Bioökonomie und Künstliche Intelligenz

Aus Bergen von Satellitendaten erkennt eine KI das Anbaumuster der verschiedenen Ackerfrüchte in Brandenburg.
Aus Bergen von Satellitendaten erkennt eine KI das Anbaumuster der verschiedenen Ackerfrüchte in Brandenburg.

Text: Björn Lohmann, Philipp Graf

Künstliche Intelligenz (KI) hat längst ihren Platz im Alltag und entwickelt sich zu einer wichtigen Basis von Wirtschaft und Wissenschaft. Maschinelles Lernen ist auch für die Bioökonomie hochrelevant. Dieses Dossier beleuchtet das Potenzial von KI für die Landwirtschaft und die industrielle Biotechnologie.

Was ist Künstliche Intelligenz?

Maschinen, die auf der Basis von Algorithmen intelligentes Verhalten nachbilden ­– das ist eine kompakte Umschreibung für den Begriff Künstliche Intelligenz (KI). KI hat längst Einzug in unseren Alltag gehalten und durchdringt zunehmend mehr Bereiche von Wirtschaft und Wissenschaft. Vom Navigationssystem im Auto über die Erkennung von Tumoren bis hin zur Übersetzung von Texten dienen Algorithmen dazu, Menschen in ihren Aufgaben zu unterstützen. Auch die Bioökonomie nutzt in vielen Bereichen insbesondere die Fähigkeit von KI, in großen Datenmengen komplexe Muster zu erkennen, die sich dem Menschen ohne Hilfe der Algorithmen nicht erschließen, und Informationen aus großen Datenquellen zusammenzuführen, die so erst nutzbar werden.

Künstliche Intelligenz ist eine Informatikanwendung, die einen Ausschnitt menschlicher Intelligenz nachahmen kann. Das Besondere ist die Fähigkeit zu lernen. Das unterscheidet KI-Systeme von herkömmlichen Computerprogrammen. Statt einem Programm genau zu sagen, was es tun soll, bekommt das KI-System eine Aufgabe gestellt, die es selbstständig zu lösen hat.

Eine allgemein akzeptierte Definition für Künstliche Intelligenz (KI) gibt es nicht. KI ist zum einen ein Teilgebiet der Informatik, das versucht, mithilfe von Algorithmen kognitive Fähigkeiten wie Lernen, Planen oder Problemlösen in Computersystemen zu realisieren. Der Begriff KI steht zugleich für Systeme, die ein Verhalten zeigen, für das gemeinhin menschliche Intelligenz vorausgesetzt wird. Ziel moderner KI-Systeme ist es, Maschinen, Roboter und Softwaresysteme zu befähigen, abstrakt beschriebene Aufgaben und Probleme eigenständig zu bearbeiten und zu lösen, ohne dass jeder Schritt vom Menschen programmiert wird. Dabei sollen sich die Systeme auch an veränderte Bedingungen und ihre Umwelt anpassen können.

Ein KI-System wird mit Daten „gefüttert“: Der Rechner wird für die vorhergesehene Aufgabe trainiert. Die Maschine setzt die Informationen neu zusammen, erkennt Muster und kann sie auf vorher unbekannte Situationen anwenden. Das ist das sogenannte Maschinelle Lernen – eine grundlegende KI-Methode. Beim Maschinellen Lernen wird ein Programm zunächst mit Trainingsdaten angelernt. Spezielle Algorithmen lernen aus den vorliegenden Beispieldaten und entwickeln Modelle, die dann auch auf neue, zuvor noch nicht gesehene Daten angewendet werden können. Die Erkennung wird umso präziser, je mehr Daten dem Algorithmus vorliegen.

Erhebliche Fortschritte wurden in den vergangenen Jahren mithilfe künstlicher neuronaler Netzwerke erzielt. Es handelt sich dabei um mathematische Modelle, die von der Arbeitsweise des Gehirns inspiriert sind. Die mathematischen Einheiten sind in Schichten organisiert – typischerweise eine Eingabe- und Ausgabeschicht sowie mehr als eine „versteckte“ dazwischenliegende Schichten. Die einzelnen Schichten bestehen aus einer Vielzahl künstlicher Neuronen („mathematischer Nervenzellen“), die miteinander verbunden sind und auf Eingaben von Neuronen aus der jeweils vorherigen Schicht reagieren. In der ersten Schicht wird etwa ein Muster erkannt, in der zweiten Schicht ein Muster von Mustern und so weiter. Je komplexer das Netz, desto höher ist der mögliche Abstraktionsgrad – und desto komplexere Sachverhalte können verarbeitet werden.

Fortschritte in der Computertechnik und die Verfügbarkeit großer Datenmengen haben das Deep Learning in solchen künstlichen Netzwerken ermöglicht. Damit wird das Maschinelle Lernen in besonders tiefen neuronalen Netzwerken bezeichnet. Angewendet wird Deep Learning bei der Bild-, Sprach- und Objekterkennung sowie dem verstärkenden Lernen. Maschinelle Lernverfahren kommen in praktisch allen modernen KI-Systemen zum Einsatz, so bei der Auswertung großer Datenmengen (Data Mining) und beim Extrahieren von sinnvollen Informationen aus diesen Datenbergen (Smart Data).

Ein wichtiges Stichwort ist die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse, die die KI liefert. KI-Experten vergleichen ein neuronales Netzwerk beim Deep Learning gerne mit einer Black Box. Man kennt die Eingabedaten und erhält eine Ausgabe, aber weiß nicht, wie das Netzwerk zu seinen Ergebnissen gelangt. In der Praxis resultieren daraus manchmal unerwartete falschpositive Ergebnisse, weil die KI beispielsweise wiederkehrende Muster im Hintergrund eines Fotos heranzieht, die mit dem Objekt im Vordergrund nicht kausal zusammenhängen. Jüngere Forschungsansätze zielen darauf ab, diese Black Box zu öffnen, indem das Programm dokumentiert, in welcher Form Merkmale und Kriterien des Fotos klassifiziert werden (Explainable AI). Ein weiteres Problem verbirgt sich in den Trainingsdaten: Bilden diese die Realität nicht repräsentativ, sondern verzerrt ab, liefert auch die KI verzerrte Ergebnisse.

Besonders deutlich zeigen sich die Chancen und Risiken des Maschinellen Lernens in der Medizin: Algorithmen können hervorragend anhand von Bildern beurteilen, ob ein Gewebe krankhaft verändert ist. Dabei erkennen sie auch Veränderungen, die selbst dem geschulten Auge von Ärzten entgangen wären. Allerdings ist nicht alles, was die KI für verändert hält, tatsächlich Symptom einer Erkrankung. Algorithmen produzieren somit wenig falschnegative Resultate, durchaus aber falschpositive. In Kombination mit einem Menschen, der falschpositive Ergebnisse eliminiert, führt eine KI dennoch zu besserer Qualität in viel kürzerer Zeit.

Gebiete der KI
Zusammenhang zwischen Künstlicher Intelligenz, Maschinellem Lernen und Tiefem Lernen (Deep Learning).

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KI als Schlüsseltechnologie und Wirtschaftsmotor

Der Begriff Künstliche Intelligenz wurde 1956 auf einem Workshop am Dartmouth College in New Hampshire geprägt. Damit ist das Konzept in der Wissenschaft so alt wie in der Unterhaltungsliteratur. Doch erst in den vergangenen zwanzig Jahren ist es gelungen, wirklich leistungsfähige Lösungen zu entwickeln. Die Grundlagen dazu hat die enorme Zunahme der Rechenleistung in der Computertechnik gelegt, doch insbesondere neue Ansätze für die Algorithmen haben den größten Teil beigetragen: Zielten frühe Versuche immer darauf ab, die Regeln zur Lösung eines Problems genau zu definieren, brachte das genaue Gegenteil mit künstlichen neuronalen Netzen und Deep Learning den Durchbruch.

Praktisch parallel entwickelte sich der Bedarf nach KI-Lösungen: Billige Speicher, große Rechenleistungen und neue Methoden der Datenerzeugung haben in vielen Branchen zu immensen digitalen Datenmengen geführt, die es zu handhaben gilt. Beispiele dafür sind die Sequenzdaten aus der Genomforschung und die Bilddaten aus der optischen Fernerkundung in der Landwirtschaft oder Wetterdaten.

Künstliche Intelligenz kann in allen Bereichen der Wertschöpfungskette zum Einsatz kommen und wird von Start-ups ebenso genutzt wie von Konzernen: So investiert Microsoft seit 2017 über fünf Jahre verteilt 50 Mio. US-Dollar in das Programm „AI for Earth“, das KI-Lösungen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit entwickelt. Die Start-up-Datenbank Crunchbase listet weltweit rund 12.000 Jungunternehmen, die Bezüge zu KI angeben.

„Die Potenziale von KI sollen für die nachhaltige Entwicklung genutzt werden und damit einen Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 leisten.“
Nationale Strategie für Künstliche Intelligenz

Auch die deutsche Bundesregierung hat die Bedeutung des Themas erkannt und 2018 eine Nationale Strategie für Künstliche Intelligenz entwickelt. Sie umfasst zwölf Handlungsfelder und 14 Ziele, darunter Ziel Nr. 13: „Die Potenziale von KI sollen für die nachhaltige Entwicklung genutzt werden und damit einen Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 leisten.“ Bis einschließlich 2025 will die Bundesregierung 3 Mrd. Euro für die Umsetzung der KI-Strategie bereitstellen. Auch das Wissenschaftsjahr 2019 stand unter dem Thema Künstliche Intelligenz.

International sind in der KI-Forschung derzeit die USA und China führend. Doch auch aus Deutschland stammen wichtige Entwicklungen. Mit den sechs Kompetenzzentren für KI-Forschung fördert das BMBF die KI-Forschung in ihrer ganzen Breite. Neben dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) gehören dazu die Zentren an den Universitäten in Berlin, Dortmund/Bonn, Dresden/Leipzig, München und Tübingen. Baden-Württemberg hat 2019 zehn Professuren für KI-Forschung geschaffen, darunter an der Universität Hohenheim im Bereich Agrarwissenschaften. In München haben das bayrische Forschungszentrum fortriss und IBM 2019 ein KI-Forschungszentrum gegründet, dessen Schwerpunkt die Automation von Maschinen und Fahrzeugen sein soll. Das DFKI forscht unter anderem an smarten Lösungen für die Landwirtschaft und das Wissensmanagement. So betreibt das DFKI in Osnabrück das Kompetenzzentrum Smart Agriculture Technologies - CC-SaAT. Bundesweit gibt es rund 100 Forschungseinrichtungen, die Schwerpunkte in der Entwicklung Künstlicher Intelligenz setzen.

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Agrarsysteme smarter und umweltschonender gestalten

In der Landwirtschaft besteht eine große Herausforderung darin, Pflanzen an passenden Standorten anzubauen und optimal zu versorgen, damit sie ihr Ertragspotenzial maximal ausschöpfen können. Zugleich sollen Landwirte Düngemittel und Pflanzenschutzmittel in möglichst geringer Dosierung einsetzen, um negative Folgen für Umwelt, Klima und die Gesundheit der Konsumenten zu minimieren.

Neben züchterischen Optimierungen, die die Pflanzen resistenter gegen Schädlinge und abiotische Stressfaktoren wie Hitze und Trockenheit machen sollen, spielt dafür die Auswertung des jeweils aktuellen Zustands der Pflanzen eine zentrale Rolle. Erdnahe Satelliten, Flugdrohnen und Roboter, die das Feld überfahren, liefern heute kontinuierlich hochaufgelöste Bilder von den Äckern dieser Erde. Neben Aufnahmen im sichtbaren Licht, aber auch in angrenzenden Spektren, kommen dabei auch Radarmessungen zum Einsatz. So verraten die Bilder beispielsweise die Wuchsdichte, die bereits erreichte Höhe der Pflanzen und aufgrund ihrer Farben, Verfärbungen oder Blattstrukturen viel darüber, ob Wasser oder Nährstoffe fehlen und gegebenenfalls ein Befall mit Schadinsekten oder Pflanzenkrankheiten vorliegt.

Die Menge an Bilddaten, die dabei entsteht, ist jedoch viel zu groß, als dass Landwirte sie manuell auswerten könnten. KI-Systeme hingegen bewältigen diese Datenmengen mit Leichtigkeit. Dazu müssen sie zunächst darauf trainiert werden, wie Pflanzen im jeweiligen Wachstumsstadium aussehen, wenn sie gesund bzw. infiziert oder mangelversorgt sind. Oftmals sind KI-Lösungen dann dem Landwirt nicht nur in der Geschwindigkeit der Analyse überlegen: Während erfahrene Landwirte zwar die typischen Veränderungen in Folge von Trockenheit oder bestimmten Infektionen gut deuten können, entdecken selbstlernende Algorithmen oftmals subtilere Hinweise, die bereits ganz zu Beginn eines Problems auftreten. Dazu zählen beispielsweise auch Veränderungen im Infrarotspektrum der Blätter, die das menschliche Auge gar nicht erkennen könnte. In einem zweiten Schritt könnten künftig autonome Roboter per GPS pflanzengenau die nötigen Maßnahmen ergreifen.

KI für zukünftige Agrarsysteme 

In der BMBF-Fördermaßnahme „Agrarsysteme der Zukunft“ ist das Thema KI und smarte Algorithmen in vielen Projekten elementarer Bestandteil. So etwa bei dem Projekt DAKIS. Ziel des Projekts ist es, für die kleinflächige Bewirtschaftung im sogenannten Inselanbau ein weltweit bisher einzigartiges Informations- und Managementsystem zu entwickeln, das Produktionsoptimierungen mit Anforderungen aus dem Umwelt- und Naturschutz in neuen Anbausystemen verbindet. Mithilfe von Robotik, Sensorik und Computermodellen soll dieses digitale Entscheidungssystem für die Praxis Anbausysteme ökonomisch effizienter und gleichzeitig ökologisch nachhaltiger machen. Ein drahtloses Sensornetzwerk aus statischen Sensoren und autonom agierenden Robotern erfasst kontinuierlich wichtige Landschaftsparameter, etwa zur Bodenbeschaffenheit, zum Pflanzenbestand oder zu meteorologischen Daten und verknüpft diese mit satellitengestützter Beobachtung. So können Veränderungen in der Landschaft kontinuierlich in das Entscheidungssystem rückgekoppelt werden.

Das Projekt NoCsPS untersucht einen Zwischenweg zwischen konventionellem und ökologischem Anbau. Damit auf chemischen Pflanzenschutz verzichtet werden kann, setzt das Projekt auf smarte Technologien: Digitalisierte und automatisierte Hacktechniken bekämpfen KI-gesteuert den Unkrautwuchs, und auch der Düngereinsatz wird per KI optimiert. Der Verbund GreenGrass möchte die Weidehaltung digitalisieren und integriert dazu Tierlenkungs-, Fernerkundungs- und Informationstechnologien. So soll der Nutzen entsprechender Produktionssysteme für die Biodiversität ermittelt werden. Damit Landwirte die digitalen Technologien effizient nutzen können, erarbeitet das Projekt Fahrerkabine 4.0 entsprechende Mensch-Maschine-Schnittstellen. So soll es unter anderem möglich werden, in (teil-)autonom arbeitenden Landmaschinen Büroarbeit zu erledigen, um den Arbeitstag zu verkürzen. Denn autonom fahrende Landmaschinen wie Mähdrescher, die von KIs gesteuert werden, sind in der Landwirtschaft seit Jahren Realität. Der nächste Schritt soll die autonome Zusammenarbeit der Maschinen sein.

Innovative Anbausysteme digitalisieren

Einen sehr grundlegenden Ansatz mit KI in der Landwirtschaft verfolgt beispielsweise der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Exzellenzcluster Phenorob der Universität Bonn. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Forschungszentrum Maschinelles Lernen haben die Wissenschaftler eine KI entwickelt, die Umweltbedingungen in der Landwirtschaft – wie Trockenheit und Hitze – und deren Auswirkung auf das Pflanzenwachstum ermittelt. So sollen unbekannte Zusammenhänge aufgedeckt werden und die Landwirtschaft sich besser an den Klimawandel anpassen können.

In dem vom Bundeslandwirtschaftsministerium geförderten Projekt BeetScan erfassen Satelliten alle ein bis drei Tagen den Zuckerrübenanbau in Deutschland. Eine KI wertet den Entwicklungsstand der Pflanzen aus. Landwirte könnten so zum optimalen Zeitpunkt notwendige Maßnahmen wie Pflanzenschutz, Bewässerung oder Düngung umsetzen. Außerdem können mit dem Programm Erntemengen prognostiziert werden.

Dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung und Geomatikern der Berliner Humboldt-Universität ist es sogar gelungen, die Daten mehrerer Satelliten so zusammenzuführen, dass wolkenfreie Bilder von der gesamten Bundesrepublik entstehen. Eine KI erkennt darin parzellenscharf, welche Pflanzen auf den Ackerflächen angebaut werden und wie diese sich im Zeitverlauf entwickeln. Das ermöglicht Ertragsprognosen für die jeweiligen Feldfrüchte.

Für eine optimale Bewässerung will das deutsch-pakistanische Kooperationsprojekt AQUAGRO sorgen. In dem vom DAAD geförderten Projekt wird der optimalen Wasserbedarf abhängig von den Bedürfnissen der Pflanzen, der Bodensituation und den aktuellen Wetterbedingungen vor Ort berechnet. Ziel sind erhebliche Einsparungen des Wasserverbrauchs: Schätzungen zufolge entfallen rund 60% des jährlichen globalen Wasserverbrauchs auf die Landwirtschaft. Ein Großteil allerdings kommt infolge ineffizienter Bewässerungsmethoden gar nicht den Pflanzen zunutze.

Das Berliner Start-up Peat hat 2016 eine App entwickelt, mit der Landwirte Smartphone-Bilder einspeisen können, um Pflanzenkrankheiten, aber auch Nährstoffmangel und Schädlingsbefall frühzeitig zu erkennen. Plantix liefert nicht nur eine Krankheitsdiagnose, sondern benennt Ursachen und zeigt Therapiemaßnahmen auf. Kürzlich hat das Start-up mehr als 6 Mio. Euro in einer ersten Finanzierungsrunde eingesammelt. Plantix basiert auf einer großen Pflanzenbilddatenbank und Maschinellem Lernen.

KI für den Stall

Doch nicht nur der Ackerbau profitiert von KI-Anwendungen. Das automatisierte Diagnosesystem des Start-ups InnoCow erfasst mit selbstlernenden Algorithmen das Verhalten von Kühen ortsunabhängig und in Echtzeit beim Weiden, Wiederkäuen oder im Melkstand. Ähnlich einer Fitnessapp hat der Landwirt so jederzeit den Gesundheitszustand seiner Tiere im Blick, kann eine bevorstehende Brunst frühzeitig erkennen und Futtermengen optimieren. Im Ergebnis lässt sich die Milchproduktion steigern und das Tierwohl verbessern, weil Krankheiten und andere Probleme sehr früh bemerkt werden.

Auch Imker setzen auf KI-getriebene Automatisierung. Bienenstöcke müssen regelmäßig inspiziert werden, doch das stresst die Tiere. Im Projekt Honeycloud, gefördert im Rahmen des BMBF-Ideenwettbewerbs „Neue Produkte für die Bioökonomie“, haben Würzburger Informatiker daher eine digitale Überwachung des Bienenstocks entwickelt, die die Notwendigkeit für Inspektionen auf ein Minimum reduziert.

Nicht zuletzt profitiert auch die Fischerei vom Maschinellen Lernen. Rund ein Drittel der globalen Fischbestände gelten als überfischt, was die Zukunft der Branche in Frage stellt. Regeln, welche Arten zeitweise in bestimmten Regionen nicht gefischt werden dürfen, sollen den Beständen helfen sich zu erholen. Doch dazu sind Daten erforderlich, wie es um die Bestände bestellt ist. Die von einer australischen Naturschutzorganisation entwickelte KI FishFace kann automatisiert Fischarten und anhand deren Größe das Alter der Tiere bestimmen. Verknüpft mit den GPS-Daten der Fangposition können Fangflotten so automatisch den Zustand der jeweiligen Gewässer bestimmen und Quoten oder Fangverboten können rechtzeitig angepasst werden, damit Bestände nicht aussterben. Außerdem können KIs satellitengestützt Fischereiaktivitäten überwachen und so illegal agierende Fangschiffe identifizieren und an die Strafverfolgungsbehörden melden.

 

Innocow ist eine KI-basierte App, die den Gesundheitszustand von Kühen auf Weide und im Stall im Blick hat.

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Pflanzenzüchtung beschleunigen

In der Pflanzenzüchtung gibt es zwei Schritte, die sehr zeitaufwendig sind: die Identifikation interessanter Pflanzenmerkmale und deren Verifikation anhand des Phänotyps der neuen Züchtungen. Beide Aufgabenbereiche sind geradezu prädestiniert für den Einsatz von Maschinellem Lernen, das seine Stärken in der Mustererkennung ausspielen kann. Beispielsweise haben züchterisch begehrte Eigenschaften wie Resistenzen gegen einen Schädling immer eine Entsprechung im Genom der Pflanzen. Oft ist jedoch nicht nur ein einzelnes Gen, sondern das Zusammenspiel verschiedener Gene und Regulationsmechanismen beteiligt. Aus dem Abgleich verschiedener Pflanzenvarianten mit dem gewünschten Merkmal und deren Genomen können KI-Systeme Zusammenhänge aufdecken.

Datenbanken durchforsten

So will das Tübinger Biotech-Unternehmen Computomics mithilfe von KI neue resistente Reissorten identifizieren. Lernende Algorithmen sollen in der Datenbank des Internationalen Reisforschungsinstituts jene Reissorten identifizieren, deren genetisches Potenzial hinsichtlich Resistenz und Ertrag am vielversprechendsten für die Entwicklung neuer Sorten ist. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Projekt BARSELECT und hat seine Methode bei der Rinderzucht abgeschaut: die genomische Selektion. Für 750 Gerstenlinien haben die Forscher phänotypische Merkmale und genomische Daten erhoben und zusammengeführt. Eine KI hat daraus Zusammenhänge interpretiert und kann nun anhand von Genomdaten abschätzen, wie viele erstrebenswerte Merkmale ein Genom birgt. Daraus entsteht ein Vergleichswert, nach dem vielversprechende Individuen für die weitere Züchtung ausgewählt werden können.

Besseres Verständnis molekularer Zusammenhänge

Auch bei der sprichwörtlichen Suche nach Nadeln im Heuhaufen kann KI helfen. So interessieren Pflanzenforscher sich für sogenannte Micro-RNAs, kurze Moleküle, die Gene stilllegen können. Das macht sie zu wichtigen regulatorischen Elementen auch in der Pflanzenzüchtungsforschung. Weil sie erstens so klein sind und zweitens anderer RNA stark ähneln, ist die Forschung an ihnen schwierig. Ein Deep-Learning-Ansatz hat sich jedoch als sehr erfolgreich herausgestellt, auch jene Micro-RNAs zu identifizieren, die vom typischen Muster abweichen.

Überhaupt sind die genregulatorischen Netzwerke der Pflanzen nur mühsam aufzuschlüsseln: Wann werden welche Gene ein- oder ausgeschaltet, welche regulatorischen Elemente sind daran beteiligt, welche Proteine entstehen dadurch? Forscher können über einen Zeitverlauf das komplette Transkriptom einer Pflanze analysieren und wissen so, welche regulatorischen Elemente und welche Gene in welcher zeitlichen Abfolge aktiv sind. Doch aus dieser Datenmenge kausale Zusammenhänge abzuleiten, ist schwierig. Mittels Maschinellem Lernen haben Pflanzenforscher jedoch wiederholt diese Daten interpretieren und genregulatorische Netzwerke modellieren können.

Dieses ganzheitliche Verständnis der Abläufe soll helfen, bestehende Merkmale einer Züchtungslinie zu stabilisieren oder sogar zu optimieren. Denn welche Auswirkungen Veränderungen an einer Stelle des Netzwerks auf den gesamten Organismus hätte, kann mithilfe der Kartierung simuliert werden und muss nicht in wochenlanger züchterischer Arbeit erprobt werden.

Für eine schnelle Erprobung des züchterischen Erfolgs steht auch das Projekt CROP.SENSe.net. Während in der Pflanzenzüchtung die Vorauswahl genetisch geeigneter Kandidaten, die Genotypisierung, inzwischen sehr schnell erfolgt, ist die Phänotypisierung, also die Auswertung der ausgeprägten Merkmale der Pflanze, immer noch aufwendig: Die Pflanzen müssen angebaut, ihre Merkmale erfasst und dann interpretiert werden.

Smarte Resistenzzüchtung

Bei CROP.SENSe.net erfassen digitale optische Sensoren automatisiert die Pflanzen – in diesem Fall Gerste – in mehreren Spektralbereichen und eine KI wertet die Daten aus – bis zu drei Gigabyte je Bild. Schon sehr früh im Wachstum erkennen die Algorithmen anhand der Reflexionsmuster, ob ein Befall mit bestimmten Pilzkrankheiten vorliegt oder ob die neue Linie wie erhofft resistent ist.

Das Projekt PHENOvines hat die Erfahrungen auf die Weinzüchtung ausgeweitet. Ein autonomer Feldroboter erstellt Aufnahmen der Rebstöcke und übergibt die Daten zusammen mit Koordinaten zur Auswertung an eine KI. Die Maschine ist bei der Bonitur nicht nur 20 Mal schneller als der Mensch, sondern auch noch objektiver, weil sie mehr Daten erfasst – und das standardisiert. Bislang taugen die Daten zum Aussehen der Reben vor allem zur Ertragsabschätzung, aber auch hier wollen die Forscher künftig Pilzkrankheiten früh erkennen können und so den Züchtungsprozess beschleunigen. 

Wintergerste auf einem Versuchsfeld
KI hilft dabei, die Pflanzenzüchtung zu beschleunigen - etwa bei der Entwicklung neuer Wintergerstesorten in dem Projekt BARSELECT.

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Biotechnische Produktionsprozesse optimieren

Auch in vielen Verfahren und Prozessschritten der industriellen Biotechnologie, Pharmazie und in der Chemie können selbstlernende Algorithmen und Maschinelles Lernen helfen, um schneller und zuverlässiger zu innovativen Produkten zu gelangen.

Bioanalytik und Wirkstoffforschung

In der Bioanalytik ist die Massenspektrometrie das Mittel der Wahl, um Proteine zu bestimmen. Bislang vergleichen die Programme dabei jedoch nur Teile der Proteine mit den entsprechenden Datenbanken. Meist genügt das für eindeutige Treffer, doch das System ist fehleranfällig. Im Rahmen des BMBF-Förderprogramms ProteomeTools haben Wissenschaftler der TU München nun einen selbstlernenden Algorithmus mit 100 Millionen Massenspektren von Proteinen trainiert. Das neuronale Netzwerk namens Prosit kann nun das gesamte gemessene Spektrum abgleichen, um Proteine in einer Probe zu identifizieren. Die Fehlerquote ist dadurch um den Faktor 100 gesunken. Wie diese Proteine dann mit Oberflächen interagieren, ist immer noch wenig erforscht, obwohl Peptide und Proteine ein riesiges Potenzial für Medizin, Diagnostik und Biotechnologie bieten. Aufgrund der Komplexität und Vielfalt der beteiligten Parameter sind Vorhersagen durch Modellierungen schwierig. Außerdem können die KI-Algorithmen vollautomatisch nach optimierten Biomolekülen suchen. Davon profitiert beispielsweise die Pharmaforschung, die damit Kandidaten für neue Wirkstoffe identifiziert.

Kontinuierlicher Blick in den Bioreaktor

Auf den smarten Blick in den Bioreaktor als Produktionsstätte der industriellen Bioökonomie zielt die vom BMBF geförderte strategische Allianz „Wissensbasierte Prozessintelligenz“ ab. Seit 2014 tüfteln darin 20 Partner aus Industrie und Hochschulen an neuen Strategien, um komplexe biotechnische Produktionsprozesse effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Denn was im Bioreaktor gerade passiert, bleibt Biotechnologen bislang meist verborgen, Prozesse werden oft blind geführt. Das Netzwerk bringt insgesamt rund 20 Mio. Euro auf. Das BMBF steuert im Rahmen der „Innovationsinitiative industrielle Biotechnologie“ knapp die Hälfte dieses Betrages bei. Zum Einsatz kommen innovative Sensortechnik und moderne Methoden der Datenanalyse und Modellierung. So entsteht eine Hardware- und Software-Plattform, die künftig eine kontinuierliche Beobachtung der Produktion, höhere Prozesssicherheit und zuverlässig hohe Qualität garantieren soll. KIs können in der Produktion mit entsprechender Sensorik Abweichungen vom Soll frühzeitig erkennen und so zu deren Behebung beitragen, bevor die Produktion unterbrochen werden muss. Häufig können die Programme zudem Zusammenhänge zwischen Produktionsfehlern und deren Ursachen aufdecken. Auch Wartungsbedarf an den Produktionsanlagen fällt den Algorithmen früher auf.

Algorithmus kreiert neuen Duft

Ganz verbrauchernah ist, was der deutsche Dufthersteller Symrise mit Künstlicher Intelligenz erreicht hat. Das Unternehmen hat einen Algorithmus analysieren lassen, welche Duftstoffe in welchen Ländern erfolgreich sind. Mit diesem Wissen hat die KI aus Millionen Duftformeln und Rohstoffen neue Parfums gezielt für den brasilianischen Markt komponiert. In Konsumententests haben diese die Klassiker eindeutig übertroffen. 

sartorius bioreaktor mikrobiell
KI-basierte Systeme helfen, Prozessabläufe im Bioreaktor kontinuierlich zu beobachten.

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Biodiversität erfassen

KI-Methoden tauchen auch in anderen für die Bioökonomie relevanten Bereichen auf.

Etwa bei der Erfassung von Biodiversität: So helfen selbstlernende Algorithmen, die Daten von Wildkameras automatisch zu interpretieren oder Vogelstimmen zu analysieren und Artenbestände zu kartieren und zu katalogisieren. Damit wird KI zu einem wichtigen Pfeiler für das Biodiversitätsmonitoring. Auch Laien werden in die Lage versetzt, bei der Artenbestimmung mitzuwirken, etwa in Citizen-Science-Projekten. Andere KI-Anwendungen überwachen Satellitenaufnahmen und können so schon früh illegale Abholzungen detektieren und ermöglichen so ein Gegensteuern. Auch in einigen Verbundprojekten zu den Agrarsystemen der Zukunft spielt die Erfassung und Inwertsetzung von Biodiversität und Ökosystemleistungen eine wichtige Rolle – so etwa in den Projekten Green Grass, DAKIS und NOcsPS. Ein Forschungsteam der Leibniz-Gemeinschaft will mithilfe von KI wiederum das Datenbank-Wissen über Mikroorganismen vernetzen und analysieren, um die Biodiversität von Bakterien zu erforschen.