Biobasierte Stadt

Biobasierte Stadt

Wie kann sie aussehen, die Stadt von morgen? Welche biobasierten Innovationen gibt es bereits? Woran wird getüftelt? Dieses Dossier gibt einen Überblick.

 

Biobasierte Stadt - Zeichnung

Lebten 1950 nur 28,8% der Weltbevölkerung in Städten, waren es 2009 bereits 49,9%. Bis 2050 wird sich der Anteil nach Schätzungen des Departments für ökonomische und soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN/DESA) auf nahezu 70% weiter erhöhen.

Die globale Urbanisierung stellt enorme Herausforderungen an eine nachhaltige Entwicklung. Der Bedarf an Wohnraum, Nahrungsmitteln, Infrastruktur und Energie wächst stetig. Städte sind laut, schmutzig und im Sommer sehr heiß. Nur eine nachhaltige Stadtentwicklung kann ihren Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel, Energie- und Ressourceneffizienz sowie nachhaltiger Mobilität leisten. Biobasierte Ansätze können hier wichtige Impulse setzen – beim Bauen, mit Blick auf eine urbane Landwirtschaft, bei der Versorgung mit Energie oder der Nutzung von Abfall und Reststoffen.

Bauen und Wohnen

Nachhaltig Bauen bedeutet, den Verbrauch an Energie und Ressourcen möglichst niedrig zu halten. Alle Lebenszyklen eines Gebäudes von der Rohstoffgewinnung über die Errichtung bis zum Rückbau müssen betrachtet und sämtliche Einflussfaktoren müssen optimiert werden. Die Nutzung biobasierter Materialien wie Holz spielt dabei eine wichtige Rolle.

Baustoff Holz

Dachte man bislang beim Stichwort Holzbau vor allem an romantische Blockhütten oder Scheunen, ist hier inzwischen ein Imagewandel eingetreten. En Vielzahl an Beispielen von Architekten auf der ganzen Welt belegen, dass sich mit Holz nicht nur nachhaltig und solide, sondern auch präzise, modern und sogar hoch bauen lässt.

Die ökologischen Vorteile des Baustoffs Holz liegen auf der Hand: Holz ist ein ressourcenschonender, nachwachsender Rohstoff. Im Wachstum konserviert Holz Kohlenstoff, der viele Jahre gespeichert wird – Holz ist daher als Klima schützendes CO2-Depot sehr beliebt. Außerdem ist der Bedarf an Energie für Produktion und Transport äußerst gering, auch die Entsorgung im Allgemeinen unproblematisch.

Im Vergleich zu anderen Baumaterialien steht Bauholz zudem viel besser da. Es ist bei gleicher Tragfähigkeit deutlich leichter als Stahl. Holz hat fast die gleiche Druck­festigkeit wie Beton, kann aber auch Zugkräfte aufnehmen, für die bei Beton eine Stahlbewehrung notwendig ist. Holz ist wärmedämmend, fühlt sich angenehm und warm an, hat also sinnlich wahrnehmbare und haptische Qualitäten.

An der Technischen Universität München beschäftigt sich beispielsweise die Professur für Entwerfen und Holzbau mit dem ressourcenschonenden, nachhaltigen Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen. Lehrstuhlinhaber und Architekt Hermann Kaufmann hat zusammen mit Acton Ostry Architects ein 18-stöckiges Studentenwohnheim aus Holz entworfen, das derzeit in Vancouver errichtet wird. Der Holzpionier zeigte bereits 2012 mit seinem Life Cycle Tower in Dornbirn, wie tragfähig das Material ist. Das kanadische Studentenwohnheim wird mit 53 Metern der vorerst höchste Holzbau der Welt.

HolzbauPlus

Mit dem Bundeswettbewerb HolzbauPlus etwa will das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die Aufmerksamkeit auf besonders nachhaltige Gebäude mit einer ganzheitlichen Materialwahl lenken. Ausgezeichnet werden Bauprojekte, die Holz in Kombination mit anderen nachwachsenden Rohstoffen in Konstruktion, Dämmung und Ausbau verwenden. Zum ersten Mal fand der Wettbewerb 2012 statt, 2016 ging er in die dritte Runde. 127 Projekte wurden eingereicht und zeigten erneut die vielfältigen Möglichkeiten zukunftsfähigen Bauens mit nachwachsenden Rohstoffen.

Inzwischen gibt es auch immer mehr Forscher, die sich der Entwicklung neuartiger holzbasierter Baumaterialien verschrieben haben. Dazu gehört beispielsweise das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützte Spitzencluster BioEconomy, in dem an der unterschiedlichsten Nutzung des Rohstoffs Buchenholz geforscht wird. Hier stehen unter anderem innovative Holzverbundwerkstoffe im Fokus. 

Ökologischer Innenausbau

Auch beim Innenausbau wird dank des steigenden ökologischen Bewusstseins sowie der guten Verarbeitbarkeit der Materialien immer häufiger zu Naturstoffen gegriffen. Besonders attraktiv sind Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, da sie nicht nur den hohen bautechnischen Anforderungen an Wärmeschutz genügen, sondern auch ein angenehmes Wohnklima und eine ausgeglichene CO2-Bilanz garantieren.

In Deutschland hat sich hier bereits eine vielfältige Forschungslandschaft entwickelt. Ein zentraler Akteur ist das Fraunhofer-Institut für Holzforschung WKI. Mit über vier Millionen Euro fördert das BMEL seit Jahresbeginn 2017 unter anderem das Verbundvorhaben „Mehr als nur Dämmung - Zusatznutzen von Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen“.  Das interdisziplinäre Konsortium, das sich aus zwölf Forschungseinrichtungen unter der Leitung des WKI zusammensetzt, forscht an­ Lösungen, um den Einsatz nachwachsender Rohstoffe signifikant zu steigern. Die sechs Arbeitsbereiche des Projekts »Brandschutz und Glimmverhalten«, »Schallschutz«, »Wärmeschutz«, »Nachhaltigkeitsanalysen«, »Feuchteschutz« und »Emissionen« führen erstmals zu einer ganzheitlichen Betrachtung des Themas.

Neue Herstellungsmethoden sorgen für immer bessere Materialien und ein breiteres Anwendungsspektrum. So wird am Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen der Universität Stuttgart an innovativen Sandwichpanelen zur Innenraumdämmung geforscht. Bei der Hannover Messe 2017 stießen diese Innovationen auf großes Interesse (zum Artikel).

Auch tierische Fasern etwa Schafschurwolle eignen sich als biobasierte Dämmmaterialien. Innovative Ansätze werden unter anderem an den Hohenstein Instituten erarbeitet. 

Weitere Informationen:

Beispiele für Anwendungen biobasierter Dämmstoffe, Faserputzen, Bodenbeläge und Farben
finden Sie hier: BRANCHEN >BAU

Hier finden Sie: Biobasierte Innovationen auf der Hannover Messe 2017

Moderne Stadtplanung für eine saubere Luft

Eine weitere Strategie besteht darin, in großen Städten mit viel Verkehr für eine bessere Luft zu sorgen. Der Bedarf ist groß: Laut einer Analyse der Weltgesundheitsorganisation WHO atmen neun von zehn Stadtbewohnern stark verschmutzte Luft. Diese Luftverschmutzung zu reduzieren, Städte lebenswerter zu machen und dem Klimawandel entgegenzuwirken – das war die Motivation für die Dresdner Gründer des Start-ups Green City Solutions, das inzwischen in Berlin angesiedelt ist.

Ihre Idee: Eine Wandkonstruktion bedeckt mit Moos, die so viel Feinstaub, CO2 und Stickoxide filtern kann wie 275 Bäume. Möglich wird die Filterleistung durch einen Pflanzenmix aus Mooskulturen für die Feinstaubfilterung sowie weiteren Pflanzen für gasförmige Schadstoffe. Um die automatische Bewässerung und Nährstoffversorgung zu regeln, messen zahlreiche Sensoren in der Wand unter anderem Feinstaubgehalt, Regenmenge und Temperatur.

Mehr dazu im Video: "City Tree": Smarte Moos-Bäume für die Stadt

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Urbane Landwirtschaft

Wie werden wir uns in Zukunft ernähren? Diese Frage gehört angesichts der wachsenden Weltbevölkerung zu den drängendsten Fragen unserer Gesellschaft. Gerade die Ernährungssicherung großer Städte mit Millionen von Einwohnern ist eine Herausforderung.

Neue Ansätze in der Lebensmittelproduktion sind dringend erforderlich. Hier setzt die urbane Landwirtschaft an. Nahrungsmittel könnten demnächst direkt in der Stadt angebaut werden. Am besten noch in platzsparender senkrechter statt horizontaler Bauweise – durch die direkte Nähe zum Verbraucher werden so nicht nur Platz, sondern auch Energie, Transportzeit und - kosten eingespart.

Jedoch kann eine nachhaltige Stadtentwicklung nicht nur innerhalb der Stadtgrenzen erfolgen, Umland und ländlicher Raum müssen mit einbezogen werden - mit den ökonomischen, sozialen und politischen Aspekten einer nachhaltigen Agrarlandschaftsnutzung befasst sich z.B. das Institut für Sozioökonomie am Leibniz-Institut für Agrarlandschaft (ZALF).

Vertical Farming

Bewährt hat sich das Konzept bereits in den asiatischen Ballungszentren. Aber erste Projekte zum Vertical Farming gibt es auch in Deutschland: Das Start-up infarm reagiert mit seinen modularen Anbausystemen auf die wachsende Nachfrage nach gesunden und nachhaltigen Nahrungsmitteln. In durchsichtigen Hochregalen über denen LED-Lichter kreisen, wachsen Kräuter und Salate, statt Erde gedeihen die Pflanzen in einem Substrat aus Kokosfasern, das weder Pilze noch Bakterien enthält. Die Metro-Gruppe konnte bereits von der Idee überzeugt werden, in einer Berli­ner Filiale hält eine Infarm-Box Kräuter und Salate für die Kunden bereit.

Aquaponik

Ein weiterer Ansatz: Aquaponik, eine Kombination der Fisch- und Pflanzenzucht. Etwa ein Drittel aller Speisefische kommt heutzutage aus Zuchtanlagen. Große Wassermengen werden dadurch verbraucht und verschmutzt. Das Aquaponiksystem verbindet die Aufzucht von Fischen mit der Kultivierung von Nutzpflanzen. Die Fische liefern die Nährstoffe für die Pflanzen, diese wiederum filtern das Wasser. So lassen sich auch große Nahrungsmittelmengen umweltschonend in der Stadt produzieren.

Aquaponik: Das aufbereitete Fischwasser dient dabei als Dünger für die Pflanzen.
Aquaponik: Das aufbereitete Fischwasser dient dabei als Dünger für die Pflanzen.

Erdbeeren und Fische auf Berlins Dächern
Beispiele für Aquaponik gibt es in der Hauptstadt Deutschlands. Auf dem Dach eines Wohnhauses in Berlin-Kreuzberg befindet sich die „Roof Water Farm“ – ein mit Mitteln des BMBF gefördertes Forschungsprojekt der Technischen Universität Berlin und sechs weiterer Partner.

Im Gewächshaus werden Kräuter, Salate und Erdbeeren angebaut – direkt daneben ein Fischzuchtbecken. Das Projekt beschäftigt sich auch mit innovativen Methoden der Siedlungswasserwirtschaft. Denn für die Bewirtschaftung wird durch Mikroorganismen und UV-Licht aufbereitetes Abwasser verwendet, und auch wieder in den Wasserkreislauf, z. B. als Spülwasser für die Toilette, eingespeist.   

Nicht weit entfernt, in der Nähe des stillgelegten Flughafens Tempelhof, produziert die ECF Farmsystems Hauptstadtbarsch und –basilikum in ihrer Referenzfarm, das eigentliche Produkt der Firma ist nämlich nicht Fisch oder Gemüse, sondern die Aquaponiktechnologie.

Algen für urbanen Anbau

Möglicherweise werden wir uns nicht nur neue Anbauorte erschließen, sondern auch unser Speiseplan erweitern. Auch hier ist Asien Vorreiter – dort kommen Algen fast täglich auf den Teller. In Europa ist dies noch äußerst selten. Dabei sind Algen gesund und vielseitig. Sie enthalten einen hohen Anteil an Proteinen, Mineralstoffen, Spurenelementen, Vitaminen und Omega-3-Fettsäuren. Was sie zudem interessant macht: auch sie eignen sich für den urbanen Anbau. Algen lassen sich in geschlossenen Systemen fast überall kultivieren. Der Wasserbedarf ist gering und ein Großteil des Wassers kann recycelt werden. Die Herausforderung liegt eher beim optimalen Lichteinfall. Für einen solchen Algenanbau werden spezielle Photobioreaktoren gebraucht, für die es in Deutschland etliche Experten gibt. 2015 eröffnete das erste Algentechnikum an der TU München, aber unter anderem wird auch am Forschungszentrum Jülich und am Fraunhofer IGB an der Optimierung der Bioreaktoren geforscht.

Kommerziell werden Photobioreaktoren zur Mikroalgenproduktion beispielsweise durch die Berliner Mint Engineering GmbH entwickelt. Deren Anlagen zur urbanen Algenkultivierung können sowohl an Fassaden als auch innerhalb von Gebäuden integriert werden. Eine erste Anlage wurde am EUREF Campus in Berlin installiert und versorgt die dortige Campuskantine mit Algen.

Mehr im Video: Stadt der Zukunft: Urbane Landwirtschaft

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Energieversorgung

Schon heute verbrauchen Städte bis zu 80 Prozent der weltweit erzeugten Energie und sind für bis zu 70 Prozent des Treibhausgas-Ausstoßes der Menschheit verantwortlich. Als Hauptverursacher sind es auch die Städte, die am meisten gegensteuern können. Neue, nachhaltige und ressourcenschonende Energiekonzepte sind gefragt.

Konzepte für die Stadt im Klimawandel

Bioenergie, also Energie aus Biomasse, ist eine der regenerativen Energiequellen. Da die verfügbare Fläche für den Anbau von Biomasse jedoch begrenzt ist, sind hier besondere intelligente Ansätze gefragt. Welche Lösungen vielversprechend sein könnten, darüber wurde unter anderem bei der Internationalen Bauausstellung (IBA Hamburg) diskutiert, die von 2006 bis 2013 stattgefunden hat. Sie stand unter dem Motto „Entwürfe für die Zukunft der Metropole“ und widmete sich den Herausforderungen von Globalisierung, Polarisierung und Klimawandel.

Eines der Leitthemen der IBA war „Stadt im Klimawandel“. Es sollte die Frage nach einer klimaverträglichen Zukunft der Metropole beantworten. Da die Energie in den Städten besonders effizient direkt bei den Verbrauchern erzeugt werden kann, hat die IBA für einen ganzen Stadtteil ein Energiekonzept zur Eigenversorgung der Gebäude erstellt.

Energie aus Algen

Teil dieses Konzeptes ist unter anderem das Bio-Intelligenzquotient-Haus (BIQ), auch Algenhaus genannt. Hier können Algen zeigen, dass sie sehr viel mehr können als Nährstoffe liefern – als wahre Multitalente finden sie nicht nur in der Lebensmittelbranche, der Pharma- und Kosmetikindustrie, sondern auch in der Energiebranche Verwendung.

Mikroalgen nutzen Sonnenlicht als Energiequelle, um Biomasse zu produzieren. Zwar betreiben auch andere Pflanzen Photosynthese, allerdings nutzen Algen die gewonnene Biomasse sehr viel effizienter, sodass diese für die Gewinnung von Öl oder Biogas verwendet werden kann. Algen binden zudem Kohlendioxid deutlich effektiver als andere Pflanzen und tragen so auch zur Reduktion von CO2 bei.

Algenhaus mit Photobioreaktoren

Algenhaus: Fassade mit Photobioreaktoren

An zwei Seiten des Algenhauses bieten gläserne Zellen Mikroalgen optimale Lebensbedingungen. Unter Sonneneinstrahlung und Zugabe von CO2 und flüssigen Nährstoffen produzieren die Algen Biomasse und Wärme­ – die lebende Fassade wird so zur Heizquelle für das ganze Haus.

Biogas aus Abfall

Ein weiterer Ansatz für die Energiegewinnung der Zukunft im städtischen Umfeld: Aus organischem Abfall lässt sich ebenfalls Biogas gewinnen. Auch hier dient Berlin als Beispiel. Eine moderne Biogasanlage der Berliner Stadtreinigung (BSR) steht im Stadtteil Ruhleben. 60.000 Tonnen Bioabfall aus Berliner Haushalten werden hier jährlich mithilfe von Mikroorganismen zu klimaneutralem Biogas vergärt. Anschließend werden die 150 gasbetriebenen Müllfahrzeuge damit betankt und wieder auf die Straßen geschickt, zum Einsammeln der Abfälle. Somit trägt die Berliner Stadtreinigung auch zur Senkung des CO2-Austoßes der Hauptstadt bei.

Mehr dazu im Video über die BSR: Von der Biotonne ins Gasnetz

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Weitere Informationen zur Energiegewinnung aus Biomasse finden Sie hier: BRANCHEN > ENERGIE

Abfallmanagement

Städte verbrauchen riesige Mengen an Wasser, verschmutzen die Luft und verursachen große Mengen an Müll. Wie kann die Stadt sauberer und lebenswerter werden und dabei sparsam mit ihren Ressourcen umgehen?

Die wachsenden Müllberge in städtischen Umgebungen sind eine weitere große Herausforderung der Zukunft. Immerhin 625 kg Müll verursachte jeder Bundesbürger im Jahr 2015. Eine sinnvolle Verwertung dieser Rest- und Abfallstoffe würde also unmittelbar zur Lösung vieler Probleme beitragen. Die Gewinnung von Energie aus organischen Abfälle ist vielfach bereits gelebte Praxis. Nun geht es darum, die Technologien noch weiter zu entwickeln.

Brennstoffzelle aus Mikroorganismen

Im Jahr 2014 startete das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein Förderprogramm, um Technologien und Konzepte für eine energieeffiziente und ressourcenschonende Wasserwirtschaft zu fördern. Zwölf Verbundprojekte wurden gefördert und mit 28 Millionen Euro Fördermitteln ausgestattet. Nach drei Jahren Forschung wurden 2017 ihre Ergebnisse präsentiert.

Eines dieser Projekte ist die Biobrennstoffzelle in Kläranlagen. Herkömmliche Brennstoffzellen wandeln chemische Energie – meist aus Wasserstoff – in Strom um. ­Bei der Biobrennstoffzelle erzeugen Mikroorganismen elektrische Energie direkt aus organischen Stoffen. Dadurch reinigen sie nicht nur einen Teil des Abwassers, sie wandeln auch die darin enthaltene chemische Energie in Strom um.

Möglicherweise eine Trendwende für die Abwasserbehandlung – Biobrennstoffzellen können dazu beitragen, dass die Kläranlage der Zukunft nicht nur Energie einspart, sondern auch überschüssigen Strom an das Energienetz liefert. Erprobt wird dies gerade in Darmstadt.

Dünger aus Klärschlamm

Des Weiteren kann Abfall eine Ressource für wertvolle Rohstoffe sein – die Berliner Wasserbetriebe entwickelten gemeinsam mit der Technischen Universität Berlin eine Lösung um mithilfe von Mikroorganismen aus Klärschlamm Phosphor zurückzugewinnen. Inzwischen werden im Klärwerk Waßmannsdorf jährlich 400 Tonnen mineralischen Düngers, der „Berliner Pflanze“ gewonnen (mehr im Video s.u.).

Langfristig wird es darum gehen, noch weitere Ansätze zu entwickeln, um eine intelligente stoffliche Nutzung von Abfällen zu ermöglichen.

Reststoffe mit Potenzial

Wie vielfältig Reststoffe genutzt werden können, welches Potenzial in vermeintlichem Abfall steckt, zeigt das Beispiel Kaffee. 0,4l Kaffee trinkt jeder Bundesbürger täglich – das sind mehr als 32 Millionen Liter Kaffee an nur einem Tag allein in Deutschland – was bleibt ist ein riesiger Berg Kaffeesatz. Es lohnt sich also durchaus darüber nachzudenken, was sich aus diesem Stoff noch machen ließe.

An Ideen mangelt es nicht. Inzwischen werden Textilfasern und Bioplastik-Materialien aus Kaffeeresten hergestellt. Auch die Gründer des Berliner Start-ups Kaffeeform machten sich Gedanken darüber, wie die großen Mengen an Kaffeesatz, die täglich in den Coffeeshops anfallen, weiterverwertet werden können und hatten die Idee Kaffeetassen daraus zu produzieren. Das britische Start-up Bio-bean wiederum verarbeitet Kaffeesatz zu Bio-Kraftstoffen und Pellets. Zwei Prozent der rund 200.000 Tonnen Kaffeesatz, den die Kaffeetrinker in der britischen Hauptstadt pro Jahr produzieren, wandelt Bio-Bean derzeit in Energieträger um, bald schon sollen es mehr sein. In der australischen Kaffeestadt Melbourne wiederum forschen Ingenieure am Centre for Sustainable Infrastructure der Swinburne University of Technology an der Herstellung von Pflastersteinen aus Kaffeesatz. Damit soll zukünftig nicht nur die Menge an anfallendem Müll reduziert werden, sondern auch die Menge der herkömmlichen Materialien im Straßenbau. Und auch das Start-up GroCycle aus Devon in England verwertet benutzten Kaffeesatz aus umliegenden Coffeeshops. Die beiden Gründer nutzen die wertvollen Nährstoffe und Antioxidantien, die sich noch im Kaffeesatz befinden, um Austernpilze zu züchten. Nachhaltige Textilfasern produziert die taiwanesische Firma Singtex aus Kaffeesatz - abgenommen und zu Sport- und Freizeitkleidung verarbeitet werden die Fasern von Markenherstellern wie Hugo Boss, Nike und Vaude. 

Circular Economy

Die Erkenntnis, dass in einer Welt mit endlichen Ressourcen nur Produktionsverfahren mit einem hundertprozentigen Kreislauf unbeschränkt fortgeführt werden können, führte zum Prinzip der „Circular Economy“.
Idealerweise soll in der Stadt von morgen überhaupt kein Müll mehr anfallen. Kein Reststoff soll deponiert oder verbrannt werden müssen. Eingesetzte Rohstoffe sollen wieder vollständig in den Produktionsprozess zurückgeführt werden. Recycling, um Abfallprodukte als Sekundärrohstoffe wiederverwerten zu können sowie die Kaskadennutzung, bei der ein Rohstoff über mehrere Stufen genutzt wird, spielen daher eine große Rolle.

Mehr dazu im Video: Stadt der Zukunft: Rohstoff Abfall

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Öffentliche Förderung

Mehr als die Hälfte aller Menschen weltweit leben in Städten, in dreißig Jahren werden es 70 Prozent sein. Städte verbrauchen schon heute 80 Prozent der weltweit erzeugten Energie und sind für 70 Prozent des Treibhausgas-Ausstoßes der Menschheit verantwortlich. Folgerichtig konstatiert das High-Level Panel für die Post-2015-Agenda der Vereinten Nationen (UN): „Es sind die Städte, wo der Kampf um eine nachhaltige Entwicklung gewonnen oder verloren wird.“

Strategien zur Nachhaltigkeit und zur Bioökonomie von der Bundesregierung

Mit der „Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie“ stellt sich die Bundesregierung dieser Aufgabe. Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie steht im Zeichen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (UN) und konkretisiert, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung der Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDGs) gerecht wird. Demnach sollen Städte energie- und rohstoffeffizient, klimaangepasst und sozial inklusiv weiterentwickelt werden, gleichzeitig einem hohen Umweltschutzniveau entsprechen und eine hohe Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner sichern. Entsprechende Forschungsansätze werden im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Dach des Programms „Forschung für Nachhaltige Entwicklungen“ (FONA³) vorangetrieben. So  hat das BMBF im Rahmen dieses Rahmenprogramms beispielsweise den Wettbewerb „Zukunftsstadt“ als Teil der Leitinitiative Zukunftsstadt initiiert. Hier geht es insbesondere darum, die vielen Ideen mit den Bürgern zu diskutieren, gemeinsam Visionen zu entwickeln und zu erproben.

Darüber hinaus kommt der Bioökonomie eine entscheidende Rolle zu, denn biobasierte Ansätze sind in vielen Bereich vielversprechend für Stadtplaner und Stadtentwicklung. Im Rahmen der Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie sowie der Nationalen Politikstrategie Bioökonomie werden derartige Strategie von öffentlicher Seite vorangetrieben. Die verschiedenen Bundesministerien setzen dabei verschiedene Akzente. Die Entwicklung neuartiger Baumaterialien wird unter anderem Im Förderprogramm „Nachwachsende Rohstoffe“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert. Neue Ansätze einer urbanen Landwirtschaft werden ebenfalls durch das BMEL, aber auch das BMBF im Rahmen des Strategieprozesse „Agrarsysteme der Zukunft“ entwickelt.

Nachhaltige Stadtentwicklung in der Hightech-Strategie

Nachhaltige Stadtentwicklung ist auch auf der Agenda der Hightech-Strategie der Bundesregierung, die federführend vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) umgesetzt wird. Seit 2012 wurde das Thema als Zukunftsprojekt der „CO2-neutralen, klimaangepassten und energieeffizienten Stadt“ definiert. Anwendungsorientiert, ressortübergreifend und transdisziplinär wurde hier zwei Jahre lang mit Vertretern der Kommunen, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft beraten, welches die dringendsten Forschungsfragen sind, die gelöst werden müssen, um den nachhaltigen Umbau unserer Städte voranzubringen. Die Akteure haben ihre Antworten in ihrer Strategischen Forschungs- und Innovationsagenda - kurz der FINA - zusammengetragen.

Im Jahr 2016 haben die Bundesministerien für Forschung, Umwelt, Bau, Wirtschaft und Verkehr gemeinsam die Nationale Plattform Zukunftsstadt initiiert. Die Innovationsplattform wird konkrete Forschungsprojekte fördern und priorisierte Themen aus der FINA umsetzen. Dies soll im ständigen Dialog mit den Partnern aus Kommunen, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft geschehen. Ziel der IPZ ist, eine anwendungsorientierte und - wo möglich - ressortübergreifende sowie transdisziplinäre Forschungs- und Innovationsprogrammatik zu entwickeln und aufbauend auf oder ergänzend zu bestehenden Vorhaben zur Zukunftsstadt ressortübergreifend neue, gemeinsam abgestimmte und integrierte Programme und Initiativen unter Wahrung der Ressortzuständigkeiten zu entwickeln. Das BMBF trägt dazu in seiner Leitinitiative Zukunftsstadt in den nächsten fünf Jahren 150 Millionen Euro bei.

Redaktion: Simone Ding, Sandra Wirsching