Zukunftsperspektive Bioökonomie: Vielfältige Karrierewege im Blick
Mehr als einhundert junge Menschen kamen am 7. November ins Bundesforschungsministerium nach Berlin, um sich bei der Veranstaltung „Zukunftsperspektive Bioökonomie“ über die vielfältigen Bildungs- und Karrierewege in der Bioökonomie zu informieren.
Biobasiertes und nachhaltiges Wirtschaften ist ein echtes Zukunftsthema. Welche Bildungs- und Karrierechancen bietet die Bioökonomie und welche Möglichkeiten haben Jugendliche und Studierende, die Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft mitzugestalten? Die Veranstaltung „Zukunftsperspektive Bioökonomie“ gab darauf Antworten. 130 vorwiegend junge Leute waren am 7. November ins Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) nach Berlin-Mitte gekommen, um sich über die zahlreichen Möglichkeiten zu informieren. Ein Team von bioökonomie.de um Kristin Kambach und Martin Reich hatte die Veranstaltung im Auftrag des BMBF organisiert.
Moderiert von Tobias Brügmann wartete das Event mit spannenden Impulsvorträgen, vier Diskussionsrunden und einer kleinen Ausstellung auf. Das Ziel: Die vielen Facetten der Bioökonomie als Forschungs- und Berufsfeld anschaulich machen. „In Zeiten des Wandels ist es um so wichtiger, junge Leute in die Gestaltung der Zukunft mit einzubeziehen“, sagte BMBF-Staatssekretärin Judith Pirscher in ihrem Grußwort. „Wenn es darum geht, etwas Sinnstiftendes zu tun, sind Sie in der Bioökonomie richtig.“ Denn Bioökonomie sei eine interessante Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Innovation und Nachhaltigkeit, schaffe Zukunft und zugleich Karrierechancen.
Bioökonomie vereint Nachhaltigkeit und beruflichen Erfolg
Die Veranstaltung machte eines deutlich: So vielseitig die Bioökonomie, so verschieden sind die Karrierewege und Jobprofile. „Es gibt unendlich viele Möglichkeiten und viele haben etwas mit Bioökonomie zu tun“, sagte Max Mundt, Investor beim Berliner Wagniskapital-Fonds Amino Collective, in seinem Impulsvortrag. Seine Karriere in der Bioökonomie begann zunächst als Forscher am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie. „Meinen Job in der Wirtschaft musste ich mir selbst bauen“, sagte Mundt. Das führte ihn zum Biotech-Start-up Insempra, wo er Technologien für die biologische Herstellung von neuen Materialien und Feinchemikalien akquirierte.
Als Investor bei Amino Collective unterstützt er nunmehr seit einigen Jahren weltweit Start-ups, die mit Biologie neue Produkte und Prozesse einsetzen, in der frühen Phase der Unternehmensentwicklung. „Wir investieren, weil es sich einfach lohnt.“ Mundt gab sich überzeugt: „Nachhaltigkeit und beruflicher Erfolg gehen in der Bioökonomie Hand in Hand“. Die Bioökonomie werde in „jeden Lebensbereich hineinwachsen“ und biete vor allem jungen Leuten „die Jahrhundertchance“, diesen Prozess mitzugestalten. „Bleibt offen für Neues, heute legt man sich beruflich nicht mehr für immer fest.“
Bioökonomie studieren
Der erste Schritt auf dem Karriereweg ist bekanntlich Bildung und wird unter anderem durch ein entsprechendes Studium geebnet. An der Universität Hohenheim hat Iris Lewandowski den internationalen Masterstudiengang „Bioeconomy“ etabliert. Doch was ist eigentlich Bioökonomie? Die Veranstaltung zeigte, dass mit dem Begriff – der in der Fachwelt längst etabliert ist – die breite Öffentlichkeit oft nur wenig anfangen kann. Der Impulsvortrag von Lewandowski konnte diese Wissenslücke schließen. „In der Bioökonomie geht es um Zirkularität. Wir nutzen biologisches Wissen, um Reststoffe – etwa in Bioraffinerien – aufzuarbeiten, damit nichts verloren geht“, erklärt die promovierte Agrarwissenschaftlerin. Bioökonomie ist also nur nachhaltig, wenn Rohstoffe im Kreislauf geführt werden – also Roh- und Reststoffe aus Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Aquakultur, mikrobieller Produktion und Abfallmanagement genutzt werden.
Studium und Forschung zur Bioökonomie
Die Bioökonomie ist eine moderne und nachhaltige Form des Wirtschaftens, die auf der effizienten Nutzung aller biologischen Ressourcen wie Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen basiert und alle Branchen einschließt, die biologische Ressourcen produzieren, verarbeiten oder in irgendeiner Form nutzen. Der Studiengang an der Universität Hohenheim ist dementsprechend breit aufgestellt. „Der Studiengang ist eine Schnittstelle aus verschiedenen Fachrichtungen, wo wir projektbezogen auch mit Unternehmen zusammenarbeiten“, erläuterte Lewandowski. Absolventen des Studiengangs stammten aus 50 verschiedenen Ländern und hätten mittlerweile Start-ups gegründet, arbeiteten als Unternehmensexperten für Ökobilanzen, in der Nachhaltigkeitsforschung oder in der Kommunalpolitik und -verwaltung.
In den nachfolgenden Podiumsdiskussionen erhielten die Gäste im Publikum einen Einblick, welche Karrierewege Wissenschaft, Industrie, Start-ups und Ehrenamt bieten. Sie konnten Fragen stellen und mit den Akteuren ins Gespräch kommen. Im Podium zum Thema „Karriere in der Wissenschaft“ standen mit Pflanzenbiotechnologe Robert Hoffie, Biochemikerin Lena Hochrein, Fraunhofer-Netzwerkerin Anna-Katharina Stumpf und Wirtschaftsgeograf Sebastian Losacker vier junge Forschende Rede und Antwort.
Sie berichteten über ihren Karriereweg, was sie an der Forschung begeistert und welche Vorteile außeruniversitäre Forschungsarbeit bietet. „Hier habe ich die Chance, Ideen zu verfolgen, die mich selber interessieren“, berichtet Lena Hochrein. Die promovierte Mikrobiologin leitet an der Universität Potsdam die Nachwuchsgruppe „TAILOR – Maßgeschneiderte Wirtsorganismen für die Bioökonomie von morgen“. Ihre Forschungsarbeit wird vom BMBF über fünf Jahre gefördert. Auch Sebastian Losacker kann als Nachwuchsgruppenleiter seine Ideen im Rahmen der BMBF-Maßnahme realisieren. „Ich forsche eher über die Bioökonomie und schaue mir den Transformationsprozess zu mehr Nachhaltigkeit im Bausektor an“, so der Forscher.
Pioniergeist in der Industrie gefragt
Nicht nur in der Forschung gibt es vielfältige Möglichkeiten, die bioökonomische Transformation mitzugestalten. Auch die Industrie ist bereits heute auf Innovationen angewiesen, um die Herausforderungen der Zukunft wie Ernährungssicherung, Klimawandel und Rohstoffknappheit zu meistern. Doch welche Qualifikation ist in der Wirtschaft gefragt? Das war eine von vielen Fragen, auf die drei Fachleute im Podiumsgespräch „Karriere in der Industrie“ Antworten lieferten. „Man muss Pioniergeist mitbringen, um komplexe Prozesse anzugehen und neue Produkte entwickeln zu können“, betonte Michael Erkes vom dänischen Biotechnologieunternehmen NOVONESIS – ein Unternehmen, das aus Novozymes und Chr. Hansen hervorgegangen ist. Der Lebensmitteltechnologe hat ursprünglich Fleischer gelernt und hat sich im Weiteren von seinem „Bauchgefühl“ leiten lassen. Heute managt er als Head of Business beim weltweit führenden Anbieter von sogenannten Biosolutions das europaweite Geschäft mit Lebensmittelkulturen für das Segment Meat & Prepared Food.
Dass Forschung auch in der Wirtschaft gefragt ist, unterstreicht der Lebensweg von Gerd Unkelbach. Seine Berufskarriere begann als Chemielaborant. Später forschte er als Diplom-Chemiker am Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP und promovierte zum Thema Bioraffinerie. 2022 wechselte Unkelbach zum finnische Spezialchemieunternehmen UPM, wo er heute den Konzernforschungsbereich „Polymers & Molecular Bioproducts“ leitet. UPM errichtet in Leuna eine Bioraffinerie, die aus Reststoffen der Holzverarbeitung wichtige Basischemikalien wie Monoethylenglykol hergestellt. Sarah Borg, promovierte Biotechnologin, arbeitet heute beim Nahrungsmittelunternehmen Hochland und ist als „Innovationscout“ auf der Suche nach Start-ups, die neuen Technologien für die Lebensmittelindustrie entwickeln.
Karriere im Start-up
Die Gründung eines eigenen Unternehmens ist ein weiterer Weg, um an der Gestaltung einer nachhaltigeren Welt mitzuwirken. Dazu bedarf es jedoch nicht nur Mut, sondern auch Durchhaltevermögen und ausreichend Kapital, wie die Debatte zum Thema „Karriere im Start-up“ zeigte. Auf dem Podium diskutierten dazu Tim Fronzek vom Lebensmittel-Start-up Nosh.Bio, Carla Glassl von Ucaneo, Cosima Richardson von Kynd Hair und Philipp Rittershaus vom AgriFoodTech-Inkubator RootCamp.
„Man muss nicht die zündende Idee haben. Die wenigsten Start-ups bleiben bei der Idee, mit der sie angefangen haben. Man muss motiviert sein und losmachen“, betonte Carla Glassl. Ihre Leidenschaft für Innovationen kombiniert mit dem Wunsch, Veränderungen zu bewirken, hat Glassl bereits während ihres Studiums motiviert, mehrere Forschungsprojekte weltweit anzuschieben. Als Mitgründerin und CTO von Ucaneo entwickelt sie heute mit ihrem Team eine neuartige biomimetische CO₂-Auffangtechnologie mit dem Ziel, bis 2030 eine Million Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre zu entfernen. Cosima Richardson von Kynd Hair ist ein Beispiel dafür, dass man mit einem Marketing-Abschluss und gleichzeitigem Hauptjob erfolgreich ein Start-up für pflanzenbasiertes Kunsthaar gründen kann.
Geld und fachliche Unterstützung sind erforderlich, damit aus Visionen auch Realität wird. Die Bundesagentur für Sprunginnovation SPRIND unterstützt seit Jahren Teams, die an radikal neuen Lösungen zur Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit arbeiten. „Wir geben Menschen die Chance zu beweisen, dass es geht“, erklärt Jano Costard in seinem Impulsvortrag. Costard betreut bei SPRIND in Leipzig die Innovationswettbewerbe für ungelöste Ziele – darunter die aktuelle Challenge „Circular Biomanufacturing“. Darin werden Teams finanziert, die neue biotechnologische Verfahren zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfall- und Reststoffen und deren integrierte Weiterverarbeitung entwickeln. Sein Appell an das junge Publikum: „Seid ambitioniert. Umgebt euch mit Leuten, die euch unterstützen.“
Ehrenamt als Netzwerk-Plattform nutzen
Der Weg zur Bioökonomie kann auch über ein Ehrenamt führen. Hier bieten Organisationen und Vereine Interessierten die Möglichkeit, sich zu vernetzen und an dem gesellschaftlichen Wandel, den die Bioökonomie bedeutet, mitzuwirken. „Das Ehrenamt ist eine Art Sprungbrett. Man kann sich als junger Mensch Gehör verschaffen. Außerdem macht es Spaß und man tut was Gutes“, so Johann Liebeton. 2020 wurde er von einem Thinktank von Bioökonomie-Fachleuten, dem International Advisory Council on Global Bioeconomy (IACGB) zum Bioeconomy Youth Champion ernannt. In dieser Funktion fördert und fordert er die Einbindung junger Menschen in die Bioökonomie. Einig waren sich die vier Protagonisten: Ein ehrenamtliches Engagement ist eine gute Plattform, um sich zu vernetzen und öffnet den Blick auf neue Perspektiven und Karrierewege.
Zeit zum lockeren Netzwerken bot das Event „Zukunftsperspektive Bioökonomie“ auch abseits der Gesprächsrunden auf dem Podium in der begleitenden Ausstellung. So konnten sich Interessierte an dem Infostand der Universität Hohenheim über Studium und Forschung, beim Projektträger Jülich über Möglichkeiten einer Förderung beraten lassen sowie mit Redakteuren von bioökonomie.de ins Gespräch kommen.
Bioökonomie-Akteure im Interview und per Live-Schalte
Visuelles Highlight der Veranstaltung war die Video-Ausstellung im Foyer des BMBF. Auf großen Bildschirmen kamen hier fünf spannende Bioökonomie-Enthusiasten zu Wort: die Architektin Hanaa Dahy, die Agrarforscherin Kathrin Grahmann, der Biotechnologe Florian Hänsel, der Klimamoorwirt Sebastian Petri und die Umweltingenieurin Michell Spitzer. Per Screen konnten die Besuchenden Fragen ansteuern und so erfahren, auf welchem Bildungs- und Karriereweg die jeweiligen Protagonisten das geworden sind, was sie heute tun und was sie daran begeistert. Umgesetzt hat die Video-Ausstellung das Videoteam von bioökonomie.de.
Darüber hinaus konnten die Gäste bei einer Live-Schalte ins Labor von Moosforschenden an der Universität Freiburg schauen. Im Moos-Bioreaktor vermehrt das Team um Ralf Reski und Eva Decker Torfmoose für ein Naturschutzprojekt. Eine weitere Live-Schalte ging nach Österreich, wo Andreas Gugumuck seine Wiener Schnecken Manufaktur vorstellte.
„Wir als BMBF sind überzeugt, dass die Bioökonomie unsere Zukunft prägen wird – und deshalb liegt uns die Förderung des Nachwuchses auch so am Herzen“, sagte Katja Zboralski, Co-Leiterin des Bioökonomie-Referats zum Abschluss der Veranstaltung. Das Event habe eindrucksvoll die verschiedenen Möglichkeiten und Perspektiven aufgezeigt, die das biobasierte Wirtschaften als Zukunftsthema eröffne und ermunterte das junge Publikum, diesen Weg mitzugestalten.
bb/pg