Naturstoffe der Flechten sind standortabhängig

Naturstoffe der Flechten sind standortabhängig

Am Fuß und auf dem Gipfel von Bergen unterscheidet sich, welche Gene die Pilze einer Flechte besitzen. Das ist relevant für die Wirkstoffforschung.

Flechten auf einem Berggipfel
Flechten sind Meister der Anpassung und können auch Lebensräume mit extremen Umweltbedingungen besiedeln.

Lebewesen passen sich infolge der Evolution an ihre jeweilige Umwelt an. Das gilt auch für Flechten, jene symbiontischen Lebensgemeinschaften aus Pilzen und Grünalgen oder Cyanobakterien. Wie Forschungsteams des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums sowie des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik jetzt im Fachmagazin „Environmental Microbiology“ berichten, ist diese Eigenschaft der flechtenbildenden Pilze auch für die Suche nach biologisch aktiven Wirkstoffen relevant.

Drei Gengruppen hängen von der Klimazone ab

Im Fokus der Untersuchungen standen bestimmte Gencluster der Pilze, Bereiche des Erbguts, die mit der Bildung von biologisch aktiven Substanzen in Zusammenhang gebracht werden. „Wir haben bei Umbilicaria pustulata drei Gencluster-Varianten gefunden, die entweder nur im mediterranen Klima am Fuß der Berge oder nur im gemäßigten Klima in den höheren Lagen vorkommen. Damit ist es wahrscheinlich, dass diese Gene mit Naturstoffen assoziiert sind, die bei der Klimaanpassung eine Rolle spielen“, erklärt die Erstautorin der Studie, Garima Singh. Jetzt sei das Ziel, herauszufinden, welche Naturstoffe zu diesen klimatisch differenzierten Genclustern gehören.

Potenzial der Flechten erschließen

So wäre beispielsweise denkbar, dass Flechtenpilze auf den Gipfeln von Bergen Substanzen hervorbringen, die sie vor Frostschäden schützen. Am Fuß des Berges im mediterranen Klima hingegen könnten die Organismen Stoffe bilden, die das Überleben bei Trockenheit fördern. „Die Fähigkeit von Flechten, Naturstoffe zu produzieren, die ihnen das Überleben in einer bestimmten klimatischen Nische erleichtern oder erst ermöglichen, zeigt uns, dass wir das wahre Potenzial von Flechten überhaupt noch nicht kennen“, erläutert Projektleiterin Imke Schmitt – ein Umstand, der auch für andere Pilze gelte. So kenne die Wissenschaft bei Pilzen pro Art bis zu 80 Gruppen von Genen, die für die Naturstoffproduktion verantwortlich sind. „Das sind viel mehr als wir bisher tatsächlich Naturstoffe nachweisen können.“

Klimakrise bedroht Suche nach medizinischen Wirkstoffen

Zahlreiche Naturstoffe aus Pflanzen, Pilzen oder Mikroorganismen sind biologisch aktiv und haben sich als wertvoll für die Medizin erwiesen. Sie hemmen beispielsweise Tumore oder wirken gegen Krankheitserreger. Die allermeisten Naturstoffe des weltweiten Artenreichtums sind jedoch noch gar nicht bekannt, geschweige denn erforscht. „Die Genome von Flechten zu erforschen, kann uns dabei helfen, neue Naturstoffe mit nützlichen Eigenschaften zu finden“, hofft Schmitt. Gleichzeitig warnt sie: „Wenn durch den Klimawandel oder menschliche Eingriffe einzelne Flechten-Populationen aussterben, verschwinden jedoch möglicherweise auch die genetischen Grundlagen für die Produktion noch unentdeckter Naturstoffe.“

bl