Weg von fossilen Rohstoffen: Dieses Ziel verfolgen der Energiesektor ebenso wie die chemische Industrie im Zuge der Klimakrise mit erhöhtem Tempo. Eine wichtige regenerative Alternative zum Erdöl ist dabei die Lignocellulose, ein Verbund verschiedener pflanzlicher Polymere, der in den Zellwänden verholzter Pflanzen vorkommt. Typische Quellen sind Holz und Reststoffe wie Stroh oder Papierabfälle. Bislang sind chemische Grundstoffe auf Basis von Lignocellulose jedoch recht teuer. Einen der wesentlichen Kostentreiber hat nun das Projekt „TrickleZyme“ eliminiert.
Rieselstromreaktor ersetzt Batchverfahren
„Das Problem sind die Enzymkosten für die Umwandlung“, erläutert Stefan Dröge vom Prüf- und Forschungsinstitut (PFI) in Pirmasens. Drei Gruppen von Enzymen sind daran beteiligt, aus Lignocellulose Glukose zu gewinnen, die als Ausgangspunkt vieler Plattformchemikalien und Biokraftstoffe dienen kann: Cellobiohydrolasen, Endoglucanasen und Beta-Glucosidasen. Erzeugt werden diese Enzyme bislang durch Pilzkulturen in Bioreaktoren. Mit jeder Charge werden Pilze und Produkte entnommen und anschließend die Pilzkulturen für die nächste Charge neu angeimpft.
„Wir setzen stattdessen auf einen Rieselstromreaktor“, beschreibt Dröge. Zunächst wird das Stroh mit Wärme und Säure vorbehandelt. Dann fließt dieses Substrat in dem selbst entwickelten Reaktor über ein Festbett aus Kunststoffkörpern, an denen der Pilz wächst. Auf festen Körpern bildet der Pilz Aspergillus nigulans ein flächiges Myzel und schüttet besonders viele Beta-Glucosidasen aus. „Der Vorteil besteht darin, dass der Pilz nur auf den Oberflächen der Kunststoffkörper wächst und die Enzyme direkt ins Medium abgibt“, erklärt der Projektleiter. Das erleichtert die Aufreinigung des Produkts und ermöglicht eine kontinuierliche Prozessführung, die erheblich Zeit einspart und damit eine höhere Produktivität besitzt.
Pilzmutante mit steuerbarem Wachstum
Allerdings gibt es ein Problem: „Die Pilze erzeugen auch Biomasse, und mit der Zeit verstopft der Reaktor“, so Dröge. „Unser Ansatz sind daher spezielle Pilze, deren Wachstum wir gezielt stoppen können. Dann produzieren sie nur noch Enzyme, aber keine Biomasse mehr.“ Möglich macht das eine spezielle Mutante, die die Projektpartner an der Oklahoma State University entwickelt haben: Diesen Pilzen fehlt ein bestimmter Wachstumsfaktor. Sie vermehren sich daher nur, solange dem Nährmedium eben dieser Wachstumsfaktor hinzugegeben wird.
Doch damit entstand ein neues Problem, wie das Forscherteam bald feststellen musste: Das Fehlen des Wachstumsfaktors war für die Pilze Stress, so dass diese verstärkt Melanin bildeten. „Melanin verbraucht Zucker, verunreinigt die Lösung und verklebt den Reaktor“, schildert Dröge. Über die Zusammensetzung der Spurenstoffe in der Nährlösung gelang es schließlich aber, die Melaninproduktion so weit zu verringern, dass sie für den Prozess keine Störung mehr bedeutete.
Ein Rieselstromreaktor ermöglicht es, den Prozess kontinuierlich zu führen.
Umfangreiche Prozessoptimierungen
Die zweite große Herausforderung bestand darin, den kontinuierlich geführten Prozess steril zu halten. „Das erforderte viele verfahrenstechnische Anpassungen und Modifikationen des Mediums“, erinnert sich der Projektleiter. Außerdem testeten die Forscher unterschiedliche Füllkörpertypen und stellten dabei fest, dass beispielsweise bei zu kleinen Körpern die Verklumpung durch Melanin nicht in den Griff zu bekommen wäre. Am Ende wurden die Mühen jedoch belohnt: Es gelang, den Prozess zwei Wochen lang kontinuierlich zu betreiben, bevor der Reaktor erneut angeimpft werden musste. Rund 300 Units pro Liter und Stunde des Enzyms Beta-Glucosidase produzierte das System – rund 50% mehr als etablierte Batch-Prozesse.
„Sehr positiv“ vermerkt Dröge außerdem, dass die Pilze problemlos in Naturhydrolysaten wachsen, der Rohstoff Stroh also nicht teuer aufbereitet werden muss. „Wir mussten nur wenige Nährstoffe zusetzen“, freut sich der Wissenschaftler.
Machbarkeitsbeweis erbracht
Das eigentliche Ziel des mit rund 300.000 Euro vom Bundesforschungsministerium im Programm „Bioökonomie International“ geförderten Projekts haben die Partner damit erreicht. „Jetzt wollen wir das Verfahren auf andere Enzymgruppen übertragen“, berichtet Dröge. Wenn man nur Beta-Glucosidasen wolle, dann sei dieser Prozess gut nutzbar. Um Lignocellulose effizient zu verzuckern, seien jedoch alle drei Enzyme – auch Cellobiohydrolasen und Endoglucanasen – erforderlich. Insbesondere die Endoglucanasen seien für das Tempo des Abbaus entscheidend, und die produziert der eingesetzte Pilz nicht gut. „Denkbar wäre eine gemischte Fermentation mit verschiedenen Pilzen“, erläutert der Projektleiter. „Unser Ziel war aber nicht die Umwandlung der Lignocellulose, sondern zu zeigen, dass ein kontinuierlicher Prozess möglich ist.“
Der dürfte auch über die Lignocellulose hinaus interessant sein: „Wir haben das Projekt zwar in Richtung Lignocellulose entwickelt, aber auch ein Abbau von Reststoffen aus dem Lebensmittelbereich wäre mit Enzymen denkbar“, blickt Dröge in die Zukunft. Dann wären das Ziel beispielsweise Proteasen und Peptidasen.
Björn Lohmann