In der Bioproduktion werden Mikroben oder Säugerzellen als lebende Mini-Fabriken eingesetzt. Die Produktionsstätten der Biotechnologie sind Bioreaktoren – große Hightech-Behälter aus Stahl oder Kunststoff, in denen die Organismen unter optimalen Bedingungen kultiviert werden. Ob jedoch das Produkt – sei es ein Enzym, Wirkstoff oder Biotreibstoff, in der gewünschten Qualität entstanden ist – wird in der Regel erst am Ende des Prozesses festgestellt. Diesen Check deutlich nach vorne zu verlagern und den Organismen direkt bei der Produktion zuzuschauen – das ist das Ziel der neuen strategischen Allianz „Wissensbasierte Prozessintelligenz“. Koordiniert vom Labor- und Prozesstechnologieanbieter Sartorius werden bundesweit 20 Partner aus akademischer Forschung und Industrie zusammenarbeiten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Allianz mit rund 9 Millionen Euro.
Obwohl in der biotechnologischen Produktion bereits heute modernste Verfahrenstechnik zum Einsatz kommt – was im Bioreaktor gerade passiert, bleibt Biotechnologen bislang meist verborgen. „Häufig werden derzeit Bioprozesse in der Industrie fast blind geführt“, sagt Reinhard Baumfalk von Sartorius. Erst nachträglich werde getestet, ob die Organismen das gewünschte Produkt zuverlässig hergestellt haben. Das sei aufwendig und teuer zugleich, manchmal müssten sogar ganze Chargen verworfen werden. Herstellungsprozesse ließen sich auf diese Weise nicht kontinuierlich verbessern.
Information
Die Allianz im Überblick
Industriepartner: Sartorius Lab Instruments GmbH & Co. KG. (Koordination), Sartorius Stedim Biotech GmbH, BlueSens gas sensor GmbH, PreSens Precision Sensing GmbH, TRACE Analytics GmbH, Centec GmbH, Partec GmbH, Siemens AG,Bayer Technology Services GmbH, Rentschler Biotechnologie GmbH, Ernst Böcker GmbH & Co. KG, Bitburger Braugruppe GmbH, Xell AG, Clariant Produkte GmbH, Chr. Hansen GmbH, Merz Pharma GmbH & Co. KGaA, Carlsberg A/S Group Research
Akademische Partner: Universität Hannover, TU München
Smarter Blick in den Bioreaktor
„Wir wollen bereits während der Herstellung die Qualität der produzierten Stoffe beobachten, kontrollieren und beeinflussen“, erklärt der Physiker Baumfalk. Genau darauf zielt die strategische Allianz „Wissensbasierte Prozessintelligenz“ ab, in der unter Federführung von Sartorius bundesweit 20 Partner aus Hochschulen und Industrie gemeinsam forschen und entwickeln.- Das Netzwerk startet im Sommer 2014 und bringt für die nächsten sechs Jahre insgesamt rund 20 Millionen Euro auf. Das BMBF steuert im Rahmen der „Innovationsinitiative industrielle Biotechnologie“ knapp die Hälfte dieses Betrages bei. Seit 2012 werden durch diese Förderinitiative inzwischen fünf strategische Allianzen gefördert.
Zwei Modellprozesse im Visier
Die neue Allianz vereint Ingenieure, Informatiker und Biotechnologen: Sie haben sich vorgenommen, eine Sensor- und Software-Plattform aufzubauen, die innovative Messtechnik mit modernen Methoden der Datenauswertung kombiniert. „Wichtig ist für uns dabei zunächst, die Prinzipien von Bioprozessen auf Basis geeigneter Modelle genau zu verstehen“, sagt Koordinator Baumfalk. Als Besonderheit werden sich alle Beteiligten des Netzwerks auf zwei Modellprozesse aus der Lebensmittelbiotechnologie und der Arzneiproduktion konzentrieren. Den akademischen Partnern kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. So wird ein Team um Thomas Scheper an der Leibniz Universität Hannover ein Hamsterzellkultursystem für die Produktion von Biopharmazeutika studieren. Thomas Becker und seine Mitarbeiter von der Technischen Universität München werden einen Modellprozess mit der Hefe Pichia pastoris etablieren.
Aufbauend auf einem besseren Prozessverständnis werden die beteiligten Partner innovative Sensortechnik entwickeln und sie mit modernen Methoden der Datenanalyse und Modellierung kombinieren. So entsteht eine Hardware- und Software-Plattform, die künftig eine kontinuierliche Beobachtung der Produktion, höhere Prozesssicherheit und zuverlässig hohe Qualität garantieren soll. „Kein Allianz-Partner wird für sich alleine arbeiten – über die beiden Modellprozesse sind alle eng miteinander vernetzt“, so Baumfalk.
Industriepartner übertragen Know-how in die Praxis
Das aufgebaute Know-how werden in der zweiten Projektphase Anwender aus der Industrie auf ihre hauseigenen Prozesse übertragen. „Jedes Unternehmen hat natürlich bei der Bioproduktion seine Betriebsgeheimnisse, die auch im Rahmen der Allianz nicht offengelegt oder ausgetauscht werden“, betont Baumfalk. Zu den Industriepartnern in WiPro zählen namhafte Unternehmen aus der Lebensmittelbiotechnologie (Chr. Hansen), der Brauindustrie (Bitburger, Carlsberg), der Biopharma-Herstellung (Rentschler, Merz Pharma) und der Spezialchemie (Clariant). Sie alle sind sehr äußerst interessiert daran, ihre Bioprozesse zu stabilisieren und sie zuverlässiger zu führen. Damit versprechen sie sich nicht nur die Qualität ihrer Erzeugnisse zu verbessern, sondern zugleich auch die Produktion ressourceneffizienter und umweltschonender zu gestalten.
Autor: Philipp Graf