Mit Biotechnologie Riffe schützen

Mit Biotechnologie Riffe schützen

Um den Entzündungshemmer Pseudopterosin zu gewinnen, werden bislang Korallen zerstört. Das soll bald überflüssig werden.

Koralle Antillogorgia elisabethae
Bislang sind Korallen die Quelle für Pseudopterosine.

Die Natur ist reich an bioaktiven Substanzen mit medizinischem Potenzial, aber auch an anderen molekularen Substanzen und Enzymen, die sich nutzen lassen, um weitere chemische Wertstoffe herzustellen. Häufig jedoch wird bei der „Ernte“ dieser Naturstoffe die Natur in Mitleidenschaft gezogen oder sogar zerstört. So ist es beispielsweise mit Pseudopterosinen, Entzündungshemmern, die aus Weichkorallen gewonnen und für Kosmetika verwendet werden. Ein deutsch-kanadisches Forschungsprojekt will diese wertvolle Stoffklasse der Terpene stattdessen biotechnologisch zu erzeugen.

Pharmazeutisches Potenzial erhalten

„ Pseudopterosine machen rund vier Prozent des organischen Extrakts der karibischen Koralle Antillogorgia elisabethae aus“, erzählt Thomas Brück, Biotechnologe an der TU München. Um an den Wirkstoff zu gelangen, werden die Korallen aus den Riffen herausgerissen und in der Sonne getrocknet. Die Biomasse wird in die USA transportiert, wo der Wirkstoff extrahiert und von dort in alle Welt verschifft wird. Darüber kann Brück sich nicht nur deshalb aufregen, weil er als passionierter Taucher die Korallenriffe schätzt: „Das Riff wird zerstört, die Biodiversität ist kaputt, und da Riffe wichtige CO2-Senken sind, wirkt es sich negativ auf den Klimawandel aus“, kritisiert der Forscher. Vor allem der Biodiversitätsverlust sei nicht zu unterschätzen: „Viele Substanzen in den Organismen der Riffe wirken pharmazeutisch“, so Brück. Neben den Korallen leben dort Algen, Bakterien und Pilze, die jedoch nur als Gemeinschaft überleben. „Mit der Schatztruhe Biodiversität zerstören wir auch neue Wirkstoffe, die wir noch gar nicht kennen“, warnt der Experte.

Seit 15 Jahren beschäftigt sich Brück daher mit der Suche nach Alternativen. Die erste Frage lautete: Welche Organismen der Riffgemeinschaft sind es eigentlich, die Pseudopterosine herstellen? Die Algen rückten in den Blick, doch es erwies sich als unmöglich, sie langfristig in Kultur zu halten. Also schaute der Biotechnologe, welche terrestrischen Bakterien ähnliche Biosynthesen und Prozesse aufweisen. Bei den Streptomyceten wurde er fündig: Sie besitzen mit der Hydropyrene-Synthase ein Enzym, das Isoelisabethatrien erzeugt, Vorläuferstoffe von Erogorgiaen. Letzteres ist seinerseits Vorläufer der begehrten Pseudopterosine und selbst antibiotisch wirksam, unter anderem gegen den Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis.

Schema der Erogorgiaen-Gewinnung
Ein Beispiel für Biomimetik: Nach dem Vorbild der Natur entstehen im Labor auf nachhaltigem Weg wertvolle Naturstoffe.

Optimierung der Enzymreaktion

Das neue Ziel lautete daher, die Fähigkeit von Strepomyces clavuligerus gentechnisch auf das industriell etablierte Bakterium Escherichia coli zu übertragen und den Prozess in Richtung Pseudopterosine voranzutreiben. Von September 2014 bis Februar 2018 stellte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zu diesem Zweck für das Projekt „Optimized microbial conversion of biomass residues for sustainable production of high value diterpene bio-actives“ (OMCBP) rund 1,35 Mio. Euro aus dem Programm „Bioökonomie International“ bereit. Weitere 880.000 Euro brachten die kanadischen Partner ein.

„Wir haben uns im Projekt zunächst genau angeschaut, wie das Enzym funktioniert, das unter anderem die Isoelisabethatriene herstellt“, erzählt TUM-Forscherin Marion Ringel. Dabei stellte sich heraus, dass eine bestimmte Punktmutation eine zentrale Rolle bei der Stärke der Bindung an den Reaktionspartner spielt. Das Forschungsteam optimierte diese Bindung und konnte so den Anteil des Isoelisabethatriens an den Produkten des Enzyms auf rund 40 Prozent steigern – genug, um es für eine weitere Verwendung zu isolieren. Das extrahierte Isoelisabethatrien wurde dann in einem Prozessschritt außerhalb der Mikroorganismen durch ein weiteres Enzym, eine Lipase, mit rund 70-prozentiger Ausbeute zu Erogorgiaen weiterverarbeitet.

Bioreaktor
Inzwischen ist es möglich, Vorläufermoleküle der Pseudopterosine bakteriell in Bioreaktoren zu produzieren.

Schneller und billiger als die chemische Synthese

Zwar ließe sich Erogorgiaen auch chemisch synthetisieren – „in acht Schritten und mit dem Einsatz vieler schädlicher Chemikalien“, sagt Brück. Kostenpunkt: etwa 21.000 Euro pro Kilo. Der biotechnologische Prozess hingegen besteht aus zwei Schritten, erfordert als Kohlenstoffquelle Glycerin – ein Abfallprodukt der Biodieselherstellung – und kostet pro Kilo rund 9.000 Euro. „Was wir im Projekt erreicht haben, ist ein erster Schritt für eine nachhaltige Darstellung der Pseudopterosine, für die schon heute ein Markt mit riesigen Gewinnen existiert“, resümiert Brück. Einen weiteren Erfolg, den sie sich auch patentieren ließ, erlebte Marion Ringel: „Wir haben eine neue Aminosäure gefunden, die in der Katalyse von Terpenen noch nicht beschrieben war.“

Obwohl das Förderprojekt seit 2018 erfolgreich beendet ist, geht die Arbeit für das Team weiter – denn das ungehobene Potenzial ist groß: Eine Anwendung in der Wundheilung zeichnet sich ab. Dazu gab es bereits einmal eine klinische Studie, die es erfolgreich bis in Phase drei geschafft hatte, dann aber mangels verfügbarer Rohstoffe abgebrochen werden musste. Die Nebenwirkungen waren damals geringer als beim etablierten Wirkstoff, die Wirksamkeit vergleichbar. Durch den biotechnologischen Prozess ist nun ein erneuter Anlauf möglich.

Die Projektpartner

  • Werner Siemens Lehrstuhl für synthetische Biotechnologie, Fakultät für Chemie, Technische Universität München
  • Mikrobielle Biotechnologie, Ruhruniversität Bochum
  • Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB, Department BioCat
  • University of Prince Edward Island, Canada Research Chair in marine natural products and Lèvesque chair in nutrisciences and health
  • Nautilus Biosciences Canada Inc.

Weitere Produkte denkbar

„Außerdem ist eine ganze Stoffgruppe ausgehend von diesem Vorläufermolekül möglich“, erläutert Brück. Erogorgiaen lässt sich vielfältig funktionalisieren – und die Wahrscheinlichkeit, so weitere medizinisch relevante Verbindungen zu finden, ist groß. „Ich würde mir längere Förderrahmen wünschen, denn manche Technologien brauchen länger als drei Jahre“, sagt der Biotechnologe. Oftmals sei es schwierig, eine zweite Förderperiode bewilligt zu bekommen, doch ohne die sei der Punkt der Skalierbarkeit meist nicht zu erreichen. „Dorthin müssen wir aber kommen, wenn wir die Industrie transformieren wollen“, wirbt Brück – auch, um weiter durch intakte Riffe tauchen zu können.

Autor: Björn Lohmann