktuellen Forschungsprogramm Horizon 2020 fördert die EU zahlreiche Netzwerke zur marinen Bioökonomie. Darunter auch das seit Dezember 2018 laufende ERA-NET BlueBio COFUND sowie die Plattform „Sustainable European aquaculture 4.0: nutrition and breeding“, um Züchtungsverfahren und Futtermittel zu verbessern sowie „MarPipe“ als ein Nachfolger des PharmaSea-Projektes. „MarTERA“ zielt als ERA-NET-Cofund-Projekt darauf ab, den Europäischen Forschungsraum in den Bereichen Meerestechnik und „Blue Growth“ zu stärken. ERA CoBioTech will den Wissensaustausch in der Biotechnologie verbessern und unterstützen, dass Synergien in dem Bereich besser genutzt werden.
Bereits seit dem Jahr 2000 entwickelt die Europäische Kommission zusammen mit den Mitgliedsländern den Europäischen Forschungsraum (ERA). In diesem Zusammenhang rief sie 2013 das ERA-NET Marine Biotechnology (ERA-MBT) ins Leben, um Europas marines Ökosystem über transnationale Projekte genauer zu untersuchen und so die Ressource Meer besser zu erschließen und nachhaltig zu nutzen. In einer abschließenden Roadmap zu Forschung und Innovation definieren die Autoren fünf Bereiche mit Bedeutung für die künftige Entwicklung der marinen Biotechnologie. Diese umfassen die Erforschung der Meeresumwelt, Biomasseerzeugung und -verarbeitung, Produktinnovation und Produktdifferenzierung, Grundlagentechnologien und Infrastruktur sowie politische Unterstützung und Förderung. Dagegen stärkte das ERA-NET COFASP das Zusammengehen einzelner europäischer Forschungsprogramme im Bereich der marinen Nahrungsmittelproduktion.
EMBRIC, das European Research Infrastructure Consortium, vernetzt darüber hinaus existierende Infrastrukturen miteinander, insbesondere aus den Bio- und Sozialwissenschaften. Eine Verknüpfung von Wissenschaft, Industrie und Politik gilt ebenfalls als Ziel. Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kommission auch Matchmaking-Veranstaltungen wie die Blue Invest 2018 organisiert. Der Vernetzung von Akteuren aus Industrie, Behörden, Wissenschaft und Finanzierung dient auch das von der EASME, der europäischen Exekutivagentur für kleine und mittlere Unternehmen, finanzierte „Marine Bioeconomy Forum“. Die Entwicklung der Blue Bioeconomy voranbringen soll zudem das neue „Blue Economy Forum“. Neben neuen Produkten steht hier ebenfalls eine Roadmap mit Handlungsempfehlungen auf der Agenda. Die Koordinierung von Forschungsaktivitäten in den EU-Mitgliedsstaaten und anderen interessierten Ländern hat sich die Joint Programming Initiative (JPI) Oceans auf die Fahnen geschrieben. Die Industrie- und EU-finanzierte Joint-Technology-Initiative „Bio-based Industries“, eine private-öffentliche Partnerschaft, aktualisierte ihre Innovations- und Forschungsagenda im Jahr 2017. Neben landwirtschaftlichen Rohstoffen soll nun auch verstärkt aquatische Biomasse berücksichtigt werden.
Daneben bringt sich die EU in die Europäischen Technologieplattformen (ETPs) ein, wie die European Aquaculture Technology and Innovation Platform (EATIP) oder Food for Life. Diese Industrie-geführten Initiativen für Technologieentwicklung, Innovation und Wissenstransfer finanzieren sich selbst. Der Europäische Meeres- und Fischereifonds (EMFF) fördert dagegen die regionale Wettbewerbsfähigkeit kleiner Firmen, indem er auf eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Fischerei und Aquakultur abzielt. Er trägt überwiegend zur Kofinanzierung nationaler Programme bei.
Ebenso auf die marine Biotechnologie zugeschnitten waren zahlreiche geförderte Forschungskonsortien: PharmaSea mit seinem Fokus auf neuen Arzneien, INMARE mit dem Schwerpunkt marine Enzyme, SeaBioTech mit der industriellen Biotechnologie im Vordergrund, MaCuMBA mit seinen neuen Kultivierungsmethoden sowie Micro B3 mit seinem bioinformatischen Schwerpunkt. Forschung zu Mehrzweck-Plattformen wie TROPOS oder H2OCEAN unterstützte die Europäische Kommission ebenso. Hier sollten Aquakultur, Energie-Gewinnung, Monitoring und andere Bereiche unter einem Dach zusammengebracht werden.
Deutschland
Ende August 2018 veröffentlichte das BMBF seine Richtlinie zur Förderung von Forschungsvorhaben für „Neue biotechnologische Prozesse auf der Grundlage mariner Ressourcen – BioProMare“. Hiermit sollen bisher wenig untersuchte biotechnologische Potenziale des marinen Lebensraums erkannt, erforscht und genutzt werden. Zudem sollen die als Verbundvorhaben organisierten Projekte künftig Anwendungen in der industriellen Biotechnologie ermöglichen. Insbesondere werden folgende thematische Schwerpunkte adressiert: Prozess-, Stamm- und Zelllinienentwicklung, Integration von Eigenschaften mariner Organismen in Prozesse; Biosensorik, Bioinformatik-Instrumente, nachhaltige marine Aquakultur und Konzepte zum Abbau synthetischer Polymere. Daneben beabsichtigt das BMBF, die Vernetzung der wissenschaftlichen Akteure und die Fachkommunikation mittels eines eigens geförderten Moduls zu unterstützen. Langfristig soll die Maßnahme zur technologisch und ökonomisch nachhaltigen Erschließung mariner Bioressourcen im Sinne der Bioökonomie und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie beitragen.
Anfang 2019 konnte sich ein Initiatorenteam der Christian-Albrechts-Universität Kiel mit dem Konzept „Bioökonomie auf Marinen Standorten – BaMS“ im Wettbewerb um Förderung im Rahmen der BMBF-Maßnahme „Innovationsräume Bioökonomie“ durchsetzen. Der Innovationsraum „BaMS“ wird mit derzeit 79 Projektpartnern aus Forschung, Industrie und Verwaltung innovative Ansätze für eine umfassende Kreislaufwirtschaft auf Basis von Fischen, Muscheln und Algen erarbeiten. In einem einzigartigen Bioraffineriekonzept sollen dabei Abwasserströmen und norddeutschen Gewässern Nährstoffe entzogen werden, die ihren Ursprung vor allem in unterschiedlichen Eintragsprozessen im Hinterland haben. Diese Nährstoffe sollen zur Produktion von aquatischer Biomasse benutzt und weiteren Verwertungsprozessen zugeführt werden. So können mit marinen Rohstoffen gespeiste Bioraffinerien ein mögliches Überangebot an Nährstoffen im Wasser reduzieren, Ökosysteme der Norddeutschen Tiefebene und der Küstengewässer entlasten und wertvolle Ressourcen in den Stoffkreislauf zurückführen. Eine ökologisch-sensitive und nachhaltige Aquakultur wird in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Die Entwicklung entsprechender Anlagen und die Erforschung neuer Verfahren hat ein hohes Innovationspotenzial, das im Innovationsraum entscheidend vorangetrieben werden soll.
Ebenso auf der Förderagenda des BMBF stehen Kompetenznetze, internationale Kooperationen oder die marine Genomforschung. Auf europäischer Ebene ist das BMBF wie bereits erwähnt an der ersten Ausschreibung des ERA-NET BlueBio COFUND beteiligt. Auch im Rahmen der BMBF-Fördermaßnahmen „KMU innovativ: Biotechnologie – Biochance“ und „Bioökonomie International“ werden Forschungs- und Entwicklungsprojekte zum Thema marine Biotechnologie unterstützt.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert die marine Bioökonomie im Rahmen des „Förderprogramms Nachwachsende Rohstoffe“. Hier werden vorrangig Maßnahmen der angewandten Forschung und Entwicklung unterstützt. Als ein Kernziel der Förderung gilt die Entwicklung und Erprobung nachhaltiger und wirtschaftlich tragfähiger Produktionssysteme für aquatische Verfahren zur Gewinnung biogener Wertstoffe und Energieträger zur Verbreiterung der Rohstoffbasis. Weitere Förderansätze adressieren Monitoring-Maßnahmen, Produktionsverfahren, eine nachhaltige Fischereiwirtschaft und genetische Ressourcen. Das BMEL ist ebenfalls am ERA-NET BlueBio COFUND beteiligt.
In Schleswig-Holstein sitzt das mit EU- und Landesmitteln ausgestattete Kompetenznetzwerk Aquakultur (KNAQ) mit seinen mehr als 900 Akteuren. Offen für Beteiligte aus dem gesamten Bundesgebiet unterstützt es die nachhaltige Entwicklung der Aquakultur sowie die Vernetzung aller in der Aquakulturbranche vertretenen Partner. Mitglieder aus Deutschland in der Denkfabrik und Lobbygruppe Conference of Peripheral Maritime Regions sind die Länder Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Niedersachsen.
Redaktion: Philipp Graf, Sebastian Delbrück, Sandra Wirsching