Nachhaltige Strategien klug kombinieren
Siegfried BehrendtBeruf: Politologe und Biologe
Position: Forschungsleiter "Technologie und Innovation" am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin
Beruf: Politologe und Biologe
Position: Forschungsleiter "Technologie und Innovation" am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin
Der Zukunftsforscher Siegfried Behrendt über den notwendigen Strategien-Mix auf dem Weg in eine biobasierte, nachhaltige Wirtschaft.
Der Politologe und Biologe Siegfried Behrendt ist als Forschungsleiter am Berliner IZT Experte für Zukunftsfragen - dazu gehören auch zukünftige Wirtschaftsformen wie die Bioökonomie. Auf dem Weg in eine biobasierte Wirtschaft hat er verschiedene Nachhaltigkeitsstrategien genauer untersucht und miteinander verglichen. Zudem ist Behrendt auch am Wissenschaftsjahr 2020 zur Bioökonomie beteiligt - mit dem Projekt bion'd hat sein Team zusammen mit dem Berliner Naturkundemuseum eine Dialogreihe zur Zukunft der Bioökonomie gestartet.
Sie haben in einer Studie drei verschiedene Strategien auf dem Weg in eine nachhaltige, biobasierte Wirtschaft untersucht und miteinander verglichen. Welche sind das?
Die drei Strategien sind: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Effizienz steht für die Steigerung der Produktivität bei der Nutzung von biogenen Ressourcen. Hierbei geht es vor allem um eine Prozess-, Nährstoff- und Ertragsoptimierung, beispielsweise durch Züchtungen von Pflanzen mit einer höheren Toleranz gegenüber Hitze, Trockenheit oder Pflanzenkrankheiten. Konsistenz zielt auf naturnahe Technologien, Verfahren und Systeme, etwa ökologischen Landbau, Unkrautregulierung durch Feldrobotik, Wiederaufforstung von Mischwäldern oder Renaturierung von Mooren. Suffizienz zielt auf die Reduktion des belastenden Konsums. Dies verlangt einen umwelt- und sozialbewussten Konsum von Agrarerzeugnissen, etwa durch Reduzierung von Lebensmittelabfällen und Änderungen im Speiseplan, beispielsweise weniger Fleisch essen oder auf Biokost umsteigen.
Welche der Strategien hat Ihrer Ansicht nach das größte Potenzial, echte Umwälzungen hin zu einer Bioökonomie/Green Economy zu bewirken?
Die Effizienzstrategie ist an das vorherrschende Wirtschaftsgeschehen am anschlussfähigsten, trägt aber nur als Basisstrategie. Effizienzsteigerungen allein werden nicht ausreichen, um die schädlichen Nebenfolgen des global steigenden Nahrungsmittel- und Biomassebedarfs zu kompensieren, geschweige denn, um Klimaschutz- und Umweltanforderungen gerecht zu werden. Weitreichender sind die Konsistenz- und Suffizienzstrategie. Sie haben das größte Potenzial für eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Bioökonomie. Allerdings ist die Eingriffstiefe in bestehende Strukturen und Alltagsroutinen vielfach hoch, sodass die Konsistenz- und Suffizienzstrategie mit der Überwindung von Pfadabhängigkeiten und Blockaden konfrontiert ist.
Was folgt aus Ihren Analysen für die Politikgestaltung und für unser eigenes Verhalten?
Um den globalen Herausforderungen begegnen zu können, bedarf es einer klugen, komplementären Kombination der Strategien zur Transformation des Wirtschaftssystems. Eine vorrangig auf innovative Techniken, Verfahren und Produkte zur Nutzung biogener Rohstoffe und Wissen über biologische Prozesse und Systeme für neue Anwendungen ausgerichtete Innovationspolitik wird nicht genügen. Vielmehr bedarf es neben der Innovation auch der Exnovation. So, wie die Kohleverstromung nicht mit dem Klimaschutz vereinbar und der Kohleausstieg folgerichtig ist, so bedarf es auch des Ausstiegs aus umweltschädlichen Praktiken der Agrar-, Forst- und Fischereiwirtschaft bis hin zur Abkehr von nicht nachhaltigen Konsum- und Ernährungsgewohnheiten.
Welche Rolle werden Ihrer Einschätzung nach Bioökonomie-Strategien in einer Post-Corona-Ökonomie spielen?
Corona zeigt wie durch ein Brennglas die Verletzlichkeit komplexer, global vernetzter Gesellschaften, die stark voneinander abhängig sind. Krisen dieses Ausmaßes sind auch in Zukunft nicht ausgeschlossen. Durch Klimawandel und den Verlust von Biodiversität verschärft sich die Verletzbarkeit von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen immer weiter. Eine Transformation zu einer Bioökonomie, die sich an der planetaren Tragfähigkeit und den Funktionsprinzipien globaler Ökosysteme orientiert, hat das Potenzial, die Resilienz komplexer Gesellschaften deutlich zu erhöhen.
Was haben Sie in dem Wissenschaftsjahr-Projekt bio’nd geplant?
Corona hat auch unsere Dialogreihe zur Zukunft der Bioökonomie durcheinander gebracht. Statt eines Auftaktes im Museum für Naturkunde in Berlin haben wir die Veranstaltung ins Web verlegt und im Format einer Videokonferenz durchgeführt: mit großer Resonanz. Wir erwarten, dass auch bald wieder Präsenzveranstaltungen möglich werden. Geplant sind ein Kaffeeklatsch mit Wissenschaft, ein Zine-Workshop, ein Worldcafé, eine Schreibwerkstatt und ein Format, dass sich Spekulative Futures nennt. Am Ende steht im Dezember 2020 eine Finissage mit Podiumsdiskussion zu den Perspektiven der Bioökonomie, hoffentlich im Experimentierfeld des Museums für Naturkunde.
Interview: Philipp Graf