Eine wachsende Weltbevölkerung, knapper werdende fossile und mineralische Ressourcen und die Auswirkungen des Klimawandels stellen die Agrarproduktion vor existenzielle Herausforderungen. Es wird immer schwieriger, den zunehmenden Bedarf an Lebensmitteln und biobasierten Ressourcen zu decken.
Einer immer stärker globalisierten Welt stehen Entwicklungen wie die Regionalisierung der Produktion und die Urbanisierung gegenüber. Unterschiedliche Verbraucherbedürfnisse müssen bedient werden, auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels.
Klar ist: Herkömmliche Formen von Landwirtschaft werden allein nicht in der Lage sein, diesem Mix an Anforderungen gerecht zu werden. Gefragt sind neue Lösungen für eine nachhaltige, ressourceneffiziente und anpassungsfähige Agrarproduktion. Wie solche innovativen Agrarsysteme aussehen könnten, steht im Mittelpunkt der Fördermaßnahme „Agrarsysteme der Zukunft“. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert diese Initiative mit knapp 43 Mio. Euro. Das Dossier gibt einen Überblick über die acht geförderten Verbundprojekte.
Im Fokus der BMBF-Fördermaßnahme „Agrarsysteme der Zukunft“ steht die Entwicklung innovativer Systeme für die landwirtschaftliche Produktion von morgen. Diese sollen nachhaltig und ressourceneffizient sein, sich den Herausforderungen der nächsten Generationen stellen und deren zunehmenden Bedarf an Lebensmitteln und biobasierten Ressourcen decken. Doch wie können derartige Agrarsysteme in der Zukunft angesichts komplexer Herausforderungen bestmöglich gestaltet werden?
Um herauszufinden, wo besonderer Forschungsbedarf auf diesem Weg besteht, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bereits im Jahr 2015 einen Zukunftsprozess gestartet und einen gesellschaftlichen Austausch darüber angestoßen. Vertreter aus Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft sowie Politik und Verbänden waren eingeladen, ihr Wissen und ihre Ideen auszutauschen. Den Anfang machte ein „Wettbewerb der Visionen“, bei dem 96 visionäre Ideen eingereicht wurden, über die anschließend rund 100 Teilnehmer eines Kreativworkshops diskutierten und sie weiterentwickelten.
Im Fokus standen ressourceneffiziente, nachhaltige Lösungen, die sozioökonomische und ökologische Fragen gleichermaßen berücksichtigen. Es geht darum, Nutzungskonflikte zu entschärfen, die zwischen der Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen existieren und die im Spannungsfeld von Globalisierung, Regionalisierung und Urbanisierung auftreten. Dabei gilt es, systemorientierte Lösungen für eine Agrarproduktion der Zukunft zu entwickeln.
2016 entstand aus den Erkenntnissen des Zukunftsprozesses eine Förderrichtlinie zu den Agrarsystemen der Zukunft. Auf die entsprechende BMBF-Ausschreibung bewarben sich 117 Interessenten mit Ideenskizzen. Ein internationales Gutachtergremium wählte daraus 40 vielversprechende Vorschläge, die dann in einer sechsmonatigen Konzeptphase weiter ausgearbeitet wurden (Fördervolumen: 2,7 Mio. Euro). Eine internationale Fachjury wählte schließlich acht Konsortien aus. Sie werden zunächst mit insgesamt rund 43 Mio. Euro gefördert. Die Projekte laufen von 2018/19 bis 2023/24.
Die Fördermaßnahme Agrarsysteme der Zukunft zeichnet sich auch durch eine flexible Governance-Struktur aus, die durch ein Gutachtergremium und einen Koordinierungskreis aus Vertretern der beteiligten Konsortien geprägt wird – mit dem Ziel eine neuartige Systemik und Qualität der Zusammenarbeit zu etablieren. Am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau in Großbeeren ist die Koordinierungsstelle der Fördermaßnahme angesiedelt.
In den folgenden Kapiteln werden die verschiedenen Verbundprojekte jeweils in kompakten Steckbriefen vorgestellt. Die unterschiedlichen Konsortien liefern einen Ausblick auf eine landwirtschaftliche Produktion, die immer stärker digitalisiert, automatisiert und vernetzt ist, die auf Nährstoff- und Wertstoffkreisläufe setzt und die moderne Anbautechnologien klug miteinander kombiniert. Ziel ist es mithilfe dieser Innovationen Lebensmittel und biobasierte Ressourcen nachhaltig und ressourceneffizient anzubauen und zu produzieren.
Die DAKIS-Forscher entwickeln ein weltweit einzigartiges Informations- und Managementsystem.
Die Forschungspartner im Verbundprojekt DAKIS – Digital Agricultural Knowledge and Information System wollen ein weltweit einzigartiges Informations- und Managementsystem entwickeln, das Produktionsoptimierung mit Anforderungen aus dem Umwelt- und Naturschutz in neuen Anbausystemen wie dem sogenannten Inselanbau verbindet. Das Verbundprojekt besteht aus sechs Teilen, in denen eine Sensoren-Plattform, ein Echtzeitmodell und ein Betriebsplanungsmodell sowie neue Nutzungstypen und Anbausysteme entwickelt werden sollen. Diese werden schließlich zu einem verknüpften smarten Entscheidungsunterstützungsmodul ausgebaut. Koordiniert wird DAKIS vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF). Das Fördervolumen beträgt ca. 6,7 Mio. Euro.
Als Testregionen fungieren die Uckermark (Brandenburg) und das Umland von Ruhsdorf an der Rott (Bayern, in Kooperation mit der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft), zwei bewusst unterschiedlich gewählte Anbauregionen. Während in Brandenburg großräumige Agrarlandschaften mit durchschnittlichen Böden und geringen Niederschlägen vorliegen, ist die Landwirtschaft in Bayern klein strukturiert, besitzt ertragsstarke Böden und erfreut sich höherer Niederschläge.
Für beide Regionen ermitteln die Forscher zunächst, wie viele Nahrungsmittel, Futtermittel und nachwachsende Rohstoffe dort produziert werden. Neben diesen Versorgungsleistungen nehmen die Forscher auch die sogenannten Ökosystemleistungen in den Blick, also beispielsweise ob Überschwemmungsgebiete vorliegen, welche Speicher und Quellen es für Kohlendioxid gibt und wie es um die Bestäubungsleistung durch Insekten bestellt ist. Nicht zuletzt bewertet das Projekt kulturelle Aspekte wie Erholungsfunktion, Umweltbildung und Tourismus.
Parallel dazu etablieren die Forscher ein drahtloses Sensor-Netzwerk, das die Entwicklung auf den Feldern erfasst. Statische Sensoren, aber auch autonome Roboter erfassen Bodenbeschaffenheit, Pflanzenbestand und meteorologische Daten, die anschließend mit satellitenbasierten Beobachtungsdaten kombiniert werden. So sollen Veränderungen des Status quo frühzeitig erkannt und bei der Auswertung berücksichtigt werden können.
Diese Auswertung erfolgt durch Computermodelle. Die Software soll das Spannungsverhältnis zwischen Produktionsmaximierung, Ökosystemleistungen, wie etwa Biodiversität und technischer Umsetzbarkeit optimal ausbalancieren. Das Programm soll dann ebenso Empfehlungen für langfristige Investitionen geben, beispielsweise in neue Maschinen, wie auch Tipps, um den Einsatz von Wasser, Dünger und Pflanzenschutzmitteln zu minimieren. Die resultierenden Erträge und Ökosystemleistungen soll das Modell in Echtzeit simulieren können.
Im Fokus von DAKIS steht dabei die kleinflächige Bewirtschaftung im sogenannten Patch-Anbau. Dieser Inselanbau wirkt Monokulturen entgegen und fördert sowohl die Artenvielfalt als auch den Erhalt der Vielfalt der Nutzpflanzensorten.
DAKIS - die Projektpartner
Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V., Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik (IHP), Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) e. V., Universität Bonn, Forschungszentrum Jülich GmbH, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI), Hochschule Osnabrück, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI)
Geht es ganz ohne? In NOcsPS – Landwirtschaft 4.0 ohne chemisch-synthetischen Pflanzenschutz wollen Wissenschaftler Agrarsysteme analysieren, die keinerlei chemisch-synthetischen Pflanzenschutz verwenden – wohl aber Mineraldünger. Das von der Universität Hohenheim koordinierte Projekt will so die Stärken von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft vereinen. Denn beide Anbausysteme haben Unzulänglichkeiten: Während im konventionellen Anbau der chemische Pflanzenschutz reduziert werden soll, ist der Ökolandbau etwa durch geringere Düngung nicht genügend produktiv, um die Weltbevölkerung zu ernähren.
Wie ein dazwischen angesiedeltes Agrarsystem aussehen soll, davon haben die Forscher klare Vorstellungen: „Zum Einsatz kommen modernste automatisierte und digitalisiert vernetzte Technologien, die biologischen Prinzipien folgen“, erklärt der Sprecher des Forschungsverbunds Enno Bahrs von der Universität Hohenheim. „Ziel sind vergleichsweise hohe Erträge mit qualitativ hochwertigen Produkten bei gleichzeitiger Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, auch durch den Einsatz mineralischer Dünger.“ Ca. 5,3 Mio. Euro an Fördermitteln stehen für die Teilprojekte zur Verfügung.
Bevor das System später bundesweit auf Ackerflächen von Landwirten erprobt wird, gibt es zunächst Versuchsanlagen bei den Projektpartnern der Universität Hohenheim in Baden-Württemberg sowie dem Julius-Kühn-Institut in Brandenburg. Der dortige Versuch umfasst sieben Anbausysteme – vier NOcsPS-Systeme sowie zwei konventionelle und ein ökologisches als Vergleichsvarianten. „Die NOcsPS‐Anbausysteme benötigen eine andere Fruchtfolge aus Halm‐ und Blattfrüchten, mit Winter- und Sommerfrüchten“, erläutert Ralf Vögele, Dekan der Fakultät Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim und stellvertretender Sprecher des Forschungsverbunds. „Neben Getreide und Mais werden auch Eiweißpflanzen wie Erbse, Bohne und Lupine sowie Zwischenfrüchte integriert. Das dient dem präventiven Pflanzenschutz und dem Humusaufbau im Boden.“
Auf den Feldern untersuchen die Forscher die Auswirkungen der Anbaumethode. „Wir erfassen die Folgen auf Schaderreger, Unkräuter und den Ertrag“, erläutert Vögele. „Außerdem prüfen wir die Wirkung auf bestäubende Insekten und auf den Boden.“ Darüber hinaus führen die Projektpartner Laborversuche, Ökobilanzierungen, Betriebsanalysen und Befragungen durch, denn es soll die gesamte Wertschöpfungskette im Sinne einer nachhaltigen Produktion erfasst und analysiert werden. Dazu gehört auch die Beurteilung der Produktqualität: „Denn von den Eigenschaften der Produkte hängt deren Vermarktungsfähigkeit ab“, weiß Bahrs. Den Abschluss machen Risikoanalysen, Stückkostenrechnungen und weitere ökonomische Aspekte wie die Beurteilung der Zahlungsbereitschaft der Verbraucher, bei denen auch ein weiterer Partner von der Universität Göttingen unterstützt.
„NOcsPS‐Anbausysteme können sich als neues Agrarsystem mit hohem Anpassungspotenzial an zukünftige Rahmenbedingungen entwickeln. Sie können so eine nachhaltige Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen unterstützen sowie die bislang etablierten konventionellen und ökologischen Anbausysteme inspirieren“, so Bahrs.
NOcsPS - die Projektpartner
Universität Hohenheim, Universität Göttingen, Julius-Kühn-Institut - Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (JKI)
Wiederkäuer zurück auf die Weide – das ist das Ziel des an der Universität Göttingen koordinierten Verbundprojekts GreenGrass – Innovative Nutzung des Grünlands für eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft im Landschaftsmaßstab. Es will damit einen Trend umkehren, der negative Auswirkungen auf Artenvielfalt und Klima hat: die mit der Intensivierung der Tierhaltung verbundene Stallhaltung einschließlich der Fütterung mit Silage und Kraftfutter. Das zugehörige Fördervolumen beträgt ca. 5,1 Mio. Euro.
Viele Landwirte haben die Weidehaltung aufgegeben, da die Bedingungen auf der Weide schwanken und schlecht mit hohen Milchleistungen zu vereinbaren sind. Das Gras der ehemaligen Weiden wird stattdessen vier bis fünf Mal im Jahr maschinell geschnitten und gedüngt. Nur wenige Pflanzenarten kommen damit zurecht, viele Gräser und Kräuter verschwinden aus der Narbe. Insekten, Vögel und Kleinsäuger verlieren ihren Lebensraum. Und weil Weiden Kulturlandschaften sind, ergeht es Flora und Fauna nicht besser, wenn die Flächen aus Kostengründen in Ruhe gelassen werden: Die einstigen Weiden verbuschen, Gräser und Kräuter verschwinden auch hier.
Doch um das Vieh zurück auf die Weiden zu bringen, muss die Weidehaltung auch ökonomisch wieder attraktiv werden. GreenGrass möchte dieses Ziel auf technologischem Wege erreichen. Mit satelliten- und drohnenbasierten Fernerkundungstechnologien sollen Betriebe räumlich und zeitlich präzise Informationen über die verfügbare Menge und Qualität des Futters auf ihren Weiden erhalten. So können sie den jeweils aktuellen Nährstoffbedarf ihrer Rinder exakt erfüllen und gleichzeitig das Pflanzenwachstum ankurbeln, weil durch die zielgerichtete Beweidung die Ausscheidungen der Tiere besser verteilt werden.
Würden die Daten auf herkömmliche Weise auf der Weide berücksichtigt, brächte das einen hohen Zeit- und Materialaufwand mit sich, um kontinuierlich die Einzäunung anzupassen. Dieser Herausforderung will GreenGrass durch „virtuelle Zäune“ begegnen. Darunter versteht man in der Regel Halsbänder mit GPS-Sender zur Positionsbestimmung, kombiniert mit einem Vorwarnsignal und einem anschließenden aversiven Reiz, um die Tiere auf bestimmte Teilflächen der Weide zu lenken oder sie zeitweise Bereichen fernzuhalten. Über mobile Apps können diese virtuellen Zäune räumlich und zeitlich flexibel gesetzt werden. In Kombination mit einem effizienten und nachhaltigen Weidemanagement fördert dies sowohl die Regeneration der Futterpflanzen auf den Weideflächen als auch die Erhaltung und Optimierung von Habitatstrukturen und Artenvielfalt.
Die automatisierte Dokumentation des Weidegangs ermöglicht die Messbarkeit der erbrachten Ökosystemleistungen und damit auch ihre Vermarktung. Denn die Forscher wissen: Ohne Unterstützung der Konsumenten wird das Ziel nur schwer zu erreichen sein. Die Entwicklung geeigneter Kommunikationsmaterialien ist daher ein zusätzlicher Baustein des Projektverbundes, ebenso wie die Ermittlung der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten.
GreenGrass - die Projektpartner
Universität Göttingen, Humboldt-Universität zu Berlin, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, Universität Gießen, Universität Hohenheim, Universität Kassel/Witzenhausen, Universität zu Köln, horizont group GmbH, Texas Trading GmbH, Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen e. V.
SUSKULT erschließt die Umgebung von Kläranlagen wie dem Klärwerk Emschermündung.
Kläranlagen als Standorte einer Nahrungsmittelproduktion – dass das die Projektpartner von SUSKULT – Entwicklung eines nachhaltigen Kultivierungssystems für Nahrungsmittel resilienter Metropolregionen als „ungewöhnlich“ bezeichnen, glaubt man sofort. Leicht folgen kann man den Wissenschaftlern, die vom Fraunhofer UMSICHT-Institut koordiniert werden, auch bei der Problembeschreibung: Um die landwirtschaftlichen Erträge weiter zu steigern, sind nach herkömmlicher Arbeitsweise mehr Phosphat, Stickstoff und Energie nötig. Angesichts knapper Phosphorvorkommen, nitratbelasteter Böden und Gewässer und der Klimakrise kann das nicht funktionieren. Zudem wird eine regionale Erzeugung insbesondere für stark wachsende Metropolen immer schwieriger.
Schaut man genauer hin, wird deutlich, weshalb Kläranlagen ein Teil der Lösung sein können. Teilweise werden Ressourcen aus Kläranlagen heute schon genutzt, im Sinne einer Kreislaufführung sollen sie in Zukunft verstärkt gewonnen werden. So wird Phosphor – teils unter hohem Energieaufwand– aus Schlamm und Asche in Kläranlagen rückgewonnen, um ihn als Dünger oder Futterzusatz in der Landwirtschaft zu nutzen. „Allerdings wird Phosphor dabei aus der Stadt in agrarwirtschaftlich geprägte Regionen transportiert, von wo aus später dann Obst und Gemüse wieder zurückgebracht werden“, erklärt Volkmar Keuter, Leiter der Abteilung Photonik und Umwelt beim Fraunhofer UMSICHT.
Tatsächlich sind Kläranlagen sogar prädestiniert für die Produktion von Pflanzen, die im Gewächshaus angebaut werden: Für den geschlossenen Anbau von gartenbaulichen Produkten in Gewächshäusern werden im wesentlichen Nährstoffe (Dünger), Kohlendioxid, Wärme und Wasser benötigt. „All diese Ressourcen sind in Kläranlagen zu finden“, betont Keuter. Hinzu komme der Standortvorteil: Zunächst am Stadtrand gebaut, seien Kläranlagen mittlerweile – bedingt durch das Wachstum der Städte und Metropolregionen – häufig zentrumsnah verortet.
Die Ziele des mit rund 5 Mio. Euro geförderten Projektes SUSKULT umfassen neben der Weiterentwicklung der Kläranlagen zu sogenannten NEWtrient-Zentren und der Entwicklung einer Aufbereitungstechnik für eine angepasste Nahrungsmittelproduktion in geschlossenen Kultursystemen auch eine dazugehörige Umfeld- und Systemanalyse. Deshalb sind auch Partner aus der Lebensmittelwirtschaft mit an Bord. Innerhalb von drei Jahren will der Forschungsverbund die Grundlagen schaffen, um auf dem Gelände des Klärwerks Emschermündung an der Stadtgrenze zwischen Dinslaken, Duisburg und Oberhausen eine Demonstrationsanlage zu errichten.
„Nach einer Phase der Optimierung der einzelnen Komponenten möchten wir vor Ort pro Jahr mehrere Tonnen Gemüse produzieren“, erläutert Keuter. „Wir haben die Vision, dass 2050 keine Kläranlagen mehr im Sinne einer Entsorgungsanlage existieren, sondern NEWtrient-Center. Ressourcenströme, die sämtliche Nährstoffe in Städten umfassen, können hier gehandelt werden.“
SUSKULT - die Projektpartner
Fraunhofer-lnstitut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, A3 water solutions GmbH, Deutsches Forschungszentrum für künstliche Intelligenz GmbH (DFKI), Emschergenossenschaft K. ö. R, Helmholtz Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ), Hochschule Osnabrück, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, Universität Gießen, Ruhrverband, Technische Universität Kaiserslautern, Yara GmbH & Co. KG
Aus Science-Fiction das „Fiction“ entfernen, das ist das Motto des vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) koordinierte Projekt Food4Future: „Ein Stadtplanet wie Coruscant ist nicht nur als Teil des bekannten Science-Fantasy-Epos Star Wars in einer weit entfernten Galaxie denkbar, auch in der Realität unseres eigenen Planeten ist dies eine mögliche Zukunft, die in Ansätzen – man denke an Megastädte wie Tokio – bereits existieren“, sagt die Koordinatorin Monika Schreiner vom IGZ. Die stetig wachsende Weltbevölkerung, Auswirkungen des Klimawandels sowie negative Entwicklungen in globalen Handelsbeziehungen machten die dem Projekt zugrunde liegenden Zukunftsszenarien plausibel. „Vor diesem Hintergrund muss ein radikales Umdenken in der Art, wie wir unsere Lebensmittel produzieren und welche Lebensmittel wir benötigen, erfolgen“, so Schreiner weiter.
Der Projektverbund will deshalb heute bereits sichtbare Entwicklungen zu Extremszenarien in der Lebensmittelversorgung untersuchen, um auch für künftige Generationen sicherzustellen, dass diese ausreichen wird und dabei gesund und nachhaltig erfolgen kann. Zu den Phänomenen, denen sich die Wissenschaftler widmen, gehören die Agrarproduktion im urbanen Raum und die Entwicklung entsprechender Kultivierungssysteme für alternative Nahrungsquellen wie Makroalgen, Salzpflanzen, Quallen und Grillen.
Darüber hinaus zielt das mit ca. 5,8 Mio. Euro geförderte Projekt darauf ab, die Auswirkungen derartiger Nahrungsinnovationen auf den Menschen zu untersuchen. Dazu wird eine Smart Nutrition App entwickelt, die sensorbasiert den Ernährungsstatus erfasst und bei einer optimalen Ernährungsplanung helfen soll. Nicht zuletzt wollen die Forscher auf sozioökonomischer Seite analysieren, welche Faktoren den globalen Wandel der Ernährungssysteme antreiben und wie diesen Veränderungen begegnet werden kann.
Food4Future - die Projektpartner
Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau e.V., Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung GmbH, Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e. V., Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP, pmp Projekt Gesellschaft für Projektentwicklung u. Generalplanung mbH, Technische Hochschule Wildau, Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke, Humboldt Universität zu Berlin, Freie Universität Berlin
Nährstoffkreisläufe zwischen Stadt und Land zu schließen, ist das Ziel des Projektkonsortiums RUN – Rural Urban Nutrient Partnership, Nährstoffgemeinschaften für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Koordinator ist das Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart. Eine Pilotanlage – ein sogenanntes Reallabor – entsteht dazu in Heidelberg. „RUN verknüpft Technologien, Stoffstrom-Modelle, systemische Szenario-Analyse und sozialwissenschaftlich-partizipative Methoden miteinander“, erläutert Martin Kranert von der Universität Stuttgart. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, wie sich Nährstoffe aus Bioabfall und häuslichem Abwasser rückgewinnen und für die Herstellung eines sicheren und wirksamen Düngemittels verwenden lassen.
Zunächst entwickeln die Forscher dazu Methoden der Rückgewinnung im Labor, kalkulieren Nährstoffbilanzen und erzeugen neben Dünger auch Biogas, Pflanzenkohle und Biokunststoffe. In einem zweiten Schritt muss sich der Dünger bewähren, indem sich zeigt, dass seine Nährstoffe gut von Pflanzen verwertet werden können. Stimmt alles, werden noch die Ökobilanzen und die Umweltauswirkungen betrachtet, bevor es tatsächlich an die Erprobung in der Pilotanlage in Heidelberg geht. Im Blick haben die Forscher dabei auch mögliche Nutzungs- und Zielkonflikte, die Auswirkungen auf die örtliche Infrastruktur – und nicht zuletzt die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. Das soll helfen, die Übertragbarkeit auf andere Standorte in anderen Regionen abzuschätzen.
Nicht vergessen werden sollen in dem mit ca. 4,2 Mio. Euro geförderten Projekt die Betroffenen – Stadtbewohner ebenso wie Landwirte. Deren Befindlichkeiten und Bedürfnisse wollen die Wissenschaftler in Veranstaltungen mit Fokusgruppen und aus Befragungen erfahren. Über diese empirischen Untersuchungen wollen die Forscher mögliche Vorbehalte der Stadtbewohner gegenüber veränderten Nutzerschnittstellen erkennen und ihr Bewusstsein dafür schärfen, nicht nur Konsumenten, sondern auch Produzenten zu sein. Außerdem sollen diese Maßnahmen mehr über die Präferenzen der Landwirte für Düngemittel in Erfahrung bringen. Dazu zählen vor allem praktische Aspekte wie die bevorzugte Beschaffenheit von Design-Düngemitteln und unter welchen logistischen und betriebswirtschaftlichen Konditionen diese Abnehmer finden müssen.
RUN - die Projektpartner
Universität Stuttgart, Universität Heidelberg, Technische Universität Kaiserslautern, Universität Hohenheim, Johann Heinrich von Thünen-Institut Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Björnsen Beratende Ingenieure GmbH, iat-Ingenieurberatung GmbH Sondervermögen Großforschung beim KIT
Der Landwirtschaft alleine wird es bei zunehmender Verknappung der Anbauflächen nicht gelingen, die wachsende und immer mehr in urbanen Zentren lebende Weltbevölkerung zu ernähren. Das ist die Prämisse des an der Humboldt-Universität zu Berlin koordinierten Projektes CUBES Circle – Closed Urban modular Energy- and Resource-efficient Agricultural Systems. Es setzt daher auf die intelligente Vernetzung unterschiedlicher agrarischer Produktionssysteme wie Pflanze, Insekt und Fisch in weitgehend geschlossenen Energie- und Stoffkreisläufen.
Die Herausforderung besteht darin, eben diese Kreisläufe herzustellen und stabil zu steuern. Denn nur durch die Verwertung von Reststoffen aus den jeweilig anderen Produktionsprozessen können die in einem Produktionssystem benötigten Energie- und Stoffmengen – beispielsweise Energie, Wasser und Nährstoffe – bereitgestellt werden. Durch die Integration in urbane Strukturen, die Nutzung regenerativer Energiequellen sowie die Einbeziehung von externen Stoffströmen aus dem städtischen Bereich soll eine besonders hohe ökologische sowie ökonomische Nachhaltigkeit und Effizienz erzielt werden.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, diese Systeme intelligent zu vernetzen und zu regeln. „Alle Produktionsmodule dieses Gesamtsystems sind miteinander verbunden und können kommunizieren“, erläutert Stefan Streif, Regelungstechniker an der Technischen Universität Chemnitz. Im Projekt entwickeln die Forscher daher eine Forschungs- und Experimentalplattform, die es ermöglicht, diese hochkomplexen und mit Unsicherheiten behafteten neuen Agrarsysteme zu schaffen. Der eigentliche Clou aber steckt im Namen des mit ca. 7,9 Mio. Euro geförderten Projekts: Die einzelnen Produktionseinheiten sollen in sogenannten Cubes etabliert werden. Diese stapelbaren und genormten Module bilden idealerweise geschlossene Systeme ohne Emissionen und Abfallstoffe. „Die im System angestrebte Koppel- und Stapelbarkeit der Produktionseinheiten soll einen außergewöhnlich hohen Ertrag pro Flächeneinheit ermöglichen“, betont Streif ein wesentliches Projektziel.
Weil sich ein solches Agrarsystem nicht nur auf versiegelten Flächen im urbanen oder suburbanen Raum, sondern auch auf wüstenähnlichen Standorten installieren lässt, können neue Flächen in die Nahrungsproduktion integriert werden. Gleichzeitig würden die Regionalität gestärkt und lange Transportwege vermieden, weil dort produziert würde, wo die Verbraucher einkaufen.
CUBES Circle - die Projektpartner
Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Braunschweig, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Technische Universität Chemnitz, Forschungsverbund Berlin e.V.
Dem Fahrern von Landmaschinen mehr Zeit für anderes verschaffen, das steht hinter Fahrerkabine 4.0.
Wer bei Traktoren und anderen Landmaschinen an schwere, aber technologisch doch eher schlichte Fahrzeuge denkt, liegt mitunter daneben. Längst schon gibt es autonome Mähdrescher, die GPS-gesteuert Felder abernten. Auch Traktoren sind vernetzt und mit teilautonomen Funktionen vorhanden. Anders als beim Pkw mit teilautonomen Fahrfunktionen ist der Fahrer also vor allem dazu da, um das Arbeitsergebnis zu kontrollieren. Daraus resultiert viel Zeit, in denen ein Landwirt einfach nur in seiner Kabine sitzt – Zeiten, in denen die geringe Beanspruchung des Fahrers einen deutlichen Abfall seiner Leistungsfähigkeit bedeutet. Warum also sollte er diese Arbeitszeit nicht produktiver nutzen können, wo doch sein Fahrzeug bereits voll vernetzt ist?
Genau an dieser Stelle setzt das Projekt Fahrerkabine 4.0 – Entwicklung einer beanspruchungs-adaptiven Nutzerschnittstelle für Landmaschinenbetreiber an, das am Karlsruher Institut für Technologie koordiniert wird. „Gerade in der Landwirtschaft werden bereits Arbeitsprozesse mithilfe unterschiedlichster Technik automatisiert durchgeführt, sodass der Fahrer sich während der Feldarbeit gleichzeitig um Managementaufgaben des Hofs kümmern kann“, sagt KIT-Ingenieur Patrick Lehr. Das Projekt wird mit ca. 3 Mio. Euro gefördert. Doch wer schon einmal im Pkw mit Abstandstempomat und Spurhalteassistent unterwegs war, weiß: Das richtige Maß an Aufmerksamkeit ist gar nicht einfach zu finden. Ist der Fahrer zu wenig gefordert, sinkt seine Aufmerksamkeit gefährlich weit ab. Gleichzeitig können anspruchsvollere Tätigkeiten den Fahrer zu stark vom Verkehrsgeschehen ablenken. Nicht anders ist es auf dem Acker: Der Fahrer soll von seinen parallel ausgeführten Managementtätigkeiten weder unter- noch überfordert werden. Die Forscher möchten Landwirten daher ein System zur Verfügung stellen, das ihnen während der Nutzung ihrer Landmaschinen abhängig von ihrer aktuellen Konzentrationsfähigkeit Aufgaben zur Bearbeitung empfiehlt oder unwichtige Informationen ausblendet.
Zugrunde liegen der Entwicklung dieser adaptiven Mensch-Maschine-Schnittstelle arbeitspsychologische Untersuchungen. Umgesetzt werden soll sie durch eine Augmented-Reality-Umgebung im Stil eines virtuellen Büroarbeitsplatzes. Dadurch können die Informationen von herkömmlichen Displays gelöst und bedarfsgerecht ins Sichtfeld projiziert werden. Sowohl durch Touchscreens als auch über Gesten oder Sprache soll der Anwender dann Eingaben vornehmen können. Inhaltlich können das zum einen Aufgaben aus dem Management oder auch Aufgaben in Form von Informationsabfragen sein. Infrage kommen Buchhaltung, Flottenverwaltung oder Lagerhaltung – aber auch Terminplanung und E-Mail-Verkehr sowie Abfragen von Dreschparametern, genauerer Getreidequalität, Trainingsvideos zum Dreschen und der Erklärung von Fehlercodes.
Neben dem Effizienzgewinn für den landwirtschaftlichen Betrieb soll das Projekt auch dazu beitragen, die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und damit auch den Beruf des Landwirtes attraktiver zu machen.
Fahrerkabine 4.0 - die Projektpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Universität Hohenheim, CLAAS Selbstfahrende Erntemaschinen GmbH, Budde Industrie Design GmbH, InMach Intelligente Maschinen GmbH, Rüdenauer 3D Technology GmbH
Redaktion: Björn Lohmann; Philipp Graf