Neue Züchtungstechniken: Für Ethiken der Innovation und des Kompromisses

Neue Züchtungstechniken: Für Ethiken der Innovation und des Kompromisses

Ethiker und Theologen der LMU München haben Modelle erarbeitet, die die Akzeptanz der Genom-Editierung in der Landwirtschaft stärken könnten. Dabei entstanden auch theologisch neue Blickwinkel.

Genom-editierte Pflanzen sind bislang mit keiner Methode von klassisch gezüchteten zu unterscheiden.
Wie ist die Grüne Gentechnik in Zeiten der Genom-Editierung neu zu bewerten?

Vorsorge und Innovation – konkret technologische Innovation und das Vorsorgeprinzip: Sind diese Begriffe Gegensätze oder lassen sie sich im Einklang denken? Am Beispiel der Grünen Gentechnik hat diese Frage ein Forschungsteam der Ludwig-Maximilians-Universität München untersucht. Im Rahmen der Fördermaßnahme „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) kooperierten dazu die Lehrstühle Christliche Sozialethik, Systematische Theologie und Ethik sowie das Institut „Technik – Theologie – Naturwissenschaften“. Das BMBF fördert das Vorhaben mit dem Titel „Vorsorge und Innovation als ethische Prinzipien in der Bioökonomie“ seit April 2020 bis September 2024 mit rund 750.000 Euro.

„Ich habe mich sehr lange mit der Grünen Gentechnik auseinandergesetzt und mit den dazugehörigen Kontroversen, die gerade im kirchlichen Bereich besonders umstritten sind“, erzählt Projektleiter Markus Vogt. In Bayern etwa hätten insbesondere die Kirchen viel Vorarbeit für gentechnikfreie Zonen geleistet. „Mit der Genom-Editierung gibt es nun aber ganz neue Voraussetzungen“, sagt der christliche Sozialethiker – Zeit, die Bewertung zu überprüfen.

Uneinheitliche Positionen in den Kirchen

Weil die Werte der christlichen Kirchen in Deutschland nach wie vor einflussreich sind, kann die Haltung der Kirchen die gesellschaftliche Akzeptanz der Bioökonomie positiv wie negativ beeinflussen, weiß Vogt. „In der Enzyklika ‚Laudato si‘ von Papst Franziskus gibt es starke Vorbehalte gegen eine Technologisierung“, berichtet der Wissenschaftler. Die Päpstliche Akademie der Wissenschaften wiederum habe sich schon früh positiv geäußert, weil sie in der Grünen Gentechnik Beiträge zur Hungerbekämpfung und zur Anpassung an den Klimawandel sieht.

Auch außerhalb der Kirche habe die Bioökonomie in Deutschland vielerorts Ablehnung erfahren. „Umweltverbände und Ernährungsverbände haben die Bioökonomie als Trojanisches Pferd zur Akzeptanzbeschaffung der Grünen Gentechnik gesehen oder sind gegen die damit verbundene Steigerung des ökonomischen Nutzendenkens im Verhältnis zur Natur“, erläutert Vogt. Effizientere Nutzung sei aber nicht schlecht, wenn sie verantwortungsvoll durchgeführt werde. Der Forscher selbst ist seit vielen Jahren Mitglied im Bioökonomierat von Bayern und weiß: „Die Gentechnik ist auch in der Bioökonomie selbst ein oft verdrängtes Thema.“

Genom-Editierung ist anders zu bewerten

Was also hat sich geändert? „Erstens ist Genom-Editierung gezielter, kontrollierter und damit weniger risikoreich als die klassische Grüne Gentechnik“, sagt Vogt. „Zweitens ist der Handlungsdruck, Pflanzen im Klimawandel schneller anzupassen an Trockenheit, Stürme, Überflutungen oder auch Schädlinge so groß, dass der Zeitgewinn durch Genom-Editierung eine wesentliche Risikominimierung sein kann.“

Was der Forscher hier auf den Punkt bringt, haben die Projektbeteiligten in einer großen theoretischen Ausarbeitung detailreich dargestellt. Dazu haben sie sich mit Fachleuten aus der Pflanzenzucht, dem Landtag, dem Bauernverband und natürlich der Ethik und der Theologie, aber auch mit Juristen ausgetauscht. Denn die rechtliche Neubewertung des Genom-Editierung auf EU-Ebene fiel genau in die Projektlaufzeit. Die so entstandenen Diskursbeiträge haben die Forschenden auf Workshops diskutiert, auf Konferenzen vorgestellt und in Youtube-Videos verbreitet. Zurzeit arbeitet das Team an der Schlusspublikation.

Gentechnik ändert Züchtung nicht kategorisch

Ein zentrales Ergebnis des Projekts ist eine Ethik der Innovation. Als „aufregende theologische Erkenntnis“ bezeichnet Vogt das Gedankengebäude. „Die Idee ist: Gott hat Neues geschaffen, er ist kreativ schöpferisch tätig. Der Mensch soll auch kreativ sein und Neues schaffen.“ Als die Politik vor Jahren eine Innovationsethik diskutierte, schien sie eher das Ziel zu haben, das Vorsorgeprinzip auszuhöhlen. Das lehnt der Forscher ab. „Man muss auch fragen, welche Kriterien vorliegen, um mit der Risikovorsorge umzugehen.“ Dem Einwand, der Mensch dürfe Gott nicht ins Handwerk pfuschen, entgegnet Vogt: „Die Grüne Gentechnik ist ein intensiver Eingriff in die Schöpfung, aber sie ist keine kategoriale Differenz zur bisherigen Pflanzenzucht, sondern nur eine Intensivierung.“ Es gebe keinen theologisch zwingenden Grund, genetisch überhaupt nicht in die Schöpfung einzugreifen.

Auch außerhalb der Theologie wird Ethik oft verbunden mit Grenzen, mit dem, was wir nicht dürfen. „Aber spezifisch für die Wissenschaft ist, dass sie neue Perspektiven erschließen kann“, erläutert der Sozialethiker. Eine Ethik der Innovation sei nötig, um diese Perspektiven der Wissenschaft zur Geltung zu bringen, „aber nicht als Freifahrtschein, sondern als verantwortete Innovation“. Es müsse immer mitgedacht werden: „Wer ist vor wem für was rechenschaftspflichtig?“

Ein Kompromiss ist kein Notfall

Ein weiteres wichtiges Ergebnis des Forschungsprojekts ist eine Ethik des Kompromisses. „Ethisch ist ein Kompromiss nicht der Notfall der Ethik, sondern der Ernstfall“, sagt Vogt. „Wir haben unterschiedliche Perspektiven in der Gesellschaft und Risiken, die man nicht 1:1 vergleichen kann. Aber irgendwie müssen wir abwägen und Kompromisse finden.“ In einer polarisierten Debatte sei das besonders wichtig. So mache es durchaus Sinn, Züchtungstechniken, die gar nicht als solche nachweisbar sind, aus den Regelungen herauszunehmen und die übrigen wiederum differenziert zu bewerten. Auf der anderen Seite dürfe man weder die Komplexität der Wechselwirkungen unterschätzen, noch das berechtigte Bedürfnis nach Transparenz.

Vogt sieht in der Debatte zudem an mancher Stelle einen Stellvertreterdiskurs infolge eines berechtigten Unbehagens über Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft und der Agrarpolitik. „Risiken haben auch mit subjektiver Wahrnehmung zu tun“, sagt der Forscher. Im Projekt haben die Beteiligten deshalb versucht, die Ebenen des Diskurses zu unterscheiden – gesundheitliche, ethische, soziale oder ökonomische Risiken.

Auch haben die Forschenden sich bemüht, die Akzeptanzkonflikte aufzuschlüsseln und zu verstehen, weshalb viele Menschen aneinander vorbeireden. Ein Beispiel dafür sei das Argument, Grüne Gentechnik könne den gesamten Hunger überwinden. „Das ist völlig illusorisch“, sagt Vogt. „Hunger hat viele soziale Probleme, und die wird man nicht durch Technik lösen können.“ Was das nicht ausschließt, ist, dass Grüne Gentechnik einen wichtigen Beitrag leisten kann.

Mit welchen Risiken wollen wir leben?

Längst nicht alle Akteure teilen die Einschätzungen, die die Projektbeteiligten erarbeitet haben, dessen ist sich auch Vogt bewusst. „Aber ich glaube, dass wir etwas dazu beitragen konnten, die Polarisierung des Diskurses etwas aufzubrechen.“ Es sei völlig klar, dass sich das politische Versprechen, die Grüne Gentechnik völlig kontrollieren zu können, nicht halten lasse. „Auskreuzungen wird es in der Natur immer geben“, sagt Vogt. „Wir müssen uns gesellschaftlich einigen, mit welchen Risiken wir leben wollen und wie wir Landwirtschaft gestalten wollen.“

Autor: Björn Lohmann