Von der Erfindung vor rund 2.000 Jahren in China bis zum heutigen Hightechmaterial: Die Papierherstellung hat einen weiten Weg hinter sich, der vielseitiger ist, als man auf den ersten Blick vermuten mag. Rund 3.000 Sorten Papier existieren inzwischen – und doch gibt es nicht für alle gewünschten Anwendungen eine geeignete Lösung. Das ist beispielsweise der Fall, wenn es darum geht, mineralölbasierte Kunststoffe zu ersetzen. Das Forschungsprojekt „New Hybrid Paper“ (NewHyPe) möchte für gleich zwei Anwendungsfälle eine solche Lösung finden.
Bisherige Alternativen selten wirtschaftlich
„In der Landwirtschaft wird Mulchfolie eingesetzt, um Wärme und Wasser zu regulieren“, erzählt Klaus Rose vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung (ISC). „Die Polyethylenfolie verrottet aber nur langsam bis gar nicht und trägt dabei Mikroplastik in den Ackerboden und das Grundwasser ein.“ Zwar gibt es inzwischen eine bioabbaubare Alternative aus Polymilchsäure, doch bis auf einige Spezialanwendungen ist diese für den Einmalgebrauch zu kostspielig. Als Teil des Programms „Bioeconomy in the North“, das auf die skandinavischen Wälder als Rohstoffquelle fokussiert, dachte das „NyHyPe“-Team bei der Suche nach Alternativen schnell an Cellulose – und damit an Papier.
„Papier zersetzt sich schnell“, erläutert Rose, „aber für diesen Zweck zu schnell“. Rund drei Monate sollte das Material halten und sich dann aber vollständig zersetzen. Außerdem sollte es nicht durch Nässe reißen, wie Papier das normalerweise tut, und nicht durch UV-Strahlung verwittern. Die Projektidee lautet daher, das Papier so zu beschichten, dass es seine Aufgabe als Mulchschicht lange genug erfüllen kann. Dabei muss die Beschichtung dieses Hybridpapiers natürlich ihrerseits nach gegebener Zeit gut biologisch abbaubar sein.
Ormocere als funktionale Alternative
Die Lösung könnte in sogenannten Ormoceren liegen, die um 1998 am ISC erfunden wurden. „Ormocere bestehen aus einer organischen Komponente, die zu CO2 und Wasser zersetzt wird, und einer anorganischen Komponente aus Silikaten“, schildert Rose. Silikate bilden einen Großteil der Erdkruste. Papier und Beschichtung wären somit vollständig biologisch abbaubar, ohne dass Mikroplastik entstünde. Der Silikatanteil verleiht dem Hybridpapier einen Großteil seiner Stabilität. Zu viel ließe das Material jedoch spröde und brüchig werden. Die richtigen organischen Bausteine bewahren die nötige Flexibilität und machen die Beschichtung hydrophob, also wasserabweisend.
Welche organischen Gruppen für diesen Zweck sinnvoll sind, ist aus der Polymerchemie hinreichend bekannt. Dennoch hat das Forschungsteam den größten Teil des ersten Jahres damit verbracht, Kandidaten und vor allem Kandidatenmischungen zu erproben. „Zehn bis zwölf Schichttypen haben wir ausprobiert“, berichtet Rose, etwa die Hälfte davon sei besonders vielversprechend und werde weiter untersucht. „Die Hydrophobie ist schon sehr gut, die Nassreißfestigkeit ist deutlich verbessert, und die Zersetzung etwas gebremst – aber noch nicht genug.“ Weitere Stellschrauben sind neben der Chemie die Dicke der Beschichtung und die Entscheidung, ob sie von einer oder von beiden Seiten aufgetragen wird. Offen ist auch noch, ob das Wasser vom Hybridpapier aufgenommen werden soll oder es lediglich benetzen wird.
Die Projektbeteiligten und ihre Aufgaben
- Fraunhofer ISC, Forschungsinstitut der Fraunhofer-Gesellschaft, Deutschland: Erforschung und Entwicklung hybridpolymerer Materialien (ORMOCER®) als Beschichtungsmaterial für Papier und Bindemittel für Nanocellulose-Papier
- SurA Chemicals, KMU, Industriepartner, Deutschland: Herstellung und Upscaling der hybridpolymeren Materialien, Schichtanwendung/Verarbeitung
- VTT, Forschungsorganisation, Finnland: Herstellung von cellulosebasierten Kompositen, Beschichtung von Papier, Charakterisierung und Tests
- Walki, Industriepartner, Finnland: Papierhersteller
- RISE PFI, Forschungsinstitut, Norwegen: Herstellung von (Nano-)Cellulosefasern, Nanocellulosepapier, Charakterisierung, Tests
- Norske Skog Skogn, Industriepartner, Norwegen: Papierhersteller
Optimierung der Verfahrensschritte
Herausfordernd ist zudem die Verbindung von Papier und Ormoceren. „Die Schichten müssen vernetzt und getrocknet werden“, erläutert der ISC-Forscher. Erfolgt der Polymerisationsschritt besser thermisch oder durch UV-Strahlung? Außerdem darf die Härtung nicht zu lange dauern: „Das Papier läuft auf riesigen Rollen – das ist eine Hochgeschwindigkeitsverarbeitung, die durch die Beschichtung nicht ausgebremst werden darf.“
Mit dem, was das ISC an Kandidaten entwickelt, beschichten die Forschungspartner in Finnland und Norwegen unterschiedliche Papiere und werten die Eigenschaften des Hybridpapiers aus. Ob das Ganze am Ende für die großflächige Anwendung taugt, erprobt der deutsche Industriepartner SurA Chemicals, der neben dem Upscaling auch im Blick behält, ob das Verfahren letztlich wirtschaftlich sein kann.
Verbundmaterial aus Nanocellulose und Ormoceren
„Wir haben außerdem noch eine weitere Idee, die wir verfolgen“, sagt Rose: „Ein ganz neues Papier.“ Anstelle von gewöhnlicher Cellulose würde dazu das Fasermaterial zu Nanocellulose zerkleinert. Durch die vielen kleinen Fasern entsteht automatisch eine höhere Festigkeit. Die Ormocere kämen dennoch zum Einsatz, nämlich als eine netzartige Matrix, in die die Nanocellulose eingebunden wird. Über die Dichte des Netzes könnten dann die Stabilität und Flexibilität beeinflusst werden. Dieser Verbundstoff käme als Hybridmulchpapier ohne Beschichtung aus.
Zwar liegt das Hauptaugenmerk auf einer Alternative zu Mulchfolien, doch sehen die Projektbeteiligten noch eine zweite Anwendung, für die ihr Ansatz geeignet wäre: nanocellulosebasiertes Hybridpapier als Verpackungsmaterial. Auch hier müsste es reißfest, biegsam und wasserfest sein und würde die oftmals mineralölbasierten Kunststofffolien durch eine nachhaltige und kompostierbare Alternative ersetzen.
„NewHyPe“ läuft noch bis zum 31.1.2023 und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 697.000 Euro gefördert.
Autor: Björn Lohmann