Polymer-Bausteine aus der Zellfabrik

Polymer-Bausteine aus der Zellfabrik

Hochleistungskunststoffe wie das Polyamid sind aus chemischen Einzelbausteinen aufgebaut. Statt aus Erdöl will der Spezialchemiekonzern Evonik diese auf der Basis von Palmkernöl gewinnen.

Der Spezialchemiekonzern Evonik will aus Palmkernöl den Hochleistungskunststoff Polyamid herstellen.

Polyamide sind Kunststoffe für die anspruchsvollen Aufgaben: Sie werden im Auto verbaut, stecken in Hightech-Textilien, ummanteln Elektrokabel oder Katheter. Bei der Herstellung der Polyamide werden chemische Einzelbausteine zu einer Polymerkette verknüpft. Die sogenannten Monomere basieren in der Regel auf Erdöl. Der Spezialchemiekonzern Evonik entwickelt nun ein Verfahren, um die Polymer-Bausteine aus dem nachwachsenden Rohstoff Palmkernöl zu gewinnen. Dazu hat Evonik zusammen mit Biotechnologen an Universitäten in Deutschland und Österreich den Stoffwechsel von Bakterien gezielt umgestaltet, sodass sie fortan den Synthesebaustein Aminolaurinsäure herstellen können. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das Projekt namens „BISON“ mit 1,5 Millionen Euro im Rahmen der Förderinitiative BioIndustrie 2021 unterstützt.

Als zähe und langlebige Kunststoffe können langkettige Polyamide extreme Temperaturen von minus 50 bis plus 120 Grad problemlos überstehen. Deshalb sind sie überall da gefragt, wo es technisch anspruchsvoll wird: Bei Kraftstoff- und Bremsleitungen im Auto, bei Ölpipelines am Meeresgrund, bei Sporttextilien oder bei Kathetern in der Medizintechnik. Polyamide sind wie alle anderen Kunststoffe klassische Produkte der Erdölchemie. Sie gehören seit Jahrzehnten zur Produktpalette von Evonik. Aufbauend auf diesem Know-how setzte der Spezialchemiekonzern in dem Verbundprojekt „BISON“ auf Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen. „In diesem Projekt ging es darum, alternative Produktionswege zur Erdölchemie zu untersuchen“, sagt Christoph Schorsch, Projektleiter bei der Evonik Creavis GmbH – der strategischen Innovationseinheit der Evonik Industries AG in Marl.

Verbundprojekt BISON

BISON steht für „Biotechnologische Synthese von Carboxyaminen und Carboxyalkolen“

Industriepartner: Evonik (Koordinator), c-Lecta
Akademische Partner: TU München, TU Dortmund (UFZ Leipzig), Universität Bielefeld, RWTH Aachen, TU Graz

Mikroben als biologische Chemiefabrik

Als Alternative haben die Forscher von Evonik einen biotechnologischen Prozess ausgetüftelt. Die Idee: Mikroorganismen übernehmen die Funktion der Kunststoffchemie-Produzenten. Sie wandeln einen pflanzlichen Rohstoff durch ihren Stoffwechsel in ein bestimmtes Molekül um. Daraus lässt sich dann in einem nächsten Schritt das gewünschte Polymer – in diesem Fall das Polyamid-12 (PA12) – synthetisieren. Im Jahr 2008 startete Evonik zusammen mit einem Kreis aus akademischen Forschungspartnern zunächst das Verbundprojekt „CarboxyFun“. Das Nachfolgeprojekt lief von 2011 bis 2014 unter dem Namenskürzel „BISON“. Das BMBF hat die beiden Projekte im Rahmen des Biotechnologie-Netzwerks CLIB2021 mit 1,7 und mit 1,5 Millionen Euro gefördert.

Stoffwechsel mit neuen Enzymen ergänzen

Den pflanzlichen Rohstoff für die Forscher liefert die Ölpalme: Während Palmölhersteller in erster Linie das Fruchtfleisch nutzen, haben es die Polymerchemiker von Evonik vor allem auf das Öl der Kerne abgesehen. Denn Palmkernöl ist besonders reich an Laurinsäure. Die langkettige Fettsäure gilt als ideale Ausgangsbasis für weitere biochemische Umwandlungen. Für eine sogenannte Biotransformation zum begehrten chemischen Endprodukt, der Omega-(ω)-Aminolaurinsäure, sind drei biochemische Schritte nötig. Von Natur aus hat das beliebte Laborbakterium Escherichia coli diese Funktionen jedoch gar nicht im Programm. Die Biotechnologen haben daher mit molekularen Tricks nachgeholfen: „Wir haben den Stoffwechsel mit mehreren neuen Enzymen, die zum Teil von anderen Bakterienarten stammen, ausgestattet“, sagt Schorsch. Durch diese gentechnischen Veränderungen sind die Bakterien nun in der Lage, alle drei Schritte der neuen Syntheseroute zu übernehmen. Ein weiterer Clou: die umprogrammierten Mikroben geben die erzeugte ω-Aminolaurinsäure einfach in das sie umgebende Nährmedium ab.

Viel Tüftelarbeit der Bioingenieure nötig

Bis die Mikroben aber zu zuverlässigen Chemikalien-Produzenten werden konnten, war viel Tüftelarbeit seitens der Bioingenieure nötig. So kamen Methoden wie das Protein-Design, Synthetische Biologie und Systembiologie zum Einsatz, um die Bakterien in leistungsfähige Produktionsorganismen zu verwandeln. Hier waren neben der Evonik Creavis GmbH und dem Industriepartner c-Lecta GmbH die akademischen Partner gefragt, die Teams um Biochemiker Arne Skerra und Volker Sieber von der TU München, den Dortmunder Biotechnologen  Andreas Schmid (jetzt UFZ Leipzig), Ulrich Schwaneberg (RTWH Aachen) und Harald Gröger (Uni Bielefeld). Ein weiterer Knackpunkt: „Die ω-Aminolaurinsäure ist in höheren Konzentrationen für die Zellen giftig“, so Schorsch. Deshalb haben Verfahrenstechniker um Andreas Pfennig von der TU Graz (jetzt Université de Liège, Belgien) ein sogenanntes Zweiphasen-System entwickelt, mit der sich das toxische Produkt im Bioreaktor elegant „abschöpfen“ lässt. Die Mikroben können so ihre Arbeit ungefährdet weiter erledigen. Im technischen Maßstab waren die Ergebnisse bereits vielversprechend.

Autor: Philipp Graf