Forschungsumfrage zur Bioökonomie 2019

Forschungsumfrage zur Bioökonomie 2019

Knapp 800 natur- und geisteswissenschaftliche Forschungseinrichtungen in Deutschland beschäftigen sich mit der Bioökonomie. Alle zwei Jahre kontaktiert bioökonomie.de diese Institute und befragt sie zu ihren F&E-Schwerpunkten, den genutzten Rohstoffen, industriellen Anwendungsbereichen, zur Finanzierung und Mitarbeiteranzahl. Ergänzend zu den erhobenen Daten wurden sechs Bioökonomie-Experten im Interview nach ihren Einschätzungen zur hiesigen Forschungslandschaft befragt.

Übersicht Forschungseinrichtungen zur Bioökonomie in Deutschland

Die Bioökonomie ist ein komplexes Querschnittsthema, das wirtschaftliche, soziale und ökologische Dimensionen hat. Entsprechend breit ist die Forschung hierzulande aufgestellt. In den Naturwissenschaften erstreckt sich das Fächerspektrum von den Agrarwissenschaften über die Biotechnologie, Materialwissenschaften und Umwelttechnologie bis hin zu den Ernährungswissenschaften. Auch in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie den Sozial-, Wirtschafts-, Politik- und Rechtswissenschaften gibt es Forschungsaktivitäten, die für die Bioökonomie relevant sind.

Zweite Umfrage zur Bioökonomieforschung

Um ein detailliertes Bild von der Forschungslandschaft in der Bioökonomie zu erhalten, wurde bereits zum zweiten Mal eine Forschungsumfrage durchgeführt. Das Informationsportal bioökonomie.de hatte im Jahr 2017 die Ergebnisse einer Forschungsumfrage zur Bioökonomie veröffentlicht. Darin wurden die Forschungsaktivitäten im Jahr 2016 abgefragt. Im Folgenden werden die Ergebnisse der aktuellen Erhebung zur Bioökonomie-Forschung in Deutschland dargestellt. Hierfür wurden insgesamt 799 Institute an Universitäten, Fachhochschulen sowie außeruniversitären Einrichtungen identifiziert und zu ihren Bioökonomie-Forschungsaktivitäten im Jahr 2018 befragt. Rund 317 Institute antworteten auf die Forschungsumfrage.

Im Vergleich zur Umfrage 2017 sind die Mitarbeiterzahlen in den 317 Instituten leicht auf 31.119 Beschäftigte gesunken. Unter anderem machten die Forschungseinrichtungen Angaben zum Budget: Mit einem Gesamtvolumen von etwa 2,57 Mrd. Euro stiegen die zur Verfügung stehenden Finanzmittel im Vergleich zu 2016 an. Prozentual gewannen die Drittmittel an Bedeutung für das Gesamtbudget.

Forschungsumfrage zur Bioökonomie 2019 im Überblick

Gewachsene, vielfältige Forschungslandschaft

Von den 317 Rückmeldungen wurden 80 von außeruniversitären Forschungseinrichtungen eingesandt, 36 kamen aus der Ressortforschung, 158 aus Universitäten und 43 von Fachhochschulen. Damit beteiligten sich knapp 50% der angeschriebenen außeruniversitären Institute und Ressortforschungsinstitute, 45% der Fachhochschulen sowie 33% der angefragten Universitäten an der Forschungsumfrage.

Anzahl der Institute mit Bioökonomieforschung in Deutschland

In der gesamten Bundesrepublik haben Forschungseinrichtungen ausgewiesene Bioökonomie-Schwerpunkte eingerichtet. Im Südwesten hat die Universität Hohenheim sich ausdrücklich diesem Schwerpunkt verschrieben. Die Technische Universität München hat ihren Campus Straubing für Biotechnologie und Nachhaltigkeit ganz auf die Bioökonomieforschung ausgerichtet. Im Norden setzen die Leuphana Universität Lüneburg und die Universität Hamburg Akzente auf Bioökonomie-Themen. In Ostdeutschland ergründet unter anderem der Leibniz-Wissenschaftscampus Pflanzenbasierte Bioökonomie Halle das Forschungsfeld. Das Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP ist zentraler Akteur des aus dem Spitzencluster-Wettbewerb hervorgegangenen Clusters BioEconomy. Zahlreiche weitere Fraunhofer-Institute betreiben bioökonomierelevante Forschung, zum Beispiel das Fraunhofer UMSICHT, das Fraunhofer IGB, das Fraunhofer IME und das Fraunhofer IVV. In Nordrhein-Westfalen wird außerdem am Bioeconomy Science Center (BioSC) geforscht. Gegründet wurde es von der RWTH Aachen, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Universität Bonn sowie dem Forschungszentrum Jülich, das zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört. Auch mehrere Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft beschäftigen sich intensiv mit dem Thema, so etwa das Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB).

Die genannten Forschungseinrichtungen sind nur eine kleine Auswahl. Einen umfassenden Überblick gibt der Bioökonomie-Forschungsatlas.

Forschungsatlas Bioökonomie

Im Forschungsatlas kann die deutsche Bioökonomie-Forschungslandschaft  geografisch, aber auch nach F&E-Bereichen, Rohstoffen und Anwenderbranchen recherchiert werden.

Die Ressourcen der Bioökonomieforschung

Die Bioökonomie basiert auf biologischen Ressourcen, also Biomasse, die von Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen, Pilzen oder Reststoffen stammt. Viele der befragten Institute gaben an, mehr als eine Ressource zu nutzen. Dabei nutzten mehr als die Hälfte Pflanzen (59%), gefolgt von Mikroorganismen (36,9%) und Reststoffen (35%) für ihre Forschung. 22,1% arbeiteten mit Tieren,16,7% verwenden Pilze für ihre Arbeit. Dabei fällt auf, dass die befragten Universitäten im Vergleich zu den Fachhochschulen bevorzugt mit und zu Pflanzen forschen. Bei den Fachhochschulen war dieser Ressourcenschwerpunkt weniger stark ausgeprägt – Reststoffe und Mikroorganismen folgen hier dicht auf die Pflanzen. Im Vergleich zu 2017 nahm nur die Forschung mit Reststoffen erkennbar zu – die restlichen Angaben veränderten sich nur marginal.

Anzahl der Institute nach Rohstoffnutzung (gesamt und nach Kategorie)

Die meisten naturwissenschaftlichen Forschungsaktivitäten mit Bioökonomiebezug gibt es in den Agrarwissenschaften (44,8%), gefolgt von der Biotechnologie und Systembiologie (38,2%) sowie der Prozess- und Verfahrenstechnik (33,1%). Vergleichsweise weniger Aktivitäten werden dem Forschungsgebiet in den Ernährungs- und Forstwissenschaften (10,4% und 11,4%) oder der Lebensmitteltechnologie (11,7%) zuteil.

In den Geisteswissenschaften spielt Bioökonomie vor allem in den Wirtschaftswissenschaften eine Rolle. 18,6% aller befragten Institute waren in diesem Bereich aktiv. Darauf folgten die Sozialwissenschaften (15,1%), die Politikwissenschaften (7,9%) und die Rechtswissenschaften (2,2%).

Im Vergleich zu 2016 beschäftigen sich 2018 deutlich mehr auf Bioökonomie fokussierte Institute mit Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). In den anderen naturwissenschaftlichen Bereichen gab es sonst nur leichte Veränderungen. Deutlich zugenommen haben die Bioökonomie-Forschungsaktivitäten in den Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaften.

Forschungsschwerpunkte der Institute

Die zunehmende Interdisziplinarität in der Bioökonomieforschung wurde auch von dem per Telefoninterview befragten Expertenkreis betont. Grundsätzlich wurde begrüßt, dass die Bioökonomie in immer mehr Themenfeldern heimisch ist und dass vielfach bereits fachübergreifend geforscht wird. Viele Strukturen befänden sich derzeit noch im Aufbau. Einige der Interviewpartner plädierten dafür, die Grundlagenforschung nicht aus den Augen zu verlieren. Nicht alle Projekte benötigten auch einen sozialwissenschaftlichen Fokus.

Lehre: Neue Studienangebote entstanden

Auch in der Lehre gewinnt die Bioökonomie an Bedeutung. Zahlreiche neue akademische Ausbildungsangebote sind in den vergangenen Jahren geschaffen worden. So bietet beispielsweise die Technische Universität München am Campus Straubing neben bereits etablierten Studiengängen wie „Nachwachsende Rohstoffe“ ab dem Wintersemester 2019/20 den Bachelorstudiengang „Bioökonomie“ an. Die Universität Hohenheim hat sogar mit fünf anderen Hochschulen in Paris, Bologna Wien, Wageningen und Ostfinnland eine „Europäische Bioökonomieuniversität“ ins Leben gerufen. Ein Themendossier auf bioökonomie.de gibt einen Überblick über sämtliche Studiengänge, die sich dem Konzept „Bioökonomie“ zuordnen lassen.

Laut Aussagen der interviewten Expertinnen und Experten werden die neu entstandenen Studienangebote gut angenommen. Sie sind – so einige der Befragten – auf die Anforderungen der Industrie und das spätere Arbeitslebens ausgerichtet. Es gibt jedoch auch kritische Stimmen aus der Forschung, die für eine Grundausbildung in einer eigenen Disziplin plädieren und den Bioökonomie-Fokus erst für eine Spezialisierung – etwa in Form einer Doktorarbeit – empfehlen. Einige der neu geschaffenen Angebote hätten geholfen, den Fachkräftemangel zu reduzieren. Großer Bedarf bestehe jedoch weiterhin im IT-Bereich, in der neuartigen Elektrochemie, der Modellierung, im Energiebereich und in der Chemie.

Die wichtigsten Anwenderbranchen

Dass die Bioökonomie-Forschung in Deutschland sehr anwendungsorientiert ist, zeigen auch die Antworten der Forschungseinrichtungen auf die Frage, für welche Wirtschaftsbranchen ihre Ergebnisse die größte Relevanz haben. 187 Einrichtungen (59%) sahen dies in der Land-und Forstwirtschaft, 124 Institute (39,1%) im Ernährungssektor und rund 98 nannten die Chemie (30,9%) als relevanteste Branche für ihre Forschungsergebnisse. Dicht gefolgt von den Sektoren Energie (30,6%) und Pharma (29%).

Inhaltliche Zuordnung der Forschungsschwerpunkte der Institute zu den Anwenderbranchen

Im Vergleich zum Jahr 2016 nehmen Land- und Forstwirtschaft nochmals mehr Raum ein. Ernährungs- und Chemieindustrie haben an Bedeutung gewonnen. Auch die Konsumgüter-Industrie und Bauwirtschaft werden immer relevanter für die Bioökonomie-Forschung.

Die Relevanz der Bioökonomie für die Industrie wurde auch in den Experteninterviews betont. So könne diese helfen, Abfälle zu reduzieren, und biete Chancen für neue und optimierte Produktionsprozesse. Außerdem könnten vor allem kleinere und mittlere Unternehmen mit wenigen finanziellen Mitteln von der Forschung profitieren. Unabdingbare Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Forschung und Wirtschaft seien Beständigkeit und Vertrauen, so die Experten. Diese erfordere langfristige und zuverlässige Kooperation. Der schwindende Mittelbau in Universitäten und die damit zunehmende Verwaltungslast für das wissenschaftliche Personal wurde als Herausforderung für zukünftige Kooperationen gesehen.

Internationale Vernetzung

Auf nationaler Ebene findet eine immer engere Vernetzung der Akteure aus Forschung und Industrie statt. Doch auch auf europäischer Ebene tut sich einiges.

Das Konzept der Bioökonomie wurde in der EU entwickelt. Dank vieler Initiativen nimmt die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Ländern weiter zu. Drei in den Experteninterviews genannte Beispiele:

  • das EIT Food Programme – ein Wissens- und Innovationszusammenschluss des European Institute of Innovation and Technology (EIT). EIT Food verbindet Menschen aus Unternehmen, Universitäten, Forschungseinrichtungen sowie Instituten aus 13 europäischen Ländern und entlang der gesamten Lebensmittelwertschöpfungskette. Konkret geht es darum, wie man die Lebensmittelverschwendung reduzieren und eine wachsende Weltbevölkerung gesund ernähren kann.
  • Im 3BI-Intercluster arbeiten die Niederlande, das Vereinigte Königreich, Deutschland und Frankreich zusammen. Der gemeinsame Ansporn: biobasierte Innovationen fördern und europäischen Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell auf nachwachsenden Rohstoffen aufbauen, den Zugang zu neuen Märkten erleichtern.
  • Darüber hinaus gibt es verschiedenste Bestrebungen europäischer Universitäten und Forschungszentren, die Studierenden und Lehrenden in Europa zusammenzuführen, um eine neue Generation an Wissenschaftlern und Managern in dem interdisziplinären Feld der Bioökonomie auszubilden. Hierzu wurden verschiedene Bewerbungen für die Finanzierung eingereicht.

Der Kooperationswille reicht dabei auch weit über die europäischen Grenzen hinaus. Die Global Bioeconomy Alliance beispielsweise ist eine strategische Partnerschaft, in der sich drei Universitäten aus Deutschland, Australien und Brasilien zusammengeschlossen haben. Innerhalb der Allianz sollen Wissen und Technologien ausgetauscht und neue Bioökonomie-Initiativen auf den Weg gebracht werden.

Wie Experten die Entwicklung der Bioökonomie einschätzen

Zusätzlich zur Online-Umfrage in den Forschungseinrichtungen wurden sechs Experten aus Bioökonomie-„Hochburgen“ in Deutschland telefonisch befragt, wie sich nach ihrer Einschätzung die Bioökonomie in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Galt die Bioökonomie vor zehn Jahren noch vorwiegend als technologisches Landwirtschaftsthema, so wird sie aus Sicht der Experten mittlerweile klarer als Querschnittsthema wahrgenommen. Im Vordergrund steht nun vor allem die industrielle Anwendung – insbesondere im Kontext der Nachhaltigkeit.

Die per Telefoninterview befragten Experten stammten aus folgenden Einrichtungen

  • WissenschaftsCampus Halle

  • TUM Campus Straubing

  • Bioeconomy Science Center

  • Universität Hohenheim

  • BioEconomy Cluster

Die industrielle Anwendung und Marktanalysen seien mittlerweile fester Bestandteil der meisten Bioökonomie-Forschungsvorhaben. Das habe dazu geführt, dass es schon frühzeitig enge Kooperationen zwischen Forschern und Unternehmern gebe und die potenzielle Marktfähigkeit eines Produkts oder Prozesses immer schneller wichtig werde. Durch eine frühe Analyse könnten mögliche Schwierigkeiten oder Wettbewerbsnachteile erkannt werden und es könne gegengesteuert werden. Nachteilig sei, wenn vielversprechende Ideen und Ansätze nicht weiterverfolgt würden, weil keine direkte ökonomische Verwertung absehbar ist. Grundsätzlich betonen die Experten im Interview, dass auch die Grundlagenforschung ohne Anwendungsperspektive notwendig sei.

Aus unternehmerischer Sicht hat für die Experten der Fall des Erdölpreises in den vergangenen Jahren Auswirkungen auf die Umsetzung der Bioökonomie gehabt.

Grundchemikalien werden normalerweise auf Erdölbasis hergestellt und sind das Ausgangsmaterial für viele andere Industrieprodukte wie Kunststoffe, Farbmittel oder Düngemittel. Grundchemikalien können aber auch auf Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden. Dies ist jedoch nur rentabel, wenn die Rohstoffpreise für Erdöl eine gewisse Schwelle überschreiten.

Aufgrund der niedrigen Erdölpreise – ein Resultat von Unstimmigkeiten bei den OPEC-Ländern und der Gewinnung unkonventioneller Vorkommen wie den Schieferölvorräten in den USA – sind diese großen industriellen Anwendungsfelder derzeit nur schwerlich für die Bioökonomie erschließbar. Die Herstellung von Grundchemikalien und Plattformchemikalien auf Basis nachwachsender Rohstoffe sei derzeit nicht wettbewerbsfähig. Viele Bioökonomie-Unternehmer hätten sich deshalb auf ausgewählte Wertschöpfungsketten spezialisiert und sich Nischen wie die Spezialchemie, Kosmetik oder Spezialklebstoffe für ihre Produkte gesucht. Obwohl im Rahmen der Nachhaltigkeitsbemühungen petrochemische Produkte ersetzt werden sollten, sind nachwachsende Rohstoffe als Grundlage bisher nur für werthaltigere Produkte rentabel.

Redaktion: Simone Ding (Umfrage und Infografiken), Laura Griestop (Text/Interviews)