Eine Bioraffinerie für Chicorée-Rüben

Eine Bioraffinerie für Chicorée-Rüben

Zur Gewinnung der wichtigen Basischemikalie HMF aus der Wurzelrübe der Chicorée-Pflanze haben Hohenheimer Forschende erfolgreich eine Technikumsanlage aufgebaut.

Chicorée-Rüben
Kein Abfall, sondern Rohstoff: Die Rüben der Chicorée-Pflanze sind für Hohenheimer Forschende ein wertvoller Rohstoff.

Die weiß-gelblichen Knospen der Chicorée-Pflanze sind als Salat begehrt. Doch die Salatpflanze hat auch einen verborgenen Teil, dem bisher kaum Beachtung geschenkt wurde: die Wurzelrübe. Sie steckt in der Erde und bringt die schmackhaften Knospen hervor. Bisher wird dieser Teil der Pflanze als Abfall entsorgt oder bestenfalls zur Herstellung von Biogas genutzt. Doch das Potenzial der Chicorée-Wurzel ist weitaus größer. Ein Team um Andrea Kruse von der Universität Hohenheim ist seit einigen Jahren dabei, aus der Chicorée-Rübe die Basischemikalie Hydroxymethylfurfural (HMF) zu gewinnen – denn nicht nur in Stroh, sondern auch in der Wurzelrübe stecken Kohlenhydrate, die zur Bio-Kunststoffherstellung benötigt werden.

Optimale Nutzung und Verwendung der Chicorée-Rübe

Was bisher erfolgreich im Labor gelang, wird gegenwärtig imTechnikumsmaßstab erprobt. Im Rahmen des Projektes CichOpt – Optimale Nutzung und Verwertung von Biomasseströme aus Chicorée – haben die Hohenheimer eine Technikumsanlage zur Produktion von HMF aus Chicorée-Rüben aufgebaut und zum Laufen gebracht. Doch bis dahin mussten einige Hürden genommen werden. Zunächst war die Technikumsanlage an den Ausgangsrohstoff anzupassen. Bei der Anlage handelt es sich um eine sogenannte On-Farm-Anlage, die aus mehreren Modulen besteht, die wiederum teilweise austauschbar sind. Konzipiert wurde sie ursprünglich als sogenannte Bioraffinerie für den Bauernhof, wo Lignocellulosen wie Stroh zu HMF verarbeitet werden.

„Die Module HMF-Erzeugung und -Isolierung sind dabei immer gleich. Aber je nachdem welche Ausgangsmaterialien wir nutzen, sind die ersten zwei Schritte anders. Das betrifft hier den ersten Schritt, das Zerkleinern der Rüben, und den Zweiten, wo wir mit Wasser die gelösten Zucker aus der Wurzelrübe rausholen“, erläutert Kruse. Was die Gewinnung von HMF aus Zucker und die Isolierung der Basischemikalie betrifft, können demnach die bestehenden Module der flexiblen Mini-Bioraffinerie unverändert auch für Chicorée-Wurzeln genutzt werden.

HMF in wässriger Lösung aus dem Reaktor
Das HMF kommt in wässriger Lösung aus dem Reaktor

Auch bei der Produktion von HMF mussten erst einige „Kinderkrankheiten“ kuriert werden: „Die Pektine und Proteine haben uns zunächst Ärger gemacht, weil sie zu Verstopfungen in der Extraktionsanlage geführt haben. Aber das haben wir inzwischen im Griff. Mittlerweile können wir aus Chicorée-Rüben bis zu 25 Kilogramm HMF innerhalb einer Woche herstellen“, berichtet Kruse und verweist auf erste Produkte, die aus dem Chicorée-HMF hergestellt wurden. So wurden im Rahmen eines anderen Projektes daraus bereits Fäden für Spezialgarne für Markisen produziert, aber auch Folien und Cremetiegel für Naturkosmetikprodukte.
 
Darüber hinaus könnte sich Kruse zufolge ein unerwartetes Nebenprodukt der HMF-Herstellung noch als Einnahmequelle entwickeln. Dabei handelt es sich um eine Gelee-Masse, die aus Pektinen und Proteinen besteht und bei der Extraktion übrigbleibt. „Hier überlegen wir noch, was man daraus machen können – im Zweifelsfall Aktivkohle.“
 
Damit ist das Verwendungspotenzial der Chicorée-Rübe bei weitem nicht ausgeschöpft. In einem anderen Teilprojekt des CichOpt-Vorhabens haben belgische Wissenschaftler die Bitterstoffe aus der Wurzelrübe extrahiert und zur Bierherstellung verwendet. Die von Bitterstoffen befreiten Wurzelrüben bekamen dann die Hohenheimer Forschenden, um daraus HMF herzustellen.

Von Plastikflaschen bis Autositze

Das Interesse an dieser biobasierten Basischemikalie ist groß. Denn HMF kann zur Herstellung von Plastikflaschen, Nylonstrümpfen oder Autositzen verwendet werden und könnte so zahlreiche erdölbasierte Kunststoffe ersetzen. Hinzukommt: Eine solche modulare Bioraffinerie für Chicorée-Rüben würde dann auch den Treibereien als Salat-Produzenten eine zusätzliche Einnahmequelle bescheren. „Das ist Hauptanliegen unseres Konzeptes: Wir wollen, dass die Landwirte mehr Geld verdienen, damit sie nicht gezwungen sind, pro Hektar mehr Ertrag zu erzeugen. Denn dann haben sie die ganzen Probleme mit Düngern und Pflanzenschutzmitteln“, sagt Kruse.

Das HMF ist für zahlreiche Anwendungen geeignet.
Das aus der Wurzelrübe gewonnene HMF ist für zahlreiche Anwendungen geeignet.

Nachhaltig und rentabel

Der Vorteil liegt auf der Hand: Die pflanzlichen Reststoffe – ob Stroh oder Chicorée-Rübe – können vor Ort in der Bioraffinerie zu hochwertigem HMF verarbeitet werden. Noch sind Kosten- und Nachhaltigkeitsanalyse zwar nicht abgeschlossen. Doch bereits jetzt zeichnet sich ab, dass eine solche Anlage nicht nur nachhaltig, sondern auch wirtschaftlich ist. „Wir wissen, dass es sich rentiert. Da die Anlage für die Chicorée-Rüben einfacher ist, als die bereits durchgerechneten Konzepte, kann man von vornherein sagen, dass es sich auf jeden Fall lohnt“, so Kruse und ergänzt: „Da wir das mit Biogasanlagen koppeln, haben wir auch grüne Energie – denn wir nehmen die Abwärme. Auf diese Weise sparen wir pro gebundener Kohlenstoff-Einheit fast zwei CO2 ein.“
 
Noch ist das Hohenheimer Team nicht am Ziel angekommen. Bis die ersten Chicorée-Erzeuger mit der Herstellung von HMF Geld verdienen können, muss das Verfahren weitere Tests bestehen und sich schließlich auch in einer Demonstrationsanlage bewähren.
 
Die Arbeit der Hohenheimer wird im Rahmen des europäischen Netzwerkes ERA-NET Cofund FACCE SURPLUS – Sustainable and Resilient Agriculture for Food and Non-Food Systems – vom Bundesforschungsministerium seit November 2018 mit rund 510.000 Euro gefördert. Das ursprünglich auf drei Jahre angelegte Projekt wurde coronabedingt bis Juni 2022 verlängert.
 
Autorin: Beatrix Boldt