Bioschutzmantel für Zähne

Bioschutzmantel für Zähne

Die Natur als Lehrmeister für neue Biomaterialien: Mainzer Forscher haben in Marinen Schwämme ein Biosilikat gefunden, das sich zur Beschichtung von Zähnen und Knochenimplantaten eignet.

Mainzer Forscher haben in Marinen Schwämme (im Bild: Baikalschwamm) ein Biosilikat gefunden, das sich zur Beschichtung von Zähnen und Knochenimplantaten eignet.
In Marinen Schwämmen (im Bild: Baikalschwamm) haben Forscher ein Biosilikat gefunden, das sich zur Beschichtung von Zähnen eignet

Bei der Suche nach biokompatiblen Materialien für die Medizin sind Forscher um Werner E.G. Müller von der  Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Marinen Schwämme fündig geworden. In den ältesten Tieren der Erde entdeckten sie ein Biosilikat, das sich für neuartige medizinische Beschichtungen nutzen lässt – zum Beispiel für die Zahnmedizin oder bei Knochenimplantaten. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat die Firma NanotecMARIN GmbH die Entwicklung von biotechnologischen Produktionsverfahren für das Material vorangetrieben. Demnächst stehen erste Tests an Patienten an.

Sie sind anspruchslos, widerstandsfähig und haben selbst die Dinosaurier überlebt: Marine Schwämme. Seit 700 Millionen Jahren gibt es sie auf unserem Planteten. Das Besondere: Ob im Amazonas, im Baikalsee oder in der Tiefsee –  die ältesten Tiere der Erde sind überall dort zu finden, wo es Wasser gibt und das unter ganz verschiedenen Bedingungen. Die 9.000 verschiedenen Schwammarten sind somit wahre Überlebenskünstler und ein interessantes Forschungsobjekt.

Zu den Pionieren der Schwammforschung zählt Werner E.G. Müller. 30 Jahre seines Forscherlebens hat der Mainzer Molekularbiologe den Marinen Schwämmen gewidmet – unter anderem unter dem Dach des Kompetenzzentrums BIOTECmarin. Mit Unterstützung des Bundesforschungsministeriums haben hier von 2001 bis 2011 zahlreiche Wissenschaftler die besonderen biologischen Eigenschaften, aber auch die chemischen Strukturen der Schwämme untersucht, um sie für Anwendungen in Medizin nutzbar zu machen.

NanotecMARIN GmbH

Mehr Informationen zur Nanotec MARIN GmbH: hier klicken

2007 gründete Müller die Firma NanotecMARIN GmbH. Der Forscher hatte dabei vor allem das anorganische Skelett des Marinen Schwammes im Blick. Es besteht aus Silikat, das auch beim Menschen für die Knochenbildung wichtig ist. Wie es entsteht, war lange unklar. Müller war früh davon überzeugt, dass es sich um ein Protein handeln musste,  das selbst unter ungewöhnlichen Bedingungen eine Biomineralisierung ermöglicht, die in der Chemie nur unter extremen Druck erreicht werden kann. „Bis 2009 kannte man kein Enzym, das ein solches polymeres anorganisches Polymer herstellt“, erklärt Müller.

Die Forscher der NanotecMARIN GmbH konnten schließlich das Enzym Silicatein als jenen Stoff nachweisen und isolieren, mit denen Schwämme aus Siliziumdioxidmolekülen ein glasklares Biosilikat herstellen. Für die Industrie ist diese Entdeckung ein wahrer Schatz: Denn wofür Produktionsprozesse hohe Temperaturen von über 1800 Grad Celcius aufwänden müssen, benötigen die Enzyme der Schwämme seit Millionen von Jahren nur kaltes Wasser.

Schwammenzym als Hilfsmittel für Biosilikat-Produktion

Werner E.G. Müller und sein Team haben mit ihren Erkenntnissen die Grundlage dafür gelegt, das Biomaterial industriell herzustellen. Denn mithilfe des Enzyms war es möglich, einen biotechnologischen Produktionsprozess für das Biosilikat zu etablieren. „Dafür mussten wir erst einmal das Silicatein-Gen finden“, erinnert sich der Professor an der Universität Mainz.  Mit seiner Hilfe konnten die Forscher schließlich rekombinantes Silicatein mithilfe von bakteriellen Biofabriken produzieren.

Schnell war klar: Aufgrund der extremen Stabilität und seiner knochenaufbauenden Wirkung ist das Biosilikat besonders als Oberflächenbeschichtungen von Zähnen geeignet. Diese sind auf besonderen Schutz angewiesen, denn im Laufe der Jahre werden Zähne kälte- und säureempfindlicher. Dies liegt an einer fortschreitenden Demineralisierung im Alter, die wiederum die Kapillaren an der Zahnoberfläche größer und sie anfälliger für Karies werden lässt. Mit dem Biosilikat – so die Idee – könnte eine neuartige Versiegelung als Bio-Schutzmantel etabliert werden.  „Wir wollten das Enzym dazu bringen, dass es einen Silicatmantel um den Zahn herum bildet“, erläutert Müller das Vorhaben. Nach zahlreichen Tests – der Erfolg. Unter dem Elektronenmikroskop war zu erkennen, dass sich die Kapillaren unter der biokompatiblen Versiegelungsschicht regeneriert hatten. Unterstützt wurde Müllers Firma bei diesen Arbeiten mit 180.000 Euro durch die BMBF-Fördermaßnahme „KMU-innovativ“.

Bio-Zahnschutz vor Patiententest

In einem nächsten Schritt soll das Biosilikat nun an Patienten getestet werden. „Es wird so sein, dass man eine biokompatible natürliche Oberfläche aus Silikat auf den Zahn aufbringt,  das die Sensibilisierung zurücknimmt“, erläutert Müller. Ob die Schicht mit Pinsel oder Spüher aufgetragen wird, ist derzeit noch offen. An Interessenten für die neuartige Zahnbeschichtung fehlt es nicht. Müller ist guten Mutes, dass das Biomaterial innerhalb von drei Jahren in der Zahnmedizin zum Einsatz kommen kann.

Biosilikat zur Knochenbildung entwickeln

Parallel dazu wird das Team um Werner Müller das Biosilikat an Knochenimplantaten testen. Denn auch hier liegt ein großes Potenzial. So würde das Biomaterial die Prothesen davor schützen, dass sie vom Körper als Fremdkörper erkannt werden und eine Abstoßung durch das Immunsystem der Patienten verhindern. Darüber hinaus kann Biosilikat den bei Osteoporose gestörten Mechanismus ausbalancieren, der das Gleichgewicht zwischen Knochenbildung und Knochenresorption reguliert. Dafür hat der Mainzer Experte Ende 2010 eine Millionen-Förderung des Europäischen Forschungsrates ERC erhalten. "Unser vorrangiges Ziel ist es jetzt, dreidimensionale, rein biologische Gerüststrukturen aus Biosilikat zu entwickeln, die später im Menschen knochenbildende Funktion übernehmen. Sollte uns das gelingen, so wäre dies wegweisend für die regenerative Medizin“, betont Müller. Auf diese Weise könnten Materialien entwickelt werden, die als Implantate im Bereich des Tissue Engineering einsetzbar sind.

Autor: Beatrix Boldt