Insekten, Würmer oder Krabben sind in vielen Ländern längst eine Delikatesse. Auch hierzulande werden diese Tiere wegen ihres hohen Proteingehalts als gesunde Nahrungsquelle für Mensch und Tier geschätzt. Auf den Speisenkarten einheimischer Restaurants sind sie zwar weiterhin eine Seltenheit, bei Forschern hingegen stehen sie hoch im Kurs. Der Grund: Die Schalen enthalten das nach Cellulose zweithäufigste Polysaccharid der Erde, das Chitin. Wegen seiner strukturgebenden und biokompatiblen Eigenschaften ist es vor allem für Medizinprodukte wie Implantatbeschichtungen gut geeignet. Zugleich ist das Biopolymer ein Ausgangsstoff für die technische Herstellung von Chitosan, das wiederum zur Herstellung von Fasern, Schaumstoffen oder Folien genutzt wird.
Insekten als Chitinquelle nutzen
Bisher werden dafür vor allem Krabbenschalen als Chitinquelle angezapft. Im Rahmen des Verbundprojektes „ChitoTex“ wollen Forscher unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart nun erstmals aus Insekten den Naturstoff isolieren. Das Insektenchitin soll dann für den Einsatz in der Textilindustrie zur Oberflächenbeschichtung von Garnen und textilen Flächen aufbereitet werden. Das 2015 gestartete Vorhaben wird vom BMBF über drei Jahre mit insgesamt knapp 1 Mio. Euro unterstützt.
Textilfasern widerstandsfähigmachen
Zunächst soll das neuartige Biopolymer zur Beschichtung von Materialien bei der Herstellung von Arbeitskleidung eingesetzt werden. In der Praxis werden sogenannte Schlichtemittel auf die textilen Fasern aufgebracht, um das Garn stabiler zu machen und so zu verhindern, dass der Faden beim Weben reißt. So wird auch Chitosan, ein Derivat des Chitins, als Schlichtemittel eingesetzt. An diesem Punkt setzt das Projekt „ChitoTex“ an. „Wenn man das Chitin modifiziert, könnte das Textil nach Bearbeitung wasser- und schmutzabweisende Eigenschaften annehmen und so ein Ersatz für gängige Beschichtungen sein. So könnte man partiell auf perflourierte Kohlenwasserstoffe verzichten“, erklärt Projektleiterin Susanne Zibek. Diese Untersuchungen werden im Projekt von den Verbundpartnern ITV Denkendorf, Lauffenmühle und Dr. Petry durchgeführt.
Soldatenfliege als Chitinlieferant
Als Chitinlieferant dient dem Stuttgarter Team um Susanne Zibek die Schwarze Soldatenfliege, die vom niederländischen Projektpartner, der Firma Protix, gezüchtet und für die Versuche bereitgestellt wird. Zunächst galt es herauszufinden, in welchem Reststrom der Insektenzucht, ob im Kokon oder Exoskelett, das meiste Chitin produziert wird. „Dafür ist es notwendig, die verschiedenen Abfallströme zu untersuchen, zu analysieren und aufzuarbeiten. Denn das Rohchitin enthält noch viele andere Inhaltsstoffe“, erklärt die Forscherin. Dazu gehören neben Proteinen, auch Calcium und Farbpigmente, die zunächst separiert werden müssen, bevor das gewonnene Insektenchitin genutzt werden kann. Mit der Chitinisolation aus Insektenresten betreten die Stuttgarter Forscher Neuland.
Mit Enzymen Chitin in Chitosan umwandeln
Bei der Umwandlung des wasserunlöslichen Chitins in lösliches Chitosan experimentieren die Forschern neben der Anwendung von Alkali auch mit Enzymen. Die Enzyme werden von dem norwegischen Partner, der NMBU, und der österreichischen Firma Eucodis, charakterisiert, hergestellt und auf Ihre Eignung hin untersucht. „Wir hatten am Anfang sehr viele Kandidaten. Schließlich nutzen wir maximal zehn Enzyme und hoffen, am Ende aus dreien einen Cocktail herstellen zu können. Denn desto weniger es sind, umso wirtschaftlicher wird es“, berichtet die Bioverfahrenstechnikerin. Mithilfe des richtigen Enzymcocktails hoffen die Forscher, ausreichende Mengen Chitosan für die industrielle Nutzung herstellen zu können.
Positive Zwischenbilanz
Die Aussichten auf Erfolg sind gut. Nach knapp zwei Jahren Forschung fällt die Zwischenbilanz positiv aus. „Wir können bereits erfolgreich das Insekten-Chitin aufreinigen und mit einem langkettigen hydrophoben Molekül chemisch funktionalisieren. Auch haben wir eine Auswahl von Enzymen getroffen, die wir uns anschauen“, sagt Zibek. Erste Proben des chitosan-basierten Ausrüstungsmittels konnten die Fraunhofer-Forscher bereits an die Projektpartner aus der Textilindustrie übergeben. Als nächstes will das Team um Zibek das „Geheimnis des Enzymcocktails“ lüften und dem chitosan-basierten Ausrüstungsmittel mit weiteren speziellen Molekülen, wie Fettsäure die funktionellen Eigenschaften geben.
Sollte das aufwendige Verfahren der Chitinisolation aus Insekten und deren Aufarbeitung gelingen, wäre eine neue nachhaltige Chitinquelle erschlossen. Kostenaufwendige Importe von Krabbenschalen könnten so langfristig entfallen, weil der Naturstoff durch Insektenzüchtung vor Ort verfügbar wäre. Außerdem: Wie das aus Krabben herstellte Pendant, könnte auch das Insektenchitin für biomedizinische Anwendungen oder als Pflanzen- oder Düngemittelzusatz in der Landwirtschaft genutzt werden.
Autorin: Beatrix Boldt