Chemie

Chemie

Noch setzt die chemische Industrie mehrheitlich auf den fossilen Rohstoff Erdöl. Eine bestehende, vollintegrierte Produktionsweise steht einem umfassenden Strukturwandel bislang entgegen. Dennoch wird das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger, wie mehrere Initiativen zur „Grünen Chemie“ zeigen. Biobasierte Ansätze werden von den Unternehmen vor allem dann genutzt, wenn sie Kosten sparen oder wenn es um verbesserte Produktqualitäten geht.

DATEN UND FAKTEN

 

Unternehmen:
2.200 (2017)

Mitarbeiter:
453.000 (2017)

Umsatz:
195 Mrd. Euro (2017)


Quelle: VCI/Destatis

   

Beispiele aus der Bioökonomie:
Biokunststoffe, biobasierte Plattformchemikalien,
Bioschmierstoffe

 

Sector: Chemestry

Die Chemieindustrie mit ihren etwa 2.200 Unternehmen gehört zu den wichtigsten Standbeinen der deutschen Wirtschaft. Mehr als  450.000 Menschen sind hier beschäftigt, international tätige Großkonzerne wie BASF oder Evonik haben ihren Hauptsitz in Deutschland. Diese erwirtschaften auch die Mehrheit des jährlichen Umsatzes, der im Jahr 2017 bei 195 Mrd. Euro lag. Die Produktpalette der chemischen Industrie ist riesig: mehr als 30.000 unterschiedliche Produkte werden vertrieben. Nur knapp 20% der Produkte gehen direkt an den Endverbraucher. Etwa 80% der Produkte werden weiterverarbeitet. Zu den größten Kunden gehören Kunststoffverarbeiter, Automobil-, Verpackungs- und Bauindustrie.

 

 

Quelle: Destatis, VCI

Wichtige Produktionsgebiete der Chemie (inkl. Pharma)
Anteile am Produktionswert, 2017

 

Wandel zu "Grüner Chemie"

Derzeit sind Erdöl, Erdgas und Kohle die mit Abstand wichtigsten Rohstoffe der Chemieindustrie. 18,1 Mio. Tonnen fossiler Ressourcen wurden im Jahr 2017 von diesem Sektor stofflich genutzt. In großen Raffinerien und Crackern aufbereitet, dienen die unterschiedlichen Bestandteile von Öl und Gas als Ausgangsstoff für die Herstellung von Plastik, Klebstoffen, Lacken und vielem mehr. Oberstes Ziel der Unternehmen in der Chemiebranche ist Effizienz. An sogenannten Verbundstandorten dient das Abfallprodukt einer Reaktion häufig als Rohstoff, um einen anderen Prozess in Gang zu setzen. Obwohl die Branche mit 4,6 Mrd. Euro (2017) vergleichsweise viel Geld in Forschung und Entwicklung investiert, sehen Experten den hohen Integrationsgrad der Produktion als einen Grund dafür, warum sich ein tiefgreifender Wandel der Rohstoffbasis in der chemischen Industrie nur langsam vollziehen kann. Biobasierte Verfahren haben deshalb am ehesten eine Chance, wenn sie sich als „Drop-in“-Lösung in bestehende Anlagen integrieren lassen: Rohstoffe aus nachwachsenden Quellen, deren Eigenschaften identisch zu den konventionellen, erdölbasierten Plattformchemikalien sind. Auf Interesse stoßen aber auch biobasierte Plattformchemikalien mit neuen Eigenschaften: Sie eröffnen neue Verwertungsmöglichkeiten, weil sie in ganz unterschiedlichen Produktionsstufen und Anwendungsgebieten eingesetzt werden können. Aus nachwachsenden Rohstoffquellen stammen jährlich 2,7 Mio. Tonnen.

    

Quelle: VCI/FNR

Rohstoffbasis der deutschen Chemieindustrie zur Herstellung von Kunststoffen, 2017

 

Einsatz biotechnologischer Verfahren

Auch mit Blick auf die Umweltbilanz gibt es dank der Entwicklung neuer Werkzeuge in der Prozess- und Verfahrenstechnik Vorteile biobasierter Ansätze: Mikroorganismen oder Biokatalysatoren wie Enzyme erledigen viele Reaktionsschritte mit hoher Ausbeute bei Zimmertemperatur und Normaldruck statt wie bei chemischen Verfahren häufig üblich unter hohem Druck und mit hohen Temperaturen. Rund 60 vorwiegend kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland haben sich auf dieses Betätigungsfeld spezialisiert und arbeiten an der Entwicklung von technischen Enzymen oder biotechnologischen Produktionsprozessen auf der Basis von Mikroorganismen. Diese Firmen der industriellen Biotechnologie konnten in den vergangenen Jahren wachsende Umsätze verzeichnen. Die Chemie-Branche zählt neben der Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie zu den wichtigsten Kunden. Das Hightech-Werkzeug der Biotech-Firmen dient hier oftmals dazu, Produktionsschritte zu optimieren oder neue Verfahren zu etablieren. Der Großteil an nachwachsenden Rohstoffen, die schon heute in der chemischen Industrie eingesetzt werden, sind pflanzliche Öle, die aus den Früchten von Palmen, Raps und Soja gewonnen werden oder tierische Fette. Die Öle und Fette werden zu biobasierten Tensiden weiterverarbeitet, die in der Reinigungs- und Waschmittelindustrie, aber auch bei Kosmetikprodukten Einsatz finden (vgl. Konsumgüter).

Biokunststoffe im Fokus der Hersteller

Einen noch größeren Markt für biobasierte Produkte ergibt sich bei der Herstellung von Kunststoffen. Diese stellen das zweitgrößte Produktsegment der Chemieindustrie dar, werden derzeit mehrheitlich erdölbasiert hergestellt (siehe Diagramm oben) und lassen sich für vielfältigste Anwendungen einsetzen, vor allem in der Automobilindustrie. Der Anteil biobasierter Verfahren ist jedoch stetig gewachsen. Dabei ist Bioplastik keinesfalls eine neue Erfindung. Im Gegenteil: Der erste industriell produzierte Kunststoff überhaupt stammt aus dem Jahr 1869 und war ein Biomolekül: Celluloid. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die ersten auf Erdölbasis gefertigten Kunststoffe erfunden. Ab 1956 sind schließlich großtechnische Herstellungsverfahren für die bis heute marktbeherrschenden Kunststoffe Polyethylen und Polypropylen eingeführt worden. Seitdem ist die Palette an Kunststoffen für unterschiedlichste Einsatzgebiete stetig gestiegen. Seit Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts sind schließlich Biokunststoffe wieder ins Blickfeld der Industrie gerückt. Wenn von Bioplastik die Rede ist, können zwei unterschiedliche Arten von Biokunststoffen gemeint sein: Einerseits gibt es biologisch abbaubare Kunststoffe – diese müssen aber nicht zwingend aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden, es gibt auch erdölbasierte, biologisch abbaubare Kunststoffe. Anderseits gibt es Biokunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, die nicht unbedingt biologisch abbaubar sind.

Rohstoffe aus Abfallprodukten

Vor allem Stärke und Cellulose sind heutzutage ein wichtiger Ausgangsstoff für die Produktion von Biokunststoffen. Dienten zunächst stärkehaltige Früchte wie Mais oder Kartoffeln als Rohstoffquelle, so konzentriert sich die Forschung inzwischen darauf, nachwachsende Ressourcen zu erschließen, die nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion stehen. Dadurch rücken Substanzen wie Chitin, Chitosan und Lignin in den Fokus, die als Abfallprodukte in anderen Wirtschaftsfeldern entstehen und bislang kaum genutzt werden können. Hierzu zählen auch Abfallprodukte aus der Lebensmittelwirtschaft wie Casein aus nicht verkehrsfähiger Milch, tierische Fette aus Schlachtabfällen oder Proteine aus der Rapsverarbeitung.

Pilotanlage für großindustriellen Einsatz

Auch der Spezialchemiekonzern Evonik setzt auf nachwachsende Rohstoffe für die Kunststoffproduktion. Das Unternehmen eröffnete 2013 eine neue Produktionsanlage in der Slowakei. Dort wird biobasierte gamma-Aminolaurinsäure (ALS) hergestellt, eine Alternative zum erdölbasierten Laurinlactam. Die beiden Chemikalien dienen als Ausgangsstoffe für die Produktion einer bestimmten Polyamidsorte, die PA12 genannt wird. Polyamide werden wegen ihrer hervorragenden Festigkeit und Zähigkeit oft als Konstruktionswerkstoffe verwendet. Der Kunststoff kommt unter anderem im Automobilbereich, für Haushaltsgeräte oder bei Sportartikeln zum Einsatz.

Die Pilotanlage in Slovenska Lupca soll genutzt werden, um die Prozessentwicklung für den großindustriellen Maßstab voranzutreiben. Als Rohstoff setzt Evonik derzeit noch auf Palmkernöl. In späteren Entwicklungsstufen sollen biologische Reststoffe eingesetzt werden.

Biobasierte Plattformchemikalien

Darüber hinaus rücken Mikroorganismen als Produzenten von Biokunststoffen ins Blickfeld, da sie als biologische Mini-Fabriken unterschiedliche natürliche Rohstoffe als Quellen nutzen können. Dies gilt zum Beispiel hinsichtlich der Herstellung von Bernsteinsäure. Die Chemikalie ist ein wichtiges Vorprodukt bei der Herstellung von Kunststoffen wie Polybutylensuccinat (PBS) oder Polyurethanen. Sie kann aber auch zur Herstellung von Vliesstoffen und Fasern, genutzt werden, die wiederum für Sportkleidung, Möbel und die Bauindustrie interessant sind. Vor diesem Hintergrund forschen BASF und das niederländische Unternehmen Corbion Purac schon seit 2009 auf dem Feld der biobasierten Bernsteinsäure. Unter dem Namen Succinity GmbH wurde ein Joint Venture mit Sitz in Düsseldorf gegründet, das die Produktion und Vermarktung biobasierter Bernsteinsäure vorantreiben soll. Gemeinsam wurde ein eigener Mikroorganismus gezüchtet: Basfi a succiniciproducens. Die Mikrobe ermöglicht die flexible Nutzung unterschiedlicher Rohstoffquellen. Dank eines geschlossenen, kreislaufbasierten Produktionssystems lassen sich zudem größere Abfallströme vermeiden. Seit 2014 produziert eine Anlage in Spanien jährlich 100.000 Tonnen biobasierte Bernsteinsäure, eine weitere ist bereits in Planung.

Spitzencluster „BioEconomy“

Zum Produktportfolio gehört hier nicht nur Bernsteinsäure sondern auch Milchsäure – diese Substanz bildet die Basis für den Kunststoff Polymilchsäure. Mehr als 1.000 Tonnen Bernsteinsäure und Milchsäure können in Leuna pro Jahr produziert werden und so die im Labor entwickelten Fermentations- und Aufbereitungsverfahren im industriellen Maßstab getestet. Die Ergebnisse wiederum werden für Kunden weltweit genutzt. In den USA betreibt ThyssenKrupp Uhde zusammen mit dem US-Unternehmen Myriant eine Anlage, in der aktuell 13.400 Tonnen biobasierte Bernsteinsäure pro Jahr hergestellt werden. In Mitteldeutschland hat sich damit inzwischen ein auch international anerkanntes Bioraffinerie-Forschungszentrum etabliert. Leuna bildet den Kern des Anfang 2012 vom BMBF gekürten Spitzenclusters „BioEconomy“. Mehr als 60 Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft aus Sachen-Anhalt und Sachsen haben darin ihre Kompetenzen gebündelt, um das Konzept der Bioraffiniere voranzutreiben.

Am Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP wird Holz in seine chemischen Bestandteile zerlegt.

CBP Leuna

Neue Prozesse

Inzwischen ist auch das französische Unternehmen Global Bioenergies vor Ort, welches neue Methoden zur Herstellung von sogenannten leichten Olefinen erforscht. Hierbei handelt es sich um Plattformchemikalien – das heißt, sie sind Ausgangspunkt für die Produktion zahlreicher weiterer Produkte. Zu den Olefinen gehören beispielsweise Isobuten, Propylen oder Butadien. Biotechnologisch konnten sie bisher nicht hergestellt werden, weil entsprechende Stoffwechselwege in Bakterien nicht existieren. Mit den Methoden der synthetischen Biologie hat Global Bioenergies nun neue, künstliche Stoffwechselwege entwickelt und die Erbinformation für die dafür benötigten synthetischen Enzyme in E. coli-Stämme eingeschleust. Das neue gasbildende Fermentationsverfahren erfordert keine Destillation und verfügt daher über eine bessere Umweltbilanz. Die Errichtung einer entsprechenden Pilotanlage in Leuna fördert das BMBF mit rund 5,7 Mio. Euro. Sie wird zwei 5000-Liter-Fermenter sowie ein komplettes Aufreinigungssystem umfassen und somit alle Aspekte einer industriellen Anlage abbilden. Die Produktionskapazität in Leuna von bis zu 100 Tonnen Isobuten pro Jahr ermöglicht es, interessierten Industrieunternehmen diesen Grundstoff zu eigenen Testzwecken anzubieten. Das Isobuten kann zum Beispiel für die Herstellung von Kunststoffen, Elastomeren und Treibstoffen verwendet werden. Noch wird Zucker als Bakterienfutter eingesetzt, künftig soll die Anlage aber auch mit Agrarreststoffen arbeiten. Ein umfassendes begleitendes Forschungsprogramm soll bei der Optimierung der Prozesse helfen.

Biologische Schmierstoffe

Die Chemieindustrie liefert mit der Bereitstellung von Ölen und Fetten auch die Basis für die breite Produktpalette an Schmierstoffen. Der Inlandabsatz von Schmierstoffen liegt in Deutschland seit mehreren Jahren konstant bei etwas über 1 Mio. Tonnen. Kommerziell spielen biobasierte Ansätze hier bislang eine untergeordnete Rolle. Ihr Marktanteil liegt bei ca. 3 % – vor allem aufgrund ihres höheren Preises, aber auch aufgrund der Unkenntnis ihrer Handhabung. Die aktuell größten Anwendungen finden Bioschmierstoffe als Hydrauliköle, Sägekettenöle und Schalöle (vgl. Maschinenbau). Nicht nur unter Nachhaltigkeitsaspekten bieten Bioschmierstoffe jedoch eine Reihe von Vorteilen: Sie sind oftmals biologisch abbaubar, in vielen Fällen ungiftig und weisen zumeist ein gegenüber erdölbasierten Produkten höheres Schmiervermögen auf.